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7.
Abgeblitzt.

Ein junges Mädchen saß im Garten auf einer Bank in der Nähe des Hauses ... ein junger Mann ging spazieren.

Es war Frühling und ein herrlicher Morgen, der Himmel strahlte im reinsten Blau. Das helle Laub der Linden hatte noch jenen röthlichen Schimmer, den ihm die jungen eben erst geöffneten Blattknospen geben, üppig wuchernde Blumen mischten ihren bunten Schmelz in das saftige Grün der Wiesen, goldgelb blühten die Rapsfelder, und drüben am Fuße der fernen Höhen zeigte eine Reihe weiß glänzender Segel den Lauf des Stromes an. Es war schön überall – überall Licht und Wärme, überall blühender Lebenstrieb. Ein Posthorn klang vom Thal heraus, der junge Mann horchte und schöpfte tief Athem. Eine eigenthümliche Bewegung ergriff ihn, doch war es nicht Wanderlust, die sich sonst bei diesem Klange in seiner Brust zu regen pflegte. Er blieb jetzt gern, o wie gern für immer in der Heimath – unter einer Voraussetzung.

»So wage es doch, versuche dein Glück!«

Der junge Mann wandte sich rasch um. Eine Frauengestalt von nicht zu beschreibender Schönheit stand vor ihm, in schwebender Haltung, als käme sie geraden Weges vom Himmel. Der Ueberraschte suchte vergeblich nach Worten, wie geblendet von der unvergleichlichen Erscheinung. Des gewohnten Eindrucks sicher, mochte diese die abermalige Erprobung ihres unfehlbaren Zaubers doch nicht übel aufnehmen. Sie lächelte, und ohne die Antwort abzuwarten, faßte die wunderbare Frau den jungen Mann bei der Hand und zog ihn sanft, doch unwiderstehlich mit sich fort bis an das Thor des Gartens. Verschwand sie – blieb sie? Er achtete nicht darauf.

Das junge Mädchen, noch immer im Garten in der Nähe des Hauses, las so eifrig in ihrem Buch, als bemerkte sie den jungen Mann gar nicht. Er aber glaubte zu bemerken, wie die kleine reizende Hand eine etwas schwungvollere Bewegung machte, als zum Wenden des Blattes allein unumgänglich nöthig schien. Für einen freundlichen Wink hielt er es nicht – für ein Zeichen entschiedener Zurückweisung doch auch nicht. Nun näherte er sich, begrüßte sie und durfte Platz nehmen. Sie hatten ein kurzes Gespräch. Plötzlich erbleichte und erröthete das junge Mädchen, stand rasch auf und ging in das Haus ... Ein greller Schein zuckte vor den Augen des jungen Mannes.

»Abgeblitzt!« – wisperte ein feines Stimmchen – »dies verstehe ich nicht, es ist mein allerbester Pfeil, der mit der Treffspitze – ich habe nur diesen Morgen noch zwei Sperlinge auf einen Schuß damit getroffen.«

Es war ein nackter kleiner Knabe mit einem Flitzbogen, der einen Pfeil aufhob und ihn aufmerksam betrachtete. »Es thut mir leid, aber das kann dem Besten passiren ...« und – husch! flatterte er davon, denn er hatte auch Flügel.

Der junge Mann wußte gar nicht, wie er aus dem Garten gekommen. Im Nu standen Himmel und Erde in Flammen, im Nu war Alles wieder fahles Aschgrau. Von den wenigen Menschen, die in der Nähe, suchte Jeder so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu kommen. Keiner dachte an den Andern. Und doch meinte der junge Mann, Aller Blicke seien auf ihn gerichtet. Die alte heisere Wetterfahne knarrte und kreischte: »ein Körbchen, ein zierliches Körbchen! ... nun weiß man doch, warum der Korbmacher die Uferweiden so grausam beschnitten.« Dem jungen Mann war, als schaute er in einen Spiegel von unermeßlicher Größe, den grüne lebendige Hecken einrahmten ... oder war es eine Bühne, deren Kulissen unter der Scheere gehaltene Bäume und Büsche bildeten? ... Nein, es war doch ein Spiegel – er sah sich und die ganze Welt darin, und Alles schwankte, als würde der Spiegel von unsichtbaren Händen getragen. Es hatte etwas Beängstigendes, Schwindel Erregendes wie in einem Traume, aus dem man mit einem Schrei erwacht ... »Ach, Eins war kein Traum – das ist nur zu gewiß!«

Ein paarmal fielen Blitz und Schlag fast zugleich. Dann wurden die Pausen länger und länger. Schon erblickte er auf den jenseitigen Höhen das Schloß, die weißen Gebäude eines Gutshofes, die beiden Windmühlen, die Klosterruine. Bald hellte sich es auch diesseits auf, wilde Wasser zerrissen nicht mehr die Aecker und Gartenbeete, die Wege trockneten, die Sonne kam wieder heraus. Aber sie schien trübe wie durch einen Flor: keine kräftigen Schatten, kein kräftiges Licht – die Landschaft war ohne jeden Reiz, Alles sah müde und matt aus. Der junge Mann hatte nun die Stelle erreicht, wo der Pfad in die Niederung hinabführte. Die morschen Pfosten einer alten Brücke zitterten, ihr Bretterbelag knarrte und bog sich unter seinen Füßen, durch breite Ritzen war hie und da das Wasser zu sehen. Drüben ging er am Flüßchen entlang auf dem schmalen Uferdamm. Da erblickte er noch einmal die wunderbar schöne Frau, sie saß am Wasser bei den Weiden, das Haupt auf die Hand gestützt, gleich einem Marmorbilde. Das Kind neben ihr streckte die Aermchen in die Höhe, reckte sich und gähnte herzhaft. Zerpflückte Blumen lagen umher. Es mochte sich langweilen bei der tiefen Stille. Dann griff es nach der Laute, welche zwischen ihm und der Mutter im Grase lag, und rührte leise die goldenen Saiten. Sie schlug das Auge auf und sah nach dem Kinde. Jetzt nahm es die Leier in den Arm und gab einen vollen Akkord an und noch einen ... und wieder einen ... es wurde ein kleines Vorspiel. Sie lächelte, die Lippen der erstarrten Schönheit regten sich – sie sang ein Lied, und sogleich begann ihr Spiegelbild im Fluß, das bisher kaum zitterte und schwankte, wieder sanft zu schaukeln, so daß es weilend doch dahin zu rieseln schien. Ein Fischlein schnellte empor, silbern blinkend, und verschwand im Augenblick wieder. Eine Libelle flog auf, das feine Knistern ihrer durchsichtigen Flügel lockte eine zweite herbei, beide tummelten sich wie in haschendem Spiel um einander, sie flogen höher und höher, bis das Auge sie in dem vor Lichtfülle gleichsam zitternden Blau des Aethers nicht mehr unterscheiden konnte. Ein erfrischender Hauch, wehte über das Thal – die Welt war noch immer schön! Auch die alten grauen Weidenstämme, die schon so oft »geköpft«, hohl und inwendig brandschwarz, als hätte sie der Blitz getroffen, trieben wie das Ufergebüsch von Neuem ihre zartgrünen Sprossen, ja ein paar am weitesten überhängende Zweige wurden von den Wellen, die nun immer voller und voller flossen, trotz alles Sträubens und Spritzens doch noch einmal mit hineingezogen in den Strudel des neu erwachten Lebens.

Erst jetzt bemerkte der junge Mann, daß ringsumher ganz neue Parkanlagen entstanden waren, in denen eine Gesellschaft lustwandelte. Auch bildete sich bald ein Zuhörerkreis um die schöne Frau, und ihr Lied entzückte Alle. Ja, ein gutes Mädchen, tief ergriffen, wäre auf der Stelle bereit gewesen, den jungen Mann, von dessen schwerem Herzeleid das Lied so rührend Kunde gab, gar liebreich zu trösten, allein er merkte es gar nicht oder wollte nichts merken, und schlich still davon. Die verhallenden letzten Töne geleiteten den Einsamen. Kaum bog er jedoch um das nächste Gebüsch, so trat ihm – wer entgegen? Niemand anders als unser alter Hausfreund. Der begrüßte ihn herzlich, und wenn er es auch nicht geradezu sagte, aus seinem ganzen Wesen und Benehmen ging deutlich hervor, er wußte Alles. »Aber warum laufen Sie denn vor den heitern Menschen? Das sollten Sie nicht thun. Ich will Sie nicht aufhalten, behüte! Es giebt mancherlei im Leben, womit Jeder am besten allein fertig wird. Sollte Ihnen indessen des süßen Trostes der Einsamkeit am Ende doch zu viel werden, so machen Sie's wie ich. Spiel und Tanz, wissen Sie, sind für meine alten Beine schon lange vorüber, trotzdem war auch ich bei Alborns auf dem Ball. Ich finde immer, es giebt kein besseres Mittel, zu vergessen, daß man allein im Leben steht, als wenn man sich am Glücke Anderer erfreut. Auf Wiedersehen denn! Entweder Sie tanzen das nächste Mal wieder selbst mit, oder Sie setzen sich zu mir in meine Ecke, – ein Gläschen vom Guten kommt da auch hin. Ja noch Eins, Sie sehen so bleich aus, Sie scheinen gar nicht recht wohl zu sein. Wollen Sie nicht zum Doctor gehen? Aber dann wenden Sie sich doch nur ja an unsern alten Medicinalrath. Der hat mir einmal sehr gut gerathen; irre ich nicht, so war es bald darauf, als ich das erste Mal abblitzte. Wir waren beide noch etwas jünger; ein dreißig Jährchen dürften darüber hingegangen sein, viel mehr nicht, bis zu meinem Jubiläum als goldener alter Junggesell ist immer noch ein Ende hin. Aber schon damals hatte der gute Doctor seine besondere Art und Weise mit den Patienten. Denken Sie, daß er mir erlaubte, ihm ein Langes und Breites von meiner Leidensgeschichte – ich hätte bald gesagt, von meiner Liebesgeschichte – zu erzählen? »Seien Sie nur ganz still von Ihren Empfindungen, die kann ich als exacter Mann nicht brauchen. Ich richte mich nach dem, was ich selbst sehe, höre und fühle.« Und nun hat er an mir herum getastet, mich besehen, behorcht und beklopft, von oben bis unten, von vorne und von der andern Seite – ich sage Ihnen, er machte Jagd auf Symptome wie der Specht, der um den Baum läuft und hämmert, als wollte er den Stamm durch und durch schlagen, auf die Würmer in der Borke. Endlich erklärte er: »ja, lieber Freund, beim besten Willen, ich kann nichts finden, und wenn Sie platterdings schon jetzt aus der Welt wollen, müssen Sie sich auf eine andere Extrapost setzen, am gebrochenen Herzen stirbt man in der Wirklichkeit nicht so leicht, wie in den Romanen; ich sollte auch denken, ein Mann wie Sie, ja Jedermann, selbst das weichlichste Frauenzimmer, kann immer noch was Gescheiteres thun, als vor Liebesgram die Schwindsucht kriegen! Da ich mir aber seitdem noch verschiedene andere Körbe holte, zwei ausweichende Antworten ungerechnet, und noch immer nicht Todes verblichen, so mag er wol das Richtige getroffen haben. Und ich gestehe, es thut mir nicht leid. Ich bin nicht auf Rosen gewandelt und habe mir mein bischen spaßhafte Lebensweisheit um keinen billigen Preis erkauft, allein mancher glückliche Familienvater, der einen Haufen Kinder hat und nicht weiß, wie es werden soll, kratzt sich auch bedeutend hinter den Ohren! Ueberall ist dafür gesorgt, daß wir nicht schon hienieden den Himmel haben. Also nochmals auf Wiedersehen – so oder so!«

Und noch immer grünten die Wiesen, obwol nicht mehr ganz so frisch und üppig wie früher, noch immer glänzten die Segel drüben an den steil abfallenden Höhen, und der Strom blinkte hie und da zwischen den Deichen hervor, noch immer strahlte der Himmel in wolkenlosem Blau, nur die Luft war kühler, freilich auch klarer. Man sah Alles so deutlich in der Ferne, die Linie des Horizontes zog sich rein hin im weit geschwungenen Bogen ohne jenen zarten weißlichen Duft, der in der Morgenstunde Himmel und Erde in Eins verschwimmen ließ und nicht auf Bestand des Wetters deutete – es drohte kein Gewitter mehr. Und noch immer lag ein hellfarbiger Teppich um jeden Baum – nur nicht mehr aus Knospenhüllen gewebt, es waren welke Blätter. Taktmäßiges Klopfen schallte von der Tenne, kein Vogel sang, keine Blume blühte mehr, die Sonne ging unter, weiß schimmernde feine Fäden schwebten durch die Luft von Morgen nach Abend, und der »ziehende Sommer«, der an den dünner gewordenen Locken des – nicht mehr jungen Mannes hängen blieb, war kaum zu unterscheiden von dem ersten weißen Haar.

Was er in der Frühe des Tages erlebt, lag weit, weit hinter ihm, wie ein Traum der Jugend. Wol gedachte er noch jenes jungen Mädchens im Garten mit herzlicher Theilnahme, aber ohne Schmerz. »Mag sie recht glücklich sein, wenn auch nicht durch mich!« Und wieder hörte er das Posthorn, aber es klang nicht mehr sehnsuchtsvoll: es war etwas Beruhigendes und doch Jubelndes, Siegesgewisses in dem hellen frischen Ton, der immer lauter und lauter schmetterte ...

Der junge Mann erwachte, rieb sich die Augen, sah nach der Uhr, bemerkte mit Schrecken, wie viel Zeit er auf der Bank unter den blühenden Bäumen verträumt, sprang auf und entfernte sich rasch. Seine Gedanken mochten sich doch wol noch nicht ganz in die Wirklichkeit zurückgefunden haben. Er sah nicht achtsam genug vor sich hin, wo er ging, und da stieß sein Fuß gegen einen der scharfkantigen Holzpflöcke, die in den Boden geschlagen waren, um das Uebertreten auf den Acker zu verhindern. Es war ein empfindlicher Schmerz, aber er wies ihn auf den rechten Weg.

Macht es das Schicksal nicht zuweilen ähnlich mit uns? –

*

 


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