Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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76. Die Schlange

Die Frau von Grünthal saß eines Morgens in ihrem Zimmer und nähte. Ihre sechs Kinder waren um sie versammelt. Zwei Knaben lasen und schrieben, zwei Mädchen strickten, und die zwei kleinsten Kinder spielten miteinander. Da kam der Gärtner mit einem Körblein voll Blumen, stellte es auf den Tisch und sagte, er bringe es den Kindern zum Geschenke.

Die Kinder drängten sich sogleich alle jubelnd um das Körblein und betrachteten die schönen Blumen. Die Mutter stand dabei und freute sich noch mehr über die fröhlichen Gesichter ihrer Kinder, als über die lieblichen Blumen. Aber sieh – da fingen die Blumen an, sich wie von selbst zu regen, und plötzlich erhob eine giftige Natter zischend ihren Kopf aus den Blumen. Die Kinder entflohen mit Entsetzen nach allen Seiten. – Der Gärtner tötete die Natter, die eine der gefährlichsten Schlangen war und sagte, er habe das Körblein gestern abend schon mit Blumen gefüllt; allein da er die Herrschaft nicht zu Hause angetroffen, es in den Garten gestellt, damit die Blumen in der Nacht mit Tau benetzt würden und frisch blieben. Da müsse die Schlange, ohne daß er etwas davon merkte, hineingekrochen sein. Die Mutter rief die erschrockenen Kinder wieder zusammen und sprach zu ihnen: Euer Schrecken kann euch für euer ganzes Leben heilsam sein. Seht da, so versteckt sich unter den Freuden und Lüsten dieser Welt die Verführung. Seid daher vorsichtig, und vergeßt nie das Wort eurer Mutter:

Oft findet man bei dem Vergnügen Die Schlange unter Blumen liegen.


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