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18.
Die Galakutsche.

Wagen rollten hin und her durch die Straße. Die Vorübergehenden mäßigten ihren Schritt in der Nähe des Hauses, vor dem die Wagen anhielten, sahen sich um und gingen weiter. Andere blieben stehen oder schlenderten auf und ab, um Alles im Auge zu behalten, ohne sich unter das nicht sehr elegante Publikum zu mischen, das Lust zu haben schien, förmlich Spalier zu bilden.

Jetzt fährt eine stattliche Glaskutsche vor. Die Kutsche hält – das heißt die Pferde laufen nicht mehr, aber sie stehen auch noch nicht. Ein leichter Hieb der Peitsche, deren weiße Lederschnur sich ohne sichtbaren Absatz gleichsam organisch aus dem Geflecht des schwanken Stockes entwickelt, knallt obenhin, ohne zu treffen – und soll auch gar nicht treffen. Einen Viertelschritt zu weit vor, mußten die beiden stolzen Braunen zoppen, zoppten etwas zu viel, sollten nun wieder ein ganz klein wenig mehr vor, und sind so im Moment des Anhaltens erst recht in schönster Aktion. Von den blinkenden Hufeisen, unter denen die Pflastersteine Funken sprühen, von den geschmeidigen Fessel- und Kniegelenken bis zur wehenden Stirnmähne, Alles ist Feuer und Leben, zumal beim »Kammerherrn«. Sein temperamentvolles Auge leuchtet, das feine Adersystem unter der glatten kurzhaarigen Haut schwillt an, von den schnaubenden Nüstern und der bebenden Lippe fliegen kleine Wölkchen in die frische kühle Luft. »Der Mannist«, alter guter Stallsitte gemäß ebenfalls nach dem Vorbesitzer benannt, und nicht minder bestrebt, seinem durch eine halbe Metze mehr festlich gesteigerten Muth würdigen Ausdruck zu geben, erreicht nicht die kokette Zierlichkeit, die alle Kapriolen seines aristokratischen Collegen auszeichnen. Der Jünger Meno's, kein edles Blut, aber das solide Product niederunger Privatzucht, trampelt doch auch, wirft den Kopf, pirzelt und setzt sich beinahe mit dem Hintertheil auf die Bracke. »Foi!« Bei diesem beschwichtigenden Ordnungsruf des Kutschers, dessen Arme noch fest am Leibe, wie zum ersten kirrenden Anziehen der Leine, wiegt sich gravitätisch die Kutsche auf den hohen, armdicken Federn, – und nun steht sie in der That auf ein Haar, wie sie stehen soll – mit mathematischer Exactheit genau in der Mitte vor der Treppe des Hauses. Ein grauköpfiger Officier und eine ältere Dame im stahlblau seidenen Kleide steigen aus.

»Ist das die Frau vom Major?«

»Ach wo doch! Er ist lange Wittwer, es ist die Tante. Die thut viel Gutes.«

Ein Mädchen, über ihrem besten Anzuge eine weiße Schürze mit hohem Brustlatz, bringt Kuchen und Wein heraus, beides auf einem Teller, den sie dem Kutscher zum hohen Bocksitz hinaufreicht. Er dankt schön, nimmt das Glas, streicht es ab am Rande des Tellers, auf dem der Fuß des Glases einen rothen kleinen Kreis zurückläßt. Er hält das Glas gegen das Licht, trinkt wieder – und jetzt trinkt er aus, giebt das Glas zurück, schmunzelt und wischt sich Mund und Bart mit der breiten Hand im weißen Waschlederhandschuh. Der Kuchen, zwei keilförmige Stücke mit Rosinen gespickt, die im frischen Durchschnitt braunsaftig glänzen, wandert in den Hut unter das Futter. Ein halb nickender, halb schüttelnder Ruck des Kopfes probirt, ob der wieder aufgesetzte Hut auch noch Balance hält mit dieser gemüthlichen Befrachtung für Frau und Kinder. Ein leichter Griff drückt den Hut fester in die Stirn, und um eine Idee kecker zur Seite, worauf der liebevolle Familienvater und Kutscher umwendet und wieder abfährt.

Wie sicher und geschickt die Vorderräder unter dem tief herabhängenden Kutschenbauch sich herumdrehen! Wie die Radspeichen durcheinander flirren! Wie auf dem schwarzen blanken Verdeck und den silberweiß funkelnden Beschlägen der Sonnenschein spielt, und wie lustig schnell Licht und Schatten darauf wechseln! Unter den alten Linden, die ihre mächtigen Kronen hoch über einen Gartenzaun heben, sehen Wagen und Kutscher, Pferde und Geschirr wie mit lauter, bald großen bald kleinen, im Nu wieder verschwindenden Goldflittern gesprenkelt aus. Wie des »Mannisten« derbe Brust noch kräftiger, des Kammerherrn schräge Schultern noch so viel schräger, seine langen »Vorderarme« noch so viel länger erscheinen im gleichsam stechenden Vorgreifen des schlanken Trabes! ...

»Zum Donnerwetter! jagen Sie doch nicht so durch die Rinnsteine – denken Sie denn, das stuckert nicht?« ruft der hintenaufstehende Diener über das Verdeck. Es ist Schipke, noch immer derselbe Lohndiener, der den Brief am Morgen des Verlobungstages brachte, nur etwas grau geworden, und etwas tiefer knixt er ein, krampfhafter hält er sich an den Troddelriemen, wie damals, wenn er hintenaufstand, und es solche Stöße gab. Noch einmal wippen die Frackschöße schwungvoll in die Höhe und breiten sich flatternd aus ... und verschwunden ist die Gala-Kutsche, fort um die Ecke. Aller Glanz ihrer vornehmen Gegenwart läßt keine Spur zurück, als den Geruch von frisch gethrantem Leder, der hinter ihr in der Luft hängen bleibt. –

Gleich darauf fährt ein anderer Wagen vor, ein einfacher Halbwagen, aber auch mit schönen Pferden. »Das sind Herren vom Lande,« sagte wieder einer der Zuschauer. »Wer ist es?« »Ja wenn sie der liebe Gott nicht besser kennt!« »Woher sind sie denn vom Lande?« »Sehen Sie doch die Hüte, alle so gut wie neu – aber diese Façons! Der eine hat 'ne Krempe fingerbreit, der andere wie eine Schaufel. Die setzen sie blos auf, wenn sie zu Hochzeiten und Taufen in die Stadt fahren, und da mögen sie doch nicht immer einer, andern nach der Mode kaufen. Aber jetzt geht's forsch!«

Eine dritte Kutsche fährt an. »Das ist kein herrschaftlicher Wagen – für 'ne Miethskutsche ganz propre, Aha, der steigt rückwärts aus. Schwere Brett! abgefallen ist der Herr nicht. In seiner Weste haben drei Leineweber Platz mit Webstuhl und Familie, und nun passen Sie blos auf, ob ich nicht Recht habe – sehen Sie, sehen Sie! Was die ältlichen Damen sind, die sind immer am schnellsten im Haus, die Kleine mit dem trocknen Hals, den paar grauen Löckchen und den vielen Schrumpeln – die trippelt ja wie 'ne Haubenlerche, was aber die Jungen und Hübschen sind, die haben lange nicht solche Eile ... Da kommt die große Glaskutsche auch schon wieder, die muß nicht weit gewesen sein. Freilich ist sie's. Das höre ich gleich, die rasselt anders, man braucht gar nicht hinzusehen.«

Abermals hält die Galakutsche, deren imposante Erscheinung inzwischen noch gewonnen durch eine für den oberflächlichen Blick vielleicht kaum bemerkbare Kleinigkeit. Ein paar rasch getrocknete, hellgraue, vor der rapiden Fahrt durch die Gosse nicht vorhandene Fleckchen heben die vollendete Lackirung noch wirkungsvoller heraus, wie das wahre Verdienst die Verunglimpfungen des Neides. Es ist des Onkel Majors Glaskutsche – wieder einmal ganz neu auflackirt und neu ausgeschlagen. Als Agathe und Justus zur Trauung fuhren, war sie kirschroth, jetzt ist sie russisch grün mit einem leisen Stich in's Bräunliche. »Man kann sich den Bart davor abnehmen, besser als vor meinem Spiegelscherben über der Häcksellade,« sagte der Kutscher; es ist auch noch immer der alte Gottfried.

Schipke springt hinten ab, reißt die Wagenthür auf, klappt den Tritt herunter. Diesmal ist es nur eine einzelne Dame. Sie erhebt sich, lächelt, blickt in die Fenster des Hauses, über die Schulter zurück, und wieder nach dem Hause – das nachschleppende weiße Kleid entwickelt sich unter Schipke's gewandter Beihilfe, die nicht zarter hätte sein können, wäre es die Schleppe eines Seraphs gewesen, die durch seine Finger glitt, und nicht irdischer Mull – und die Dame lächelt wieder. Ein junger Mann stürzt aus dem Hause, als gelte es, die Rettungsmedaille zu verdienen. Er reicht ihr die Hand, aus der reizenden Schwebe im offenen Wagenschlage wird ein flinker Sprung, aus dem Sprunge ein Knix, aus dem Knix die anmuthigste Verneigung. Der Herr, in schwarzem Gesellschaftsanzuge und weißen Handschuhen, ist von gebräunter Gesichtsfarbe, die Stirn heller, die Dame blond, von etwas lichterem Blond als Ottilie, ihre Schärpe rosa, der Florshawl am Rande mit blaßrothen Atlasstreifen durchzogen; dies ist nicht ganz das gleiche Roth, aber die Schattirungen stimmen recht wohl untereinander, sowie zu der beweglichen Farbe der Wangen. Und da die Dame ohne jede Uebereilung ganz gemächlich neben dem jungen Manne hineingeht, wird sie, wenn anders jener sarkastische Beobachter Recht hatte, auch wol keine von den alten und häßlichen gewesen sein.

»Wer ist der junge Herr?« »Das ist ja der Bruder der Frau, der Herr Lieutenant.« »Und das Fräulein? Kennen Sie die denn?« »Was werde ich sie nicht kennen? Und sie kennt mich auch noch. Sehen Sie – sie nickt mir ganz freundlich zu – sagte stolz das alte Hospitalmütterchen – ich war ja bei der Großmutter, ich habe sie wie oft auf dem Arm getragen. Fräulein Marthchen war immer ein herziges goldenes Kind. Gott segne sie!« –

»Ein hübsches Paar!«

Schipke warf den Wagenschlag zu und sprang wieder auf: »Jetzt noch zum Prediger, dann sind wir durch!«

*

 


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