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18.
Agathe, gerade!

Nicht mehr so häufig wurden gewisse, der weiblichen Grazie widerstreitende Stellungen, Bewegungen und Manieren an Agathe gerügt. Nicht mehr hieß es: »Kind, was machst du für große Schritte?« oder: »wer wird die Arme so in die Seite stemmen? du siehst aus wie ein Topf mit zwei Henkeln,« oder: »sitz doch still! Was mußt du denn immer mit den Knieen wippen?« Auch ihr Lachen klang wieder anmuthiger. Um so öfter hörte man aber: »Agathe, gerade! Ich bitte dich um's Himmels willen, du wirst noch ganz schief werden.« Und das war beiden, Mutter und Tochter, so geläufig, daß unter Umständen schon ein einziger zurechtweisender Blick dieselbe Wirkung auf Agathe hatte, wie auf den Rekruten das Kommando: »richt' euch!« Doch dauerte es leider nie lange, so sank der biegsame Nacken schon wieder mehr und mehr vor. Dann sah sie die Mutter abermals an, und abermals musterte Agathe sich kerzengerade in die Höhe.

War Besuch da, so zog Agathe es fast immer vor, bald nachdem der Gast erschienen, aufzustehen, der Mama mit bescheidener Dringlichkeit etwas in's Ohr zu flüstern, und falls diese zustimmend nickte, schlüpfte sie still davon, glücklich, der lästigen Gesellschaftsfessel ledig zu sein. Ein eigenes Stübchen – wenn auch nur ein ganz, ganz kleines – gehörte in dieser Zeit zu den sehnlichsten Wünschen ihres Herzens. Die anwesenden Damen aber sahen dem schüchternen Reh nach, mit einem raschen, die schwanke Figur kundig prüfenden Blick der Theilnahme; doch wenn ihr Blick hinabglitt und die schlanken Fußgelenke, die zierlichen Gamaschenschuhe erreicht hatte, so schien ein ernster Zweifel die freundliche Zustimmung zu trüben, und die dem Hause am nächsten Stehenden sagten es wol dreist heraus: »Werden Sie dem großen Mädchen nun nicht bald lange Kleider machen lassen?«

Das bedeutende Ereigniß der Investitur mit dem ersten, nicht von der Hausnätherin, sondern von einer Modeschneiderin gearbeiteten Kleide würde streng chronologisch etwas später zu setzen sein, der besseren Gruppirung wegen nehme ich aber schon hier vorweg Akt davon. Agathe ließ sich nicht lange nöthigen, als sie zum Anprobiren gerufen wurde, ja sie streifte ihr altes Hauskleid auf's hurtigste ab und sprang mit beiden Füßen zugleich fröhlich daraus hervor; es blieb zusammengeklatscht hinter ihr liegen wie die leere Hülle, die der ausfliegende Falter eben verlassen. Das neue aber, das sie nun anlegte, war reichlicher um Brust und Schultern gemessen. Die Falten flossen in jenem malerischen Wurf herab, durch den der Gang der Damen erst, so zu sagen, etwas Stilisirtes erhält. Besonders kunstreich war die Taille behandelt, die durch eine leise Nachhilfe von Fischbein und Futtersteifleinen die allgemeinen Gesetze der Plastik sehr geschickt individualisirte. Der gesammte Chor weiblicher Hausgenossen wohnte der feierlichen Handlung bei. Die Mutter beschaute die junge Novize mit prüfenden Blicken von oben bis unten, zupfte hier eine Puffe aus, die noch nicht zur vollen Geltung kam, strich dort eine zu sehr bauschende Stelle mehr zusammen und meinte, an den Achseln dürfte wol noch etwas eingelegt werden, allein die Künstlerin, welche die wunderbare Gabe besaß, sprechen zu können, auch wenn sie den Mund voll Stecknadeln hatte, wie ein Nadelkissen, versicherte, das müsse so sein, das sei Mode – es säße tadellos. »Dreh' dich doch mal um!« sagte die Mutter. »Ja, es sitzt auch hinten gut. Und nun komm', zeige dich dem Papa und bedanke dich schön bei ihm – aber wirst du wol gerade stehen!« Und Agathe erhielt einen freundlichen Schlag auf die Schulter, der deshalb nicht weniger zu fühlen und zu hören war, weil sie den Kragen noch nicht wieder umgesteckt hatte. »Wenn du auch jetzt, wo du ein so schönes Kleid hast, noch krumm wie ein Fiedelbogen gehen willst, dann ist Hopfen und Malz an dir verloren.«

*

 


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