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22.
Ein trüber Tag im Mai.

Der Himmel war bezogen, schon hatte es geregnet, und es sah so aus, als wenn noch mehr kommen würde. Dennoch drang wieder ein matt lächelnder Lichtstrahl durch die Wolken, und dennoch fuhr die lustige Gesellschaft vorbei, zur Landpartie – ohne Agathe.

War ihr etwa die Erlaubniß versagt? Oder hatte sie freiwillig verzichtet? Wahrscheinlich das Letztere. Agathchen, jetzt einer sehr ernsten Richtung ergeben, bekämpfte mit lobenswerther Resignation die Versuchungen der Welt. Als der Wagen vorüber war, that es ihr einen Augenblick leid, aber sie ließ die Empfindung nicht aufkommen, und fleißig bei der Arbeit, gelang es der kleinen Heiligen bald, an andere Dinge zu denken.

Da vernahm sie Musik, die aus der Ferne herübertönte. Die bangen Gefühle kamen wieder, doch diese schönen weichen Töne lösten die Beklommenheit. Allein die Tonart wechselte bald, es war eines jener gemischten Stücke, die umherziehende Musikanten so häufig spielen. Es begann gehalten und wehmuthsvoll, ging aber rasch in eine fröhliche Weise über – und hopsassa ... hopsassa! war es mit einmal die reine Tanzmusik. Nun sollte man meinen, hätte sich Agathe's Stimmung vollends aufheitern müssen. Aber nein! es kam ihr so vor, als wenn ein Walzer – in der Nähe gespielt und mit der Aufforderung, selbst danach zu tanzen, das lustigste Ding unter der Sonne – fern herklingend wie aus einer andern Welt, aus der Welt der Freude, von der man sich ausgeschlossen sieht, trauriger stimmte als das schwermüthigste Lied.

Agathe seufzte. Ach ja, das Leben wird manchmal recht schwer, auch im Monde der Blüthen, wenn sich widerstreitende Regungen in der jungen Brust begegnen! Und die gern von der Mutter gebrauchte Wendung: »ei, wozu hat der Mensch denn seine Vernunft?« will durchaus nicht immer hinreichen, die Versöhnung herbei zu führen.

Bald darauf wurde Besuch gemeldet – Vetter Aurel. Der in seinem Berufe tüchtige junge Mensch hatte auswärts eine andere, recht ehrenvolle Stellung erhalten. Sein neuer Aufenthalt war nicht weit entfernt, man konnte voraussetzen, sich bald wieder zu sehen, auch hatte seine Persönlichkeit durchaus nichts besonders Anziehendes für Agathe. Es schien sonach kein Grund zu herzbrechendem Abschied. Dennoch war das gute Kind sichtlich bewegt, wie er ihr treuherzig die Hand gab und sagte: »Adieu, liebe Agathe, lebe wohl und glücklich!«

Darauf ging Aurel, und wie er den kleinen Garten vor dem Hause durchschritt, streifte sein Arm unversehens ein schlankes junges Bäumchen, dessen Blüthenkrone, vom Regen naß glänzend wie der leibhaftigte Frühling mit quellenden Thränen in den Augen aussah, und ein Schauer blinkender Tropfen fiel herab, als wenn das Bäumchen weinte, untröstlich über Aurel's Scheiden – was doch nicht der Fall war. Die Tropfen hingen ja schon früher in seinen lieblichen Blüthen! Aber wenn das Maß voll, läuft's über, auch wenn man nur leise anstößt.

Die Eltern, die den Vetter hinausgeleitet hatten, standen noch eine Weile in der Thüre, schauten ihm nach, wie er die Straße entlang ging, und athmeten die erquickende, balsamisch nach dem jungen Laub duftende Luft ein. Als die Mutter dann zurückkam in's Zimmer, vernahm sie einige halb unterdrückte Laute, ähnlich wie das Nachschluchzen von Kindern, die geweint haben und sich beim besten Willen noch immer nicht beruhigen können.

»Fehlt dir etwas, Agathe?«

»O nein – gar nichts.« Das »gar nichts« kam aber nicht recht heraus, es wurde halb verschluckt von wieder so einem unwillkürlichen Aufschluchzen.

»Aurel geht ja einer glücklichen Zukunft entgegen.«

»Ja wol, ich weiß es – ich wünsche ihm alles Gute.«

Und nun war noch ein paarmal das Schluchzen zu hören; es kam nach immer längeren Pausen und wurde immer schwächer, wie das allmälig verblassende Wetterleuchten nach einem Gewitter. Die Mutter hielt es für das Beste gar nicht weiter darauf zu achten. Die wandernden Spielleute aber bliesen jetzt schon längst in einer andern Gegend der Stadt jenen gar zu beweglichen Schleifer.

*

 


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