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18.
Auf Mensur.

Dem Neuling, der noch nie ein Duell gehabt oder auch nur mit angesehen, war doch wunderlich zu Muth, schon bei der Fahrt am frühen Morgen! Der Widerhall der leeren Straßen und der Wölbung des eben erst geöffneten Thores hatte etwas eigen die Brust Beklemmendes, Alle waren ernst und schweigsam. Wie anders, wenn die Studenten sich zu einem heitern Unternehmen so zeitig herausmachten!

Auf dem verabredeten Platze in einem nahe gelegenen Gehölz angelangt, schritt man sogleich dazu, die zur Vermeidung von Aufsehen auseinandergenommenen Schläger wieder zusammen zu setzen, und es klang auch sehr eigen das leise Klopfen und Hämmern im stillen Walde. Noch viel eigenthümlicher klang es aber, als der Senior dann einen der fertig am Baumstamm lehnenden Korbschläger nahm und ein paar Hiebe in die Luft that. Das pfiff so schneidig, als würde schon eine unsichtbare Nase abgesäbelt. Er wollte nur sehen, ob die Waffe bequem in der Hand lag. Doch unheimlicher als das Alles war die schauerliche Ruhe, mit der der Doktor sein Besteck aufklappte, die verschiedenen Abtheilungen desselben entfaltete und so das Ganze seitwärts an einem gesicherten Platz auf dem Moose ausbreitete. Eine einzige von den fatalen Nadeln war übler anzuschauen, als alle Klingen zusammen, obwol diese der Schwertfeger haarscharf geschliffen hatte.

Die Vorbereitungen waren getroffen, die Binden und Bandagen angelegt, die Distance von den Sekundanten bestimmt, die Gegner traten vor auf die am Boden bezeichneten beiden Striche, und der Unparteiische nahm seine Stellung so, daß er beide Theile gleich gut in's Auge fassen konnte.

»Auf die Mensur!«

»Bindet die Klingen!«

»Klingen sind gebunden.«

»Los!« riefen abwechselnd die Sekundanten, mit vorgelegter Schutzwaffe. – Und los ging es!

Hageldicht fielen Orest's Hiebe – denn er war es, der auf Mensur stand, und Pylades sekundirte ihm. Bald schlug er mit voller Kraft heraus, bald nur leichte Anhiebe, die mehr einen taktischen Zweck hatten, aber immer scharf. Selbst als ihm die Klinge sprang und im weiten Bogen schwirrend seitab flog, fiel es Niemand ein, dies einem ungeschickten Flächling zuzuschreiben.

Bald fuchtelte der blinkende Stahl, schwank wie eine Gerte, zur Finte ausgeholt, über dem Kopf des Gegners, bald schlugen die Klingen a tempo zusammen. Jetzt war es ein Waffentanz im eigentlichen Sinne des Wortes, da Paukanten und Sekundanten, ohne ihre Stellung unter sich zu ändern, voltirend um den Mittelpunkt der gekreuzten Klingen umherwirbelten. Jetzt wieder standen die beiden kräftigen Jünglinge in der plastischen Stellung sich auslegender Fechter festen, unverwandten Blickes Auge in Auge, bei lautlosem Schweigen ringsum, beide abwartend, bis der Hiebwinkel zwischen Korb und Klinge sich hier oder dort ein wenig verrückte – dann schmettert ein neuer Streich hinein. Es ist Orest's berühmte Tiefquart – ein Kunsthieb, durch markige Kraft wie durch höchste Eleganz gleich ausgezeichnet; und obwohl diese merkwürdige Quart so ungeheuer tief unten herum ging, daß sie eigentlich schon als Terz oben wieder herauskam, schlug sie Orest nicht etwa mit gebogenem Arm, sondern goldrein aus dem Handgelenk. In der That bewundernswerth! Die Quart hätte sitzen müssen, wäre nicht in dem Augenblick der Sekundant des Gegners eingesprungen. »Halt!« schrie er mit solcher Gewalt, als wäre seinem Schutzbefohlenen der Kopf gespalten – und die geschickt vorgeschnellte Klinge seiner Sekundirwaffe fing bei der Gelegenheit den Hieb ab.

»Warum: Halt?« fragte Pylades gereizt und auch nicht leise.

»Meinem Paukanten ist die Mütze in's Gesicht gerutscht.«

»Ich bemerke nichts.«

Und es entspann sich nun ein lebhaftes Wortgefecht. Denn wenn die Duellanten auf Mensur gänzlich zu schweigen, das heißt »den Rand zu halten« haben, so machen die sie vertretenden Sekundanten um so reichlicher Gebrauch von ihrer Redefreiheit. Ja die Herren fuhren sich gleich darauf abermals auf das Heftigste an, stampften mit dem Fuße, und stießen unwillig die Spitze des »Sekundirprügels« in die Erde, der so heißt, weil er – ungeschliffen ist.

»Halt! hat gesessen!«

»Hat nicht gesessen.«

»Hat allerdings gesessen!«

»Nicht gesessen!«

Zur Bezeichnung des feinsten burschikosen Minimalmaßes, wie sehr der Hieb nicht gesessen, fand sogar das Bild eines nicht allein durch Kleinheit verächtlichen Insektes Anwendung ... Aber warum die ängstliche Umschreibung? Pylades schrie – was er in Gegenwart Iphigeniens, und Karl auch wol nicht in Gegenwart Agathens gethan haben würde: – »nicht die Laus gesessen«.

»Hat gesessen,« entschied der Unparteiische mit würdevoller Ruhe und Sicherheit, auf die es vor Allem ankam, selbst wenn er im einzelnen Falle irrte.

Orest war seinem Gegner überlegen, doch durch allerhand kleine Hilfen, die eigentlich wider den Komment verstoßen, aber nichtsdestoweniger die wahre Kunst eines Sekundanten ausmachen, wurden die gefährlichsten Blößen, die dieser gab, stets von seinem Freunde gedeckt. Und so endete das bedenkliche Spiel der Waffen ohne erhebliche Verletzung. Versöhnt schüttelten sich die Gegner die Hände, nachdem sie die inwendig dampfend warmen Stulpen nicht ohne Mühe vom Arme gestreift und seelenfroh weggeschleudert hatten. Die Ehre war wieder hergestellt, und »der Tusch« – wenn nicht mit Blut, so doch mittelst eines tüchtigen Schwitzbades abgewaschen. Die Beleidigung hatte in dem bei Forderungen auf Hochschulen herkömmlichen Zweifel an den geistigen Fähigkeiten des Beleidigten bestanden. Sie hatten an der Pyramide »contrahirt«, dem berühmten Springbrunnen auf dem Markt, wo Abends nach der Kneipe – so erzählten boshafte Philister – die »dummen Jungen« schockweise billiger zu haben, als Zwiebeln und Radieschen am Wochenmarkt. Ob aber der »dumme Junge« durch Vollziehung des Duells viel klüger geworden, als wenn er unterdessen recht fleißig studirt hätte – mag dahingestellt bleiben.

Immer lief der gefährliche Scherz nicht so glimpflich ab, wie Orest selbst später zu seinem Nachtheil erfuhr – trotz des unbestrittenen Ruhmes, der beste Schläger der Universität zu sein, und die Scenen am Lager des Verwundeten sind den Freunden unvergeßlich geblieben. Als sie nach Jahren, nun gereifte Männer, sich wiedersahen, wurden auch diese Erinnerungen bis in die kleinsten Einzelnheiten wieder lebendig: wie Orest für jeden neuen Eisumschlag, der ihm auf sein verschwollenes Gesicht gelegt wurde, im Halbschlafe stöhnend, nur mit leisem Druck der fieberheißen Hand dankte, wie langsam die Stunden hinschlichen, ehe bei dem ersten blassen Schein des grauenden Tages die Lampe erlosch – wie die alte Wirthin in höchst wunderbarer Morgentoilette, ganz verstört über die Tollheiten der wilden Jugend den Kopf schüttelte, ja schalt und brummte, aber doch voll herzlicher Theilnahme half, wo sie konnte, und vor Allem emsig Kaffee mahlte, um jeden Preis entschlossen, ihren guten Miether gegen die Nachforschungen der spürenden »Pudel« zu schützen – wie am andern Morgen das Gerücht von dem unglücklichen Ausgange des Zweikampfes mit Blitzesschnelle durch die Stadt flog – denn auch in kleinen Universitätsstädten, in denen gar nicht geklatscht wird, verbreiten sich interessante Nachrichten rasch – in größeren aber, in denen geklatscht wird, noch rascher – und wie von allen Seiten Zeichen des innigsten Antheils gegeben wurden, ja wie jene hohe Gönnerin Orest's, in deren Hause er viel verkehrte, ein parfümirtes Billet an ihn schrieb, voll der zärtlichsten Besorgniß: »kann ich denn keinen Balsam senden für Ihre Wunden?« Die Gegner triumphirend, daß auch »der Haupthahn der Gold-grün-weißen einmal mit der Backe parirt«, sprachen von Orest's tragischem Geschick in einem andern, weniger blumenreichen Stil.

Dieses und einige ähnliche Erlebnisse hielt Karl nicht für nöthig in seinen Briefen nach Hause zu erwähnen. Als der liebe Sohn dann zum Besuche kam, war die Mutter nur froh, daß er noch ein heiles, glattes Gesicht mitbrachte. Unser alter Nachbar und Hausfreund konnte diese Freude vollkommen mitempfinden, verhehlte sich und Anderen aber keineswegs, daß diejenigen, welche die Schmisse und Schmarren austheilen, darum noch nicht größere Duckmäuser zu sein brauchen, als die, welche sie abbekommen.

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