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IV

Mit dem neuen Frühling begann für Frau Czepanek ein neues, munteres Leben.

Daß er nun bald kommen werde, war ja klar, aber schließlich – wozu soll man auch nur eine kurze Zeit mit so ekelhafter Näherei hinbringen, wenn man es bequemer haben kann?

Die Sache war höchst einfach: Man mietet eine Etage mit neun Zimmern, nimmt bei den Tischlern die dazu gehörige Ausmöblierung auf Borg, läßt ein Emailschild anbringen mit den Worten: »Hier werden Schüler in Pension genommen,« und das übrige – nun, das findet sich.

Dieses Häuflein von Gedanken begann Frau Czepaneks armes Hirn, das von dem immerwährenden Tick-Tick der Maschine durchlöchert war wie ein Sieb, ausschließlich zu beschäftigen.

Lilly, deren Phantasie ein solches Lotterleben höchst einleuchtend schien, hegte trotzdem noch einige kleine Zweifel. Erstlich waren ihr die Herrschaften, die nach Papas Abgang schimpfend und drohend den Hausflur belagert hatten, noch in schaudernder Erinnerung, und außerdem sah sie nicht ein, wo plötzlich nach Beginn des Semesters die vielen Schüler herkommen sollten, die nötig waren, um neun Zimmer zu bevölkern, da ja ein jeder längst seinen Unterschlupf hatte.

Aber die Mutter ließ sich nicht abtrösten.

»Ich werde zu den Direktoren gehen, ich werde zu den Stadtverordneten gehen, ich werde –« und die Dachstube hallte wider von dem neuen, siegesfreudigen: »Ich werde!«

Eine Reihe geheimnisvoller Gänge nahm nun ihren Anfang. Und oft, wenn Lilly aus der Schule heimkam, wußte sie schon auf der Treppe, daß die fleißige Maschine, die sie jahrelang mit ihrem Schnurren begrüßt hatte, stille stand und daß der Wohnungsschlüssel unter der Strohmatte lag.

Je weiter die große Angelegenheit voran schritt, desto schweigsamer wurde die Mutter. Ein verschmitztes Lächeln, etwa wie es Eltern um die Weihnachtszeit an sich haben – nur noch mit etwas Hohn gemischt – lag oft auf ihren Zügen. Sie schminkte sich sorgfältiger denn je, und die Farbendose, die sie sonst auch vor Lilly verschlossen gehalten hatte, stand frech auf der Kommode.

Das Geld aber wurde immer spärlicher. Lilly mußte jede Minute opfern, die sie ihren Schulaufgaben absparen konnte, um die versagende Tätigkeit der Mutter wieder einzubringen, die nun rechnend und spintisierend umherzuwandern pflegte und nur noch bisweilen, wenn Lilly allzu dringend bat, ihren Fuß auf das Trittbrett setzte. Immer unregelmäßiger wurde die Ablieferung der fertigen Stücke; der ganze Verdienst stand in Gefahr verloren zu gehen.

Lilly, deren Riesenkapital an Jugendkraft sich zu erschöpfen drohte, war trotzdem nicht dazu angetan, sich übermäßige Sorgen zu machen … »Irgendwie wird es schon werden,« dachte sie. Und hätte sie sich gar einmal gründlich ausschlafen dürfen, anstatt zwischen zwei und sechs Uhr Morgens angekleidet auf der Bettkante zu liegen, so würde sie der Mutter den Rausch der jungen Hoffnung wohl gegönnt haben.

Mit müden, geröteten Augen, mit einem Dunstschleier zwischen sich und der Welt, zwischen sich und dem zu denkenden Gedanken, saß sie da, und immer häufiger wurden die Tadel der Lehrer.

Es war hohe Zeit, daß das neue Leben begann.

Und an einem sandgrauen, heißen Julitage erfüllte sich ihr Schicksal.

Als sie aus der Schule kam, sah sie vor dem Torbogen zwei Wagen stehen, die mit blanken Möbeln hoch beladen waren und um die herum es stark nach dem Tischler roch.

Schon von der unteren Treppe her vernahm sie die schrille Stimme der Mutter, die mit fremden Männern in Wortwechsel schien.

Mit Herzklopfen sprang sie die Stufen empor.

Zwei Fuhrleute mit schwarzen Lederschürzen und roten, vergnügten Gesichtern hielten Rechnungen in den Händen und verlangten Geld. Die Mutter trippelte hin und her, fuhr sich mit den Fingern durch die frisch gebrannten Haare und schrie allerhand von Schurkerei und Wortbruch und Ausbeutung der Armut, worauf die Männer lachten und erklärten, sie wollten wieder nach Hause fahren.

Das brachte die Mutter vollends in Wut. Sie suchte einem der Männer die Rechnung zu entreißen, und da er dies nicht dulden wollte, so schlug sie mit ihren Fäusten auf ihn ein.

Lilly sprang rasch dazwischen, umfaßte die Mutter, die sich wehrte wie eine Verzweifelnde, und bat die Männer fortzugehen, es werde alles in Ordnung gebracht werden.

Da trollten sie sich.

Der Zorn der Mutter wandte sich jetzt gegen Lilly.

»Wärst du nicht gekommen,« schrie sie, »so hätte ich die Quittung in Händen gehabt, und damit wäre alles gut gewesen. Nun muß ich morgen noch einmal hin, anstatt daß die Möbel schon heute in der neuen Wohnung abgeladen werden könnten!«

»Welche neue Wohnung?«

Die Mutter lachte. Wie konnte man so dumm sein! Ob man glaube, daß sie müßig gegangen wäre all die Zeit über.

Und dann kam's zu Tage: Die Etage mit den neun Zimmern war gemietet und brauchte nur noch bezogen zu werden. Auch das Porzellanschild war schon vorhanden und mußte, an der Haustür angebracht, wie eine Zauberformel wirken … So hatte sie für das äußere gesorgt, doch war sie nicht etwa auch für die innere Einrichtung in aufopfernder Weise tätig gewesen? Von der Schilderung der Möbel sah sie ab, um sich nicht wieder einzuärgern, aber – –:

Für zwölf Fenster hatte sie Gardinen gekauft. Mit einer Chinesin und einem Palmenblatt als Muster. Auch sechs Fußteppiche von der guten Sorte, denn die Gymnasiasten haben gewöhnlich harte Füße, unter denen die billigen Gewebe sich abnützen wie Zunder. Dann große englische Waschschüsseln mit goldenen Blumen, in der Farbe genau zu dem Marmor der zehn Toilettentische passend. Das Tafelgeschirr konnte leider erst später geliefert werden, denn das Monogramm einbrennen zu lassen nahm immerhin drei bis vier Wochen in Anspruch. Um aber während dieser Zeit nicht in Verlegenheit zu kommen, hatte sie ein billigeres Fayenceservice noch nebenher gekauft – für achtzehn Personen – schlicht bürgerlich … So klug und so vorsichtig war sie gewesen.

Derweilen ging sie mit langen, schlenkrigen Schritten um den Mitteltisch herum. Die kleinen, verwachten Augen funkelten, und auf den hageren Backen brannte die echte Röte unter der falschen.

Lilly, der ein wenig unheimlich zu Mute war, wagte zu fragen, wie es mit der Bezahlung geworden sei.

Aber da wurde sie einfach ausgelacht.

»Man ist entweder eine Dame,« sagte die Mutter, »und imponiert den Kaufleuten, oder man ist es nicht. Ich glaube, als die Frau des Kapellmeisters Czepanek habe ich allen Anspruch darauf, mit Respekt behandelt zu werden.«

»Hast du die Sachen denn schon alle da?«

Die Mutter lachte wieder. »Was sollte ich wohl damit machen, bevor die Wohnung in Ordnung ist? Wohnungen, die man bezieht, müssen doch frisch tapeziert und gestrichen werden.« – »Auf das künstlerische Muster der Tapeten habe ich besonders Nachdruck gelegt,« fügte sie mit der schönen Gebärde hinzu, die nur die Zahlungsfähigkeit zu verleihen vermag.

Lilly hatte ein flaues, widriges Gefühl wie einer, der im unklaren ist, ob er von seinen Genossen gehänselt wird oder nicht.

Und bei alledem war kein Mittag im Hause.

Lilly kochte Kaffee und setzte die Vespersemmel auf den Tisch. Man überschlug eben eine Mahlzeit. Das war ein Sport, in dem der Czepaneksche Haushalt sich wohl trainiert hatte.

Die Mutter trank das heiße Gebräu mit hastigen Schlucken. Man dürfe keine Zeit verlieren, erklärte sie, man müsse ans Packen gehen.

Dann wurde sie von einem neuen Wutanfall ergriffen.

»Hättest du ungeratenes Geschöpf mich nicht festgehalten,« schrie sie, »dann hätten wir morgen früh die schönen Möbel aufgestellt vorgefunden, während wir jetzt mit diesem Plunder anrücken müssen. Was soll die Stadt sagen, wenn sie das sieht?«

Sie raufte sich die gebrannten Löckchen und schwang verzweifelt das Brotmesser, mit dem sie ihre Semmel in Scheiben geschnitten hatte.

Dann streifte sie die Ärmel ihrer Bluse hoch, band sich die blaue Arbeitsschürze vor und erklärte, das Packen könne beginnen.

Sie leerte den Garderobenschrank und häufte die Kleider über die Bettlehne, sie räumte die Schubladen der Kommode aus und schleuderte die Wäschestücke in weitem Bogen über die Diele.

Die Sehnen ihrer dürren Arme zuckten, der Schweiß rann ihr über die Stirn.

Lilly, die dem zwecklosen Treiben beklommen zugeschaut hatte, sah zwischen Nachtjacken und Bettbezügen die Notenrolle liegen, den größten Schatz des Hauses, den die Mutter zugleich mit den Wäschestücken achtlos auf die Erde geworfen hatte.

Sie bückte sich und hob sie auf.

»Was willst du mit dem Hohen Liede?« schrie die Mutter, die auf den Knien hockte, und fuhr in die Höhe.

»Nichts,« sagte Lilly verwundert. »Auf den Tisch legen.«

»Du lügst,« kreischte die Mutter, »du verworfenes Ding du! Du willst mich darum bestehlen, wie du mich um die Quittung bestohlen hast. – Das will ich dir versalzen, du!«

Lilly sah einen plötzlichen Glanz dicht an den Augen vorübergleiten, fühlte einen Schmerz an ihrem Halse, fühlte etwas Warmes, das wohlig sich nach der linken Brust hin verbreitete – –

Erst als die Mutter zum zweiten Stiche ausholte, erkannte sie das Brotmesser zwischen ihren Fingern.

Sie schrie hell auf und packte ihr Handgelenk.

Aber die Mutter hatte mit einemmal Riesenkräfte bekommen, und wahrscheinlich wäre Lilly in dem Ringen, das nun begann, am Ende unterlegen, wenn nicht der Lärm, den sie beide machten, die Nachbarn herbeigezogen hätte.

Die Mutter wurde von hinten festgehalten und mit Handtüchern gebunden.

Das Brotmesser hielt sie in der geschlossenen Faust, die keine Manneskraft zu lösen vermochte. Erst als ihr von dem herbeigeeilten Arzte ein Beruhigungsmittel gegeben worden war, ließ sie es fallen.

Lilly wurde verbunden und ins Krankenhaus gesteckt, wo man sie vorläufig behielt, da man nicht wußte, was mit ihr beginnen. Dort erfuhr sie auch, daß ihre Mutter in die Provinzialirrenanstalt gebracht worden sei, die sie wahrscheinlich nie mehr verlassen würde.

Sie stand allein auf der Welt.


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