Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.
Appell.

Das Gewehr unter dem Arm, die Jagdtasche mit grünem Gurt an der Seite, ging Ferdinand langsam, enggeschlossenen Schritts durch das Kartoffelfeld. Der Hund lief schnobernd vor ihm her.

»Tiras such' ... such', such' – Tiras!«

Ferdinand hatte den dringenden Wunsch, sich besser einzuschießen; aber er kam nur selten dazu, das edle Weidwerk zu üben, Der Verwalter sagte, das sei ihm für seine landwirthschaftliche Ausbildung lieber, als wenn er der erste Jäger im ganzen Kreise wäre. Allein, wie junge Leute sind, Ferdinand erinnerte sich manches tüchtigen Wirthes, der auch ein guter Schütze war, und glaubte so gleichfalls beides vereinen zu können.

Nachdem der Hund eine Weile eifrig gesucht, wurden seine Bewegungen behutsamer; geduckt, lauernd schlich er vor: jedes Wärzchen und jedes Härchen auf der feuchten braunen Nasenschwarte bebte vom elektrischen Strom des Spürsinnes – und nun stand er, regungslos wie aus Erz gegossen; nur der kurz abgehackte Schwanz wackelte bedeutungsvoll. Ferdinand hob das Gewehr, that vorsichtig ein paar weitere Schritte und – ein ganz kleiner Vogel flog auf. Vor dem hatte das dumme Thier gestanden! Tiras erhielt eine Rüge in der ernsten Weise, daß der Herr sein Ohr faßte und kräftig daran riß. Er stieß einen heulenden Schmerzenslaut aus, empfing als Zugabe noch einen Fußstoß; und war dann wieder höchst vergnügt – ganz Freude und Anhänglichkeit, wie seine treue Hundeseele stets nach solchen peinlichen Begegnungen. Mit verdoppeltem Eifer suchte Tiras hierauf weiter, und es währte nicht lange, so markirte er abermals. Nun gingen wirklich Hühner auf – surr – rr! Zweimal hinter einander knallte die Doppelflinte. Einen Moment hatte es das Ansehen, als könnten die plump fliegenden Vögel mit den ausgebreiteten, vom Licht helldurchschienenen Schwingen gar nicht weiter, aber im nächsten Augenblick waren sie doch – auf und davon. Gespannt blickte der Jäger ihnen nach, während der Rauch verzog und die Arbeiter nebenbei auf einem andern Acker mit einfältigem Grinsen den Kopf schüttelten. Endlich machte unser junge Nimrod ein Gesicht, als wollte er sagen: »das begreife ich nicht,« lud von Neuem, und der Rest des Pulverdampfes, der dabei aus dem Laufe aufstieg, roch mehr nach faulen Eiern als nach gebratenen Rebhühnern. Tiras freilich gab so leicht die Hoffnung nicht auf. Er galoppirte noch immer hinter den Hühnern her, ohne ihnen mit seinem Bellen großen Abbruch zu thun.

»Tiras! ... Tiras, zurück! ... Tiras!«

Aber der hörte nicht, er war zu ergrimmt über diese frechen Hühner, von denen sich kein einziges entschließen wollte, herabzufallen aus der Luft in die Kartoffelstauden, mit krampfhaft gesträubtem Flügel, brechendem Auge und blutendem Schnabel, wie es eigentlich gleich nach dem Schuß hätte geschehen sollen. »Ti – ras!« Alles Rufen und Pfeifen war vergebens. »Man muß sich todt ärgern über das Vieh!«

Am Ende ließ der übereifrige Hund denn doch von weiterer Verfolgung ab, kehrte um und kam abgejagt und jappend, mit lang heraushängender Zunge wieder angelaufen. Als er sich näherte, mäßigte er seine Eile und blieb zuletzt in einer gewissen Entfernung abwartend stehen.

»Hieran – Tiras, hierher!« Des Herrn Finger wies gebieterisch auf die Stelle unmittelbar vor seinen Füßen. Allein dieser Platz schien für Tiras etwas Ungemüthliches zu haben. Er legte sich auf den Bauch und machte merkwürdige Kriechbewegungen. Trotz alles freundlichen Windens und Drehens rückte er durchaus nicht vor. Ferdinand trat dem Schüchternen mit ein paar raschen Schritten entgegen, deren Plötzlichkeit jedoch zu viel von einem drohenden Ueberfall hatte, um Tiras nicht zu erschrecken. Der Hund fuhr auf und prallte hastig ein Ende zurück, so daß ihn Ferdinand nicht mehr erreichen konnte. Der Weg der Unterhandlung mußte von Neuem eingeschlagen werden.

»Na, komm – schöner Hund, guter Hund!« Das klang höchst freundschaftlich, allein der zornige Blick strafte die süße Stimme der Lockung Lügen. Tiras traute dem Frieden nicht, und wie sich gleich zeigte, er hatte einigen Grund. Mit so sanfter Stimme sein Herr den »guten Hund«, den »schönen Hund« angesprochen, ebenso unsanft schrie er jetzt: »Infame Bestie, willst du gleich hieran!«

Das war freilich aus einer andern Tonart, und Tiras bedauerte aufrichtig, die Einladung in dieser Form noch weniger annehmen zu können. Er lief schnell weiter. Als er sich außer dem Bereich der dringendsten Gefahr befand, machte er nochmals Halt – um zu überlegen. Und hätte es irgend in der Welt eine Möglichkeit gegeben, unmittelbar in den stets so angenehm erregten Zustand nach der Strafe zu gelangen, mit anderen Worten, die Prügel weg zu haben, ohne vorher geprügelt zu werden, Tiras wäre auch jetzt noch reuig zu seiner Pflicht zurückgekehrt. Allein ihm mochte aus seiner bisherigen Praxis kein Beispiel der Art einfallen; er ergriff daher das sichere Theil und machte sich aus dem Staube.

Die Lage war kritisch für das Verhältniß zwischen Herr und Hund, die Gefahr groß, daß der Appell für immer verloren ging. Doch die Aufwallung eines gerechten Unwillens ließ Ferdinand das einzig Richtige besser treffen, als wenn er erst lange darüber nachgedacht hätte. Er bückte sich, hob einen Erdklos auf und schleuderte ihn, indem der Wurf durch gleichzeitiges Trampeln der Füße noch drastischer wirkte, dem Treulosen nach: »will Er wol nach Hause!« Und der Ton, mit dem er das rief, vereinigte den Ausdruck der Verachtung mit der Absicht, bange zu machen, auf das wirkungsvollste. Auf die Art war wenigstens der Schein der Autorität gerettet. Denn nun kam die Sache so zu stehen, daß der Ausreißer sich nicht mehr freiwillig dem Dienste entzog, sondern mit Schimpf und Schande fortgejagt wurde.

Inwiefern die Einschüchterung weitere wohlthätige Folgen auf den Appell haben würde, war abzuwarten. Der Pflichtvergessene befand sich, wo nicht bereits in völliger Zerknirschung, so doch in einer heilsamen Angst, welche das Erwachen der Reue sehr begünstigen mußte. Tiras sah sich jetzt nicht mehr um, sondern lief, was er laufen konnte, und in der That wäre die Situation nicht so sehr ernst gewesen, der Gegensatz zwischen der heftigen Bewegung des Hundegalopps und dem in tiefer Niedergeschlagenheit eingeklemmten Schwanzstummel hätte fast etwas Komisches gehabt.

*

 


 << zurück weiter >>