Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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114. Der Geldbeutel

1.

Norbert, ein armer Köhlerknabe, saß unter einem Baume im Walde und jammerte, weinte und betete. Ein vornehmer Herr, in einem grünen Kleide und mit einem Stern an der Brust, jagte eben im Walde, kam herbei und sprach: Kleiner, warum weinst du? – Ach, sagte Norbert, meine Mutter war lange krank und da hat mich mein Vater in die Stadt geschickt, den Apotheker zu bezahlen, und ich habe das Geld samt dem Beutelein verloren. – Der Herr redete heimlich mit dem Jäger, der ihn begleitete, zog dann einen kleinen Geldbeutel von roter Seide heraus, in dem einige neue Goldstücke waren und sprach: Ist vielleicht dieses dein Geldbeutelein?

– O nein, sagte Norbert, das meinige war nur ganz schlecht, und es war kein so schönes Geld darin.

– So wird es wohl dieses sein? sagte der Jäger, und zog ein unansehnliches Beutelein aus der Tasche.

– Ach ja, rief Norbert voll Freude, dieses ist es! – Der Jäger gab es ihm, und der vornehme Herr sagte: Weil du so herzlich gebetet hast und so ehrlich bist, so schenke ich dir diesen Beutel mit Geld noch dazu.

Gebet erlöst aus Aengsten;
Und ehrlich währt am längsten.

2.

Stephan, ein anderer Knabe aus dem nächsten Dorfe, hörte von dieser Geschichte. Sobald nun der vornehme Herr wieder in dem Walde jagte, setzte Stephan sich unter eine Tanne im Walde, und schrie und heulte: O mein Geldbeutel! O mein Geldbeutel! Ich habe meinen Geldbeutel verloren! – Der Herr kam auf das Geschrei herbei, zeigte ihm eine volle Geldbörse und fragte ihn: Ist dieses der Beutel, den du verloren hast? – Ja! rief Stephan und griff mit beiden Händen darnach. Allein der Jäger, der neben dem Herrn stand, sprach mit trotziger Stimme: Unverschämter Bube! Den Fürsten unterstehst du dich anzulügen? Ich will dich mit anderer Münze dafür bezahlen. Er züchtigte ihn mit einer Gerte, die er vom nächsten Haselstrauche riß, so nachdrücklich, als es der boshafte Betrüger verdient hatte.

Untreue schlägt den eigenen Mann,
Und Falschheit kommt oft übel an.


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