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XVII

So war der sonnenrote Augustmorgen herangekommen, an dem Lilly mit zwei Armen voll tauiger Rosen – selbst taubesprengt vom Schopfe bis zur Schuhspitze – das Speisezimmer betrat, wo Anna von Schwertfeger in einem blaugrauen Leinenkleide, lang, schmal und innig lächelnd, vor dem Teetische stand.

Es lag nicht in ihrer Miene, es lag nicht in ihrem Gruße – die waren wie immer – doch fühlte Lilly sofort, daß irgend etwas Besonderes sich ereignet hatte.

Auch bemerkte sie, daß Käte, das Serviermädchen, das dem alten Ferdinand bei Tische zur Hand ging, rotgeweinte Augen hatte und sich beim Ordnen der Gedecke die Lippen fast zerbiß. Sie war aus feinerem Stoffe – eine Lehrerstochter und bildniedlich dazu – und darum auch von der Schwertfeger ausgesucht worden, um Lilly beim An- und Auskleiden zu helfen.

Als sie das Zimmer verlassen hatte, begann Lilly zu forschen.

Aber die Schwertfeger küßte sie nur doppelt zärtlich und meinte: »Wozu wollen Sie Ihr junges, klares Gemüt mit so häßlichen Dingen trüben, mein Herzlieb? Wenn gewisse Leute sich durchaus den Hals brechen müssen, so ist das ihre Sache, da können weder ich noch Sie etwas dagegen tun.«

»Wenn von Halsbrechen die Rede ist,« dachte Lilly, »dann ist Walter von Prell dabei im Spiel,« und laut erwiderte sie, daß sie doch nun einmal die Hausfrau sei, und daß ihr von Rechts wegen nichts fern gehalten werden dürfe, was in ihren künftigen, – sie sagte bescheidentlich »künftigen« – Wirkungskreis hineingehöre.

Diesen Gründen fügte sich das Fräulein. »Es wird Ihnen schmerzlich sein,« sagte sie, »denn ich weiß, Sie haben ihn gern.«

»Wen?« fragte Lilly und fühlte, wie sie errötete.

»Wir haben ihn übrigens alle gern,« fuhr Fräulein von Schwertfeger begütigend fort, »und der Oberst am allermeisten. Solange er draußen unter den Feldmädchen herumhauste, habe ich beide Augen zugedrückt und in der Küche gebeten, daß man mich mit den Erzählungen seiner Abenteuer in Ruhe lassen solle. Vergißt er sich aber schon so weit, ins Schloß einzubrechen, dann ist es Zeit, der Sache ein Ende zu machen.«

»Was hat er denn getan?« fragte Lilly erschrocken.

»Seit einiger Zeit waren mir verdächtige Zeichen aufgefallen. Der Wein an Ihrem Balkon schien an einigen Stellen zu verdorren –«

»An – meinem –?«

Von einem wilden Verdachte gepackt, trat sie einen Schritt auf die Sprecherin zu, und sie beim Arme fassend, fragte sie: »Was hat mein Balkon mit Herrn von Prell zu tun, Fräulein Anna?«

Die konnte ihren Blick nicht ertragen. »Ruhig, mein Herzlieb, ruhig!« sagte sie. »Personen in meiner Stellung müssen die Augen offen halten, dazu sind sie da … und was ich tat, geschah ja auch nur zu Ihrem Schutze … Denn wie leicht könnte einer, der Sie nicht kennt, wie ich Sie kenne, auf den schmutzigen Argwohn kommen, daß, wenn da bei Ihnen einer herumklettert – –«

Lilly fing zu weinen an. »Das ist so niedrig, das ist so – –«

Die Schwertfeger drückte sie in die Sofaecke und tätschelte ihre Stirn. »Ich habe Schlimmeres erlebt als das, mein Herzlieb,« sagte sie. »Jedenfalls wollte ich der Sache auf die Spur kommen, und – ohne daß ich selbstverständlich den geringsten Verdacht gegen Sie hatte,« – sie wandte wieder das Auge weg – »habe ich mich doch einige Nächte lang im Dunklen neben Ihrem Schlafzimmer aufgehalten.«

Lilly schrak in die Höhe. Während sie ahnungslos schlief, hatte heimlich, dicht neben ihr – – so sehr war sie eine Gefangene! – –

»Und heute, gegen ein Uhr morgens, hab' ich ihn richtig gefaßt … Denken Sie, der unvorsichtige junge Mann hat die Kühnheit gehabt, eine Leiter des alten Haberland an Ihren Balkon zu stellen – daher kamen die gebrochenen und verwelkten Ranken – und ist dann durch die offene Glastür – man soll Glastüren nie offen lassen, mein Herzlieb – in Ihr Toilettenzimmer gedrungen und an Ihrer Schlafzimmertür vorbei auf den Korridor hinausgeschlüpft … ohne mich zu sehen natürlich … Da Käte die einzige ist, die in der Nähe schläft, hab' ich ihr die Sache heute früh auf den Kopf zugesagt … sie leugnete auch weiter gar nicht … ich pflege so was alles in Milde und Verschwiegenheit zu erledigen, und habe ihr daher freigestellt, zum Ersten die Kündigung einzureichen … Was machen wir aber mit dem jungen Manne? Ich weiß, daß dieses der einzige Ort ist, von wo aus er sich eine neue Zukunft schaffen kann. Wenn der Oberst ihn fortschickt, so ist's mit ihm vorbei. Andererseits kann keine Rede davon sein, daß ich dem Oberst den Sachverhalt verschweige. Eine Angelegenheit, die die Ehre seiner Frau so nahe berührt – –«

»Was hat meine Ehre damit zu tun, ob Herr von Prell den Dienstmädchen nachklettert oder nicht?« wagte Lilly einzuwerfen, denn sie hoffte dadurch, daß sie sich dumm stellte, seine Lage ein wenig zu verbessern.

Und die Schwertfeger hatte gerade noch Zeit, ihre Unschuld über alle die bösartigen Folgen aufzuklären, die sich hätten ereignen können, da klirrte der Teetisch von den Schritten des Obersten, der durch den Korridor daherstapfte.

»Nichts sagen – noch nicht!« flehte Lilly.

Und dann, um Angst und Verwirrung zu verbergen, hing sie auch schon an seinem Halse.

Nein, er merkte nichts.

Sein immer reger Argwohn war schlafen gegangen, seit er sein junges Weib unter den scharfen Augen der alterprobten Hausdame wohl geborgen wußte.

Auch während des Tages war er längst nicht mehr der gierige, Jugend heuchelnde Liebhaber, als der er früher jeden Blick, jede Seelenregung herrschsüchtig bewacht hatte, und die humorvolle Herablassung, mit der er dem Tun und Treiben des schönen, weichen, hochragenden Kindes zusah, gab ihm einen Schein von naturgemäßer Väterlichkeit, der ihm wohl zu Gesichte stand.

Seit einiger Zeit hatten seine gelegentlichen Fahrten zum Kasino der Garnisonsstadt sich in auffallender Weise gemehrt. Manchmal nahm er schon den Nachmittagszug, meistens aber fuhr er erst um die Abendbrotzeit. Die Heimkehr konnte dann nicht vor zwei Uhr morgens erfolgen, denn in den Stunden, die dazwischen lagen, verkehrte nicht ein einziger Zug.

Auch heute hatte er drüben zu tun, wie er den Damen gut gelaunt eröffnete. Die Gerste müsse an den Juden losgeschlagen werden.

Und in Lilly schoß ein Gedanke hoch, der ihre Seele mit heiliger Freude erfüllte: Die Abwesenheit des Obersten mußte benutzt werden, um ihn zu retten.

Wie, das wußte sie noch nicht. Aber sie würde ihn retten. Sie war ja die nächste dazu. Die Einzige. Wenn sie sich nicht um ihn sorgte, wen gab es sonst noch auf der Welt, der sein treibendes Lebensschiff durch die Klippen bugsierte?

Als der Oberst in sein Schlafzimmer gegangen war, faßte sie sich ein Herz und redete mit vorsichtiger Bitte auf die Schwertfeger ein. Aber die war nicht zu erweichen.

»Bei nächster Gelegenheit treibt er es noch ärger,« sagte sie, »und dann wird die Schande für ihn und für uns bloß noch größer.«

»Er wird es nicht ärger treiben,« beteuerte Lilly, »er wird sich bessern. Sie brauchten ihn bloß einmal ins Gebet zu nehmen.«

»Das Alter hätte ich schon dazu,« erwiderte sie mit einem Lächeln bitter-süßer Altjüngferlichkeit, »und die Autorität wohl auch. Aber offen gesagt, der Gegenstand ist mir zu heikel. Ich möchte mich endlich einmal mit keiner unsauberen Affäre mehr zu befassen haben.«

Und die ausgeblaßten Augen, über denen die hängenden Lider wie schwere Deckel lagen, versanken in jenes Starren, das Lilly schon oft an ihr bemerkt hatte und in dem ein alter, dunkler Haß sich ans Tageslicht zu bohren schien. Dann aber lenkte sie von selber ein.

Das einzige, wozu sie sich verstehen könne, sei, daß wenn er aus freien Stücken zu ihr käme und um Verzeihung bäte, sie ihm vielleicht Gehör schenken wolle. Mehr könne sie, ohne sich den Vorwurf der Durchsteckerei zu machen, beim besten Willen nicht tun.

»Bis jetzt ahnt er ja noch nicht einmal, daß es entdeckt ist,« wandte Lilly schüchtern ein.

»Ich möchte darauf wetten,« erwiderte die Schwertfeger, »daß Käte den nächsten freien Augenblick benutzen wird, um zu ihm 'rüber zu laufen.«

»Und wenn sie es nicht tut?« rief Lilly, ihre Angst kaum noch bemeisternd.

Die Schwertfeger nahm ihren Kopf zwischen beide Hände.

»Wenn ich nicht wüßte, mein Herzlieb, was für ein liebes und harmloses junges Geschöpf Sie sind, so würde ich wahrhaftig sagen: Ihr Interesse für den kleinen Suitier kommt mir etwas verdächtig vor … Nein, nein, Sie brauchen nicht rot zu werden. Ich weiß, es ist nichts dahinter, und bis morgen vormittag will ich allenfalls warten. Weil Sie für ihn bitten, mein Liebling.«

Damit schloß sie das Gespräch.

Von ihr war nichts mehr zu erhoffen.

»Wenn ich ihn nicht rette, wird er fortgejagt. Und wenn er fortgejagt wird, geht er zu Grunde. Und wenn er zu Grunde geht, trag' ich die Schuld.«

In diesem Kreise wirbelten Lillys Gedanken umher, bis ihr ganz schlaff und schwindlig davon zu Mute wurde.

Das einfachste wäre gewesen, sich mit Käte ins Einvernehmen zu setzen, aber so viel durfte sie ihrer Stellung nicht vergeben. Das arme Mädel dachte übrigens gar nicht daran, mit ihm zusammenzutreffen. Sie schlich ganz teilnahmlos umher, bekam schließlich Magenkrämpfe und mußte ins Bett geschafft werden.

Um vier Uhr nachmittags ließ der Oberst anspannen und fuhr zur Station. Er hatte ein Päckchen blaue Scheine in die Brieftasche gesteckt, und das war immer ein Zeichen, daß er erst in der Morgenfrühe heimzukehren gedachte.

Der Abend kam heran.

Die Kufen der heimkehrenden Dungfässer quietschten auf den Steinen des Hofes, Ochsengebrüll und Peitschenschlag verkündeten das Aufhören des Tagewerks.

Lilly lag hinter dem Geranke des wilden Weins auf der Lauer und horchte nach dem Amtshause hinüber.

Endlich erschien der Taugenichts draußen vor seinem Giebelfenster, den armen, jungen Fuchs an straffer Kette hinter sich herziehend. Er hatte seine grün-graue Ökonomenjoppe an, mit unzähligen Taschen, in deren jeder etwas zu stecken schien. Ganz aufgebeult sah er aus. Aber ein liebes, fixes Kerlchen war er doch, und wohl wert, daß man ihn rettete.

Wenn sie ihm jetzt ein Zeichen machte, und dann einen Zettel hinunterwarf, würde er ihn später wohl ungesehen aufheben können.

Sie ging ins Zimmer und kritzelte mit Bleistift folgendes: »Es ist alles entdeckt. Fräulein von S. verspricht zu schweigen, wenn Sie ihr bis morgen –«

Da hielt sie inne. Wenn diese Zeilen in fremde Hände gerieten, der Klügste wie der Dümmste würde sie als Geständnis eigener Schuld auslegen müssen.

»Sprechen werd' ich mit ihm,« entschied sie.

Da läutete die Glocke zum Abendessen.

Wie seltsam die Schwertfeger sie ansah! Gerade so, als ob sie ihr das kühne Vorhaben aus der Tiefe der Seele herausläse.

Aber des Missetäters wurde mit keinem Worte mehr gedacht.

Dann, als man aufgestanden war, schob sie ohne weiteres ihren Arm unter Lillys Arm, gerade so, wie sie es zu machen pflegte, wenn sie ihr den Weg zu ihren polnischen Freundinnen zu versperren beabsichtigte.

»Die läßt heute nicht mehr los,« dachte Lilly, in sich hineinknirschend.

Aber da ereignete es sich, daß jemand die Meldung brachte, Käte sei noch kränker geworden und ob nach dem Arzt geschickt werden solle.

»Ich bin im Augenblick wieder da,« sagte die Schwertfeger beim Abgehen mit einem langen, widerstrebenden Blicke.

Im Nu war Lilly zur Terrassentür hinaus und in den dämmernden Park hinuntergeschlüpft.

Tiefe Stille herrschte ringsum, nur hinter einem Zypressenbusch hervor tönte ein Plätschern. Dort füllte der alte Haberland, der mit dem Bewässern der Rosen noch nicht fertig war, seine Gießkannen.

Geraden Wegs schritt sie dem Giebel des Amtshauses zu. Sie überlegte, auf welche Weise sie sich ihm zu seinem Fenster herein bemerkbar machen sollte.

Aber diese Unbesonnenheit blieb ihr erspart.

Er war noch draußen, lag lang ausgestreckt auf der grünen Bank und sog schmatzend an seiner fast ausgebrannten Zigarette. Der Fuchs, dessen Kette er um sein linkes Handgelenk geschlungen hatte, schlief zu seinen Füßen.

Von den Beamten war keiner zu sehen.

Der Herzschlag benahm ihr den Atem.

»Herr von Prell!«

Er schoß in die Höhe. Der Fuchs mit ihm.

»Herr von Prell, ich habe mit Ihnen zu reden.«

Er griff nach seinem Kopfe, um die Mütze herunter zu reißen, die er gar nicht auf hatte.

»Ganz wie gnädigste Baronin befehlen.«

»Wollen Sie mich für ein paar Augenblicke begleiten?«

»Ganz wie gnädigste Baronin befehlen.«

Er warf die Zigarettenhülse fort, sandte einen raschen Blick in die Runde, um der verschwundenen Mütze habhaft zu werden, und trat dann entblößten Hauptes an ihre Seite, steif wie ein Hampelmann vor übermäßigem Respekt.

Lilly schlug den Weg nach dem Innern des Parkes ein, dessen Baumgruppen und Rasenplätze in purpurrandigem Dunkel zerflossen. Sie hatte ihre Ruhe wiedergefunden. Der Wunsch ihn zu retten gab ihr eine Kraft, deren sie sich nicht für fähig gehalten hatte.

»Sie dürfen diesen Schritt nicht mißverstehen,« begann sie.

»O, durchaus nicht, meine gnädigste Baronin,« erwiderte er, sich beflissen verneigend. »Der Abend ist so schön. Alte Bekannte plaudern gern einmal.«

»Wenn ich so etwas gewollt oder gedurft hätte,« erwiderte sie, ohne aus ihrem Verletztsein ein Hehl zu machen, »dann würde ich Sie aufs Schloß haben bitten lassen. Da ich zu Ihnen gekommen bin, können Sie sich denken, daß es sich um wichtigere Dinge handelt.«

»Was könnte mir wichtiger sein, als hier neben gnädigster Baronin einherzuspazieren?« erwiderte er.

Sie zuckte die Achseln.

»Ach, Herr von Prell, wenn Sie wüßten, wie's um Sie steht, würden Sie sich schön hüten, derartige Redensarten zu machen.« Sie hatte nie gedacht, daß sie so hochmütig sein könnte.

»Wie soll's um mich stehen, gnädigste Baronin?« erwiderte er und zog die Sorgenfalten in die Höhe. »Meine Seele ist dauernd in Halbtrauer gegangen, seit ich verurteilt bin, in einer gewissen nahen Entfernung – man könnte auch sagen entfernten Nähe – neben gnädigster Baronin herzuleben … Ob Tommy und ich dieser Prüfung dauernd gewachsen sein werden – – komm, Tommy, sei kein Frosch, unsere erlauchte Gönnerin hat nichts gegen dich einzuwenden, wenn du dich nicht gerade in ihre Schleppe einbeißt.«

Und er zog das Füchslein, das trotzig die beiden Vorderläufe einstemmte, wie ein lebloses Spielzeug hinter sich her.

»Sie werden dem armen Tier den Hals zuschnüren,« sagte Lilly, froh, einen Ausweg gefunden zu haben, auf dem sie seinen Anzüglichkeiten ausweichen konnte.

»Dann teilt er nur die Empfindungen seines Herrn,« erwiderte er und machte seine Antwort dadurch noch bildlicher, daß er mit einem gräßlichen Würgelaut zwei Finger zwischen Hals und Kragen drängte.

Dieses Benehmen durfte sie unmöglich länger dulden. Das war sie sich und ihrer Stellung schuldig.

»Wissen Sie, Herr von Prell, daß Sie morgen um diese Zeit wahrscheinlich aus dem Dienst entlassen sein werden?« fragte sie sehr von oben herab.

Das gab ihm nun doch einen Ruck. Er leckte sich die beiden jung gewachsenen Schnurrbartpinsel, zog die Brauen spähend zusammen und sagte: »Was mir diese Tatsache einigermaßen erfreulich macht, ist, daß gnädigste Baronin ein nicht unerhebliches Interesse daran zu nehmen scheinen.«

Aber nun wurde sie ernstlich böse.

»Sie sollten sich schämen, Herr von Prell,« rief sie. »Ich sorge mich ab, wie ich Ihnen helfen kann, ich gehe hier unter großen Gefahren mit Ihnen herum, und Sie kommen mir dauernd mit dummen Redensarten.«

»Fassung, Tommy!« sagte er, das Füchslein an sich emporziehend. »Wir werden erst geschunden und dann abgeschafft. Unser einziger Trost ist, daß wir unschuldig leiden, mein armer Tommy.«

»Versuchen Sie ja nicht, sich weiß zu brennen,« schalt sie. »Fräulein von Schwertfeger hat alles entdeckt … Ihre Beziehungen – Sie wissen schon. Ihre nächtlichen Spaziergänge auf meinem Balkon und durch mein Zimmer – und alles … Glauben Sie, es macht mir Freude, daß ich Sie, von dem ich immer so viel gehalten habe, wie einen Verbrecher behandeln muß? Glauben Sie, ich möchte nicht lieber stolz sein können auf Sie, anstatt daß ich jetzt zusehen muß, wie Sie davongejagt werden? Oder können Sie etwas zu Ihrer Rechtfertigung anführen? Ja, können Sie, sagen Sie doch.«

Sie hatte sich so in Eifer hineingeredet, daß sie das Ungeziemende dieses Ganges ganz vergaß. Nun war sie das, was sie hatte sein wollen. Die gütige Schloßherrin, die alles zum Besten wendet, und das Bewußtsein ihrer hohen, sittlichen Aufgabe schwellte ihr die Brust.

Sie waren aus den dunklen Wölbungen des alten Lindenganges hinausgetreten … Ein paar scharf umgrenzte Lichter drangen von Westen her durch das Gezweig und warfen über sein schmales, sommersprossiges Gesicht ein dunkel leuchtendes Rot.

Ganz zerknirscht, ganz zerschmettert sah er aus, und Lilly bedauerte schon im stillen, ihn so hart mitgenommen zu haben.

»Ich sehe wohl ein,« begann er nach einem kleinen Schweigen, und seine Stimme zitterte wie in verhaltener Erregung, »daß ich einen so harten Vorwurf nicht auf mir sitzen lassen darf. Rechtfertigung verlangt man von mir … Jawohl, ich kann mich rechtfertigen. Unbedingt kann ich mich rechtfertigen … Aber dazu bin ich gezwungen, Ihnen ein Geheimnis zu enthüllen, welches – – ja, ich weiß wirklich nicht, ob ich Sie, meine gnädigste Baronin, in diese gräßlichen Sachen einweihen darf, an denen mein ganzes Leben zu scheitern droht.«

»Was ist es denn?« fragte Lilly in erschrockener Neugier.

»Ja also, seit meiner Kindheit werde ich von einem entsetzlichen Schicksal verfolgt, das mich überfällt, wenn ich ganz wehrlos bin, das mir die Verantwortung für Untaten auferlegt, an denen ich nicht die mindeste Schuld habe, das mich in die halsbrecherischsten Situationen versetzt, das – – ja also, vernehmen Sie das Furchtbare, das Sie über alles aufklären wird … ich bin nämlich – ja, ich bin nämlich – Nachtwandler.«

Dabei zwinkerte er sie unter den silbrigen Wimpern mit einem so schlauen und drolligen Blicke an, daß sie, ob sie wollte oder nicht, in ein helles Gelächter ausbrach.

Er stimmte mit dem alten, lieben, lautlosen Kichern ein, das ihn wieder einmal schüttelte wie ein Sturmwind.

So standen sie beide und lachten sich satt, und Lilly dachte an kein Schloßfrauentum, keine Menschenrettung und kein sittliches Pathos mehr.

Dann, wie auf Verabredung, bogen sie in die menschenleeren Tiefen des Parkes ein, der sich an seinem Ende ohne Zaun oder sonstige Grenzen in ein dichtbuschiges Buchengehölz verlor.

Von Schritt zu Schritt wurde es dunkler.

Das Füchslein hatte sich in sein Schicksal ergeben und trottete gehorsam hinter seinem Herrn daher.

»Also, meine gnädigste Freundin,« begann er, als sie sich beide einigermaßen von ihrer Heiterkeit erholt hatten, »was soll ich Ihnen erst viel Flausen vormachen? Ich bin ein armer Grashecht und hier eklig aufs Trockene geraten … Haben Sie eine Ahnung, was das heißt, mit drei Proleten zusammen ein nützliches Pflanzerdasein zu führen und vom Morgen bis zum Abend unentwegt Treu und Redlichkeit zu üben? … Es ist manchmal Aloe mit Zimt einzunehmen, sage ich Ihnen … Tommy hilft mir ja mit Selbstverleugnung über die schlimmsten Stunden hinweg, aber auch er bereitet mir manche Enttäuschung … Darf ich übrigens bei dieser Gelegenheit eine höchst bedeutungsvolle Frage an Sie richten, meine gnädigste Baronin?«

Froh über seinen wiederkehrenden Ernst bejahte sie.

»Können Sie – mit – mit den Ohren wackeln?«

Das Lachen kam nun mit aller Gewalt wie eine Art von Krankheit aufs neue über sie … Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und rang vergebens nach Atem, während er mit tiefer Bekümmernis in seiner Stimme fortfuhr: »Ich übe diese bescheidene Kunst, auf die ich nicht im mindesten stolz bin, schon von der Quinta her, wo sie gleichsam den Gipfel menschlicher Vollkommenheiten darstellte … Nun hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, meinem Tommy dasselbe beizubringen. Und manche Stunde schwerer geistiger Arbeit daran gewendet … ohne jeden Erfolg übrigens … Bis ich eines Tages entdeckte, daß er es längst viel besser konnte als ich, ja, wie ich mit Recht annehmen durfte, schon immer gekonnt hatte … Aber nur, wenn er wollte, und nicht, wenn ich wollte … Ist das nicht höchst betrüblich? Ist das nicht sozusagen ein Sinnbild der allgemeinen Zwecklosigkeit menschlichen Tuns und Treibens? … O meine teuerste Baronissima, ich fürchte, ich werde demnächst ein großer Philosoph werden vor lauter Langeweile.«

Lilly konnte nur gerade noch die Umrisse seiner Gestalt erkennen, hinter der die Augen des Fuchses wie zwei Feuerzeichen glühten. Sie hatte sich dermaßen eingedalbert, wie es seit Schulzeiten nicht mehr der Fall gewesen war, und mußte erst eine Lachpause abwarten, um ihm zu sagen, daß es höchste Zeit sei, an die Heimkehr zu denken.

Er drehte sich folgsam auf den Hacken um und ließ dabei Tommys schnürende Kette von einer Hand in die andere gleiten.

Das Unheil, das ihm drohte, schien er ganz und gar vergessen zu haben. Und weil die Minuten drängten und schlechterdings etwas für ihn geschehen mußte, so nahm sie einen gewaltsamen Ansatz und berichtete ihm, was Fräulein von Schwertfeger im Sinne hatte und was als Preis ihres Schweigens von ihm verlangt wurde.

Aber sie tat das alles ohne die schöne und überlegene Würde, mit der sie ihm die Hand zur Rettung hatte bieten wollen. Ganz wie sein Spießgeselle erschien sie sich, und ab und zu brach ein halbverschluckter Juchzer zwischen ihren Worten hervor.

»Dieses gute Fräulein hat ein unbezwingliches Verlangen, auf den Zehen anderer Leute herumzustehen,« sagte er. »Aber da wir nun einmal in diese Patsche reingeraten sind, mein süßer Tommy, so müssen wir uns auch wieder 'rausschwindeln … Ich danke Ihnen, meine gnädigste Freundin! Ich werde Ihrer Weisung gemäß den mir auferlegten Bittgang antreten – ich werde mein Mundwerk vorher einölen – ich werde nicht bloß reuevoll, nein, ich werde auch schelmisch sein. Das wirkt auf so verehrungswürdige Fräuleins wie spanischer Pfeffer … Und ich werde bei dieser Gelegenheit so viel als möglich zu Gunsten unseres künftigen Verkehrens 'rauszuschinden suchen. Immer vorausgesetzt, daß meine junge Königin damit einverstanden ist.«

O, wie sehr sie einverstanden war!

»Aber wie wollen Sie das anfangen?« fragte sie ängstlich.

»Lassen Sie mich nur machen,« erwiderte er. »Ihre Duenna ist ein gerissenes, altes Biest. Aber ich bin noch gerissener. Es sollte mich wundern, wenn ich mir morgen nicht ab und zu im Schloß ein warmes Abendbrot verdiene, wobei ich gelegentlich einen Blick in die Augen meiner erhabenen Herrin tun kann, ohne daß die beiden Hochmögenden es bemerken.«

Es lag mancherlei in diesen Worten, was ihr nicht gefiel. Die Schwertfeger mochte er anulken, so viel er wollte, aber der Oberst stand denn doch zu hoch für seinen Spott. Und jetzt erst, da sie ihn außer Gefahr sah, kam ihr zum Bewußtsein, wie abscheulich er sich benommen hatte und wie charakterlos es von ihr war, daß sie sich hier im Dunkeln mit ihm herumtrieb und über seine Spässe lachte.

»Erlauben Sie, Herr von Prell,« sagte sie. »Daß ich Sie warnte, das glaubte ich unserer Freundschaft von ehemals schuldig zu sein. Aber nun das geschehen ist, sind wir auch bis auf weiteres fertig miteinander. Meine Zeit ist zu Ende. Guten Abend, Herr von Prell!«

Damit begann sie ihm voraus zu laufen.

Aber wie sie, ohne sich umzuschauen, auf dem dunklen Waldpfade dahineilte, fühlte sie plötzlich etwas Warmes, Weiches, Lebendiges zwischen ihren Füßen hindurchschlüpfen.

Sie schrie hell auf und drehte sich hilfesuchend nach Prell zurück.

In demselben Augenblick legte sich ein klirrendes Band hart um ihren Knöchel und hielt sie gefangen.

Das Füchslein, das schon seit der Umkehr mit allen Kräften heimwärts drängte, hatte ihr Fliehen als Aufforderung betrachtet, sich loszureißen, und war dabei unter ihr Kleid geraten. Je heftiger es nach vorwärts zerrte, desto schmerzhafter schnürte sich die Kette in ihr Fleisch.

Und da war's denn mit dem Bösesein zu Ende.

Herr von Prell mußte niederknieen und das ungebärdige, kleine Vieh in seine Arme nehmen, bis sie den Eisenring von ihrem Fuße gelöst hatte.

»Tommy, Tommy, was haben wir getan? Wir haben unsere hohe Herrin schwer verletzt. Daß wir an unseren Ketten reißen, kann man uns nicht verdenken. Wenn wir dabei aber in fremde Röcke geraten, geben wir ein schweres Ärgernis. Schämen wir uns, mein alter Tommy!«

Und dabei versetzte er ihm einen Kuß auf seine kleine, spitze Schnauze.

»Beißt er Sie denn gar nicht?« fragte sie teilnehmend.

»Er hat eine streng militärische Erziehung genossen,« erwiderte er, »und ist infolgedessen ans Küssen gewöhnt.«

Als sie nun in einem neuen Anfall von Ausgelassenheit loslachte, hielt er ihr den zappelnden kleinen Wollsack hin und fragte, ob sie's nicht auch einmal probieren wolle.

Aber lachend dankte sie, und lachend ging sie mit ihm heim.

Charakterlos, wie sie nun einmal war. – – –

Noch immer in hellem Gelächter betrat sie die erleuchtete Halle, in der Fräulein von Schwertfeger ihr mit großen, vorwurfsvollen Augen entgegensah.

»Wo sind Sie gewesen, mein geliebtes Kind?« fragte sie, augenscheinlich bereit, dem schwierigen Falle mit einem ebenso milden, wie scharfsinnigen Verhör zu begegnen.

»Nein, er ist zu drollig!« jauchzte Lilly, indem sie das rotgelachte Gesicht an ihrer Schulter barg.

»Haben Sie etwa –?«

»Natürlich hab' ich … Glauben Sie, ich werde so'n netten, lustigen alten Freund im Stiche lassen?«

Das Gesicht der Schwertfeger erstarrte.

Und Lilly, mit einem Jubelschrei sich schüttelnd, eilte in ihr Zimmer, zog sich aus, mummelte den Kopf in die Kissen und lachte sich in Schlaf hinüber.


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