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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Kriegsnot.

»Böse Zeiten werden nach mir kommen«, so hatte manchmal der Prophet gesprochen, da er noch unter den Lebenden wandelte, und der Fürst der Geister hatte kaum die Augen geschlossen, da brach der Sturm los.

Kaiser Karl dem Fünften war es schon längst anzusehen gewesen, daß er nur auf eine Gelegenheit warte, die Pflanzung Luthers mit dem Schwert zu verwüsten. In richtiger Erkenntnis dieser Gefahr hatten sich die evangelischen Fürsten und Stände zu dem schmalkaldischen Bund zusammengeschlossen, und dieser Akt der Notwehr reizte des Kaisers Zorn zu nur noch heißerer Glut. – Karl der Fünfte spielte ein falsches Spiel. Man sah aus allen seinen Bestrebungen und Thaten, daß spanisches Blut in seinen Adern rollte. Unehrlich sowohl den Protestanten als auch dem Papst gegenüber suchte er nur sich und seine Macht in dem Reich, dessen Sprache er nicht einmal verstand.

Nachdem er durch allerlei Spiegelfechtereien den Papst für sich gewonnen, suchte er in Deutschland selbst Hilfe für den beschlossenen Vernichtungskrieg. Der katholische Herzog von Bayern kam auf das Versprechen der pfälzischen Kurwürde sofort gelaufen; andere Klepperfürsten lockte schon ein geringerer Lohn. Schmachvoller aber war die Thatsache, daß der Kaiser selbst aus dem Lager der unter sich uneinigen evangelischen Fürsten Bundesgenossen gewann. Markgraf Hans von Küstrin und Herzog Erich von Braunschweig-Calenberg entblödeten sich nicht, die kaiserlichen Farben zu tragen. –

Mit diesen Eroberungen nicht zufrieden, streckte der Kaiser noch weiter seine Fangarme aus nach dem jungen, feurigen, kraftvollen, hochstrebenden und maßlos ehrgeizigen Herzog Moritz von Sachsen, für dessen Gewinnung der Kaiser die Spannung zwischen ihm und seinem Vetter, dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, ausbeutete, und nicht umsonst. Für den Judaspreis der verheißenen sächsischen Kurwürde verriet Herzog Moritz die Sache des Evangeliums.

Nun, nachdem solche Bundesgenossen für ihn einstanden, machte der Kaiser aus seinen Rüstungen kein Hehl mehr und antwortete den Schmalkaldischen auf ihre Anfrage, was das zu bedeuten habe, mit bitterm Hohn: es gelte, etliche ungezogene deutsche Fürsten, die unter dem Schein der Religion das kaiserliche Ansehen zu Schanden machten, mit der Rute zu streichen.

Da galt es denn, in aller Geschwindigkeit auf den Plan zu treten, um die ihnen zugedachten Rutenstreiche lieber auf des Kaisers Rücken fallen zu lassen.

Und dazu ließ sich die Sache auch ganz an. Unter Anführung des wackern Schärtlin stand bald in Oberdeutschland ein Heer in Waffen, welches nach Vereinigung mit den Sachsen und Hessen auf 47 000 Mann anschwoll; und nun wäre es ein Leichtes gewesen, den in Regensburg sitzenden Kaiser mit seinen 9000 Mann wie in einer Mausefalle zu fangen. Schärtlin brannte auch darauf, aber eine übel angebrachte Bedenklichkeit und Rücksichtnahme auf den neutralen Bayernherzog, dessen Gebiet man nicht verletzen zu dürfen glaubte, vereitelte den Plan. Und das war ein Unglück. Unter dem unnützen Zaudern der Verbündeten gewann der Kaiser Zeit, sein Heer zu verstärken, und Mut, über den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen als Rebellen die Reichsacht zu verhängen.

Nun wurde es Ernst.

Mit Schärtlin vereinigt rückten die beiden Geächteten dem Kaiser entgegen. Es war viel versäumt, aber nichtsdestoweniger hätte der Kaiser der evangelischen Übermacht unterliegen müssen, wenn er nicht einen abermaligen Helfer bekommen hätte in der Unentschlossenheit und Saumseligkeit der Protestanten. Man ließ sich nicht bloß den Winter auf den Leib rücken, sondern gab auch Moritz Zeit, die sächsischen Kurlande zu besetzen und sich huldigen zu lassen als dem neuen Landesfürsten. Nun blieb dem Exkurfürsten Johann Friedrich nichts weiter übrig, als sich von Schärtlin zu trennen und erst sein Land zurückzuerobern.

Schärtlin hatte für seine Armee nichts zu essen und konnte nicht einmal ein festes Winterlager beziehen. Die Städte verloren den Mut, eine nach der andern kroch zu Kreuze, so daß der Kaiser zu Anfang des Jahres 1547 Herr von ganz Süddeutschland war. Bald darauf ging auch das Rheinland für den Protestantismus verloren.

Da wendete sich das Blatt. –

Was ist das für ein Jauchzen und Jubilieren in den sächsischen Landen? Was drängt sich in Hausen das Volk? Was donnern von den Wällen die Kanonen? Was flattern von den Türmen die Fahnen? Was rauschet die Begeisterung, anschwellend von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt?

Da kommt er, der vom Kaiser Geächtete und seines Kurhuts Beraubte, aber von seinem Volk Geliebte, nun noch viel brünstiger Geliebte, da kehrt er zurück in sein der kaiserlichen Bosheit zum Opfer gefallenes Land, und die Liebe seines Volks ist der Triumphwagen, auf dem er feinen Einzug hält, ist das Schwert, mit welchem er den eingedrungenen Feind wirft, ist das Panier, unter welchem er nicht bloß sein eignes Land wieder einnimmt, sondern auch von des feindlichen Vetters Gebiet ein gut Teil unter seine Hand zwingt.

Kurfürst Johann Friedrich, der dem Untergang Geweihte, steigt hoch auf den Gipfel drohender Macht, höher, als er je gestanden. Der Kaiser zittert in Angst und Sorge, und das Gefühl, seinen unwürdigen, schmachvollen Handel mit Herzog Moritz vor den Augen des ganzen Deutschlands entlarvt zu sehen, nahm ihm vollends den Mut.

Er gab seine Sache verloren, und viel fehlte nicht, so verlor er auch noch den Verstand. Denn schon hieß es: die Böhmen stoßen zu dem Kurfürsten! – und geschah dieses, so war allerdings für den Kaiser die Hoffnung aus.

Zu seinem Glück aber und des Kurfürsten Unglück lagen die Böhmen in unbegreiflicher Unthätigkeit, ließen sich alle Vorteile entgehen und das kaiserliche Heer aus Böhmen herausschlüpfen hinter dem Kurfürsten drein.

Mit nur 9000 Mann lag dieser bei Mühlberg an der Elbe, sorglos und nichts Böses fürchtend, denn die abgebrannte Elbbrücke hielt er für einen genügenden Schutz.

Doch was hilft alles Abbrennen der Brücken, wenn der Verrat dem Feind eine Furt zeigt, wo man der Brücke entbehren kann? Der Name des Müllers Strauch ist auf ewige Zeiten gebrandmarkt und mit Schmach bedeckt. Aus Rache, weil ihm kurfürstliche Reiter die Pferde aus dem Stall gezogen, opferte der Bube seinen Landesherrn und die Zukunft seines Herrscherhauses.

Es ist ein stiller, friedlicher Morgen, der Morgen des Sonntags Quasi modo geniti, den 24. April 1547. Andächtig sitzt der fromme Kurfürst zu Mühlberg in der Kirche und hört das Evangelium. Da plötzlich wird ein Geräusch hörbar, das näher und näher kommt und die Andacht stört. Wehe, das ist der Feind!

Alles rennt in wüster Bestürzung auseinander; kein Kommandoruf wird gehört, keine Ordnung ist möglich. Es ist ein wildes Fliehen, stracks nach der Lochauer Heide zu. Wohl gelingt es der Donnerstimme des kurfürstlichen Feldherrn, noch im Fliehen etliche Reihen zu sammeln und zur Deckung des Rückzugs die Reiterei zu ordnen. Aber der Übermacht des Feindes vermag alle Tapferkeit nicht zu widerstehen. Das kurfürstliche Heer wird teils niedergehauen, teils zerstreut, und der Kurfürst selbst, der sich ritterlich verteidigt, empfängt von einem ungarischen Säbel einen Hieb in die Wange, daß das strömende Blut den fernern Widerstand unmöglich macht. Er giebt sich gefangen, und fast wie Verzweiflung spricht es aus seinen verglasten Augen.

Da kracht vom Himmel ein Donnerschlag, alles schrickt zusammen über das unvermutete und in der frühen Jahreszeit doppelt seltsame Gewitter. Des Kurfürsten Antlitz aber bekommt neues Leben, und mit starker, heiterer Stimme ruft er zum Himmel hinauf: »Ach ja, du alter, starker Gott, du lassest dich hören, daß du noch lebst, du wirst es wohl machen!«

Höhnend aber schleppen ihn die ungarischen Reiter vor den Kaiser, der ihn mit einem Blick empfängt, in welchem Freude, Stolz, Zorn und Spott sich mischen.

Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen war ein Gefangener des Mannes, der gedroht hatte, das Evangelium mit Stumpf und Stiel auszurotten, und sein Kurfürstentum war für ihn und seinen Stamm unwiederbringlich verloren.


Zu Wittenberg rannte in Angst und Schrecken das Volk durcheinander: Rette sich, wer kann – der Kaiser kommt! Und vor dem Kaiser her lief das Gerücht, er wolle der Stadt des Erzketzers seinen ganzen Zorn fühlen lassen, Wittenberg solle von dem Erdboden verschwinden, da es nicht wert sei, von der Sonne beschienen zu werden.

Wer da zu allererst die Flucht ergreifen zu müssen glaubte, das war die Witwe des »Erzketzers«. Ach, sie war kaum erst wieder warm geworden in Wittenberg, denn schon einmal hatte sie mit vielen Bürgern fliehen müssen, als im Dezember des vergangenen Jahres Herzog Moritz bis vor Wittenberg drang und sich vor die Feste legte. Sie hatte mit den übrigen Entwichenen in Magdeburg Schutz gefunden, bis der herbeigeeilte Kurfürst seine Stadt gerettet und die Geflohenen zurückgerufen hatte. Nun galt es zum andernmal fliehen und Abschied nehmen von dem heimatlichen Herd – gewiß für immer, denn was war nach der Gefangenschaft des Landesherrn und jener Drohung des Kaisers für Wittenberg noch Gutes zu erhoffen? –

Die Flucht war voller Mühsal und Beschwerde, denn in der allgemeinen Not dachte jeder nur an sich selbst und seine eigne Rettung. Nach vielem vergeblichen Bitten und Flehen hatte sich endlich ein Bauer willig finden lassen, die Witwe mit ihren vier Kindern aus seinen Wagen zu nehmen.

Es ging in rasender Eile über Stock und Stein, daß den Insassen Hören und Sehen verging. Mit wütigen Schlägen fiel die Geißel auf den Rücken der armen Rosse, denen der Atem versagen wollte und doch keine Minute Ruhe vergönnt ward zum Verschnaufen, als säße ihnen der Feind bereits auf dem Nacken.

Vier volle Stunden war es so gegangen, und der Abend dämmerte herein. Der Weg führte eine Anhöhe hinauf, steil und voller Steine. Die Rosse weigerten sich, die letzte Kraft war erschöpft. Doch der Fuhrmann zwang sie durch erneute Peitschenhiebe zu weiterer Anstrengung. Da that das eine einen kurzen kläglichen Schrei und stürzte mit blutspeiendem Maul leblos zu Boden.

Der Fuhrmann war außer sich und schalt einmal auf das elende Tier und dann wieder auf den Kaiser und zuletzt auf die Insassen des Wagens, die mit ihrem Gewicht die Rosse überbürdet hätten.

Katharina stieg mit ihren Kindern von dem Karren herab, und der Fuhrmann hatte nichts dagegen.

Ratlos stand die Witwe nun unter freiem Himmel: hinter sich eine große Kiste mit ihrer geflüchteten Habe, vor sich die Nacht. Was soll geschehen? Ringsum alles still, kein menschliches Wesen zu erspähen! Dazu hängt der Himmel voll schweren Gewölks, und es geht bereits feucht hernieder. So ist es eine Unmöglichkeit, hier unter freiem Himmel zu übernachten.

Doch nicht gar lange währt die Unentschlossenheit. Katharina winkt ihren Söhnen, daß sie mit helfen die Truhe zu erbrechen, dann ladet sie einem jeden auf, soviel er tragen kann, und tröstet die verzagenden Kinder. »Lasset uns in Gottes Namen ziehen! Wir stehen überall in Gottes Hut, und er wird uns nicht verlassen.«

Sie schritten rüstig fürbaß, und nach halbstündiger Wanderung zeigte ihnen ein aus der Dämmerung aufschimmerndes Licht den Weg zu Menschen.

Bald war ein Dorf erreicht, und gleich in dem ersten Haus, an das sie pochten, öffnete sich ihnen die Thür zu mitleidigem Empfang.

»Allmächtiger Gott, Frau Doktorin«, rief es aus dem Hintergrund der niedrigen, von einem Kienspan spärlich erleuchteten Stube den Eintretenden entgegen.

»Herr Magister!« antwortete es mit gleichem Erstaunen aus Katharinas und der Kinder Munde. Und die verlassene Witwe hatte den Mann gefunden, der ihres seligen Gatten treuster Freund gewesen war: Philipp Melanchthon.

Es ergab sich, daß diesen ein ähnlicher Unfall in dieses Dorf verschlagen hatte, da sein Gefährt unterwegs in einen Graben gefallen und zerbrochen war.

Die guten Bauersleute, welche aus Melanchthons Rede erfuhren, wer die Frau und wes die Kinder seien, konnten sich gar nicht genug thun in ehrfurchtsvoller Liebe und brachten herzu, was Küche und Keller zur Erquickung der Verschmachteten hergab, trösteten auch die lieben Gäste, wenn diese sich fragten, wie sie die Reise fortsetzen sollten, und bereiteten ihnen für die Nacht ihre eignen Betten, indem sie sich im Stroh der Scheune ein Lager suchten. Die Gäste wollten solches Opfer nicht annehmen, aber sie drangen mit ihrer Weigerung nicht durch.

Am andern Morgen, ehe noch die Sonne aufgegangen war, schirrte der Bauer sein Rößlein vor den Wagen und brachte seine Schützlinge glücklich bis Magdeburg.

»Unsres Herrgotts Kanzlei«, sagte Melanchthon, als sie durch das düstere Festungsthor fuhren. »So hat Euer seliger Herr die Stadt gar oft geheißen. Wer hätte damals gedacht, daß auch wir sie würden aufsuchen müssen als Zufluchtsstätte der Verfolgten! Gott aber sei Dank, daß in diesen betrübten Zeiten solche Herrgottskanzlei vorhanden!«

Katharina fand in der Stadt eine große Zahl von Wittenberger Bekannten, unter andern auch den Professor der Theologie Georg Major, einen lieben Freund ihres seligen Gemahls, an den sie sich nun enger anschloß, da Melanchthon wegen der ihm obliegenden Fürsorge für andere Geflüchtete sich ihrer weniger anzunehmen vermochte.

Auch hier in Magdeburg nahm die Liebe Luthers Witwe und Kinder mit offenen Armen auf und bereitete um ihretwillen auch ihrem Begleiter und Beschützer ein gastliches Unterkommen. Einer der Ratsherren bot alles auf, um feine lieben Gäste vergessen zu machen, daß sie hier in der Fremde seien und nicht in der Heimat. Mit rührender Freundlichkeit bat er im Verein mit seiner Frau, die Witwe möchte mit den Ihrigen für immer bei ihnen wohnen bleiben, da das große, weitläufige Haus Raum genug böte. Wer wüßte denn auch, ob sie jemals nach Wittenberg würde zurück können; und der Katharina war es nicht möglich, der Dringlichkeit der Bitte zu widerstehen, daß sie langsam die Zusage gab.

Aber kaum war das geschehen, als der Professor Major, von einem Ausgang heimkehrend, die Schreckenskunde brachte, der Kaiser habe der Stadt Magdeburg wegen ihrer Aufnahme der geflohenen Wittenberger die Reichsacht angedroht.

Alles stand stumm und starr, und die Herzen, die sich eben zur Freude hatten heben wollen, sanken zurück in noch viel tiefere Traurigkeit.

Die ganze folgende Nacht hat Katharina schlaflos zugebracht. Sie rang mit sich, sie rang mit Gott um Licht: wohin nun gehen? Wo in der weiten Gotteswelt ist der Ort, da die arme Witwe des deutschen Reformators ihr Haupt hinlege?

Am andern Morgen ganz in der Frühe begab sie sich zu dem Professor Major, der sie sehr niedergeschlagen empfing.

»Mein lieber Herr Professor«, sagte Katharina, indem sie ihm die Hand reichte, »es ist mir diese Nacht ein Entschluß gekommen, den auszuführen ich Euch um Euren Beistand bitten möchte. Es ist klar und sonder Zweifel, daß wir hier zu Magdeburg nicht können bleiben.«

Major unterbrach sie: »Gott sei's geklagt, wir müssen hinweg aus dieser lieben Stadt und von diesen guten Leuten. Aber wohin sollen wir uns wenden?«

»Höret mich an, lieber Herr Professor!« fuhr Katharina fort. »Nirgends werden wir Ruhe finden in dem Land, da Kaiser Karl regieret! Seine Drohung wird uns überallhin auf dem Fuß folgen, sonderlich mir und meinen Kindern. So meine ich, wir müssen dahin fliehen, wo sein Arm uns nicht erreichen kann.«

»Was meinet Ihr, Frau Doktorin?« fragte der Professor mit großen, scheuen Augen.

»Es ist ein weiter Weg, den ich im Sinn trage«, fuhr Katharina fort, »aber ich scheue ihn nicht, denn das Ziel wird alle Mühsal reichlich lohnen. Nach dem Norden stehet meines Herzens Verlangen, dorthin, wo unter König Christians Panier dem Evangelium ein sicherer Ort bereitet ist. Zu dem Vorkämpfer des evangelischen Glaubens, der dem Doktor Martinus Freundschaft und Treue gehalten, will ich mich flüchten und bin desselbigen in guter Zuversicht, daß er sich der armen Witwe Luthers gnädiglich erbarmen wird.«

Der Professor hatte mit wachsendem Erstaunen zugehört und drückte nun der Frau Katharina freudig bewegt die Hand. »Ich billige Euren Gedanken, werte Frau Doktorin, und wünsche Euch Glück zur Reise.«

Mit etwas verlegenem Lächeln sah die Katharina dem Professor ins Gesicht. »Eines muß ich noch hinzufügen, was zur Vollführung des Entschlusses erforderlich. Da das hilflose Weib solche weite Reise nicht allein machen kann, so ergehet an Euch meine inständigste Bitte, Ihr wollet mir die Liebe anthun und das Opfer bringen, mein Geleitsmann und Beschützer zu sein.«

Einen Augenblick neigte der Professor nachdenklich den Kopf, dann sagte er im Ton fester Entschlossenheit: »Es geschehe, wie Ihr begehret, liebe Frau Doktorin!« –

Am andern Morgen hielt vor dem Haus des Ratsherrn ein mit Segeltuch überspanntes Wägelein, das führte die Flüchtlinge von dannen.

Die Reise ging ungefährdet bis Braunschweig. Da legte sich ihnen ein neues Hindernis in den Weg: die zuvorkommende Freundlichkeit und Ehrerbietung des Rats der Stadt, welcher von dem Magdeburger Ratsherrn erfahren hatte, wer die Flüchtlinge seien. Man suchte der Katharina ihre Absicht auf Dänemark auszureden und sie mit der Hoffnung besserer Zeiten zu trösten; doch stand sie zu fest in ihrem Entschluß und drängte ihren Beschützer zu baldigem Aufbruch.

Auf einem gemieteten Fuhrwerk ging die Reise weiter. Von Zeit zu Zeit begegneten ihnen Rotten von Landsknechten, und der Professor machte ein bedenkliches Gesicht, denn er hatte die kaiserlichen Farben bemerkt. Auch Katharina wurde ängstlich und drängte den Fuhrmann zur Eile, daß man nur erst den in der Ferne sichtbar werdenden Flecken Gifhorn erreichte.

Damit wurde aber die Sache nicht besser, denn je näher man dem Flecken kam, desto mehr Kriegsvolk kam zum Vorschein, und in dem Flecken selbst war ein solches Gedränge von Soldaten und Troß, daß die Reisenden nur mühsam vorwärts zu kommen vermochten.

Noch schwieriger war eine Herberge zu finden, und mit bangem Herzen sah Katharina das rastlose Mühen des Professors, der um ihretwillen sich ganz hinopferte. Es war ihr, als verlöre sich das Ziel ihrer Reise, das sie schon so nahe glaubte, in eine nebelhafte, unerreichbare Ferne, und sie hatte bereits nach bitterem, schwerem Kampfe Abschied genommen von ihrer schönen Hoffnung, als sie am Abend dieses Tages zu dem Professor sagte: »Ich kann das nicht länger sehen, wie Ihr um meinetwillen Mühe und Arbeit habet. Lasset uns wieder umkehren, denn es mehret sich die Fährlichkeit, und nach Dänemark zu gelangen scheinet unmöglich.«

Professor Major nickte bekümmert. »Was ich thue, thue ich gern und um Gotteswillen, doch auch ich sehe ein, daß uns die Umkehr geboten.«

Am folgenden Morgen trat man die Rückreise an, ohne noch zu wissen, wohin man sich wenden und wo man bleiben solle.

Gegen den Mittag kehrte man in einer Dorfschenke ein, um ein wenig zu essen. In der Gaststube saß bei einem Stück Schwarzbrot und Käse ein ältlicher Mann, der nach seinem Aussehen als ein fahrender Händler kenntlich ward.

Man grüßte sich und that die üblichen Fragen: Woher? Wohin? Da kam's heraus, daß der Fahrende aus Torgau kam, von ihm konnte man also Nachricht einziehen über das Geschick der Stadt Wittenberg.

»Es ist gegangen wider alles Erwarten«, fing der Händler an. »Denn dem Kaiser lief das Gerücht vorauf, er wolle »das Brutnest der Ketzerei« seinen ganzen Zorn fühlen lassen. Ist nun aber dennoch sehr gnädiglich gefahren und mit echt kaiserlichem Sinn. Wäre freilich auch ein Schurke und Bube gewesen, wo er anders gehandelt hätte, denn sein Wort muß man halten, zumal wenn man ein Kaiser ist.«

»Wie meinet Ihr das, Herr?« fragte der Professor dazwischen.

»Kennet Ihr vielleicht den Lukas Kranach«, fuhr der Erzähler fort, »den kurfürstlichen Hofmaler?«

»Wie sollten wir den nicht kennen?« riefen der Professor und Frau Katharina zugleich.

»Nun sehet, dieser Mann ist der Erretter der Stadt. Ist kühn in das kaiserliche Lager gedrungen, gerade auf das kaiserliche Zelt zu und hat sich durch die Trabanten hindurch den Zutritt erzwungen. Ist dann demütig und doch mit mutigem Vertrauen auf die kaiserliche Majestät zugeschritten und hat dieselbe gemahnet an ein Wort der Zusage, welches sie einstmals ihm, dem Maler, gegeben. Weiß nicht, welches Wort das sei; aber die Folge und Wirkung ist gewesen, daß der Kaiser über die Maßen säuberlich mit der Stadt Wittenberg gefahren.«

»Ha, ich verstehe!« rief der Professor Major lebhaft. »Kranach hat es mir einmal erzählet, wie er vor langen Jahren mit dem jetzigen Kaiser Karl dem Fünften, da derselbe noch ein Knabe war, zusammen getroffen sei. Irre ich nicht, so war Kranach vom damaligen sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen als Abgesandter nach Mecheln in den Niederlanden abgeordnet worden, wo damals Kaiser Maximilianus Hof hielt. Bei dieser Gelegenheit nützte der Kaiser die Kunst des berühmten Malers für sich aus, indem er sich von demselben abkonterfeien ließ. Danach begehrete der junge Prinz Karl, dem damals schon die deutsche Kaiserkrone zugedacht war, gleichfalls gemalt zu werden; bat dahero den Herrn Kranach inständig und versprach, auch recht fein stille zu sitzen. Solches Versprechen hielt aber der unbändige Wildfang schlecht, denn er verlor bald die Geduld und machte dem Künstler große Mühe. Dennoch gelang dem Meister das Konterfei sehr wohl, und in seinem kindlichen Entzücken sprach der Prinz, dem Kranach die Hände drückend: »Meister Lukas, wo ich auch einstens ein Fürst sein werde, wie mein Oheim, und Ihr habet einen Wunsch, so bittet nur, und Ihr sollet es empfahen. Hier habet Ihr meine Hand darauf!« – So hat es mir Kranach erzählet. Ach, nun ist nach vielen, vielen Jahren doch noch ein Tag gekommen, wo er den Fürsten an sein Fürstenwort erinnern konnte! Kranach, du Edler, du Großer, für dich hast du nichts erbeten, an dich hast du nicht gedacht, nur für andere hast du deine Fürbitte eingeleget! Darin bist du dem ähnlich, der dich zu seinen besten Freunden zählte, dem seligen Doktor Martinus!«

Tief bewegt wischte sich der Händler eine Thräne aus dem Auge und sagte: »Ja, das muß ein Edler und ein Großer sein, der also sich selbst vergißt und opfert für seine Vaterstadt. Und doch ist es dieses noch nicht einmal allein, das er gethan. Es wird weiter erzählet, der Kaiser habe ihn sehr gnädig ausgenommen und ihm die lockendsten Anerbietungen gestellt, in seine Dienste zu treten als sein Hofmaler; Kranach aber habe solche Darbietungen dankend abgelehnt und dafür etwas anderes erbeten, dieses nämlich: kaiserliche Majestät wolle mit seinem gefangenen Herrn, dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, glimpflich fahren und als Sieger Großmut gegen ihn üben; er habe von ihm viel Gutes und Wohlthat empfangen, so müsse er ihm dankbar sein und das Seine thun, ihm sein betrübtes Loos zu lindern.«

Katharina hatte mit thränenden Augen zugehört, auch der Professor saß mit tief gerührtem Herzen, und ein langes Schweigen folgte der Erzählung des Fahrenden, bis Katharina, zu diesem gewendet, sprach: »Der Stadt ist Schonung widerfahren, aber eine Sorge drücket noch meine Seele: welches Schicksal die Gebeine meines geliebten – – –«

Sie vollendete den Satz nicht, sie hing mit angstvoller Erwartung an den Mienen des Händlers.

»Sorget nicht, vielliebe Frau Doktorin!« tröstete der Mann. »Wohl ist Herzog Alba, der Mann mit dem Pergamentgesicht und dem steinernen Herzen, heftig in den Kaiser gedrungen, er solle des Erzketzers Überreste in alle Winde zerstreuen; der Kaiser aber hat ihn hart angelassen: ›Ich führe Krieg mit den Lebendigen und nicht mit den Toten;‹ er hat sogar seinen Soldaten verboten, den lutherischen Gottesdienst zu stören, und Bugenhagen hat ohn' alle Anfechtung in Gegenwart vieler spanischer Soldaten über den evangelischen Glauben gepredigt, ja sogar eines Tags den Kaiser selbst unter seinen Zuhörern gesehen.«

Katharina atmete tief auf und drückte dem Überbringer dieser Botschaft herzinnig beide Hände. – – –

Drei Tage später knieete an dem Grabe Luthers in der Wittenberger Schloßkirche eine Frau mit ihren vier Kindern und betete unter vielen Thränen. Das war ihr erster Gang gewesen, nachdem sie durch das Thor der Stadt getreten. Jetzt erst, nachdem sie sich überzeugt, daß die ihr heiligste Stätte unentweiht geblieben sei, begab sie sich nach ihrer Wohnung, dem Augustinerkloster.

Da sollte ihr nun freilich ein trübseliger Anblick werden. Auf Luthers Wohnung hatte sich des Kaisers Verbot nicht mit erstreckt, und so sollte denn der Ort, wo der »Erzketzer« gehaust hatte, der Schauplatz wüster, gemeiner Zerstörungslust der welschen Soldateska werden. Das Hausgerät war zum allergrößten Teil zertrümmert, die Keller ihrer Vorräte entleert und die Wände mit Schelmenreimen verunreinigt.

Die Kinder erhoben ein lautes Wehklagen, Katharina aber war still und ging mit fest zusammengepreßten Lippen daran, sich auf den Trümmern ein neues Heim zu bauen.


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