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Fünfzehntes Kapitel.
Die Einsame.

In dem Hinterstüblein, jenem berühmten Gemach hart am Wallgraben, aus welchem heraus Luther das Papsttum gestürmt hatte, sitzt Frau Katharina ganz allein. Der Doktor ist nicht anwesend – bereits seit fünf Monaten weilt er fern von Wittenberg auf der Feste Koburg, wohin ihn der Kurfürst mitgenommen, um dem Reichstag zu Augsburg, dem er wegen der noch auf ihm liegenden Reichsacht nicht beiwohnen durfte, doch nahe genug zu sein, um die evangelischen Bekenner mit seinem Rat zu unterstützen und mit seiner Geisteskraft zu ermutigen.

Obwohl der Reformator um seines Amtes willen gar oftmals abwesend sein mußte, so konnte sich Katharina doch nimmer an die Einsamkeit gewöhnen. Ihrem Leben war die Weihe genommen und der Schmelz abgestreift, wenn sie nicht ihres lieben Ehegatten Antlitz sah und seine Stimme hörte. Sie lebte nicht sich selbst, sie lebte nur für ihren Mann, noch mehr: sie lebte von ihm, wie der Säugling von der Mutter. Alles, was ihrem Dasein den Inhalt gab, alles, was ihr das Leben lebenswert machte, das war von ihm. Sie hatte erst erfahren, was eigentlich Leben sei, seit sie unter dem Schatten des großen Mannes saß. »Unter dem Schatten«, sagen wir, denn nicht glänzen und prahlen wollte sie vor der Welt, als die Gattin des größten und berühmtesten Mannes, sondern sich beschatten zu lassen von seiner Größe, zu nehmen und zu empfangen aus der Fülle seines Reichtums, das achtete sie in edlem Hochgefühl als ihr beneidenswertes Vorrecht; und sich selbst vergessend ihm zu dienen als sein treues Weib, ja wie eine Magd, das erschien der Demütigen als die seligste Pflicht, darin suchte sie ihr größtes Verdienst.

In allen Tonarten hat darum auch der in ihrem Besitz glückliche Gatte ihr Lob gesungen. »Ich habe ein fromm und getreu Weib, auf welches sich des Mannes Herz verlassen darf, wie Salomo sagt: Sie verdirbet mir nichts. Sie ist mir willfährig und in allem gehorsam und gefällig, mehr, denn ich hätte hoffen können. Ich kann keine gehorsamere Frau bekommen, müßte mir denn eine aus Stein hauen lassen. Habe darum meine Käthe lieb, ja ich habe sie lieber, denn mich selber, das ist gewißlich wahr; ich wollt' lieber sterben, denn daß sie und die Kindlein sterben sollten. Ich achte sie teurer, denn das Königreich Frankreich und der Venediger Herrschaft und möchte sie um des Krösus Schätze nicht tauschen. Denn das ist die höchste Gnade und Gabe Gottes, ein fromm, freundlich, gottesfürchtig und häuslich Gemahl zu haben, mit der du friedlich lebest, der du darfst all dein Gut und was du hast, ja deinen Leib und Leben vertrauen.« –

So waren die beiden Eheleute ein Herz und eine Seele, so gehörten sie zu einander wie zwei Hälften einer Persönlichkeit. Kann es uns nun Wunder nehmen, daß der Katharina in Abwesenheit des Gatten ihr Haus so öde und einsam erschien, obschon es darin von all dem Gesinde und den Kostgängern Geräusch und Leben genug gab? Auch die Gebrüder Peter und Hieronymus Weller, welche die Fürsorge des Gemahls ihr zum Schutz und Beistand in dem Haus zurückgelassen hatte, konnten ihr den Mangel nicht ausfüllen. Es gab nur einen Luther in der Welt, wie es nur eine Sonne am Himmel giebt. Geht diese unter, so ist es Nacht, und all die tausend Sterne samt dem Mond mögen sie nicht ersetzen. –

Katharina hatte eine Näharbeit vor sich, Hänschens Röcklein, das an den Ärmeln schadhaft geworden war, aber ihre Gedanken waren nicht bei der Nadel.

Sie legte endlich das Handwerkszeug beiseite und ging an die Truhe, kramte in den Papieren und brachte bald eine Mappe von gelbem Leder hervor mit den Briefen, welche sie aus Koburg und Augsburg empfangen hatte. Obwohl sie dieselben schon fast auswendig konnte, las sie sie doch noch einmal, und auf ihrem Antlitz malte sich stille, innerliche Freude, wie Abendsonnenschein auf der sommerlichen Flur, denn aus diesen Briefen trat es ihr in einem sichtbaren Bild und Zeugnis äußerlich vor die Augen, was sie still drinnen im Herzen als beseligendes Gefühl getragen hatte: daß der Doktor Martinus seine Käthe mit wahrer, ganzer, voller Liebe umfange und auch anderer braven Männer Verehrung ihr nicht mangele.

Sie konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, da sie den ersten Brief zur Hand nahm, denn da schlug der Doktor einen so herzfröhlichen, scherzhaften Ton an, daß aus jedem Wort zu spüren war, wie wohl er sich fühle auf der hohen Warte, im »Reich der Vögel«, wie er sich ausdrückte. Der Brief lautete so:

»Gnade und Friede in Christo. Meine liebe Käthe! Wir sind wohlbehalten auf unserm Sinai angekommen, aber wir wollen einen Tabor daraus machen und hier drei Hütten bauen, dem Psalter eine, den Propheten eine und dem Äsop eine. Zuvor aber schreibet Dir Dein alt Liebchen, auf daß Du wissest, wie der Doktor Martinus nun gar ein König worden sei, oder zum mindesten ein Fürst, und in einem hohen Schloß Hause mit dreißig Dienstleuten in bunten Röcken, wie Papageien anzuschauen, dazu zwölf Wächtern und zween Hornbläsern auf den Zinnen. Sonsten ist es allhier sehr still und recht angethan zum Studieren, ohne daß draußen in der Luft ein unermüdlich stark Getümmel vernommen wird. Es ist nämlich ein Gehölz dicht vor unsern Fenstern hinunter, wie ein kleiner Wald, da haben die Dohlen und Krähen einen Reichstag hingeleget. Da ist ein solch Zu- und Abreiten, ein solch Geschrei Tag und Nacht ohne Aufhören, als wären sie alle trunken, voll und toll. Da kaket jung und alt durcheinander, daß mich wundert, wie Stimme und Odem so lange mögen währen; und möcht' gerne wissen, ob auch solches Adels und reisigen Zeugs noch etliche bei Euch wären, denn mich dünket, sie seien aus der ganzen Welt hieher versammelt. Ich habe ihren Kaiser noch nicht gesehen, aber sonst schweben und schwänzen der Adel und große Hansen immer vor unsern Augen, nicht sehr köstlich gekleidet, sondern einfältig in einerlei Farbe, alle gleich schwarz und alle gleich grauäugig; singen auch alle einen Gesang, doch mit lieblichem Unterschied der Jungen und Alten, Großen und Kleinen. Sie achten auch nicht der großen Paläste und Säle, denn ihr Saal ist gewölbt mit dem schönen, weiten Himmel, ihr Boden ist eitel Feld, getäfelt mit hübschen grünen Zweigen; so sind die Wände so weit, als der Welt Ende. Sie fragen auch nicht nach Rossen und Harnischen, sie haben gefiederte Ruder, damit sie auch den Büchsen entfliehen und einem Zorn entweichen können. Es sind große, mächtige Herren; was sie aber beschließen, weiß ich noch nicht. Soviel ich aber von einem Dolmetsch vernommen, haben sie einen gewaltigen Zug und Streit vor wider Weizen, Gerste, Hafer, Malz und allerlei Korn und Getreide, und wird mancher hie Ritter werden und große Thaten thun. Also sitzen wir hie am Reichstag, hören und sehen zu mit großer Lust und Liebe, wie die Fürsten und Herren samt anderen Ständen des Reichs so fröhlich singen und wohlleben. Aber sonderliche Freude haben wir, wenn wir sehen, wie ritterlich sie schwänzen, den Schnabel wischen und die Wehr stürzen, daß sie siegen und Ehr einlegen wider Korn und Malz. Wir wünschen ihnen Glück und Heil, daß sie allzumal an einen Zaunstecken gespießet würden. Ich halte aber, es sei nichts anderes, denn die Sophisten und Papisten mit ihrem Predigen und Schreiben, die muß ich alle auf einen Haufen also vor mir haben, auf daß ich höre ihre liebliche Stimme und Predigt und sehe, wie sehr nützlich Volk es sei, alles zu verzehren, was auf Erden ist, und dafür kaken für die lange Weil.

Heute haben wir die erste Nachtigall gehört, denn, sie hat dem April nicht wollen trauen. Es ist bisher eitel köstlich Wetter gewesen, hat noch nie geregnet, ohne gestern ein wenig. Bei Euch wird's vielleicht anders sein. Hiemit Gott befohlen, und haltet wohl Haus!

Aus dem Reichstag der Malztürken den 28. April 1530.«

Katharina legte den Brief sorglich wieder in die Mappe und nahm einen zweiten heraus, von anderer Hand geschrieben.

»Wie wohl thut es mir«, sagte sie leise vor sich hin, »daß auch seine Freunde meiner so herzlich gedenken!« Und sie las den Brief, den nach seiner Ankunft in Augsburg Melanchthon an sie geschrieben:

»Gottes Gnad und alles Guts! Ehrbare, tugendsame Frau Doktorin! Ich thue Euch kund und zu wissen, daß wir nun, gottlob, bis gen Augsburg kommen sind und haben den Herrn Doktor zu Koburg gelassen, wie er ohne Zweifel Euch geschrieben hat. Hoffe aber in kurzem bei ihm zu sein. Bitte Euch, Ihr wollet mir schreiben, wie es Euch gehet und wie sich der Hauptmann des Kornes halber erzeiget habe. Womit ich Euch dienen kann, will ich mit allem Fleiß, wie ich mich schuldig erkenne, solches thun und ausrichten. Beide Kanzler, Doktor Georg Brück und Doktor Christian Baier, so das evangelische Glaubensbekenntnis auf dem Reichstag sollen vorlesen, grüßen Euch und wünschen alles Gute. Gott bewahre Euch!

Datum Augsburg, am Mittwoch nach St. Walpurgis.
Philippus Melanchthon.«

Darunter standen noch etliche Worte:

»Liebe Gevatterin! Auch ich wünsche Euch, dem Hänsichen, dem Lenichen und der Muhme Lene viel seliger Zeit. Küsset mir in meinem Ramen meinen liebsten Jungen.

Justus Jonas.«

Auf dem äußersten Rand war noch zu lesen:

»Ich, Johann Agricola von Eisleben, meine es auch gut, meine liebe Frau Doktorin.«

Auf das Papier, welches, wie auch die anderen Briefe, ziemlich abgegriffen war, fielen zwei Thränen, daß die Tinte zerlief.

»Wie doch alles, was uns böse dünket, sein Gutes hat!« flüsterte die Käthe. »Die Trennung von meinem Herrn deucht mir ein Übel, und doch wachsen als süße Frucht aus derselben solche liebe Brieflein, daraus ich sehe, wie man mich lieb habe und meiner in Treuen gedenke.«

Wieder folgte ein Brief von fremder Hand: Veit Dietrich, ihr Kostgänger und Hausgenosse, welcher nebst dem Schwestersohn Luthers, Cyriakus Kaufmann, zur Pflege und Beistand des Doktors mitgereist war, beantwortete einen Brief, den Frau Katharina bald nach Lenchens Geburtstag zugleich mit des Kindes Bildnis nach Koburg gesendet hatte:

»Gott zum Gruß, ehrbare, liebe Frau Doktorin! Ihr habet ein sehr gut Werk gethan, daß Ihr dem Herrn Doktor das Konterfei geschicket, denn er über die Maßen viel Gedanken mit dem Bild vergisset. Er hat es gegen dem Tisch über an die Wand geklebet, da wir essen in des Fürsten Gemach. Da er es am ersten ansahe, konnte er sie lange nicht kennen. Ei, sprach er, die Lene ist ja schwarz! Aber jetzund gefällt sie ihm wohl und dünket ihm je länger je mehr, es sei das Lenichen. Sie siehet dem Hänsichen über die Maßen ähnlich mit Mund, Augen und Nase. Liebe Frau Doktorin, ich bitte, Ihr wollet Euch um den Herrn Doktor nicht härmen. Er ist, gottlob, jetzund wieder frisch und gesund, nachdem er viel hat leiden und ausstehen müssen, nicht allein von wegen der Augsburger Sorgen und neuen Schmerzen des Leibes, sondern auch und vornehmlich um des Absterbens seines lieben Vaters willen, da er sich einen ganzen Tag lang mit dem Psalter eingeschlossen und laut geweinet hat. Solches alles hat er als ein rechter ritterlicher Held getragen und überwunden. Ach, liebe Frau Doktorin, ich kann nicht genug bewundern die ausnehmende Standhaftigkeit und Heiterkeit, den Glauben und Hoffnung dieses Mannes in so harter Zeit. Er nähret aber dieselbe ohne Unterlaß durch fleißiges Treiben des göttlichen Worts. Vergehet kein Tag, wo er nicht zum mindesten drei volle Stunden und zwar die besten und zum Studiern schicklichsten aufs Gebet verwendet. Ist mir auch einmal geglückt, daß ich ihn habe beten hören. Guter Gott, welch ein Glaube in seinen Worten! Mit so großer Ehrfurcht bittet er Gott und mit solcher Kraft und Zuversicht, daß man meinet, er rede mit einem Vater oder mit einem Freunde. Ich weiß, sagte er, daß du unser Gott und Vater bist, also bin ich gewiß, daß du die Verfolger deiner Kinder wirst zu Schanden machen. Thust du es nicht, so ist die Gefahr dein und unser zumal; dein ist dieser Handel, wir sind daran gegangen, weil wir mußten, darum wollest du ihn verteidigen und zum endlichen Sieg bringen. So etwan hörete ich, von ferne stehend, ihn mit heller, klarer Stimme beten. Auch mir brannte das Herz gewaltig, da er so vertraulich, so erregt, so ehrerbietig und so kindlich mit Gott sprach und unter dem Gebet auf die Verheißungen Gottes in den Psalmen drang, als der gewiß war, daß alles geschehen werde, was er bitte. – Sehet, vielliebe Frau Doktorin, solchen großen Herrn und Gemahl habet Ihr, des möget Ihr Gott loben.

Was machet denn mein Hänsichen und das liebe, kleine Lenichen? Küsset sie von meinetwegen. Euch aber befehle ich zusamt der Muhme Lene in Gottes Schutz und grüße Euch mit dem Herrn Doktor und Eurem Vetter Cyriakus.

Veit Dietrich.«

Katharina suchte weiter in der Mappe und las die folgenden Briefe, auf welchen wieder ihres Mannes derben, starken Züge sichtbar wurden.

»Gnade und Friede in Christo! Meine liebe Käthe! Der Bote lief so eilend vorüber, daß ich nur weniges schreiben kann. Du magst dem Doktor Pommer und allen sagen, daß ich bald mehr schreiben will. Wir haben noch nichts von Augsburg, warten aber alle Stunden auf Botschaft und Schrift. Aus fliegenden Reden haben wir, daß unsres Widerparts Antwort solle öffentlich gelesen werden; man habe aber den Unsern keine Abschrift geben wollen, daß sie darauf antworten möchten. Weiß nicht, ob's wahr ist. Wo sie das Licht so scheuen, werden die Unsern nicht lange bleiben.

Ich bin seit Lorenztag sehr gesund gewesen und habe kein Sausen im Kopf mehr gefühlet. Das hat mich fein lustig gemacht zum Schreiben, denn bisher hat mich das Sausen arg geplaget. Grüße alle und alles. Ein ander Mal weiter. Gott sei mit Euch. Amen. Und betet getrost, denn es ist wohl angeleget, und Gott wird helfen.

Gegeben am Sonntag nach St. Lorenztag, den 14. August 1530.
Martinus Luther.«

An diesen Brief hatte die Käthe einen andern mit einem Fädlein geheftet, den sie zugleich mit erhalten hatte.

»Gnade und Friede in Christo! Meine liebe Käthe! Als ich den Brief zugemacht, kamen mir die Briefe von Augsburg, da ließ ich den Boten aufhalten, daß er sie mit sich nähme. Daraus wirst Du wohl vernehmen, wie es zu Augsburg mit unsrer Sache stehe, fast so, wie ich in dem andern Brief geschrieben. Laß sie Dir von Peter Weller vorlesen, oder von dem Doktor Pommer. Gott helfe weiter, wie er gnädiglich angefangen. Amen. Jetzt kann ich nicht mehr schreiben, weil der Bote wegfertig dasitzet und ungeduldig harret. Grüße alle Lieben, sonderlich Hänsichen Luther und seinen Schulmeister, dem will ich auch bald schreiben. Grüße Muhme Lenen und allesamt. Wir essen hie reife Weintrauben, wiewohl es diesen Mond heraußen sehr naß gewesen. Gott sei mit Euch allen. Amen.

Aus der Wüste, am Tag der Himmelfahrt Mariä,
den 15. August 1530.

Martinus Luther.«

Nun kam aber das allerbeste, etwas apart in ein rosenrotes Papier Eingeschlagenes: der Brief Luthers an sein liebes Söhnlein Hänsichen, den wir bereits kennen. Das Herz lachte der Katharina im Leibe, als sie diesen kostbaren Brief wieder las und in den Augen schimmerte es feucht, und in leisem Flüsterton stahl sich ein Gebet zum Himmel hinauf, ein Gebet für den großen, den herrlichen, den einzigen Doktor Martinus.


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