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»Sie haben wol recht viele Freundinnen?« fragte Frau von Hillerström Agathe.
»Sehr viele, mit denen ich gern zusammen bin ...«
»Nun? aber ...? Ich sehe es Ihnen an, es steckt noch ein Aber im Hinterhalt.«
»Ich habe viele Bekannte, aber nur eine Freundin.«
»Und wer ist die Auserwählte?«
»Ernestine.«
Agathe war nach ihrer Einsegnung bei auswärtigen Verwandten gewesen, um noch Unterricht in einigen Gegenständen zu erhalten, für die sich dort mehr thun ließ, mit einem Wort, um »fertig zu werden«. Dort hatten sich die beiden Mädchen kennen gelernt und schnell herzliche Freundschaft geschlossen. Ernestinens Eltern lebten ebenfalls in der Provinz, und die Freundinnen trennten sich mit dem festen Versprechen baldigen Wiedersehens. Agathe folgte zuerst der dringenden Einladung in die Nachbarstadt, und nicht lange darauf erwiderte Ernestine ihren Besuch.
»Also das ist Ernestine?«
»Ja, das ist Ernestine!« sagte Agathe mit leuchtenden Augen. »Aber ihr müßt sie erst kennen lernen. Wartet nur einen Tag – nur bis morgen früh! Als ich ihr zum ersten Mal in Gesellschaft begegnete, habe ich sie fast auch nicht anders als im Profil gesehen, so steif saß sie neben mir. Damit habe ich sie nachher noch oft geneckt.«
»Sie ist recht hübsch – doch hat sie nicht Sommersprossen?«
»Sie denkt nicht daran.«
»Aber ihr Haar sticht etwas in's Röthliche?«
»Es ist das altdeutsche Goldblond.«
Der Freundin Schönheit noch weiter anzuzweifeln, schien nicht rathsam. Agathe hatte die letzte Berichtigung schon in etwas empfindlichem Tone gesprochen. Um Ernestinens wahren Werth, ihre vortrefflichen Eigenschaften gerecht zu würdigen, bedurfte es näherer Bekanntschaft; die lagen nicht auf der Oberfläche. Aber wer ihr anmuthiges Aeußere nicht sofort auf den ersten Blick gelten lassen wollte, der mußte blind sein, oder war ein absichtlich Mißgünstiger.
Gern kleideten sich die Freundinnen übereinstimmend; da dies jedoch nicht immer ausführbar, trugen sie wenigstens beständig das Haar ganz gleich gemacht. Und was das heißen will, wird jeder wissen, der nur einigermaßen die Bedeutung kennt, welche die Anordnung des Haupthaares für das jungfräuliche Seelenleben hat. Man hätte sie für Schwestern halten können, obwol keine Aehnlichkeit der Gesichtszüge vorhanden. Und ein wahrhaft schwesterliches Verhältniß sprach sich auch in der Ungezwungenheit gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten aus, die ja selbst der innigsten Sympathie nicht ganz fehlen.
»Agathe, manchmal bist du wirklich großartig! Wie kannst du nur so etwas behaupten?«
»Weil ich es ganz genau weiß.«
»Nein, liebes Kind, du bist in einem holden Irrthum begriffen.«
»Gut, wir wollen den Papa fragen, so wie er nach Hause kommt. Der soll entscheiden, wer Recht hat.«
»Schön, damit bin ich ganz einverstanden!«
Und so fand sich in der Regel leicht ein Mittel der Ausgleichung. Nur ein einziges Mal kam es zu ernsterem Mißklang. Da saßen sich die Freundinnen schmollend gegenüber, die Augen niedergeschlagen, wie gedrückt von dem ablehnenden, peinlichen Schweigen – ganze zwei Minuten lang. Dann sprangen beide zugleich auf und umarmten sich mit herzlichem Kuß.
Doch eine vollkommene Uebereinstimmung war bei weitem das Häufigere. Mochte dann berührt werden, was da wollte, immer klang das Wort der Einen harmonisch bei der Andern an. Das galt für kleine, wie für große Dinge. Stickte Agathe mit Wolle oder Seide im Rahmen und war zweifelhaft in Betreff der Farbenwahl, so folgte sie unbedingt dem Rathe, den ihr Ernestine ertheilte, wenn diese in ihrer zuweilen etwas diktatorischen Art sagte: »du nimmst entschieden das mittlere Blau!« Rühmte Agathe ein neues Buch, so rühmte es Ernestine auch. »Es geht ein echt religiöser Sinn durch das Ganze.« – »Und doch ist die Erzählung ungeheuer spannend.« – »Nun eben!« Fand Ernestine einen jungen Mann sehr nett, so fand ihn Agathe auch sehr nett, und war er Agathen »unleidlich«, so war der Bedauernswerthe Ernestinen »unausstehlich«. Als aber einst beide an dem übrigens hübschen Kleide einer vorübergehenden Dame die Ausstellung machten, der Besatz sei nicht breit genug und Agathe fügte noch hinzu: »weißt du, eigentlich müßte unten an der großen Krause noch ein zweites Kräuschen herumgehen,« so stimmte Ernestine auch dieser feinen Bemerkung unbedingt bei: »ja wol, ja wol!« Der kunstsinnige Verbesserungsvorschlag eines kleinen Ansatzkräuschen an die große Principalkrause war ihr so recht aus der Seele gesprochen!
Wie vertraut die Mädchen waren, wie genau sie gegenseitig den Gang ihrer Gedanken kannten, bewies nichts mehr, als daß sie sich so oft in's Wort fielen: »sei nur still, ich weiß schon, was du sagen willst!« Nämlich wenn andere gute Leute zugegen, die es nicht hören durften, und die konnten sich dann den Kopf zerbrechen, soviel sie Lust hatten, während die beiden still glücklich mit dem Lächeln innern Rapports einander ansahen. Was für Staatsgeheimnisse mußten das aber nicht sein, da die Veröffentlichung so bedenklich erschien! Allein dieser hohe Grad des Einverständnisses hatte nicht die Folge, daß sie sich für gewöhnlich auf die stillschweigende Voraussetzung ihres gleichen Denkens und Empfindens verließen. Vielmehr plauderten sie, wie andere gute Mädchen, wo möglich den ganzen lieben langen Tag. Am frühen Morgen, wenn sie die Augen nur aufschlugen, begann das Gezwitscher schon, doch noch gedämpft, wie von einem Nachklang schöner Träume, beim Ankleiden war die Unterhaltung bereits im besten Zuge, und so ging es fort bis zum Abend, ja tief in die Nacht hinein. Wie sich von selbst versteht, schliefen die Mädchen zusammen; ohne das hätten sie nicht das halbe Vergnügen gehabt. Wenn aber Alles im Hause ruhig wurde, daß man die Flamme der Lampe leise knistern hörte, dann kam ein süßer Frieden über das weiche Pfühl herab, und die warmen jungen Herzen schlossen sich bis in die heiligste Tiefe auf. Oder falls das Gespräch unvermuthet auf etwas Komisches kam, war die Heiterkeit nur um so unwiderstehlicher, weil das Lachen im Nebenzimmer nicht gehört werden durfte. Die Mutter hatte gesagt, man geht zu Bett zum Schlafen und nicht zum Schwatzen. Wenn sie sich wieder bis um zwei Uhr Morgens unterhalten würden, sollte Ernestine ein anderes Zimmer bekommen.
Ernestine sprach sich denn auch in ihren Briefen nach Hause nicht unbefriedigt aus. Das Wiedersehen und Wiederzusammenleben mit Agathe war »entzückend«, unser Ort lag »reizend«, das Wetter blieb andauernd »prachtvoll«, Agathe's Mutter war eine »himmlisch gute« Frau und hatte Ernestinen versprochen, sie zu duzen. Alle Anderen aber waren gar freundlich zu ihr – »einzig liebenswürdige Menschen«. Und nun sollten noch, um das Paradies vollständig zu machen – die Schauspieler kommen: »was sagt ihr dazu?« – »Nachschrift«, es war die fünfte, und sie stand auf dem Kopf, nachdem bereits der ganze Rand des Blattes beschrieben: – »mit dem großen schönen Haushund habe ich mich auch schon sehr befreundet, und schickt mir doch den Häkelhaken zum Filetmachen, er liegt in meinem Nähtisch, links in dem zweiten Aushebefach!«
Die gepriesene Liebenswürdigkeit unserer gesammten Hausgenossenschaft mag auf sich beruhen; vor kritischen Blicken würde sie vielleicht weniger Bestand gehalten haben. Doch freundlich waren wirklich Alle gegen Ernestine, und Agathe behielt Recht. Sehr bald wurde ihre Freundin der allgemeine Liebling im ganzen Hause. Die Kinder hingen wie Kletten an ihr. Er war nur Schade, daß der Natur der Sache nach nie mehr als zwei ihre Tischnachbarn sein konnten; sie rissen sich förmlich um die Ehre. – Jugend, Anmuth, Heiterkeit und ein anspruchsloser Sinn sind wol überall gern gesehene Gäste.
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