Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

188. Die fromme Mutter und ihre Söhne

1.

An einem hohen Festtage sagte eine adelige Frau zu ihren zwei Söhnen: Ach, daß ich doch heute auch in dem Tempel erscheinen, und mit den Tausenden, die sich dort versammeln, Gott, den Allmächtigen, anbeten könnte! Aber in die Stadt zu gehen, ist für mich zu weit, und unsere Kutsche hilft uns jetzt nichts, da wir die Pferde wegen unserer dürftigen Umstände verkaufen mußten! Die Söhne schoben sogleich die Kutsche vor, und erboten sich, die Mutter in den Tempel zu fahren, der weit vom Orte entfernt war. Die Mutter stieg ein und die adeligen Jünglinge zogen anstatt der Pferde die Kutsche. Alles Volk war über die Frömmigkeit der Mutter und die kindliche Liebe der Söhne bis zu Tränen gerührt, bestreute ihren Weg von dem Stadttore bis zum Tempel mit grünem Laube und frischen Blumen und rief entzückt: Heil der glücklichsten Mutter und den edelsten Söhnen!

Die allerschönste Tugend übt,
Wer Gott und Eltern kindlich liebt.

2.

Unter dem freudigen Zurufe des Volkes erreichten die guten Söhne den Tempel. Die gute Mutter kniete weinend am Altare nieder und betete in ihrem Herzen: Lieber Gott! Segne meine zwei Söhne und gib ihnen das, was du für das Allerbeste erkennst. Die Jünglinge führten die Mutter wieder nach Hause und gingen abends fröhlich zu Bette. Als die Mutter sie morgens wecken wollte, lagen sie beide da, schön und lieblich, wie schlafende Engel – allein sie erwachten nicht mehr. Die Mutter war über den Tod der geliebten Söhne anfangs sehr erschrocken. Allein bald faßte sie sich wieder und sagte: Guter Gott! Du hast mein Gebet erhört. Nun sehe ich es ein, ein sanfter, seliger Tod ist das beste, was sterbliche Menschen sich wünschen können. Meine Söhne sind nun bei dir. Die Erde war zu arm, ihre kindliche Liebe zu belohnen; deshalb hast du sie zu dir in den Himmel genommen.

Um vor dem Tode nicht zu beben,
Gedenke an das bessre Leben.


 << zurück weiter >>