Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.
Zaun und Fliederbusch.

Der Zaun war ein alter Zaun, und der Fliederbusch war ein alter Fliederbusch. Da paßten die zwei denn gut zusammen, und sie stimmten auch darin überein, daß beide große Kinderfreunde waren.

Die Spalierlatten am Zaun sollten zunächst den Rebstöcken und anderen rankenden Gewächsen zum Anhalt dienen, allein diese brauchten zu viel Zeit, empor zu kommen, die jungen Menschenpflanzen beschickten das schneller! Und der Flieder war schon von Hause aus darauf bedacht gewesen, so zu wachsen, daß man leicht an ihm aufsteigen konnte. Der Schönheit wegen hatte er sich die dicht übereinander abgezweigten Gabeläste, diese Xförmig eingebogenen Kniee gewiß nicht angeschafft. Das war nun so recht was für das kleine Gesindel hüben und drüben! Wie die Engel auf Jakob's Himmelsleiter spazierten sie hinan und hinab. Manchmal saßen ganze Gesellschaften da oben, schwatzten wie die Staare, flochten Kettlein von blauen oder weißen Fliederblüthen, hingen Netze von Gold und Silberpapier in die grünen Zweige, hatten im dichtesten Laub Versteckplätzchen, wo sie kostbare und geheimnißvolle Schätze verbargen, oder studirten in ihren Bilderbüchern; ja die kleinen Mädchen siedelten sich mit ihren Handarbeiten in der luftigen Höhe an, obgleich man sonst den Damensalon nicht auf den Zäunen sucht. Tranken wir aber an schönen Sommertagen den Kaffee in der Laube, und die Tassen und Löffel klapperten, daß es im Nachbargarten zu hören war, da zeigte sich gar oft ein Gesichtchen über dem Zaunrand; denn die Nachtigall ist nicht das einzige wißbegierige Thierchen in der Naturgeschichte; doch hinsehen mußte man nicht, sonst – wutsch! weg war der Lockenkopf, untergeduckt wie die Taucherente im See, wenn der Jäger auf sie anlegt.

Freilich kam hin und wieder auch ein kleines Malheur vor. Splitter und Nägel hakten sich in die Kleidfähnchen und schlitzten sie auf, wo gar kein Schlitz hingehört, und wo der Schlitz sein sollte, wurde er von Harz zugeklebt, der aus frisch eingezogenen kienigen Brettern ausquoll; nur eine gewisse Art blank abgescheuertes »englisch Leder« stand in dem Rufe der beneidenswerthen Eigenschaft – »kein Harz anzunehmen.« Füßchen klemmten sich ein, und die zu dreisten Kletterer mußten den Arbeitsmann um Beistand anrufen: »ach, lieber Jankowski, helf Er mir doch schon herunter!« was der auch gern that. Denn zwischen Kindern und Leuten aus dem Volk ist immer schnell Freundschaft geschlossen. Andere kamen wieder geschwinder an die Erde, als ihnen lieb sein mochte. So glitschte eine junge Dame, die sonst mit großer Sicherheit auf dem Deckbrett des Zaunes herum zu voltigiren pflegte, einmal unversehens aus und fuhr mit Extrapost ohne Postillon hinab. Großen Schaden genommen konnten sie aber nicht haben, da sie sogleich aus dem Garten nach dem Hause rannte. Erst am Halse der Mutter fand sie Worte für ihren Schmerz und brach in Thränen aus: »ich bin vom Zaun gefallen!« – »Hab' ich's euch nicht lange gesagt? – Wo thut's dir denn weh? Nun, weine nur nicht, bis zur Hochzeit ist Alles wieder gut.«

Mehr Gemüthsruhe bewies ein kleiner Fremdling, der bei den Nachbarn zum Besuch, es für überflüssig hielt, zu geselliger Anknüpfung mit unserem Hause sich melden zu lassen oder seine Karte vorauszuschicken. Mit Verschmähung aller Weitläufigkeiten, wie der Apfel sich vom Zweige löst, purzelte er geraden Wegs vom Zaune herunter, stand schnell auf, sah etwas verblüfft aus, überzeugte sich, ob seine hellen Kleider auch die vorschriftsmäßige grasgrüne Signatur erhalten hatten, rieb die Stelle, die am härtesten aufgeschlagen, und mischte sich sofort unter unsere fröhlich spielenden Kleinen, in deren Kreis er mitten hineingeplumpt, wie der Zucker in den Sonntagskaffee. – Eine ungezwungenere Art, sich in Gesellschaft einzuführen, ist doch kaum möglich!

*

 


 << zurück weiter >>