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II.
Knaben und Mädchen.

»Was doch noch einmal aus all' den Kindern werden wird?«
»Mögen sie werden, was sie wollen, – wenn sie nur alle tüchtige Menschen werden«

 

1.
Der Liebling.

Eine jüngere Schwester der Hausfrau war lange bei uns zum Besuch, und das liebenswürdige Mädchen machte sich so viel mit ihrem Pathchen zu schaffen, daß in Kinderkreisen der Nachbarschaft schon die scharfsinnige Vermuthung auftaucht: »der kleine Bernhard hat zwei Mütter.«

Bald saß der Liebling auf dem Arm der jugendlichen Tante, das eine Strümpfchen nachlässig herabgerutscht, bald auf dem Schooß – vielleicht ein wenig schwermüthig, lang hingestreckt wie eine kleine Baßgeige, als hätt' er nicht völlig ausgeschlafen. Bald stand er vor ihr und ließ sich, zu größtem Vergnügen Beider, das dralle festgefügte Körperchen, so recht drucklich unter den Achseln gefaßt, lustig rütteln und schütteln. Bald ließ sie sich haschen und brauchte gar nicht mehr so übertrieben kleine Schrittchen zu machen, sonst hatte er sie gleich; er lief ja alle Tage flinker. Und manchmal kam das feurige Kerlchen unerwartet angerannt und wühlte sich mit dem Krauskopf in ihre Kleider, wie eine Bombe, die platzen will. Reichte er ihr eine Blume zum Riechen, so nieste sie mit unvergleichlicher Naturtreue: »häppschi ... häppschi!« Schenkte Tante Natalie ihm das Vertrauen, ihr Arbeitskästchen »aufräumen« zu dürfen, so wirthschaftete er darin umher, daß Alles wie Kraut und Rüben durcheinander zu liegen kam. Dann wieder ließ sie einen Ring auf der glatten Tischplatte kreiseln, und Bernhardchen, nicht faul, schlug tapfer d'rauf los, daß der schwirrende Goldreif mit herzhaftem Klappern umfiel. So oft er es aber wünschte, drehte die Fröhliche sich auch selbst wie ein Kreisel auf den Zehspitzen herum und kniete mitten im besten Drehen nieder, wo dann ihr Kleid ringsum bauschend weit abstehen blieb.

Von Tante Natalie lernte der kleine Schelm eine Menge Kunststückchen, die ihm die Bewunderung aller Sachverständigen sicherte. »O es ist ein kluges, ein so kluges Kind! Wenn er uns nur am Leben bleibt!« sagte die alte Wärterin sorgenvoll, mit einem so weisen Gesicht, als hätte sie mindestens das Klopfpulver erfunden.

Auf die interessanteste Gesellschaft, die beste Unterhaltung verzichtete Natalie, wenn ihr Liebling bitten ließ, sie möchte doch »zum Tollen« oder ihn ausziehen kommen, und man muß zugeben, es war dies ein Beweis von vieler Güte, wie von großer Vertraulichkeit. Wenn er sich im Schlafe so recht warm gepustet hatte, wie ein kleiner Backofen, dann gefiel er ihr am besten.

Noch mehr. Zu jedem, auch dem Opfer des Daseins bereit für den Auserkornen, ließ sich Natalie mir nichts dir nichts von ihm erstechen und sank tödtlich getroffen mit dem Kopf rücklings auf die Stuhllehne, was den ruchlosen kleinen Pflaumenmus-Blaubart unendlich amüsirte. Da die Unthat indessen glücklicherweise nur mit einem schlappen Reitpeitschchen vollführt zu werden pflegte, war die »ganz Todte« schon immer im nächsten Augenblick wieder lebendig und verzieh nicht nur dem frevelhaften Bürschchen, sie sagte ihm auch noch die größten Schmeicheleien geradezu in's Gesicht: »Du bist ja ein ganz goldenes Jungchen, ein trautstes Schlingelchen, mein einziger süßer Dickus!« Und ist das letzte Beiwort auch kein sehr überschwängliches, so beruhte es doch auf Wahrheit. Von den Rippchen war wenig durchzufühlen; wer ihn aufhob, rief aus: »bist du ein kleiner Klotz!« oder: »das ist Kernfleisch, da ist Wucht d'rin,« und öfter hörten wir von Fremden sagen: »ich möchte bloß wissen, wie die Leute es anfangen, daß sie lauter so starke Kinder haben?« Dazu lächelte die Mutter dann freundlich, aber bescheiden, ohne alle Selbstüberhebung, wie wenn man ihr einen gut aufgegangenen Kuchen lobte. Der Mensch thut, was er kann, allein der Segen kommt von oben!

»Küßchen geben!« So sprach die liebende Psyche zu ihrem pausbäckigen kleinen Amor stets in gewissermaßen exekutivischem Ton, wie er denn auch die Liebkosungen nur mit der Miene halb und halb widerstrebenden Duldens hinzunehmen pflegte. Sein Geschmack für Zärtlichkeiten schien noch ungenügend entwickelt. Man sah, er begriff nicht recht, was das eigentlich auf sich hatte. Für einen bloßen Scherz kam es ihm doch zu gewaltsam vor, wollte die Tante aber beißen, da hätte sie ja eine entsetzliche Heuchlerin sein müssen, diese tückische Absicht unter so weichen, warmen Lippen zu verbergen! – Ein Bonbon wäre Bernhardchen lieber gewesen.

»Warte nur, junger Mann,« und der Vater drohte mit dem Finger, während sein Blick mehr auf Natalie, als auf dem Kleinen ruhte – »es kommt wol die Zeit, wo die schönen jungen Mädchen nicht bei jeder Gelegenheit Lust haben werden, dir um den Hals zu fallen und Küsse zu geben. Ja am Ende wäre, wie der Welt Lauf einmal ist, die umgekehrte Möglichkeit nicht ganz undenkbar. Aber dann geht das nur nicht immer so!«

*

 


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