Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII

Nun war die hohe Zeit gekommen der Hoffnungen, der Gelöbnisse und des fragenden Staunens: »Bist du das, Lilly Czepanek, der solches geschieht? – Oder ist es eine andere, mit der du dich verwechselst? Eine, die nur in einem dieser braun gebundenen Bücher lebt und die aufgehört hat zu sein, sobald du den Deckel zuschlägst?«

Er hatte kein Jawort verlangt. Als sie zitternd in sich zusammengesunken war, unfähig zu sprechen und zu denken, da hatte er ihre Hände in die seinen genommen und mit dem Lächeln eines schenkenden Gottes leiser und weicher, als sie es für möglich gehalten, in sie hineingeredet. Sie möchte mit sich zu Rate gehen, drei Tage, nein, acht Tage lang, – bis dahin wolle er sich allenfalls gedulden, aber Schweigen müßte sie ihm versprechen gegen jedermann.

Und das tat sie auch gern. Nur ansehen konnte sie ihn nicht mehr, so entsetzlich schämte sie sich.

Und dann war sie nach Hause gerannt und hatte geweint, geweint – immerzu – ohne Sinn und Verstand, – ob vor Glück oder Kummer, das wußte sie nicht. Und als gegen vier Uhr morgens die Schwestern durchs Zimmer geschlichen kamen, – sie hatten zum Silvester ein Loch in ihre strengen Grundsätze gebohrt – da weinte sie noch immer.

Beim Aufstehen machte sie sich klar, daß ihm das alles unmöglich ernst gewesen sein konnte, und daß er bei nächster Gelegenheit – vielleicht heute schon – sein Wort wieder zurücknehmen würde.

Und das wollte sie auch nicht beklagen, im Gegenteil, sie würde aufatmen und Gott danken, von einem so unmöglichen Spuk erlöst zu sein …

Um zehn Uhr klingelte es.

Ein Rosenkorb wurde abgegeben, der durch Umfang und Kostbarkeit die mißbilligende Verwunderung der Schwestern hervorrief. Sie kannten die Preise der winterlichen Rosen genau und rechneten eine Summe heraus, die den mehrmonatlichen Verdienst Lillys um ein Bedeutendes überstieg.

»Ich sehe übrigens nicht ein,« sagte die Ältere, »warum Sie einen so splendiden Verehrer nicht erhören wollen … Mit uns ist das natürlich was anderes. Wir gehören der Gesellschaft an und dürfen uns nichts vergeben. Aber Sie als ein simples Ladenmädchen! … Und Familie, auf die Sie Rücksicht nehmen müßten, haben Sie auch nicht … Außerdem ist es fraglos, daß die Schande auch ihre Reize hat. Ich an Ihrer Stelle würde es doch mal probieren …«

Aber die Jüngere, als die Gefühlvollere, war dagegen. »Das erste Mal soll man es nur aus Liebe tun,« sagte sie. »Das ist man seinem inneren Seelenleben schuldig. Auch wenn man nur ein Ladenmädchen ist.«

Ohne sich über diese Streitfrage geeinigt zu haben, begaben sie sich zu der Neujahrsparole, die, wie sie zu erzählen wußten, der Oberst von Mertzbach, ein sehr schöner Mann, auf den seit Jahren sämtliche Honoratiorentöchter Jagd machten, in eigener Person auszugeben gedachte. Den wollten sie sich mal ansehen.

Lilly streichelte jede der oberen Rosen und küßte sie. Sie wollte es mit allen so tun, aber es waren ihrer zu viele.

Dann faßte sie sich ein Herz, verschloß die Tür und ging nach St. Annen zum heiligen Joseph.

Beinahe wäre sie unter die Offiziere geraten, die der Hauptwache zueilten, aber noch zur rechten Zeit konnte sie in eine Seitengasse biegen. – – –

Das Hochamt war vorüber und hatte einen Dunst von Weihrauch und armen Leuten zwischen den Wölbungen zurückgelassen.

Nur wenige Betende weilten noch vor den Seitenaltären.

Lilly kniete vor ihrem Heiligen nieder, lehnte die Stirn gegen die Sammetbrüstung des Gitters und versuchte, ihm ihr zerrissenes Herz zu Rat und Hilfe darzubringen.

»Darf ich? soll ich? kann ich?«

Ach, sie wollte ja so gern. Ein solches Glück kam nie mehr, nie mehr wieder … Reich werden, Baronin werden, alle Herrlichkeiten der Welt zu Füßen liegen sehen – wo ereignete sich das sonst, als allenfalls im Märchen?

Wenn nur eines an ihm nicht gewesen wäre, eines, worüber sie bis dahin nicht zur Klarheit hatte kommen können.

Das Auge war es nicht, mochte es noch so dolchscharf blicken können. Die graustachligen Schläfenhaare auch nicht. Die kratzende Kommandostimme auch nicht.

Aber jetzt wußte sie's: die beiden Altweiberfalten waren es, die blank und rissig wie zwei Lappen vom Kinn zum Hals herniederhingen.

Ja, die waren es. Die trennten ihn auf ewig von ihr. Da gab es kein Verheimlichen, kein Hinwegschauen. Sie schüttelte sich, wenn sie nur daran dachte.

Und dennoch hatten die Schwestern ihn einen schönen Mann genannt. Dennoch liefen die Töchter der Vornehmen und der Reichen hinter ihm her. Es wäre also Wahnsinn gewesen, nicht zu wollen.

Und war er nicht der Edelste, der Gütigste, der Erhabenste? War er nicht fast wie ein lieber Gott?

Dann malte sie sich aus, wie sie leben und atmen würde für ihn. Zu seinen Füßen sitzen als Lernende. Ihn umflattern als lustiger Vogel. – Nein, daß man lustig sein konnte in seiner Nähe, das ließ sich nicht vorstellen. Aber poetisch konnte man sein. Hinschmachten in unbekannte Fernen, in die Abendwolken starren, ein edles, bleiches Bild darstellen, zu dem fremde junge Männer in verzehrender Sehnsucht emporschauen, ohne doch je eines Blickes gewürdigt zu werden, – das konnte man, denn ihr Leben war ja geweiht dem Einen, dem Einzigen, der ihr Schützer, Freund und Vater sein wollte. Der sie emporhob zu Höhen, von denen sonst nie ein Strahl zu ihr herniedergedrungen wäre.

»Ja ich will! Ja ich will!« schrie es in ihr. »Lieber heiliger Joseph, ich will.«

Doch der heilige Joseph hob warnend den Zeigefinger.

Er hatte das freilich auch sonst getan; er konnte ja gar nicht anders, denn sein Maler hatte ihn so gemalt. Aber fatal war der Anblick doch – und nicht dazu angetan, ein armes Menschenkind mit sich ins reine zu bringen. –

Am nächsten Tage erhielt sie einen Brief von Herrn Doktor Pieper. Sie möchte sich zu einer wichtigen Besprechung auf sein Bureau bemühen.

Es durchlief sie heiß und kalt. »Der weiß es auch schon,« sagte sie zu sich.

Frau Asmussen war sehr ungehalten, als sie um Urlaub bat.

»Sie bekommen Blumen und kostbare Geschenke, Sie wünschen alle Tage auszugehen, ich fürchte, ich werde demnächst wieder ein tägliches Gebet für Sie einlegen müssen.«

Aber der Brief des Vormundes, den man aufweisen konnte, bestimmte sie, nachzugeben.

Seit jenem Tage vor anderthalb Jahren, an dem Lilly wankend vor Schwäche aus dem Krankenhause gekommen war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Seiner Einladung, ihn wieder zu besuchen, war sie aus Schüchternheit nicht gefolgt, und im übrigen hatte niemand nach ihr verlangt. Von Zeit zu Zeit war ein langer, dürrer Herr, den sie als den Bureauvorsteher wieder erkannte, bei Frau Asmussen gewesen und hatte eine kurze, leise geführte Unterhaltung mit ihr gehabt. Das waren die einzigen Zeichen, daß der Mann, dessen Schutz sie anheim gegeben sein sollte, ihrer gedachte …

»Herr Doktor Pieper läßt bitten,« sagte der Kanzlist.

Bei ihrem Eintritt saß der hervorragende Rechtsanwalt wie damals hinter seinem Schreibtisch.

Er hob den Kopf und erstarrte für einige Augenblicke in regungsloser Musterung. Dann rieb er sich lächelnd die spiegelnde Glatze und sagte langgedehnt: »Ach so!«

Lilly, die einen atemraubenden Respekt vor diesem Manne hatte, dessen Blicke an ihr auf und nieder glitten wie an einer Marktware, machte eine Bewegung, die halb ein Knicks und halb ein Diener war, und zupfte die ausgewachsenen Paletotärmel herunter.

»Nun wird mir manches klar,« fuhr Herr Doktor Pieper fort. »Sie haben sich eben in einer Weise entwickelt, mein Kind, die allerhand männliche Tollheiten, wenn auch nicht rechtfertigt, – denn der männliche Intellekt ist dazu da, sämtliche Wallungen niederzuduschen, – sondern doch einigermaßen entschuldbar macht … Guten Tag übrigens, mein Fräulein.«

Er stand auf und bot ihr seine kühle, schwammige Hand, die sich zusammendrücken ließ, als wären keine Knochen darin.

»Ach bitte, zeigen Sie doch mal Ihre Handschuhe,« sagte er dann.

Lilly zuckte mit den Ellbogen zurück wie ein ertappter Dieb und stammelte rot werdend: »Ich wollte mir eben neue kaufen.«

»Tun Sie das lieber nicht,« erwiderte er mit einem vergnügten Schmatzen. »Solche grauen Fetzen erwecken Rührung, auch Ihr Wintermantel erweckt Rührung. Das alles steht in pikantem Kontrast zu den übrigen Qualitäten Ihrer Erscheinung … Liebhaber von solch naiv-sentimentalen Dingen werden dabei leicht zur Lyrik geneigt, selbst dann, wenn das Lyrische durchaus nicht ihre starke Seite ist.«

Dabei legte er vertraulich seinen Arm in den ihren und führte sie zu einem Lehnsessel, der mit Kissen und Rollen vielfach gepolstert war.

»Nehmen Sie Platz in diesem Marterstuhl,« sagte er, »wiewohl Ihnen heute noch nicht einmal ein Zahn gezogen wird. Alles in allem: Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Ich bin mit Ihnen zufrieden, mein Kind.«

Er strich sich wohlgefällig über den fahlen Blondbart und schmunzelte wie ein Gauner, dem ein besonders schlauer Trick gelungen ist. »Wann rechnen Sie wohl, daß die Hochzeit sein wird?«

»Es ist ja noch nicht mal – Verlobung – gewesen,« stammelte Lilly.

»Nun, was man so Verlobung nennt – Anzeigen und Visiten und dergleichen – das wird ja überhaupt nicht stattfinden … Möglichst wenig Aufsehen, mein liebes Fräulein, – möglichst wenig Aufsehen, rate ich, mein liebes Fräulein – da in der subtilen Lage, in der wir uns befinden, konträre Einflüsse immer zu fürchten sind.«

»Ich habe ja noch gar nicht – mein Jawort – gegeben,« wagte Lilly einzuwerfen.

Das belustigte ihn höchlich.

»Sieh, sieh! Also eine Scheinweigerung! Sieh, sieh! Für so geschäftstüchtig hätte ich Sie gar nicht gehalten, mein liebes Fräulein.«

»Ich weiß gar nicht, was Sie meinen,« entgegnete Lilly, der, ohne recht zu verstehen, warum, eine heiße Empörung ins Gesicht stieg.

Er stemmte die Hand in die Seiten und amüsierte sich immer noch.

»Nun, nun! Das ist ja alles sehr schön und zweckentsprechend. Aber – solche Scherze darf man auch nicht zu weit treiben! … Inzwischen lassen Sie mich nur machen … Ich verstehe mich einigermaßen auf diese Dinge, wenngleich, das muß ich bekennen, ein Fall von solcher Importanz mir noch nicht vorgekommen ist … Ich will die Hochzeit so viel als möglich zu beschleunigen suchen – aus dem schon angeführten Grunde … Werde auch für möglichste Geheimhaltung plädieren … Mindestens so lange, bis der Abschied eingetroffen ist … Und da die Beschaffung einer umfangreichen Aussteuer unsere geringere Sorge sein darf, so braucht dem Aufgebot dann nichts mehr im Wege zu stehen … Ihnen, mein liebes Kind, rate ich, sich vorläufig so unerschlossen, so knospenhaft, so taufrisch wie möglich zu halten … Nur für eine bessere Seife würde ich Sorge tragen. Alles sonst mag bleiben, wie es ist … Wahrscheinlich wird die Überführung in eine andere Familie nötig sein. Alsdann müssen wir allerdings an eine Neuequipierung denken, wozu uns der Erlös des mütterlichen Haushalts, bestehend aus, – pardon, einen Augenblick!« er schlug in einem großen Kontobuch nach, das neben dem Schreibtisch in einem Gestelle lag – »aus – – A, B, C, Czepanek – aus einhundertsechsunddreißig Mark fünfundsiebzig Pfennig, nicht unwesentliche Dienste leisten wird. Auch ist meine Privatkasse aus rein ästhetischem Vergnügen an dieser Angelegenheit gerne zu einem Zuschuß bereit … Ja! – Das wäre also die Zeit vor der Hochzeit. Was nun die ungleich wichtigere Zeit nach der Hochzeit betrifft, so möchte ich Sie doch nicht ohne einige zarte Winke von dannen ziehen lassen, – wenngleich ich mir leider das Vergnügen versagen muß, hinsichtlich –«

Er hielt für einen Augenblick händereibend inne, und ein faunisch-feinschmeckerisches Lächeln zog das vollbackige Gesicht noch mehr in die Breite.

»– – hinsichtlich der Ratschläge, die man einer Braut wohl so mit auf den Weg gibt, Mutterstelle an Ihnen zu vertreten.«

Diesmal verstand Lilly ihn gut, und das Feuer der Scham legte sich ihr wie ein roter Nebel vors Auge.

»Was Ihre künftigen Verhältnisse: Erbschaft durch Testament, Lebensversicherung, Alimentation für den Fall unverschuldeter – ja ich hoffe in gewisser Hinsicht sogar auch verschuldeter Trennung – und dergleichen belangt, so dürfen Sie sich blindlings auf mich verlassen, mein liebes Kind. Sie sind nicht umsonst in meine Hände geraten … Nur für einen Fall, und zwar gerade für den Fall, der bei Ehen wie Ihre künftige am meisten in Betracht gezogen werden muß, ist meine berufliche Kunst leider nicht im stande, Ihnen die nötige Sicherheit zu schaffen. Da müssen Sie schon selber die Augen offen halten … Wir Menschen sind auf dieser Welt, mein liebes Kind, um zu tun, was uns Spaß macht. Und wer Ihnen das Gegenteil sagt, der stiehlt Ihnen die Sonne vom Himmel … Vor dreierlei aber warne ich Sie! Erstens: keine überflüssigen Blicke wechseln, zweitens: keine überflüssigen Rechenschaften fordern, drittens: keine überflüssigen Geständnisse machen. Sie können das heute noch nicht sehr verstehen, –«

Und Lilly verstand in der Tat keine Silbe davon.

»– – aber denken Sie bei Gelegenheit daran. Es könnte Ihnen von Nutzen sein … Und dann vor allem eins: Lieben Sie Juwelen?«

»Ich habe eigentlich noch nie welche gesehen,« sagte Lilly.

»Nun – auf dem Altmarkt – bei den Goldschmieden?«

»Es war uns immer verboten, vor den Schaufenstern stehen zu bleiben,« erwiderte Lilly.

Er lächelte sein niederträchtigstes Lächeln.

»Dann also rate ich Ihnen, wenn Sie künftighin mit Ihrem Gatten zusammengehen, im Gegenteil vor jedem Schaufenster stehen zu bleiben … Dergleichen zarte Zuwendungen dürften kaum je zurückgefordert werden. Besonders achten Sie auf Perlen, mein liebes Fräulein. Sie gewinnen auf diese Weise einen Rückhalt, der Ihnen in der Stunde der Not – und diese Stunde wird kommen, dessen versichere ich Sie – von unberechenbarem Nutzen sein kann.«

Lilly neigte den Kopf und dachte: »Das werde ich gewiß nie und nimmer tun.«

Herr Doktor Pieper strich sich mit der weißen, fleischigen Hand ein paarmal über die spiegelnde Glatze und fuhr fort: »Was soll ich Ihnen nun noch sagen? Ich wüßte eine Menge Ratschläge für Sie, aber ich muß fürchten, nicht verstanden zu werden … Nur einiges für die erste Zeit: Bei Naturen wie die Ihre verursacht die junge Ehe, gleichviel welcher Art sie ist, eine eigenartige Zerrüttung des Nervensystems … Wenn Sie Lust zu Tränen spüren, so nehmen Sie Brom. Nehmen Sie überhaupt viel Brom. Bei starker Liebe wie bei starkem, – hm – Überdruß … In gewissen Momenten ziehen Sie sich sozusagen eine Schutzkappe über den Kopf, so daß Sie nichts sehen, nichts hören und nichts fühlen … Sie müssen sich dann gewissermaßen ausschalten aus dem, was geschieht, – sich und Ihren Willen und Ihre Empfindungen – und gleichsam eine tote Masse werden … Der Alkovendunst, der Sie demnächst umgeben wird, verliert sich mit der Zeit – in diesem Falle wahrscheinlich schon nach einigen Monaten. Und dann werden Sie wieder frische Luft atmen und statt des Betthimmels wieder den Himmel Ihrer Mädchenjahre sehen … Gefährlich aber ist es in jedem Falle, bei aufgepeitschten Nerven die Phantasie allzusehr der näheren Umgebung zuzuwenden und die nötige Beisteuer schon vom Augenblick eintreiben zu wollen … Träumen Sie lieber in die blauen Berge hinaus. Lassen Sie das Glück immer hübsch weit weg wohnen … Sie sind jung. Es wird schon näher kommen. Man muß ihm nur Zeit lassen, auszuwachsen … Ich nehme übrigens an, Sie verstehen kein Wort.«

»O doch, doch,« stammelte Lilly, die nicht für dumm gehalten sein wollte. Aber er hatte recht. Die Worte fielen auf sie nieder wie ein Hagelschlag, ohne daß sie mehr als hier und da ein Körnchen hätte auffangen können. Nur das Letzte hatte sie ganz verstanden: daß sie in die blauen Berge hinausträumen sollte. Das tat sie gern, und das wollte sie auch.

»Wie dem auch sei,« fuhr er fort, »einer oder der andere Satz wird bei Gelegenheit schon wieder auftauchen. Und dann noch eins, das Delikateste von allem, weil es sozusagen das Geistigste ist: Wenn es um Sie herum nicht klingt oder Widerhall gibt, dann dürfen Sie sich nicht grämen. Auch keinen Versuch machen, damit es anders wird. Zersprungene Glocken soll man nicht wieder in Schwung bringen … Lieber sich selber Musik machen … Und wenn ich mich nicht sehr täusche, haben Sie ein ganzes Vollorchester zur Verfügung.«

»Das Hohe Lied habe ich,« dachte Lilly triumphierend.

»Sie glauben gar nicht, liebes Kind, wie wichtig es ist, daß man bei einem so engen Zusammengehen die Fühlung mit sich selber nicht verliert. Solch ein Hof voll flatternder Gedanken macht eine Menge Spaß … Wer gern Eier ißt, muß seine eigenen Hühner halten, das vergessen Sie nie. Aber lieber davon nichts merken lassen … Kein überflüssiger Widerstand. Keine Hartnäckigkeit … Sie müssen von vornherein Ihre Lebensbahn zweigleisig einrichten, damit Sie immer nach beiden Richtungen fahren können, wie der Bedarf es verlangt … Ich müßte mich sehr wundern, wenn unter diesen Bedingungen nicht eine ganz vergnügliche Ehe zu stande käme. Von den äußeren Vorzügen ganz abgesehen … Solange dergleichen eben dauert … Das sind Dinge der Anpassung und des guten Glücks, über die unser Wille nie im voraus verfügen kann … Den Ehekontrakt werde ich Ihnen versiegelt übersenden. Bis zu Ihrer Großjährigkeit – das wäre also in etwa zwei Jahren – stehe ich Ihnen übrigens zur Verfügung. Merken Sie später einmal, daß Ihnen die Laune dauernd verdorben wird, dann öffnen Sie ihn. Ein tüchtiger Rechtsanwalt wird Ihnen allerhand Überraschungen herauslesen, die Laien nicht gleich erkennen können. Nur, wie ich schon andeutete, in einem Falle nicht. Vor dem hüten Sie sich. Man nennt ihn: › in flagranti! …‹ Erkundigen Sie sich mal gelegentlich mit Vorsicht, was das Wort bedeutet … So, und nun darf ich dem Herrn Oberst wohl Ihr Jawort überbringen?«


 << zurück weiter >>