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Die Finken waren die tollsten.
Zwar auch die Meisen und die Kleiber machten Skandal, und von den Amseln konnte man sagen, daß sie sich als unumschränkte Herren des Gebietes fühlten, weit mehr als die Stare, die in Gesellschaften beisammen hockten und sich um Gott und die Welt nicht kümmerten. Auch die Grasmücken und die Laubsänger leisteten erkleckliches, aber was an Finkenschlagfanfaren die Luft durchschmetterte, war fast zu viel für zwei Ohren, die den Vogelsang nur vom Bauer des Kanarienhahns her kannten.
Der auf Filzschuhen stelzende alte Haberland, der als Gärtner eine Art Gnadenbrot genoß und eigentlich nur noch die Grassprenger unter sich hatte, – der alte Haberland kannte sie alle. Der wußte genau, wer am Boden brütete und wer in den Zweigen, wer um die Stunde zu singen anfing und wer um jene, und wie man sich hinstellen mußte, um Gefieder und Lebensweise genau zu studieren.
Daß die Eichhörnchen abgeschossen werden mußten, war ein Jammer, und fast hätte sie den Alten hassen mögen, wenn er mit dem Teschin unterm Rock – er behauptete, die Biester kennten sein Teschin und nähmen Reißaus davor, – den lustig räubernden Gesellen zu Leibe ging. Auch die Elstern und die Häher waren seine Freunde nicht. Dafür aber hatte er den scheuen Grünspecht so weit gebracht, daß er im Parke nistete, und der bunte Wundervogel, der Wiedehopf, kam ungescheut zu allen Zeiten bis hinters Schloß, sang sein »Hututu« und stach sich mit seinem krummen Säbel die Würmer aus dem Rasen.
Das waren Morgen, so voll Glanz und Glut, wie sie seit dem Weltbeginn unmöglich je schon dagewesen sein konnten.
Steckte man um fünf Uhr früh die Nase zur Tür hinaus, dann schlug einem der kühle Nebelpurpur wie ein Königsmantel um den Leib.
Auf dem Teiche, dort, wo das junge Schilf über Nacht von unterirdischen Händen in die Höhe gehoben wurde, lagen sonnendurchleuchtete Schwaden, die sich in leichten Streifungen zum Himmel hoben … Und alles dampfte … Manchmal schien's, als wären auf den Rasenflächen weiße Feuer angezündet, und an den glitzernden Lichtnelken entlang glitten die verwehenden Wölkchen schwerfällig, wie sattgetrunken von Taumilch.
Das waren Morgen!
Wer kann je auserzählen von dem jubelnden Toben der Hunde, wenn die junge, schöne Herrin in weißer Bluse und kurzem Rock, mit Stock und Laubschere bewaffnet, lächelnd auf der Gartentreppe erschien? Dort hatten sie alle schon längst gelauert, knurrig heulend vor Ungeduld, wenn es ihnen zu spät wurde. Denn die wenigstens hatten nicht einen Tag lang gezögert, sie als vollgültige Herrin anzuerkennen, die Schwertfeger, die sie nicht leiden konnten, mochte noch so mitleidig wohlwollend dazu lächeln.
Bebel, der Terrier, der klügste von allen, der zählte freilich nicht mit, denn der lief früh morgens hinter dem Oberst her, weit draußen auf den Feldern. Aber da war Pluto, der langohrige Setter, der jetzt im Frühling nichts zu tun hatte und daher auf eigene Faust den Kaninchen des Parkes zu Leibe ging, da waren Schnauzl, der Pudel, und Bobbi, der Teckel, die um ihretwillen in steter eifersüchtiger Fehde lebten, und da war vor allem Regina, die pantherhafte Dogge, der ein Steinwurf das linke Vorderbein gelähmt hatte und die nun stets, wie um Verzeihung bittend für ihre geschändete Existenz, hinter den Begegnenden herkroch, dabei aber nächtens mit nie ermüdendem Wachtrieb eine Schreckensherrschaft aufrecht hielt.
Wer kann je auserzählen von den Freudesprüngen der Fohlen hinten im Roßgarten, von der Liebebedürftigkeit der Zweijährigen, wenn die zuckerspendende Herrin die Torstangen zurückschob und die Arme ausstreckte, um die schlanken Köpfe ihrer jungen Lieblinge darin zu begraben?
Wer kann den Ärger des Truthahns beschreiben, wenn die Fasanen beim Morgenbrote früher an die Reihe kamen – und wenn gar die dummen Enten, als ob das so sein müßte, sich ihr auf die Füße setzten? War er doch manchmal so vollgepumpt von neidischer Wut, daß er es sogar wagte, gegen Plutos Hängeohren anzukollern, was dieser mit verächtlichem Kopfschütteln ablehnte.
Ja, das waren Morgen!
Und als dann gar das große Blühen begann, da konnte man nicht satt werden, umherzuziehen und Schürze und Körbe vollzufüllen mit schneeigen, blauen, goldenen Zweigen und Rispen, so daß man schließlich fast ertrank in dem Blütenmeer.
Wenn nach dem Rundgang das Frühstück kam, so wußte man vor Glück und Zärtlichkeit gar nicht, wem man sich zuerst an den Hals werfen sollte, dem Oberst oder der Anna, denn in vertrauten Stunden nannte man sie jetzt beim Vornamen und war überhaupt sehr anschmiegsam gegen sie, wenn man auch die Angst vor ihrer Splitterrichterei und noch manche andere Angst nie recht los werden konnte.
Jawohl, man war in eine strenge Schule geraten.
Kein Wort und keinen Schritt und keine Bewegung gab es, die unbeobachtet und, wenn nötig, ungerügt geblieben wären. Wie man bei Tische sitzt und wie im Lehnstuhl, wie man Tee bereitet und ihn einschenkt, wie man zum Platznehmen nötigt und eine Unterhaltung eröffnet, wie man Fremde einander vorstellt, ohne sich zu verhaspeln, wie man über vergessene Namen hinweggleitet und jedem der Tischgenossen einen wohlgemessenen Brocken von Freundlichkeit zuwirft, – das lernte Lilly jetzt und noch viel mehr, o! viel mehr.
Aber dies alles waren nur die Anfangsgründe, die auf die kleine Welt des Hofes und dessen gelegentliche Gäste Bezug hatten. Das eigentliche Lernen sollte erst noch beginnen, wenn gegen den Herbst hin die ersten Flugversuche auf die nachbarlichen Gutshöfe unternommen wurden. – Bis dahin wünschte der Oberst jedem Familienverkehr aus dem Wege zu gehen. Er konnte das leicht unter dem Vorwand, nach seinem ausgiebigen Junggesellenleben die Flitterwochen so lange als möglich ausdehnen zu wollen.
Bis zum Herbste aber mußte Lilly eine wahrhafte » grande dame« geworden sein, die dem Namen und dem Range ihres Gatten Ehre machte und auf den Festen des Landadels und des Kasinos durch Takt und Formgewandtheit jedes Mißtrauen aus dem Felde schlug.
Dieses Ziel, das höchste auf Erden, wurde ihr von der Schwertfeger täglich und stündlich vor Augen gehalten. Sie träumte davon, wie einst auf der Selekta von dem nahenden Examen – und modelte in Bangen und Zweifeln Tag und Nacht an sich herum.
Im Innersten wohl fühlte sie sich freilich nur beim Herumstreifen im Freien und allenfalls hinter verschlossenen Türen in ihrem Boudoir.
Doch um Gottes willen, nein! Es hieß ja gar nicht »Boudoir«.
Die Schwertfeger war sehr herablassend geworden, als sie es zum erstenmal so genannt hatte. Es sei gar kein Boudoir, sondern ein Wohnzimmer, und höchstens reich gewordene Fleischer- oder Bankiersfrauen – das galt der Schwertfeger als ein und dasselbe – würden es mit diesem Namen verunziert haben.
Und so strauchelte Lilly auf Schritt und Tritt.
Etlichemale hatte der Oberst, gleichsam zur Vorprüfung ihres gesellschaftlichen Könnens, bei gelegentlichen Einquartierungen, – einmal auch bei dem fröhlichen Einbruch einiger Herren, die sich auf einer Generalstabsreise befanden – Lilly unter dem Beistand der Schwertfeger den Vorsitz an der Abendtafel führen lassen.
Dann hatte sich stets das Gleiche abgespielt: Zuerst war sie steif wie ein Puppengestell, unfähig zu irgend einem uneingelernten Worte, den in militärischer Blankheit schillernden Gästen entgegengetreten, dann hatte sie sich bei Tisch mit ein paar Gläsern Mut angetrunken, war allmählich lebhaft und sogar lustig geworden und hatte schließlich durch harmlos heraussprudelnde Drolligkeiten – woher sie ihr zuflogen, wußte sie selbst nicht, – die Herren, die zum großen Teile längst auf des Lebens Mittagshöhe standen, so in Entzücken versetzt, daß jedes Wort hofmachend sich an sie richtete und jedes Auge, genießend und hungernd zugleich, an ihrem Angesichte hing.
Dann pflegte der Oberst unruhig zu werden. Die Schwertfeger, die meistens mit verkniffenem Lächeln vor sich niederschaute, bekam einen heimlichen Wink, und die Damen erhoben sich, ungeachtet alles Bettelns und Bedauerns, abschiednehmend vom Abendtisch.
Der allgemeine Rausch aber, den sie in den Köpfen ihrer Gäste entzündet hatte, strahlte auf sie zurück, brachte ihr Jubel und Not und zwang sie, bis über Mitternacht hinaus mit heißen, tränenüberströmten Backen, mit klopfendem Herzen und zuckenden Nerven in den blauen Dämmer des Parkes zu starren.
Ahnungen von aufbegehrender Tollheit und schwelgendem Sichvergessen wetterleuchteten ihr durch den Sinn, ein lechzendes Fieber ließ ihren Körper erschlaffen, machte ihr Kleid und Zimmer, Park und Welt zu eng und jagte einen Reigen von Blicken und Flammen, einen Wirbel von brandroter, wetterfester, verlangender Männlichkeit durch ihren Kopf.
In solchen Nächten geschah es, daß der Oberst, wenn die Gäste endlich zur Ruhe gegangen waren, mehr oder weniger angetrunken, in ihr Schlafzimmer drang, ihr erst ein paar Vorwürfe machte, sie hätte sich nicht damenhaft genug benommen, dann, wenn sie sich weinend wehrte, die Tränen von ihren Wimpern küßte, ihr den Rest ihrer Kleider vom Leibe zog und sich zu ihr ins Bett warf.
Erschauernd in grundloser Gewissensangst, voll zitternden Abscheus vor seiner Trunkenheit und dennoch halb glücklich, qualvolle Spannungen sich lösen zu fühlen, so überließ sie ihm ihren Leib.
Sonst, wenn sie in Nächten ängstlichen Alleinseins nach seiner Nähe begehrte, wenn mit dem Leib auch die Seele im Gefühle demütiger Zugehörigkeit sich an ihn schmiegen wollte, dann war er nicht zu haben, – dann schloß er einfach zu.
Im übrigen zeigte er sich meistens lieb und gnädig zu ihr. Er behandelte sie wie ein buntes, zerbrechliches Spielwerk, das man schonend aufzieht und vorsichtig beiseite legt, wenn man im Augenblick seiner satt ist … Und das war ihr ganz recht so. So wenigstens brauchte sie nicht vor seinen Donnerwettern Angst zu haben, deren drohende Schauer, allem Lebendigen zum Schrecken, zwei-, dreimal am Tage die Mauern erbeben machten.
Selbst die Schwertfeger wußte sich nicht sicher vor ihnen und nahm sie mit gebeugtem Haupte und zusammengebissenen Zähnen wie ein Schicksal, gegen das es kein Auflehnen gibt, schweigend in Empfang.
Über das Verhältnis der beiden konnte Lilly nie recht ins klare kommen. Meistens schien es, als ob sie durch das langjährige, gegenseitige Vertrauen unlöslich aneinandergeschmiedet wären, dann wieder gingen sie sich aus dem Wege. Er, in hochmütiger Geschäftigkeit, sie, mit einem höhnischen Schielen, das Groll und Drohungen in sich barg.
Manchmal wollte Lilly schon glauben, daß die beiden einstmals, als die Schwertfeger noch jung und schön gewesen war, in Liebesbeziehungen gestanden hatten. Aber sie ließ diesen Gedanken wieder fallen. Für die Bitternisse eines solchen Nebeneinanderlebens saß zu viel Stolz in ihr, und er war allzu herrischen Geblüts, um eine unbequeme Gläubigerin dieser Art neben sich dulden zu können.
Von der Vergangenheit des alternden Edelfräuleins erfuhr Lilly nur, daß sie als Waise eines armen Offiziers seit ihrer Einsegnung aufs Brotverdienen angewiesen war und schon seit fast zwei Jahrzehnten dem Hause des Obersten vorstand. Daß sie gleich ihr selber halt- und zufluchtslos den harten Fäusten dieses Mannes anheimgegeben war, hatte in Lilly allmählich ein Gefühl mitleidiger Zusammengehörigkeit erstehen lassen, wenn auch ein leises, sorgendes Aufpassen niemals aus ihrer Seele wich.
Und zu Dank war sie ihr wirklich verpflichtet. Ohne der Schwertfeger unablässiges Mahnen wäre sie auf dem Wege zur Gutsherrin und Edelfrau unzähligemale aus dem Geleise geraten. Hätte durch zu viel Bescheidenheit die Spottsüchtigen sich über den Kopf wachsen lassen, hätte durch scherzendes Sichgleichstellen die Unverschämtheit herausgefordert und wäre schließlich der Ohnmacht, vielleicht gar der Mißachtung anheimgefallen.
Nun aber liebten sie alle. In der Küche wie in den Ställen, bei den Dorfinsassen wie vor dem Inspektorhause, überall grüßten ihr leuchtende Blicke entgegen.
In dem Scheunenwinkel aber, wo hinter glimmendem Reisig und trocknender Wäsche die polnischen Mägde hausten, war sie geradezu der Abgott.
Ob von ihrem slawischen Namen oder ihrem Katholikentum sich eine Kunde verbreitet hatte, ließ sich nicht feststellen. Sicher jedoch war, daß sie von allem, was fremd und verachtet, mit demütigem Kinderblick im Auge und wehen Heimatsliedern auf den Lippen, zwischen dem steifen, hochmütigen Deutschtum einherschlüpfte, als Helferin und Schutzpatronin betrachtet wurde.
Und sie machte sich gern mit dem weichen, gutartigen Volke zu schaffen, besuchte die Kranken und sorgte für die Verlassenen. Wie arme, pflegebedürftige Schwestern erschienen ihr die Mägde, – und die Burschen als ein Heerbann, der auf sie persönlich eingeschworen war.
Die Schwertfeger sah diese zärtlichen Beziehungen mit scheelen Blicken an.
»Die Hofleute fangen an, sich zu beklagen,« sagte sie, »daß Sie das hergelaufene Volk bevorzugen. Sie werden gut tun, Ihre Spaziergänge nach einer anderen Richtung zu verlegen.«
Als Lilly nicht hören wollte, paßte sie ihr auf und wich nicht mehr von ihrer Seite, solange der Scheunenwinkel verführerisch in der Nähe war.
Sogar zum Protestantismus hatte sie sie bekehrt.
Nicht innerlich. Bewahre.
»Haben Sie Ihre Muttergottes und Ihren heiligen Joseph lieb, so viel Sie wollen,« sagte sie, »aber das Kesselchen und die geweihten Kätzchen nehmen Sie hübsch vom Bette weg. Und dann, was die Kirche anbelangt: Sie könnten ja Sonntags die fünfviertel Meilen nach Krammen zur Messe fahren. Verbieten würde der Oberst es nicht. Aber lassen Sie sich raten, Herzlieb, und setzen Sie sich lieber zu uns auf den Chor der Gutsherrschaft … Mir zu liebe, Sie werden's nicht bereuen.«
Dann, als Lilly ihr ohne viel Widerstreben den Willen getan hatte, schenkte sie ihr zur Belohnung ein kleines, verschließbares Hausaltärchen; das war von außen anzusehen wie ein niedlicher Schmuckschrank, beherbergte aber im Innern nicht bloß das Jesuskindlein im Arme der Muttergottes, lieblich auf Glas gemalt – nein, selbst der heilige Joseph und die heilige Anna waren da; er auf der Innenseite des linken, sie auf der Innenseite des rechten Türflügels.
Und Lilly weinte vor Freude.
Aber recht eigentlich lieb gewann sie die Spenderin nicht. Und wie oft man auch vertraulich tuschelnd beieinandersaß, einsam blieb sie doch.
Und ängstlich.
Nicht einmal sich recht satt zu essen wagte sie. Da sie – wie um sich für Frau Asmussens verschollene Milchmus schadlos zu halten – einen mörderlichen, beinahe unanständigen Appetit in sich entwickelt hatte und die sorgenden Blicke der Schwertfeger nach den Bergen ihres Tellers hin ihr aufgefallen waren, so stand sie meistens halb hungrig vom Tische auf und machte sich dafür zwischen den Schätzen der Speisekammer zu schaffen.
Die alte Küchengrete, an der sie eine todsichere Verbündete besaß, hielt Wache, damit die Schwertfeger sie nicht überrasche. Und wenn die allmächtige Hausdame mit ihren Späheraugen doch einmal darüber kam, so hieß es, sie wolle kochen lernen, eine Absicht, die mit nachsichtiger Heiterkeit begrüßt wurde.
Wenn die alte Grete nicht gewesen wäre, so würde sie über das Getriebe der großen Wirtschaft nie etwas Richtiges erfahren haben, denn die Schwertfeger drängte sie – ob aus Herrschsucht, ob aus Rücksicht – sorgfältig von allem zurück, was einer geregelten Tätigkeit im entferntesten ähnlich sah.
Wollte sie irgendwo helfen, so war schon alles getan. Und sie dürfe sich nicht die Hände verderben. Und es sei ja auch möglich, daß sie sich Schaden tue. So ging es Tag für Tag.
Für ihr Leben gern hätte sie reiten gelernt, aber da die Schwertfeger immerzu Anzeichen künftiger Mutterschaft bei ihr entdeckte, Anzeichen, die sich später doch jedesmal als trügerisch erwiesen, so mußte auch das unterbleiben.
Nicht einmal sich Musik machen konnte sie. Denn der alte, hellgelbe Marterkasten, dessen Tasten aussahen wie eine Garnitur schadhafter Raucherzähne – gerade solche hatte der Oberst im Munde – sollte erst im Herbst, wenn man zum Aussuchen nach Danzig fahren konnte, durch einen neuen ersetzt werden.
So brachte sie halb selig, halb kläglich ihr Leben hin, eine vom Wege versprengte Pilgerin, die sich wider Willen in ein Paradies verirrt hat.
Der Zeit, die vor noch nicht dreiviertel Jahren gewesen war, gedachte sie als ihrer längst, längst verflossenen Jugend. Wer sie darauf hingewiesen hätte, daß bei ihren knappen Neunzehn die Jugend noch vor ihr lag, den würde sie ausgelacht haben.
Und gut war's, daß drüben im Amtshause ein Zeuge töricht-süßer Vergangenheit in kümmerlichem Leichtsinn dahinlebte. Sonst würde sie sich eingeredet haben, ihr verflossenes Mädchentum sei nur ein Traum und sie selbst schon in der Wiege eine aufgelesene und aufgeheiratete Oberstenfrau gewesen.
Dem lustigen Freunde war sie in all der Zeit nur beim sonntäglichen Mittagessen begegnet. Und dann hatte er mit seinem langen Bratenrock und seiner zusammenknickenden Ehrerbietung eine fast komische Rolle gespielt.
Kein aufleuchtender Blick, kein vielbedeutendes Wort gab Kunde von dem, was einst mit Bangen und Lachen zwischen ihnen hatte erstehen wollen.
Manchmal aber, zur Dämmerstunde, wenn sie, hinter dem dicht gewordenen Weinlaub ihres Balkons verborgen, zum Giebel des Amtshauses hinuntersah, wo er mit seinem Füchslein Kapriolen machte, – denn ein richtiger, wilder Fuchs war der kleine, rote Hund, – dann kam ein Gefühl über sie, als sei der Einzige, der in dieser Fremde wahrhaft zu ihr gehörte, jener strohblonde Taugenichts, der auf alle Mägde des Hofes Jagd machte, – die alte Grete wußte davon zu erzählen – der nachts die zähesten Pferde kaput ritt, um noch vor Morgengrauen von seinen heimlichen Streifereien zurück zu sein, und auf dessen Bude hinter verschlossenen Läden – – –
Die alte Grete rückte nicht recht mit der Sprache heraus, aber schlimm mußten die Dinge sein, die sich hinter jenen verschlossenen Läden ereigneten.