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25.
Weihnachtfrühfeier.

Wie lange diese Nacht währt!

»Noch nicht Morgen?«

»Nein,« – so trübe die Nachtlampe brennt, das sieht man doch, das Himmelbett der Eltern ist wol leer, aber noch frisch aufgemacht, wie am Abend – sie sind noch gar nicht schlafen gegangen. Es ist kalt – husch! in die Kissen zurück! Die Eisblumen am Fenster, die sich immer dichter mit wunderbar verschlungenen Ranken und Blättern überziehen, gestatten dem Sterne, der mit so eigenem Funkeln vom Himmel sieht, kaum noch den Einblick in's Zimmer. Draußen aber knistert der Schnee unter dem Tritte des Wächters oder kreischt laut vor Entsetzen über die frevelhafte Entweihung, wenn ein verspäteter Frachtschlitten die Gleise befährt, die der Frost nicht für irdische Fuhren so spiegelblank geputzt. Horch! Schon wieder dies geheimnisvolle Regen! und immer lebendiger wird es. Bald ist es wie behutsame Gewichtigkeit einer Männersohle, die sich Mühe giebt, leise zu treten, bald wie Rauschen von Frauenkleidern; bald knacken verräterische Treppenstufen, bald klingt es wie klappende Schrankthüren oder wie Schiebladen, die auf- und zugehen, bald wie ein Flüstern und Räuspern im Flurgange; jetzt stößt es an, wie wenn große schwere Kisten getragen werden, oder es fällt gar zu Boden und rollt die Diele entlang, ganz so wie ein Schachteldeckel. Dabei steht das Himmelbett noch immer unberührt. – »Wenn die Auguste Rademacher doch Recht hätte! Wenn es doch die Eltern selbst wären, und nicht der Engel die Bescherung brächte!«

Furchtbarer junger Zweifler im Ausschiebebettstellchen, vermessener kleiner Fibelfaust, verzehre dich nicht in vergeblichem Grübeln über das Unfaßbare, von dem wir einmal nichts wissen sollen und nichts wissen können. Ist dir der Friede deiner Seele lieb, lege dich ruhig wieder hin und schlummere den Schlummer gläubiger Unschuld wie dein Schwesterchen, dem das große Geheimniß der Nacht keine andere Unruhe verursacht, als daß es wie ein Fragezeichen sein Beinchen über das Deckbett streckt.

Mitternacht ist vorüber, vom Thurme haben Choralklänge die alte Himmelsbotschaft verkündet: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

Der Nachtlampe Docht fängt an zu verkohlen, das Oel wird knapp, und das Wasser, auf dem es schwimmt, ist ein schlechter Feuerwerker; prasselnd, zischend, spritzend fährt das Flämmchen noch einmal auf, gerade hell genug, erkennen zu lassen, daß nun auf den Stühlen an dem Himmelbett Kleider liegen; dann ist alles finster und still.

»Noch immer nicht Morgen?«

»Noch lange nicht. Soll ich dir meine Hand geben? Willst du ein Schlückchen Wasser? – So, nun lege dich auf die andere Seite und schlafe weiter.«

»Auch jetzt noch nicht?«

»Nein. Schlafe nur ganz ruhig, du wirst schon geweckt werden.«

Die Sonne wußte recht gut, weshalb sie gestern Abend so frühzeitig in die entlegenste Südwestecke hinabsank, sie hat einen weiten Weg unten um die ganze Erde herum, ehe sie wieder aufsteigt im Osten. Der Zeit aber ist das ganz recht, sie will wieder einbringen, was in den übergeschäftigen letzten Tagen an rennender Hast zu viel geschah, oder will sie, im demüthigen Gefühl ihrer Endlichkeit, ganz und gar vom Posten gehen und der Ewigkeit selbst die Ehrenwache bei den hochheiligen Mysterien überlassen? Dennoch schwingt der Pendel, die Zeiger rücken, der Glockenhammer hebt sich, wenn die schleichende Stunde endlich vollbracht ist.

Der Hahn wird unruhig auf seiner Latte, obwohl er weder selbst Bescherung erwartet, noch für seine Familie heimlich aufgebaut. Er krähte schon mehrmals und läßt sich nicht länger irre dadurch führen, daß noch Mond und Sterne scheinen, er hat die Uhr im Kopfe. Die Hofthüre wird geöffnet, der Widerhall des Hauses erwacht vom Scharren des Kehrbesens, benutzt aber, verschlafen wie es Alle sind nach den vielen Störungen in der Nacht, jede kleine Pause, abermals einzunicken zur köstlichen Nachruhe. Es poltert im Ofen, Kleider werden geklopft, der wache Morgen schreitet immer dreister einher, dringt immer weiter vor in das Gebiet der Träume und ruft endlich, das blendende Licht in der Hand: »Kinder, steht auf!« Endlich, endlich ist es Morgen! Morgen, der aber doch immer noch Nacht ist, der einzige Morgen des ganzen Jahres, an dem auch die kleinsten der kleinen Leute bei Lichte aufstehen – dies allein schon ein Ereigniß, eine That, ein Wunder – das reine Märchen! Nicht selten müssen sehr kräftige Erweckungsmittel angewandt werden, um die fesselnde Kraft der »himmlisch« warmen Betten zu überwinden. Heute fährt das gesammte Aufgebot der Kinderbeine beim ersten Anruf zugleich heraus – wie ein Bein, und die Schnelligkeit des Ankleidens wird nur von der fröhlichen Verwirrung, die sie erzeugt, übertroffen – und gehemmt. Endlich trotz aller Confusion fertig gekleidet, fügen sich die Kleinen, die doch sonst nicht genöthigt zu werden brauchen, nur der kategorisch festgehaltenen Weisung, erst noch ruhig zu frühstücken.

Welch ein Zauber für die Kindesseele, eben wieder erstanden aus dem Schlummer, rein und klar wie der sternhelle Morgen, in der ganzen, unberührten Frische eines neuen Tageslebens, das noch kein, wenn auch nur in unbewußter Trübung nachwirkender, schnellvergessener Streit, keine paradiesaustreibende Unart entstellte – der höchsten Freude des Jahres entgegen zu gehen! Welch ein Zauber in dieser Verschmelzung der Reize aller Tageszeiten und der entgegengesetztesten Stimmungen, in dieser Nachtdunkel, strahlendes Kerzenlicht und Morgenweihe, Entzücken und Andacht in Eins verwebenden, gleichsam zeitlosen Wunderwelt! Welch ein Zauber, wenn beim wohlbekannten Klange des Silberglöckchens die Thürflügel ausgehen, von unsichtbarer Hand bewegt, als wären es wirklich geflügelte Thüren, und die stürmisch Herbeigeeilten, geblendet von all' dem Glanze, nun doch im ersten Augenblick wie erstarrt auf der Schwelle stehen bleiben, bis der Eltern ermunternder Zuruf zum Nähertreten auffordert – welch ein Zauber, wenn der ersten allgemeinen Freude die jubelnde Besitzergreifung folgt, wenn ein Jeder gerade das findet, was er »sich am meisten gewünscht« – die Mädchen ihre Puppen, die sie gar nicht mehr aus dem Arme lassen, die Knaben Trommeln und Trompetchen, deren lustiger Schall den fernen Ruf der Glocken zur Frühpredigt doch nicht stört – welch ein Zauber, wenn den Zweigen des Christbaumes jener eigenthümliche Duft entströmt, der mit keinem andern Wohlgeruch vergleichbar, noch in der Erinnerung so magisch wirkt, daß die Kinder schon wochenlang vor dem nächsten Feste jeden verlöschenden Wachsstock, von Wonneschauern der Vorahnung durchrieselt, begrüßen: »es riecht nach Weihnachten!« Welch ein Zauber auch dann noch, wenn endlich die Fensterladen aufgemacht, die Vorhänge zurückgeschlagen werden, und die letzten tief herabgebrannten, immer matter brennenden Lichtchen im Tannengrün die Morgenröthe bescheint. Wie das glüht im Osten, wie die Wolken sich thürmen gleich goldigen Schneebergen über den Nachbarhäusern, wie die Rauchsäulen so purpurdurchleuchtet empor wallen! Es ist wie Opferdampf flammender Cederscheite, der auf seinen Schwingen die Andacht heiliger Beter emporträgt, nicht wie Rauch aus gemeinen Kaminröhren, von gewöhnlichen Feuerstätten, auf denen klafterweise gekauftes Birken- und Kiefernholz brennt, und Kaffee gekocht wird wie alle Tage. – Und von der Höhe dieses Morgens die Aussicht nicht wie bei der Abendfeier auf das immer zu frühe Zubettgestecktwerden, nein – auf einen ganzen langen Tag, dessen frommes Gebot festlicher Muße die Spiel- und Naschfreuden gleichsam zu einer Gewissenspflicht macht!

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