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20.
Die Freunde auf der Wanderschaft.

»Wir haben wieder einen schönen Tag.«

»Wenn es nicht etwa ein Gewitter giebt. Die Luft hat etwas Schwüles!«

»Etwas Schwüles? Ich spüre nichts.«

»Auf jeden Fall können wir gutes Wetter brauchen.«

» Concedo

Und so gingen die beiden Freunde, die eben das Nachtquartier verlassen, ihres Weges weiter in den schönen Morgen hinein: am Hute ein grünes Reis, den Stecken in der Hand und ihr leichtes Gepäck in der kleinen Wandertasche, die sie abwechselnd trugen.

Plötzlich blieb Karl mit einer raschen Wendung gegen Hermann stehen: »Sag' doch blos, was bekommst du für die Meile? Du läufst ja wie verdungen!«

»Ich? – Ich gebe mir alle Mühe, um mit dir gleichen Schritt zu halten! Du fängst immer an zu rennen, und dann soll ich Schuld sein!«

»Gleichviel, mäßigen wir unsere Hitze! – Wie weit wollen wir denn eigentlich heute?«

»Gestern haben wir über acht Stunden gemacht, da denke ich, belohnen wir uns.«

»Die beste Belohnung wäre« ... fuhr Hermann fort, stockte dann aber.

»Nun, was denn?«

Hermann hatte unterdessen ein zusammengefaltetes Blatt hervorgeholt und auseinandergeschlagen. »Es ist doch fabelhaft billig!«

»Und so freundlich waren die Leute! Wenn wir einmal wieder in die Gegend kämen, sollten wir nicht unterlassen, sie zu beehren.«

»Was meinst du?«

»Ich meine gar nichts. Aber du scheinst etwas zu meinen.«

»Wir haben uns noch so gut wie gar nicht umgesehen an dem reizend gelegenen Orte.«

»Du schienst von allem Sehenswürdigen einzig und allein für die schöne Wirthstochter Augen zu haben.«

»Wenn wir zurückgingen und heute noch dablieben – es wäre ein Geniestreich!«

»Ja wol,« rief Karl, »ich bin dabei!« machte Kehrt – und Hermann folgte nicht – er war höchst munter sogleich ein gutes Stück voraus. Doch jetzt warf Karl die Maske ab: »Halt, alter Sohn! So geht das denn doch nicht; ich wollte dich blos auf die Probe stellen. Gratulire dir, leichtfertiges Blut, daß du einen Mentor wie mich zur Seite hast! Dein Wankelmuth wäre zu Allem fähig.« – Hermann lachte: »es war ja gar nicht mein Ernst.«

»Das kann jeder hinterher sagen. Kurz und gut, von Zurückgehen keine Rede ... vorwärts, vorwärts! bleibt die Losung.«

Vor einem Bauernhofe saßen Kinder mitten auf der Straße und spielten. Unsere Studenten wollten sie ansprechen, aber die Kleinen liefen scheu vor ihnen weg in das Haus zurück.

»Die einfältigen Dinger!«

»Ich wundere mich gar nicht, daß sie vor dir laufen. Dein Bart ist ja ganz dazu angethan, um Kinder zu Bett zu jagen.«

»Hör' mal, das war aber schwach! Wenn dir nichts Besseres einfiel, hättest du lieber noch etwas warten sollen!«

Und doch schien Hermann leidlich zufrieden mit der Wirkung seiner kleinen Stichelei. Der schwärzliche Flaum um Karl's Lippe und Kinn wucherte nicht so energisch, wie er ihn stehen ließ, und durfte sich in keinem Falle mit dem Stutzbärtchen seines Freundes messen. Späterhin haben dann beide erfahren, daß ein stattlicher Bartwuchs auch zu den vielen Gütern des Lebens gehört, deren Besitz nicht ganz so beglückt, als man in der Sehnsucht danach voraussetzte.

»Aber gehen wir denn auch recht? Ich will mich doch gleich noch einmal erkundigen. – Heda! Guten Tag, Alter!«

»Guten Tag!« erwiderte der Angerufene mürrisch und blickte kaum auf. Es war ein alter Mann, der in seinem Krautgarten auf den Knieen lag und jätete.

»Geht's hier nach Oberwerthstein?«

»Wie?«

»Wo der Weg nach Oberwerthstein geht?«

»He?«

»Wir möchten wissen, wo der Weg nach Oberwerthstein geht.«

»Ich versteh' nicht.« Der Mann hielt die Hand an das Ohr.

»Ach komm doch,« sagte Karl, »der ist taub.«

»Wo es nach Oberwerthstein geht?« schrie Hermann noch lauter. Da Karl protestirte, wollte er nun erst recht sein Stück durchsetzen.

»Nach Oberwerthstein? Wo's nach Oberwerthstein geht, wollen Sie wissen?«

»Nein, guter Freund,« sagte Karl, »er hält um eure Tochter an.«

»Zum Henker, mache mir den Alten nicht noch vollends verwirrt!«

»Ja, nach Oberwerthstein wollen wir.«

»Immer gerade aus, immer gerade aus, bis Sie an 'ne Säule kommen, und dann links bis zum Busch, und wenn Sie durch den Busch sind, dann über den Steg, aber dann nicht gerade aus – wieder links, 's ist so'n klein Wegelche' über 'ne Wiese hin, und dann sehen Sie Oberwerthstein schon liegen.«

»Aha! Nun wir danken schön.«

»Nichts zu danken. – Nur immer sich links halten,« rief ihnen der Mann noch nach.

Als sie eine Strecke weiter gegangen waren, sah sich Hermann nach allen Seiten um, als ob er Jemand suchte; jetzt war aber Niemand in der Nähe. Dann sagte er etwas kleinlaut: »Du hast's doch behalten?«

»Was?«

»Wie wir gehen sollen.«

»Nicht die blasse Idee. Das war deine Sache.«

»Ich dachte, du würdest aufpassen.«

»Nein, du bist aber wirklich groß!«

»Das wäre doch nicht mehr wie billig gewesen: während ich mich mit dem stupiden alten Kerl herumquälte, hättest du doch wenigstens zuhören und es dir merken können!«

»So viel weiß ich, daß er zuletzt noch sagte – sich nur immer links halten, und daß eine Säule kommen sollte.«

»Gehen wir also zuerst mal bis dahin.«

»Nun gut.«

Das thaten sie denn, trafen dort auch wieder Leute, die ihnen weiter Auskunft gaben, kamen bei guter Zeit an Ort und Stelle und stiegen sogleich zur alten Burg hinauf.

Nichts widerstand den Freunden mehr als, wie sie es nannten, »der Natur schöne Redensarten in's Gesicht zu schmeißen« – es wäre denn die Salonbegeisterung der eleganten reisenden Herren und Damen, welche die Reize der Landschaft mit Lorgnetten und Operngläsern bewunderten und einmal über das andere ausriefen: » superbe ... magnifique!«

»Wenn ich mal ein gemachter Mann sein werde, der sich nur auf die Tasche zu klopfen braucht, um jeden seiner Wünsche erfüllt zu sehen, lasse ich mir hier das Schloß wieder auf- und ausbauen und hübsch einrichten.«

»Aber nicht mit modernen Möbeln, das bitte ich mir aus.«

»Gott bewahre! Alles gothisch, vom Stiefelknecht bis zum Pfropfenzieher.«

»Den wirst du nicht vergessen, dafür stehe ich.«

»Lächerlich schön! Möchte man nicht gleich vor Wonne mit einem Satz in die grünen Buchenwipfel da unten hinabspringen, daß die Zweige einem über dem Kopf zusammenschlügen, wie die Wellen über dem Schwimmer, der sich hoch von der Brücke in den Rhein stürzt?«

»Nur zu! Spring du voran! Ich folge – aber erst gieb mir mal Feuer.«

Im Wirthshause setzte Karl den als Hilfskellner angenommenen Burschen einigermaßen in Verlegenheit durch die mit vollkommen ernstem Gesicht gemachte Bestellung von zwei Portionen Affenwurst und einem Schoppen Hühnermilch – frisch vom Huhn! Sie nahmen dann aber doch mit der gewöhnlichen Kost der Wirthstafel vorlieb und gingen nach Tische auf der andern Seite des Berges wieder hinab. Hier entdeckte Hermann ein Echo, das mehrmals auf die üblichen Zurufe deutliche Antwort gab.

»Ja, es ist ein ganz gutes Echo.«

»Wirklich famos ... jede Sylbe zu unterscheiden.«

»Aber ich schlage vor, jetzt kennen wir es auch.«

»Nur noch einmal ... himmlische Veronika! Da – hörst du? Ve-ro-ni-ka!«

»Ich gehe.«

»Warum sollen wir denn so eilen? Wir haben ja nichts zu versäumen.«

»Wie oft willst du denn noch »himmlische Veronika« schreien, daß das Universum zittert?«

»Das geht dich nichts an.«

»Es ist doch aber eine sonderbare Manier, seine heimliche Neigung zart zu verrathen!«

»Sonderbar – sagtest du?«

»Ich war so frei, sonderbar zu sagen.«

»Das wirst du revociren.«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»So zieh', verruchter Räuber meiner Ehre – oder du bist des Todes!«

Hermann ließ Karl keine Zeit, die beleidigende Aeußerung zurückzunehmen, und drang, seinen Ziegenhainer wie eine Hiebwaffe schwingend, sofort auf ihn ein. Doch Karl legte sich nicht gleichfalls aus, er unterlief den Angreifer, umfaßte ihn – sie rangen. Dabei strauchelte Karl, aber Hermann hielt edelmüthig den Fallenden auf, daß er nur mit dem einen Knie den Erdboden berührte – und jetzt erst bemerkten sie, daß jene elegante Gesellschaft, mit der sie oben zusammengetroffen, und die nun auch hinabstieg, hinter einem Felsvorsprung hervorkam. Es war unangenehm, bei einem solchen Auftritt beobachtet worden zu sein. Karl klopfte eiligst den Staub von seinen Kleidern, richtete sich stolz in die Höhe und zog imposant seine Weste zurecht. Wehe dem, der zu lächeln gewagt hätte! Wenn so ein forscher Student einen pomadisirten Kavalier, von dem er sich auf einer liebenswürdigen kleinen Schwäche ertappt glaubt, mit durchbohrendem Blicke »coramirt«, das ist kein Spaß! –

Es war schon am späteren Nachmittage, als die Freunde durch einen Hohlweg kamen. Dort saß ein armes altes Weib, mühselig mit ihrem schweren Reisigbündel, das sie nicht ganz abgelegt, sie stützte nur die Last gegen den Erdwall, wie es die sitzende Stellung erlaubte. Als Karl der Alten in das verschrumpfte, über und über mit Runzeln bedeckte und doch nicht unfreundliche Gesicht blickte, dachte er: »das ist auch am Ende eine Großmutter, und ihr Enkel zieht jetzt vielleicht auf der Wanderschaft durch unsere Heimath, wie wir die seinige durchstreifen; da kann er ihr denn freilich nicht beistehen. Wieder strich Karl die Locken so in seiner Art hinter das Ohr und trat rasch an die Frau heran.

»Geld oder Blut, Alte!« – Aber sie sah wol gleich, daß der Krauskopf kein rechter Wegelagerer.

»Wie weit habt Ihr noch bis nach Hause?«

»Bis zu der Hütte da? Das ist ja ein Katzensprung. Gebt uns das Pack! Wir wollen uns auch mal was verdienen, wir werden es Euch tragen.«

Gerührt dankte die Alte: »der liebe Gott bezahl' es – schenke Ihnen die tausendfältige Gesundheit!«

»Warum nicht gar. Mutterchen! Der liebe Gott ist ein viel zu guter Haushalter, um so arg zu verschwenden. Wir haben an der einfachen Gesundheit genug, und die wünschen wir Euch auch.«

»Adieu, junge Frau!«

Wie die gute Alte hernach auf der Herdstelle ihren Stahl suchte, um das Feuer zu rüsten, fand sie ihn nicht gleich, aber etwas anderes Blankes schimmerte ihr entgegen – ein Geldstück! Nein das war zu viel! Sie besah es mit ihren blöden Augen von beiden Seiten und hielt es zärtlich so lange in der Hand, bis es ganz warm geworden. Besser hatte ihr noch nie das Cichorienwasser geschmeckt. Und »junge Frau!« hatten die lieben guten jungen Herren zu ihr gesagt! die junge Frau lachte – daß ihr wackelndes, vorgestrecktes Kinn fast mit der Nase zusammenstieß.

Weiterhin – im nächsten Orte, auf dem großen freien Plan unter der Linde waren die halbwüchsigen Bursche eben bei einem Spiel, das Karl als Knabe leidenschaftlich liebte. »Zeigt doch mal her, Jungens – Ihr versteht es ja nicht.« Karl nahm nun selbst die roh aus Holz geschnitzte, flache runde Scheibe in die Hand. »Seht mal so, das ist der richtige Griff!« – Und den einen Fuß vor, den andern, auf dem der Körper ruhte, rückwärts eingezogen, schleuderte er die Scheibe mit kunstgerechtem Schwung – sausend flog sie dahin; kein einziger der entgegengeworfenen Parirknüttel vermochte sie aufzuhalten. Die bisher im Vortheil gewesene Partei mußte weit zurück weichen.

So zogen »Orest und Pylades« wie die Halbgötter und Heroen der Alten und glücklicher wie ihre klassischen Namensvettern durch die schöne Welt, in sorgloser Lebensfreude, hilfreich dem Schwachen und Armen und Sieger in den Kampfspielen – doch des Siegerpreises nicht begehrend. Sie wanderten ruhig weiter, als wäre gar nichts Besonderes geschehen und sahen sich nicht einmal um nach der Dorfjugend, die ein »Hurrah!« und ein »Vivat hoch!« nach dem andern hinter ihnen her erschallen ließ.

Wie sehr auch die Herren Studenten bestrebt waren, in ihrem Auftreten charaktervollen Ernst zu zeigen – eine Ader kindlicher Heiterkeit hatten sie sich denn doch, wie man sieht, zu bewahren gewußt, und dieser harmlos heitere Sinn trat im Inkognito der Reise nicht unliebenswürdiger hervor, als eine andere Eigentümlichkeit der Seelenbrüder. Vielleicht überschätzten sie gegenseitig etwas ihren Werth, wie das bei enthusiastischen Jugendfreundschaften vorkommt, ja sie konnten nicht von einander lassen! Trotzdem lebten sie beständig in kleinem Kriege oder nach ihrem eigenen Ausdruck, sie mußten sich fortwährend »kabbeln«.

Unsere Wanderer hatten jene gesegnetste Gegend des Thals durchstreift, wo der Rhein so viele Inseln bildet. Nun flossen die Stromarme wieder zusammen und vereinigten sich wie zu einem See. Höhere Felsufer traten heran in ernsten Formen, während die Landschaft bisher den Charakter anmuthiger Fruchtbarkeit hatte. Auch die Stimmung der Freunde schien ernster zu werden, als der Tag zu Ende ging. Schon morgen sollten sich ihre Wege scheiden, wer weiß, auf wie lange! Ein Schiffer bot ihnen zur Ueberfahrt seinen Kahn an, sie sprangen hinein, und Karl ergriff das zweite Ruder. In der Mitte des Stroms ließen sie sich eine Weile treiben, beide Ruder lagen naß glänzend über dem Bord. Der Widerschein des Abendroths glühte sanft auf der spiegelnden Fläche, während die reiche Wasserfülle sich mit unaufhaltsamer Gewalt einer starken Strömung fortbewegte. Hermann war nachdenklich geworden'. »So möchte man durch das Leben gehen! – stark und tief, still und bewegt.«

»Schön gesagt, alter Junge, aber auswendig gelernt!« schwebte Karl schon auf der Lippe. Doch er unterdrückte es und sagte halblaut, mehr für sich, als entgegnend: »wir wollen Männer werden!«

Dann tauchte er sein Ruder wieder in die Fluth, zog wiederum mal auf mal den Griff mit kräftiger Armbewegung an, jeder Ruck und Zug förderte das Schifflein ein gutes Stück weiter, und schon sah Karl, halb rückwärts gewandt, über die Schulter nach der Landungsstelle hin. Als der Nachen auf den Ufersand stieß, läutete die Abendglocke – sie waren am Ziel!

*

 


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