Gottlieb Conrad Pfeffel
Poetische Versuche
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Aurora und Tithon.

                Die Göttin, die der Ost verehrt,
Sie, deren Rosenwagen
Den jungen Tag zur Erde fährt,
Aurora, kurz zu sagen,
Sah oft den Lenz in Tellus Arm
Und niemals ward das Herz ihr warm
Beym Anblick ihrer Küße.

Einst hatte sie zur Hälfte schon
Die graue Bahn durchzogen,
Da fiel ein Fant, wie Venus Sohn
Bewehrt mit Pfeil und Bogen
Und auch so schön, nur nicht so klein,
In einem hohen Cedernhain
Auf einmal ihr ins Auge.

Prinz Tithon war es, den die Jagd
Des Morpheus Arm entrückte,
Und welcher kaum die Göttermagd
Im Karriol erblickte,
Als er ins goldne Hüfthorn sties
Und ein Trompeter-Stückchen blies,
Das Fräulein zu begrüßen.

Aurora gafft und horcht und läßt
Die Füchse sachter traben;
Ihr blaues Aug hängt klettenfest
Auf dem so holden Knaben,
Sein Flammenblick durchbohrt ihr Herz
Und plötzlich kocht ein süßer Schmerz
In allen ihren Adern.

Das Hüfthorn schweigt. Ein Seufzer spricht
Beredter als die Flöte
Des Latous. Im Angesicht
Der Göttin glüht die Röthe
Des höchsten Purpurs. Amor winkt,
Der Buhle fleht; der Wagen sinkt
Und Aeos läßt sich küssen.

Der erste Kuß gieng auf die Hand,
Ein zweyter auf die Wangen,
Der dritte blieb voll Minnebrand
Auf ihren Lippen hangen;
Wohin der vierte sich verlor,
Weis niemand, weil sie Cypripor
Mit Myrtenzweigen deckte.

Kurz, eh der Mond die Erde grüßt,
Erschallt in allen Ohren
Die Zeitung: Junker Tithon ist
Verplempert mit Auroren.
Die Hochzeit folgt am Abend drauf;
Denn bey den Göttern geht der Lauf
Der Dinge nach Sekunden.

Adonis kann so süße Lust
In Cypris Arm nicht fühlen,
Als Tithon an Aurorens Brust
Bey Hymens reinern Spielen,
Und sie rief oft im Wonnerausch;
Ich würde, selbst für einen Tausch
Mit Juno, mich bedanken.

Nun bringt die Lady jede Nacht,
Die sie als Miß verloren,
Mit Wucher ein und wenn die Macht
Des Chronos durch die Horen
Sie dann zur Morgenrunde ruft,
So füllt mit Seufzern sie die Luft
Und weinet helle Thränen.

So schien ein halb Jahrhundert kaum
Mehr als ein Sommermährchen,
Mehr als ein süßer Morgentraum
Dem liebetrunknen Pärchen;
Doch Aeos wird zuerst gewahr,
Daß Runzeln sich und graues Haar
Beym armen Tithon zeigen.

Sie bebet und zum erstenmal
Erblasset ihre Wange,
Ihr Herz zernaget stille Qual
Gleich einer Feuerschlange.
Wie, rief sie, trift der Menschheit Loos,
Auch selbst in einer Göttin Schoos,
Den Liebling ihrer Seele?

Mein Tithon sterblich! Nein er soll
Nicht sterben. Schweigt ihr Klagen,
Versiegt ihr Thränen! Hofnungsvoll
Besteigt sie schnell den Wagen
Und jaget durch das Sternenfeld
Zum Zevs, der unter seinem Zelt
Ein Pfeifchen Knaster schmauchte.

Sir! sprach mit einem tiefen Knicks
Die Göttin: hilf mir Armen!
Dein Machtwort wandle des Geschicks
Entrüstung in Erbarmen;
Mein Tithon altert; schon umzieht
Der Reif sein Haupt und schon verblüht
Der Purpur seiner Lippen.

Sie fällt auf ihr entblößtes Knie:
Ach Vater! hör mein Flehen,
Sie seufzt ihr Halstuch weg, ach, sieh!
In Thränen mich zergehen;
Ein Wort, so krönt Unsterblichkeit
Den Mann, dem ich mein Herz geweiht
Und der mein Herz verdienet.

Die Göttin schweigt. Mit stummer Lust
Betrachtet Zevs die Miene,
Das Rosenknie, die hohe Brust
Der reizenden Blondine.
Doch schnell, man weiß er ist galant,
Faßt er die Schöne bey der Hand
Und hebt sie von der Erde.

Der Wollust süße Thräne nur
Soll Aeos Aug entsinken,
Um auf dem Busen der Natur
Als Diamant zu blinken,
Sprach Zevs: ich hebe deine Pein,
Dein Tithon soll unsterblich seyn
Und dich als Jüngling küßen.

Allein, so wills der ewge Schluß,
Den selbst die Götter ehren,
So oft du ihm den Vollgenuß
Der Liebe wirst gewähren,
So oft, mein Kind, nimmt das Geschick
Fünf Jahre von der Zahl zurück,
Die es ihm wieder schenket.

Unsterblich er, der lange mir
Ein Gott schon war! Wie danket
O Zevs! wie danket Aeos dir,
So lallet sie und wanket
Und stürzt mit frohem Ungestüm
Aufs Angesicht und küßet ihm
Voll Innbrunst den Pantoffel.

Zevs reicht ihr seine Wange hin;
Wie frisch gepflückte Veilchen
Schmeckt ihm der Morgenkönigin
Entzückungsvolles Mäulchen.
Er hebt sie in den Phaeton
Und wie ein Stern rollt sie davon
Durch die saphirne Straße.

Nun denkt sie erst auf halbem Lauf
An des Geschickes Willen;
Da brausen in ihr Seufzer auf,
Die ihre Stirn umhüllen.
O, Liebe! sey du selbst mein Schutz,
So rief sie, daß kein Eigennutz
Je mein Geschenk entweihe.

Froh hält sie blos von Tithons Glück
Erfüllt, vor seiner Grotte;
O Wunder! Schon ihr erster Blick
Verwandelt ihm zum Gotte.
Die Runzeln fliehn, der Schnee zerschmelzt
Auf seinem Haupt und Hebe wälzt
Zwölf Lustern ihm vom Rücken!

Selene, keusche Göttin, leih
Dem Pinsel deine Schatten,
Damit er wahr, doch nicht zu treu,
Den Jubel beyder Gatten,
Des neuen Gottes rasche Glut
Und deiner Schwester Heldenmuth
Fein züchtig schildern möge.

Nur Wieland mahlt mit voller Kraft,
Was Junker Tithon fühlte,
Als das Ferment der Götterschaft
Sein ganzes Ich durchwühlte,
Und als er in dem nahen Quell
Sein Angesicht so glatt, so hell,
So rosenroth erblickte.

Auch sie traut ihren Augen kaum,
Auch sie glaubt nicht zu wachen
Und läßt, was thut man nicht im Traum?
Ihn so viel Schwänke machen,
Daß, eh sie völlig zu sich kam
Der neugebohrne Bräutigam
Um fünf Jahr älter wurde.

Nun stößt sie zärtlich ihn zurück;
»Ach, Freund, laß dich belehren:
Von nun an heißt uns das Geschick
Der theuren Lust entbehren.«
Und itzt thut sie mit leisem Mund
Die Worte des Orakels kund,
Das allzuwahr gesprochen.

Ihr Götter, welch ein harter Spruch
Rief er mit lautem Zagen,
Ha, brächte mir der schwerste Fluch
Des Schicksals größre Plagen,
Als diese Wohlthat? Nein, die Pein
Des Tantalus muß Wollust seyn
Mit meinem Loos verglichen.

Wie, stets Gemahl des holdsten Weibs
Soll ich sie nie besitzen,
Was würde des verjüngten Leibs
Unsterblichkeit mir nützen?
O Zevs! nimm dein Geschenk zurück
Und gönne mir das süßre Glück
In ihrem Arm zu sterben.

Bethörter, du erschreckest mich,
Sprach Aeos, die mit Zittern
Den Mund ihm zuhielt: hüte dich
Das Schicksal zu erbittern.
Ich schätze besser seine Huld,
Nie, nie sollst du durch meine Schuld
Zum andernmal veralten.

Die höchste Wollust bleibt uns doch,
Mein Tithon! unsrer Seelen
Umarmung. Diese können noch
In Liebe sich vermählen
Und was uns Freund! die Sympathie
Verweigert, kann die Phantasie
Den Sinnen leicht vergüten.

Es sey! kann Tithon sich dem Schluß
Aurorens widersetzen?
Nur, Kind! laß ihn mit einem Kuß
Von deinem Mund sich letzen.
Du zauderst? Himmel! kannst du dir,
Grausame Gattin, kannst du mir
Den Abschiedskuß versagen.

Der Fall war kitzlich. Endlich bricht
Ihr zartes Herz. Sie reichet
Dem holden Bettler ein Gesicht,
Dem nichts an Reizen gleichet.
Er stürzt in ihren Arm und sie
Erhebt im Drang der Sympathie
Den Jüngling zu fünf Lustern.

Schnell fährt sie auf. Voll Zorn und Schaam
Schließt sie sich, trotz der Schwüre
Des Frevlers, ein. Am Abend kam
Er flehend vor die Thüre.
Was war zu thun, vom Himmel fiel
Ein Wolkenbruch, die Nacht war kühl
Und Amor half ihm klopfen.

Ihr Gruß war eine Homilie
Von der Enthaltung Tugend.
Ach, Kind! so unterbrach er sie
Mir bangt vor meiner Jugend.
Wie leicht kann das Verhängniß mir
Auch seinen Flattersinn mit ihr
Ins Blut gegoßen haben.

Dann würd ich, von dem Zauberschein
Der Sinnenlust bethöret,
In fremdem Arm ein Herz entweihn,
Das dir allein gehöret.
Ach, Aeos! rette, rette mich,
Ein Wink von dir kann mich und dich
Dem größten Schmerz entreißen.

Fünf Jahre nur, so bin ich Mann,
So hat er ausgesprühet
Der unauslöschliche Vulkan,
Der meine Brust durchglühet;
So wird ein neues Rosenband
Mein Herz, geheilt vom Unbestand,
Auf ewig an dich fesseln.

Vernunft, wie groß ist deine Kraft,
Wie werth sind deine Lehren,
Wenn sie der süßen Leidenschaft
Geheimen Wunsch gewähren!
Aurora horcht voll Andacht zu,
Bald zittert sie für Tithons Ruh
Und bald für seine Treue.

Wohlan, aus Klugheit und aus Pflicht,
Heil ich den armen Kranken;
So denkt ihr Herz und ihr Gesicht
Verdollmetscht den Gedanken.
Es zeigt bey Lunens mattem Strahl
Dem zärtlich lauschenden Gemahl
Den ganzen Himmel offen.

Er fliegt – doch Luna hüllt sich ein
Und Amor schließt die Scene.
Wohlan ich will verschwiegen seyn,
Doch daß die kluge Schöne
Zum Schutz für Tithons Unbestand
Zehn volle Jahre nöthig fand,
Das darf ich nicht verhehlen.

O, wohl dir, trautes Paar! Nun ist
Dein letzter Wunsch erfüllet.
Ach nein, der Hunger, der sie frißt,
Wird nicht so schnell gestillet.
Gleich wie den Strom der Wetterguß,
So schwellt im Busen der Genuß
Der Wollust heißen Strudel.

Bald reizt der Zauber seines Flehns
Die Göttin zum Erbarmen,
Bald findet sie sich unversehns
Des Nachts in seinen Armen,
Bald sinkt sie matt in seinen Schoos
Von langem Ringen athemlos,
Mit unter auch vom Lachen.

Noch hält ihr Auge Cypris Sohn
In Rosendunst gehüllet,
Sie merken nicht, wie sehr sich schon
Des Schicksals Spruch erfüllet;
Herr Tithon dahlt so lang er mag
Und kurz ihn weckt der dritte Tag
Als Greis von achtzig Jahren.

Aurora siehts, wird roth und blaß
Und weint und senkt die Blicke;
Doch Tithon macht kein Auge naß:
Laß, ruft er zum Geschicke,
Der Jugend Lenz mir zehnmal blühn
Und auch zum zehnten werd ich ihn
An Aeos Brust verscherzen.


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