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Die Schwüle war zu drückend; wenn es heute wieder nicht zu einem ordentlichen Gewitter kam, mußten alle Zeichen trügen. Als der Verwalter, der über das Feld ritt, Ferdinand begegnete und einige Worte mit ihm sprach, war dessen Pferd kaum im Stehen zu erhalten; es trat unruhig hin und her, schlug mit den Füßen unter den Leib, warf den Kopf, daß der Schaum vom Gebiß flog, oder suchte sich der lästigen Stechfliegen durch ein Schaudern der Haut zu erwehren. Es war windstill, und kam einmal ein Lufthauch, so brachte er doch keine Erquickung, die Atmosphäre hatte auch dann etwas Mattes und Schlaffes wie lauwarmes Wasser. Die bestäubten Blätter der Weiden sträubten sich wol ein wenig auf und zeigten ihre silbergraue Kehrseite, fielen aber sogleich in die frühere träge Ruhe zurück, wie mißmuthig, daß sie vergebens auf Kühlung gehofft. Nur das Espenlaub, das ewig bewegliche, zitterte fort und fort an seinen schwankenden, feinen Stielen. Die Sonne hielt sich hinter den Wolken, die Beleuchtung der Landschaft hatte etwas unendlich Prosaisches, und das unsichere Umhergaukeln von ein paar elenden weißen Kohlschmetterlingen erhöhte noch für das müde, Ruhe verlangende Auge den Eindruck der allgemeinen Abgespanntheit. Selbst das Summen der nie ganz rastenden Bienen klang verdrossen. Ein Goldammer, der von Baum zu Baum in einiger Entfernung vor Ferdinand her flog, zwitscherte kleinmüthig mit halber Stimme seine eintönige Weise; und wie auf Verabredung antworteten ihm die Unken im Teich, dessen Oberfläche nur selten ein leichter Wellenschauer kräuselte, was einen flimmernden, unheimlichen Glanz gab, als wisse das Wasser in seiner Tiefe noch von ganz anderen Dingen, von irgend etwas Bedrohlichem, das die Elemente vorbereiteten.
Jetzt war Ferdinand zu Hause, er hatte den Rock ausgezogen, den Strohhut fortgeschleudert und sich, so lang er war, hingestreckt. Der Schweiß stand auf seiner Stirn, deren Weiße gegen das übrige braun verbrannte Gesicht grell abstach. Eben wollten dem Ermatteten die Augen zufallen, da ging plötzlich ein starker Zug durch das Zimmer, der vom offenen Fenster kam und die lose umher liegenden Papiere vom Tische wehte. Die Wetterfahne kreischte, die Schwalben flogen niedrig mit schwirrendem Geschrei hin und her. »Aha,« sagte Ferdinand, indem er sich aufraffte, »am Ende wird's was!« Da rollte ferner Donner, und bald zuckte durch das verdüsterte Tageslicht auch der erste blendende Schein des Blitzes, der vorhin noch nicht zu sehen war.
Das Blöken der Schafe ließ sich eine Weile später hören, immer lauter und näher klingend. »Wenn der Ziegler eintreibt, das ist untrüglicher als alles Andere.« Der Schäfer, den Stab in der Hand, ging vorauf; umschwärmt von seinem treuen Hunde, folgte die Heerde. Die Thiere schienen furchtsam und drängten wirr durcheinander in den Stall unter Dach und Fach; es bedurfte umsichtiger Leitung, daß keine Unordnung entstand.
Wiederum fuhr ein Wirbelwind daher und jagte eine Staubwolke auf, die ihren trüben grauen Saum langhin an der Erde nachschleppte. Thüren, Luken- und Fensterladen wurden klappend auf und zu geworfen. Nun kamen auch die Schweine zurück, hurtig im kurzen Galopp, sie hatten die höchste Eile, die Gefahr eines drohenden Regenbades schien für ihren Reinlichkeitssinn etwas Beängstigendes zu haben. Es wurde dunkler und dunkler. Abermals Blitz und Donner, und nun fing es auf dem leichten Dache der Vorhalle zu klappern an, nicht sehr laut, etwa so, als wenn noch weiche grüne Erbsen darauf anschlügen. Doch dem Ohr des Landmannes klang es lieblicher als die schönste Musik – die ersten Tropfen fielen. Bald wurde das Klappern zum Rauschen. Die lange entbehrte Feuchtigkeit hauchte eine köstliche Frische aus, selbst der Geruch des gelöschten Staubes war angenehm, unwillkürlich athmete jede Brust tiefer auf. Auch in dem Blechrohre der Dachrinne gluckerte es jetzt, und zwar mit so überstürzender Hast, als verschluckte sie sich im ersten Eifer.
Ferdinand stand am Fenster und hätte nicht aufmerksamer zuschauen können, wäre es das erste Mal gewesen, daß er das interessante Naturschauspiel eines Regens beobachtete: – wie die Strahlen Anfangs noch vom Winde gejagt schräge kamen, aber immer weniger und bald schnurgerade fielen – wie das Erdreich zuerst bunt gesprenkelt, sich begierig satt trank und dann eine gleichmäßig dunkle Farbe erhielt – wie die Steine so sauber und blank abgespült wurden, und das staubgraue Kraut, die Kletten am Wege, die wilden Malven, deren Ranken sich über die Strauchzäune zogen, ihr natürliches Grün wieder zeigten – wie es überall floß, rann, rieselte, plätscherte und strömte – wie jeder fallende Tropfen einen sich elastisch erweiternden kleinen Kreis im schon stehenden Wasser bildete, wie weiße Blasen aufsprangen oder schwefelgelber Schaum sich absetzte, und vertrocknete Halme, Häckselstückchen oder da und dort abgefallene grüne Blätter flott wurden und wegschwammen. Die größte Wohlthat aber erzeugte der Regen jenem alten eingetrockneten Faß, das herausgerollt wurde, damit die »verspakten« Dauben sich wieder zusammengäben.
»Nun kommt es ordentlich!« An den Scheiben des Fensters, das Ferdinand jetzt schloß, strömten die Tropfen in unzähligen kleinen Rinnsalen herab, die sich bald verbanden, bald wieder trennten. Selbst das war behaglich anzusehen. Nicht lange, so träufelte es vom Fensterbrett auf die Diele: dripp ... dripp ... dripp! und immer schneller, bis es wie aus der Pfeife lief. »Laß es laufen in Gottesnamen!«
Das Gewitter war nicht stark, nur ein einziges Mal kam ein heftiger Schlag, von dessen Gewalt das erschütterte Haus dröhnte. In der Stille, die darauf eintrat, klang das Rauschen des Regens noch vernehmlicher, und lauter wie sonst hallte der Hufschlag auf den Steinen, als ein Reiter angesprengt kam, den das Wetter draußen überrascht. Ihm folgte eine einspännige Karre, bei deren Anblick Ferdinand das Fenster wieder öffnete. Es goß wie aus der Brause; das störte ihn jedoch nicht, ja die kühlende Nässe im Gesicht und auf der Hand, die die Krampe hielt, that ihm wohl. Er rief den Knecht, welcher die Karre fuhr, an, und der hielt sofort still, obgleich er für seine Person eben so gerne weiter gefahren wäre und noch ein paar Fäden am Leibe trocken in den Stall gebracht hätte.
»Seid ihr fertig geworden?«
»Noch gerade, wir schmissen eben die letzte Fuhre ab.«
»Es ist gut.« Die Karre rasselte davon, Ferdinand warf das Fenster wieder zu. Also der abgelassene Weiher war noch vorher bis auf den letzten Spatenstich »ausgemodert!« Das paßte ja trefflich! Unterdessen hatte sich von allen Seiten der Horizont bezogen. Die schwarzen Gewitterwolken waren zertheilt, und mattes Hellgrau bedeckte den Himmel, wohin man auch blickte. Eine höchst melancholische Farbe, wenn sie wochenlang vorhält. Allein nun, da man es so lange nicht gesehen, ließ sich schlechterdings nichts Behaglicheres denken.
Ferdinand war voll Anerkennung, wie gut der Regen seine Sache machte. »Es kommt so gleichmäßig, nicht zu stark, nicht zu schwach, aber immer emsig fort – ja das kann was schaffen, wenn es vierundzwanzig Stunden in der Weise dabei bleibt – das reine Gold fällt herab – es ist der richtige Landregen.«
Das Gewitter, das den Regen heraufgeführt, war inzwischen weiter gezogen. Jetzt grollte der Donner nur noch ab und zu einmal in der Ferne, und dann bebten mit leiserem Schauer Himmel und Erde vor der Stimme der erhabenen Naturgewalt, die Verderben bringen kann wie Segen. Aber der Segen ist doch das unendlich, Häufigere – und diesmal war es Segen.
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