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Kunigunde, eine arme Witwe, betete alle Tage, bevor sie sich an ihr Spinnrad setzte, in ihrem einsamen Stübchen ihr Morgengebet mit großer Andacht und las dann noch einen der schönen Sprüche, die in ihrem Gebetbuche standen. Eines Tages las sie einen Spruch, der sie zu den Werken der Wohltätigkeit ermunterte und ihr sehr wohl gefiel. Aber, mein Gott, sagte sie, wie könnte ich andern Gutes tun? Ich habe auf der Welt nichts, um mich zu ernähren, als mein Spinnrädlein, und damit erwerbe ich mir kaum das tägliche Brot. Der Winter ist vor der Tür, und ich habe nicht einmal das nötige Holz. Die Finger sind mir in der kalten Stube jetzt schon so steif, daß ich kaum mehr spinnen kann. Auch der Hauszins ist noch nicht ganz bezahlt. Ich werde wohl selbst wohltätige Menschen um Almosen anflehen müssen. Sie sann indes nach, was sie etwa Gutes tun könnte. Da fiel ihr ein, daß eine Jugendfreundin von ihr, die am andern Ende der Stadt wohnte, und arm und alt war, krank liege. Die will ich heute besuchen, sagte sie; spinnen kann ich ja dort auch, und vielleicht kann ich ihr doch eines oder das andere tröstliche Wort sagen. Sie nahm das einzige Paar Aepfel, die sie unlängst geschenkt bekommen hatte, vom Kasten, um sie ihrer Freundin zu bringen und machte sich mit ihrem Spinnrädlein auf den Weg. Die Kranke hatte, als sie ihre alte Freundin erblickte, eine große Freude. Denke nur, Kunigunde, sagte sie, ich habe kürzlich einige hundert Gulden geerbt. Möchtest du nicht zu mir ziehen und meine Krankenwärterin werden? Du würdest doch Holzgeld und Hauszins ersparen, und dein Spinnen und meine kleine Erbschaft würden wohl hinreichen, uns beide zu ernähren. – Kunigunde nahm den Antrag voll Freude an, zog sogleich zu ihr und konnte nun nach langer Zeit das erste Mal wieder ruhig und sorgenfrei schlafen. Sie wiederholte das Sprüchlein, das ihr so wohl gefallen hatte, sehr oft:
Ihr Lieben, nur alltäglich Ein gutes Werk vollbracht;
Das macht den Tag erträglich, Und eine gute Nacht.