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Es war »höllisch« gemüthlich, sich wieder einzunisten im alten Vaterhause, und dem alten Hause that es auch wohl, sich einmal wieder gründlich – »aufmöbeln« zu lassen. Wie alte – Häuser sind, auch gute alte Häuser, es ist doch alle Augenblick bald hier, bald da etwas nicht recht im Schick, und das bleibt nicht ohne Einfluß auf die Stimmung des Hausherrn und der Hausfrau. Nun sei man aber noch so verstimmt, und es geht mit eins so ein fröhliches Singen und Klingen durch den Flur:
»Weg mit den Grillen und Sorgen!
Brüder, es lacht ja der Morgen
Noch in der Jugend so schön ...«
– Da ärgere sich einer mal weiter, und wenn es auch schon wieder durch das Dach leckt an der Stelle, wo der Maurer nur gestern die Pfannen verstrichen, und wenn die Mine auch ein ganzes Präsentirbrett mit Geschirr an die Erde wirft, obschon ihr hundertmal gesagt ist, sie soll nicht so viel aufpacken, sondern lieber zweimal gehen; der Weg zur Küche ist ja nicht so lang! Selbst die Dienstboten sagten: »es ist gleich ein ganz anderes Leben, nun der junge Herr hier ist!«
Bald hatte sich Karl wieder vollständig eingelebt, und es war so, als sei er nie fort gewesen. – Während der Vormittagsstunden saßen die beiden Mädchen und Karl häufig im Wohnzimmer zusammen. Jeder bei einer besondern Beschäftigung, und doch Alle durch die gemeinsame Gegenwart behaglicher gestimmt. Noch herrschte die Morgenstille im Hause, die auch der kleinsten Lebensregung etwas Bedeutsameres gab. Von Zeit zu Zeit kamen Leute an die Hausthüre, Allerlei für die Küche anzubieten, was Flore entweder kurz abwies oder einhandelte. Die Mutter, den Schlüsselkorb am Arme, wanderte hin und her. Der Verkehr in unserer Straße war nicht lebhaft, nur selten fuhr ein Wagen vorüber. Wollte es aber gar zu still werden, dann stürmten die Kinder aus dem Garten herein, lärmten ein paar Augenblicke, waren aber ebenso rasch, wie sie gekommen, auch wieder draußen – oder eine Wespe flog durch das offene Fenster, summte eine Weile, bald lauter bald schwächer, wie ärgerlich, sich verirrt zu haben, bis sie den Ausgang wieder gefunden,, und dann war abermals Alles gar anheimelnd still.
Ernestinen ging das Filethäkeln hurtig von der Hand. Immer im Umsehen war das feine glatte Hölzchen schon wieder mit den langen losen Maschen bedeckt, und die fertige Reihe wurde abgestreift. Zum bessern Gegenhalt war eine Schnur an der Arbeit, die Ernestine um ihre Fußspitze geschlungen hatte. Ihr zierlicher Fuß ruhte auf einem kleinen Schemel. Agathe zeichnete in dieser Zeit viel, und wenn das weiche Blei in ihrer Hand emsig hin und her ging, wenn sie die schwarzen Körnchen der bröckelnden Kreide von dem schönen Zeichenpapier abblies, oder wenn sie, pausirend, sich ein wenig seitwärts neigte, um die Wirkung des Bildes mehr im Ganzen zu übersehen, das mißfiel Karl auch nicht, wenn er gerade darauf achtete, obschon sie seine Schwester war.
Plötzlich fand Ernestine, daß »das dumme Ding«, die Schnur an der Häkelei, viel zu kurz wäre und versicherte, sie hätte sich schon den ganzen Morgen darüber geärgert. »So drehen wir eine neue längere Schnur,« sagte Agathe.
Nun hatte Karl schon öfter Schnüre in dieser einfachem Weise entstehen sehen, nur gestern noch machten es Mutter und Tante ebenso, aber seinem Scharfblick entging nicht, daß es doch viel hübscher aussieht, wenn zwei junge Mädchen ganz dasselbe thun.
»Wohin drehst du?«
»Zu mir.«
»Schön, dann drehe ich auch zu mir. Aber bitte, laß ja nicht los!«
»Jetzt zusammengeben!«
Die beiden schlanken Gestalten näherten sich, tauschten, weit vorgebeugt, die Enden der Fäden aus und benutzten selbst diese kurze Strecke, um dabei mit Grazie den Tanzschritt zu üben. Als die Schnur fertig, wurden Knötchen eingeknüpft, an jedem Ende eins; und Karl sagte, das wäre auch durchaus nöthig.
»Was weißt du denn davon?«
»Ja, liebe Agathe, das ist immer so gewesen, wenn man etwas recht geschickt angedreht, darf zu guterletzt beim Zusammengeben das bindende Knötchen nicht fehlen. Sind Sie nicht auch der Meinung, Fräulein Ernestine?«
»Ich verstehe Sie gar nicht – das ist mir zu hoch!«
»Da du so sachkundig wie ein Seiler sprichst, lieber Karl, werde ich dir doch wahrhaftig zum Polterabend einen Strick schenken.«
Man lachte, und alle drei fuhren in ihrer Beschäftigung fort: Agathe zu zeichnen, Ernestine Filet zu häkeln und Karl – bequem auf dem Sopha zu sitzen und zu lesen.
Manchmal sangen Agathe und Ernestine auch eins jener zarten Mädchenduetts, die der Student aber für entsetzlich sentimental erklärte. Ein andermal wieder theilte Karl einzelne interessante Stellen aus seiner Lectüre mit. »Was haben Sie denn da Schönes gefunden? Sie sehen ja ganz vergnügt aus?« Wenn Ernestine Jemand lachen oder für sich lächeln sah, mochte sie gar zu gerne wissen, worüber der denn lachte oder lächelte.
»Die Bemerkung ist eigentlich sehr ernsthaft – ja von einer grausamen Wahrheit.«
»Nun lassen Sie doch hören!«
»Ich lese hier von dem vergänglichsten aller Gefühle – der Mädchenfreundschaft.«
»O, das hat sicher ein Mann geschrieben.«
»Und ein recht gescheiter noch dazu.«
»Wir werden beweisen, wie sehr sich die gescheiten Männer irren können.«
»Soll ich Ihnen sagen, wie lange der Beweis vorhalten wird?«
»Bitte, belehren Sie uns aus dem reichen Schatze Ihrer Erfahrung.«
»Bis eine der Untrennbaren – heirathet.«
»Gott, was sich die Herren nicht einbilden!«
»Diese Schwachheiten!«
Ernestine schwebte schon ein spitzeres Wort auf der Zunge, aber sie erinnerte sich noch zu rechter Zeit eines Raths ihrer Mutter. »Kind,« pflegte die kluge Frau zu sagen, »wenn du glaubst, einen besonders guten Einfall zu haben, so recht was Auserlesenes, dann besieh dir die Weisheit doch ja noch mal von der andern Seite, ob sie da nicht sehr dumm aussieht. Denn es ist nicht halb so schade, wenn ein junges Mädchen eine passende Bemerkung verschweigt, als wenn sie etwas Unpassendes sagt.« –
Zuweilen verstieg man sich auch in höhere Gebiete, und den guten Mädchen konnte ganz angst und bange werden, wenn der Student, der »furchtbar« freisinnig war, über die höchsten Fragen des Daseins, über Freiheit und Notwendigkeit, Gott, Tugend und Unsterblichkeit so geläufig und sicher sprach, als wäre in seinem Hefte über Geschichte der neuern Philosophie kein einziger unausgefüllter »Schwanz« gewesen. War aber die Mutter zugegen, so konnten ihre schwachen Augen eine solche Fülle von Licht nicht lange ertragen, und sie ersuchte den kühnen jungen Denker unumwunden: »Karl, thu' mir die einzige Liebe und sei still! es ist nicht mehr zum anhören.« Am merkwürdigsten war die glückliche Elasticität der Jugend, die Karl befähigte, jeder Zeit wieder zur harmlosesten Heiterkeit, ja Ausgelassenheit zurückzukehren, wenn sein starker Geist auch eben bis unmittelbar an die äußersten Grenzen menschlicher Erkenntniß vorgedrungen. Und die erhabensten Ideen, welche seinen Kopf erfüllten, vermochten weder das frische Herz des Jünglings dem Leben zu entfremden, noch einen störenden Einfluß auf seinen Appetit auszuüben. Es schmeckte ihm immer trefflich; mitunter erlaubte er sich den Scherz, bei Mittag die Portionen nach dem Tarif der Speisekarte in seiner Studentenkneipe auszutaxiren, jedoch gab er wiederholt die beruhigende Versicherung, er zöge die Hausmannskost vor, es sei Alles einfach, aber kräftig zubereitet – und auch billiger! Dann freute sich die Mutter, daß er doch zufrieden, und bemerkte nur, er hätte nicht nöthig an ihrem Tische, Löffel und Gabel vorher mit der Serviette abzuwischen; was aber die größere Billigkeit betraf, da hatte die gute Mutter noch ein besonderes Lächeln, das verstand nur der Vater. Die erfahrene Hausfrau hatte sich gleich im Voraus eine Zulage zum Wirtschaftsgelde ausbedungen.
Nach Tische ließ Karl die jüngeren Brüder mit seinen Rappieren Schule schlagen – sie hatten nicht eher geruht, bis er auf ihre Bitten einging, ihnen Fechtunterricht zu geben – oder er sah sich ihre Turnübungen an. Namentlich Max ermunterte er hiezu. »Damit der Junge doch Arme bekommt! Was er bis jetzt hat, ist ja nichts wie dünne Stöcke, Haut und – Mehlspeise.« Wenn er seinen eigenen Arm zeigte und den Unterarm zurückbog, das war freilich etwas Anderes; die straff gespannten Muskeln lagen ihm da »wie Kanonenkugeln!«
»Kommt blos und fühlt mal an!« rief Adolph begeistert die Uebrigen herbei, als er zum ersten Mal mit aufdrückendem Daumen Karl's Armstärke prüfte.
Hierauf zog sich der Student meistens ein Stündchen zurück, um zu – »repetiren«. Er mußte aber die Wiederholung seiner Studien in einer sehr bequemen Stellung vorzunehmen gewohnt sein. Wenn er in der Kaffeezeit wieder zum Vorschein kam, hatte er regelmäßig ein feuerrothes Ohr und eine ebenso rothe Backe, als wenn er darauf gelegen hätte. Geschlafen hatte er aber nicht, denn er bestritt es.
Nachmittags wurde auch oft etwas »unternommen«.
»Kinder, ihr seid ja nur gestern spazieren gefahren.«
»Darum wollen wir eben heute nicht fahren – wir wollen spazieren gehen.«
Während nun zu anderen gewöhnlichen Zeiten es immer gewissermaßen ein Staatsakt, die Familie mobil zu machen, und erst immer der Himmel weiß wie lange gerathschlagt wurde – ob, oder ob nicht ... wohin gegangen und wer dazu aufgefordert werden sollte, betrieben nun der Herr Studiosus und die jungen Mädchen dergleichen ernste Dinge mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Max, Adolph, Bernhard wurden als Eilboten ausgesandt, in einer halben Stunde war die ganze fidele Kompagnie zusammengetrommelt, und je schneller es sich machte, mit je weniger Voranstalten, um so größer war das Vergnügen. – Es schien in diesen Tagen bisweilen, als sei das »Sich amüsiren« ein Hauptzweck des Lebens.
»Nun der Ernst des Lebens klopft ohnehin zeitig genug an, und wenn er einmal anklopft, wartet er nicht, bis Herein! gerufen wird,« sagte unser alter Hausfreund.
Abends saß dann wieder die ganze Familie beisammen. Die Kleinen holten Fußbänke, setzten sich in die Lücken zwischen die Stühle der Großen, faßten des einen Hand oder legten den Kopf auf den Schooß eines Andern und spitzten am meisten die Ohren, wenn Adolph mit seinem stehenden Antrage kam: »Karl, erzähle doch wieder was von Bonn!
»Ach ja! Ach ja!«
Nach Adolph's Ansicht war ein Student das Höchste, wozu es ein Mann bringen könne; was noch weiter folgt über diesen Gipfelpunkt des Lebens hinaus, schien ihm bereits Herabgang, Beginn des Verfalls. Dennoch beobachtete Karl, der vollendete Mann, die zarte Rücksicht des Sohnes, immer erst zu sehen, wie der Vater gestimmt, ehe er so recht loslegte mit Erzählen. Machte er bei diesem kein Glück, so wurde es an dem Abend nichts Rechtes mehr. Zog die Pfeifenspitze aber den Mundwinkel des Hausherrn so eigenthümlich herunter, als wollte sie sagen: »einst ist der Vater auch jung gewesen« – alsdann war gute Zeit, und Karl gab Geschichten zum Besten, immer eine schöner und lustiger als die andere, bis ihm unser Nachbar, der alte Hausfreund, auf die Schulter klopfte und lachte: »Alterchen, renommire aber nicht gar zu kraß! Andere Leute sind auch einmal dabei gewesen.«
Selbst die Mädchen interessirten sich lebhaft für das Studentenwesen, ja Ernestine ließ sich zu der vorschnellen Aeußerung verleiten, es hätte ihr noch niemals leid gethan, kein Mann zu sein, nur das beklage sie wirklich, daß die Mädchen nicht auch so etwas Aehnliches hätten, wie die Männer die schöne freie Studentenzeit. Karl nahm das sofort auf und erbot sich, einen Antrag beim Seniorenconvent einzubringen, wonach es auch jungen Damen gestattet sein sollte, als »weibliche Renoncen« sich den Verbindungen anzuschließen. Indeß lehnten die Mädchen das vorläufig dankend ab. Daß es einst in allem Ernst Studentinnen geben würde, ließ man sich damals noch nicht träumen.
Ferdinand kam nun auch öfter und auf längere Zeit nach der Stadt, und so verschieden beide Brüder waren, sie hingen sehr an einander. Freilich hatten sie auch ihre Neckereien. So wärmte Ferdinand den alten Scherz wieder auf: »Karl liebt die Ordnung, aber es ist eine unglückliche Liebe«, während Karl ihn wieder den »ökonomischen Musterknaben«, »Stoppelhopser« oder schlechtweg »Urphilister« nannte. Ja er behauptete, wenn Ferdinand einmal so weit sein werde, Frau und Kinder ernähren zu können – denn vor dem Leichtsinn, sich früher zu verlieben und zu verloben, sei er sicher – so würde der glückliche Bräutigam ohne Frage seiner Braut den Ring nicht eher anstecken, als bis er ihn ordnungsmäßig gebucht hätte im Conto: »diverse Ausgaben« – mitten unter Strängen, Säcken, Theer und Nägeln.
»Und dabei bin ich jünger als du.«
»Das ist es ja eben! Deßhalb ärgere ich mich so schmählich über dein philiströses Wesen.«
»Allerdings muß es niederschlagend für dich sein, der du noch Student bist und dich erst vorbereitest, ein Philister zu werden.«
»Nein, mein Guter, das werde ich nie werden, dazu muß man geboren sein.«
»Ei, ei, lieber Karl!« sagte der Hausherr, der zufällig die kecke Betheurung mit anhörte. »Ueber Jahr und Tag wollen wir wieder davon sprechen.« Alsdann war nämlich Karl's Triennium abgelaufen; bis dahin sollte er noch auf einer andern Universität studiren. »Es ist schon manchem flotten Burschen seltsam zu Muth geworden, wenn ihm die Freunde das Abschiedslied sangen!«
»O, ich habe ja schon in Bonn erfahren, wie das thut. So schwer wird es mir nirgends werden.«
Karl bemühte sich das mit möglich großer Seelenruhe zu sagen, allein diese Erinnerung stimmte doch den leichten übermüthigen Ton etwas herab, in dem er bisher gesprochen. Nach einer kleinen Pause, während er nachdenklich ausgesehen, klärte sich sein Gesicht wieder auf.
»Ferdinand, mach' mal die Ohren zu, du brauchst nicht Alles zu hören, was dein älterer Bruder spricht; aber dir, lieber Vater, will ich es gestehen: ganz behaglich wird mir der Uebergang nicht sein. Doch ich bin fest entschlossen, mich nicht so leicht zu ergeben im Kampf mit dem Philistertum, und wir wollen mal sehen, wer länger aushält, wenn ich ihm brav zu Leibe gehe – ohne Binden und Bandagen, versteht sich – und immer mit unserm alten Wahlspruch »Frisch, froh – frei!« Auf alle Fälle aber habe ich einen Trost, der mich nicht im Stiche lassen kann. Es heißt im Liede nicht nur: »bemooster Bursche zieh' ich aus« und »sollst selber jetzt Philister sein!« es heißt auch: » Gott grüß' dich wieder, Vaterhaus!«
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