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Fünftes Kapitel.
Die Pflegbefohlene.

Es war in dem Dämmerstündlein eines der ersten Maientage, als in dem Hochgiebeligen, mit zwei grimmigen Drachenköpfen verzierten Haus in dem Bürgermeistergäßlein zu Wittenberg der Stadtsyndikus Magister Philippus Reichenbach mit seiner Ehefrau vertraulich in der Fensternische saß. Das war ihm die liebste Stunde, wenn er, von dem anstrengenden Tagewerk heimkehrend, in der Stille seines Hauses ausruhen und im behaglichen Gedankenaustausch neben seiner Ehewirtin bis zum Lichtanzünden sitzen konnte.

Der Herr Magister war ein untersetzter Mann hoch in den Vierzigen, in Wittenberg und sonderlich beim Rat hoch angesehen wegen seines ruhig besonnenen Urteils und seines gerechten Sinnes. Seine Frau, die kleine, feine, bewegliche Elsa mochte als Jungfrau wohl eine blühende Schönheit gewesen sein, und auch jetzt noch sah man gern in dieses frische, anmutige Gesicht, dessen edle Formen durch die innere Schönheit der Seele erst ihren vollen Reiz bekamen.

Die Einrichtung des Hauses zeugte von Wohlstand und Überfluß, aber still war es in den weitläufigen Räumen, und kein fröhlicher Kinderlärm belebte die schweigende Einsamkeit. Um so mehr fühlten sich die beiden Ehegatten auf einander angewiesen und zu einander hingezogen.

»So hat denn der Doktor nun auch die letzten beiden der neun Entronnenen untergebracht«, berichtete der Syndikus.

»Die beiden Zeschaus?« fragte Frau Elsa lebhaft interessiert. »So sei Gott gelobet um des lieben Doktors willen! Herzlich habe ich ihn bedauert. Möchte sich in zehn Teile teilen! Wie er das alles hinausführen mag, was auf ihm lieget, ist mir ein Rätsel und Geheimnis. Ein anderer wäre unter der Last schon längst zusammengebrochen. Was stürmet doch alles auf ihn drein! Wie ist das stille Kloster einem Taubenhaus ähnlich, da es täglich aus- und einflieget von Berufenen und Unberufenen! Wer zählet allein die Briefe, so er zu schreiben hat! Lieget nicht das ganze Reich auf seinen Schultern? Muß er nicht überall seine Augen haben? Muß er nicht wie von einer hohen Warte herab alles überschauen und wie ein König der Geister die größten und wichtigsten Dinge besorgen? So bin ich schier den Leuten gram, so mit allerlei kleinen und gemeinen Dingen ihn beschweren und ihm die kostbare Zeit zersplittern. Habe auch zuerst den Nimptschener Nonnen gezürnet, da ich vernahm, daß sie den Doktor Martinus um Hilfe angegangen. Und noch viel hitziger ward mein Blut, da dieselben, nicht zufrieden, daß er ihre Rettung bewirket, nun auch noch hierher gekommen und ihm zur Last gefallen sind. Indessen bin ich nun getröstet, da es seinem rastlosen Mühen und seiner kräftigen Fürsprache, auch bei unserm gnädigen Kurfürsten, gelungen ist, ihnen allen einen schicklichen ' Unterschlupf zu schaffen. Ja, nicht allein getröstet bin ich darüber, sondern auch von Herzen fröhlich und dem Herrgott dankbar, maßen wir auf diesem Weg die liebe Käthe in unser Haus bekommen haben.«

Dem Syndikus gefiel diese letzte Wendung der Rede seines Weibes wohl, und er strich sich vergnügt mit den flachen Händen die Knie. »Gern höre ich dich also sprechen, liebste Elsa«, erwiderte er, »denn nicht ohne Sorge war ich um dich, daß du den neuen Gast, so wir dem Luther zulieb ausgenommen, als eine Last und Beschwernis empfinden möchtest. Meinete, es möchte uns dadurch an unsrer Bequemlichkeit viel gebrechen, und die gewohnte Stille unsres Hauses mancherlei Störung erfahren. Desgleichen fürchtete ich, daß Euer beider Sinn und Natur sich übel zu einander schicken möchte, denn ganz anders geartet als du ist Katharina von Bora.«

Frau Elsas kleinen Mund umspielte ein glücklich zufriedenes Lächeln. »Siehe, von alledem, das mir als Sorge auf dem Herzen drückte, ist das Gegenteil gekommen. Wohl hast du recht: die Käthe hat einen andern Sinn und inwendige Verfassung denn ich: es ist so etwas – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – so etwas Großes und Würdevolles in ihrem Wesen, daß ich mir ihr gegenüber manchmal recht klein erscheine und es über mich kommt wie Ehrfurcht. Scheinet fast stolz und hochfahrend zu sein, als auch der Doktor Luther jüngst meinete; aber dieser Stolz ist keine Untugend, es ist vielmehr die jungfräuliche Würde und der hohe, adelige, allem Niedrigen fremde Sinn, was ihr die Brust schwellet. Und dabei blicket ihr Auge so frisch und klar in die Welt hinein, und ihr Mund redet so gerade heraus, ohne alle Schminke und Tünche, ohne alles Falsch und Heuchelei, und ihr Urteil trifft immer das Rechte, daß ich gar gern ihren Rat erfrage. – Ach, und welche Freude ist es, ihre Freude zu schauen. Wie ein Kind ist sie und singet und scherzet und lachet, und unvermutet fällt sie mir um den Hals, küsset mich und spricht unter Thränen: ›Ach, was ich glückselig bin! Und all mein Glück danke ich Euch und dem großen Doktor!‹ (Sie heißet Luther immer nur den »großen Doktor«, und wenn auf ihn die Rede kommt, stehet sie mit gefalteten Händen und lauschet in stiller, herzlicher Andacht. Wie sie einstens vor den Bildern der Heiligen geknieet, so schauet sie jetzo zu dem Doktor Martinus auf, welcher ihr größer und herrlicher erscheinet, denn viele derer, so durch der Kirche Spruch kanonisieret worden.) – Und nun solltest du ihr einmal zuschauen, liebster Philippus, wenn sie in der Küche oder im Hauswesen schaltet und waltet! Besorgete zuerst, sie würde mir viel Beschwernis und Häufung der Arbeit verursachen, nun aber ruhen im Gegenteil meine Hände oftmals müßig im Schoß, denn siehe, die Arbeit, so mir oblag, war schon gethan, da ich die Hand anlegen wollte. Sie lieset mir all mein Wünschen und Absehen aus den Augen, und geschickt ist ihre Hand und schnell ist ihr Blick, zu lernen, was ihr neue und ungewohnte Hantierung, also daß ich oftmals stehe und denke, indem ich ihrem hausfräulichen Wesen zuschaue: Glückselig der Mann, dem diese Martha dienen wird! Und wie Neid schleichet es dann wohl über meine Seele, daß ich sie keinem andern vergönnen möchte, sondern selbst für mich behalten mein lebelang, und Trauer fällt auf mich, es möchte bald der Tag kommen, wo ein Freiersmann sie von uns heischet.«

»Zielest du auf den jungen Nürnberger Patriziersohn Hieronymus Baumgärtner?« fragte Herr Reichenbach dazwischen. »Es ist mir nicht entgangen, wie seine Augen begehrend nach der Käthe gingen, da er bei der Feier deines Namenstages mit an unserm Tisch saß. Ist mir auch aufgefallen, daß er seit diesem Tag so häufig an unserm Haus vorüberwandelt und auch bei uns öfter einspricht, als dazu Anlaß vorhanden. Meine jedoch, du könntest darüber ohne Sorge sein, denn schüchtern ist die Käthe, wo ein Mannsbild ihr nahet. Ist sie doch bis auf den heutigen Tag, obschon sie bereits vier Wochen in unserm Haus weilet, noch nicht zu bewegen gewesen, auf die Gasse zu gehen, ausgenommen in die Kirche, wenn der Doktor prediget.«

Elsa schüttelte den Kopf und sah ihren Eheherrn mit bedauerlichem Lächeln an. »Besser denn du verstehe ich das weibliche Herz. Schüchternheit und zurückhaltende Scheu ist der Jungfrau schönster Schmuck, aber nicht etwan ihr Schutz wider der Männer Begehren, sondern für diese eine Reizung und Lockung, die mühsam zu erlangende Blume zu pflücken; und daß des jungen Nürnbergers Blicke der Katharina nicht mißfallen, solches habe ich wohl bemerket. Daß aber die Käthe sich scheuet, aus dem Schatten unsres Hauses zu treten, geschiehet nicht um derer willen, so sie lieben, sondern um derer willen, so sie hassen und schmähen und lästern. Denn ob ich es auch sorglich vor ihr verborgen gehalten, so hat sie doch Kundschaft bekommen, was man in der Welt von den entwichenen Nimptschener Nonnen Übles redet. Auch dieses weiß sie, daß der Doktor Luther an den Torgauer Bürger Leonhard Koppe, so in großer Angst vor den Nachstellungen der Ordensgeistlichkeit gewesen, ein öffentlich Lobschreiben gerichtet und darin unter Nennung der neun Flüchtlinge die That der Entführung vor aller Welt gerühmet. Aus dieser Ursach meidet ihr jungfräulich Schamgefühl annoch die Gasse und den Umgang mit den Menschen; doch wird es nicht für immer so bleiben.«

»Wo ist die Käthe?« fragte der Syndikus.

»Wird droben in ihrem Kämmerlein sitzen«, versetzte Frau Else.

Über die runden Bleischeiben glitt der rosenrote Schein der untergehenden Sonne und ließ die vom Meister Lukas Kranach gemalten Ölgemälde an der Wand wie im Feuer erglühen.

»Siehe, wie schön die Sonne sinket und wie lieblich der Abend!« sagte der Syndikus. »Laß uns noch ein wenig im Garten uns ergehen, bis das Nachtbrot aufgetragen. – Sage an: sind die Erbsen schon geleget und der Kohl schon gepflanzet? Hätte schon gestern geschehen sollen, doch fand ich keine Muße zu der Arbeit.«

Frau Elsa konnte keine Auskunft geben, und beide Eheleute schritten über die große Diele des Hauses dem Hof zu und über diesen hinweg in den Garten, welcher sich in beträchtlichem Umfang dehnte, rechts von Obstbäumen bestanden und links für Gemüse und Blumen zugerichtet.

An einem der frisch bereiteten Beete kniete eine weibliche Gestalt in eifriger Hantierung.

»Da ist sie ja!« rief verwundert Magister Philippus und ging schnellern Schrittes auf die Gestalt zu, welche sich erschreckt vom Boden erhob.

»Ei, ei, liebste Katharina, was schaffet Ihr hier?« fragte der Syndikus.

Mit heiterm Lächeln erwiderte die Jungfrau: »Die Erbsen schaueten mich so fragend an, ob ich ihnen nicht ihr Bettlein in der Erden bereiten wolle, und der Kohl ließ welk die Blätter hängen, daß es not war, ihn zu pflanzen.«

Des Syndikus Augen gingen prüfend über die Arbeit hin: »Aber wer in aller Welt hat Euch solche Arbeit gelehret? Sind die zarten Fingerlein, so sich von Jugend auf allein zum Beten falteten und den Rosenkranz dreheten, auch zu grober, harter Erdarbeit tauglich?«

Katharina schaute innig zu dem Syndikus auf. »Die Liebe lehret alles. Was man gern thut, lernet man geschwind.«

»Aber Ihr müsset Eurem zärtlichen Körper nicht zu viel aufbürden und Euer schonen!« mahnte der Syndikus mit erhobenem Zeigefinger.

Katharina schüttelte lächelnd das Haupt: »Ei, habet Ihr denn Euer geschonet, da Ihr die Last auf Euch ludet, die fremde, hergelaufene Nonne Eures Hauses friedliche Stille stören zu lassen? Ach, daß ich mehr thun könnte, Euch zu vergelten, was Ihr in christlicher Barmherzigkeit an mir gethan! Dieses ist mein tägliches Gebet, daß Gott Euch lohnen wolle, was die arme Katharina nicht vermag.«

Wie schön das Mädchen da stand in dem herzwarmen Ausdruck tiefster Empfindung! Frau Elsa riß sie ergriffen an sich und preßte sie schweigend an ihre Brust, während der Syndikus sich abwandte und in einen andern Weg einbog, um seinen Gedanken nachzuhängen.

Er durchschritt den Garten der Länge und Breite nach und allenthalben bemerkte er die Spur einer menschlichen Hand, die die Wege gesäubert, das Unkraut gejätet und die Blumen gepflegt hatte. Er fragte nicht mehr, wer das gewesen sei, und mit herzinnigem Wohlgefallen folgten seine Augen der Katharina, die am Arm seines Weibes vertraulich plaudernd in dem Garten lustwandelte.

Indem meldete Sibylla, die Dienerin, den Doktor Luther, und dieser trat auch alsobald in seiner schwarzen Mönchskutte herzu.

»Gott grüß Euch, viellieber Magister!« rief er in heiterer Stimmung. »Gehet es Euch wohl? Und was machet mein liebes, armes Angstkindlein?«

Der Syndikus zog ehrerbietig das Barett und reichte dem Gast bewillkommnend die Hand. »Ängstet Euch nicht um sie, Herr Doktor, es gehet ihr wohl.«

»Aber Euch, Herr Magister – wird sie Euch nicht allsgemach beschwerlich? Es ist ein großes Opfer, so Ihr mir bringet, und das drücket mich, so ich gedenke, daß Ihr vielleicht noch längere Frist unter dem Joch bleiben sollet. Möchte wohl, daß einer käme und aus der Jungfrau eine Hausfrau machte, welches auch des Weibes Beruf und Bestimmung.«

Der Syndikus trat mit wehmütig ernster Miene dicht vor Luther hin: »Ehrwürdiger Herr Doktor! Ihr habet schon so viel an uns gethan, wollet Ihr noch eines thun? Dieses meine ich: Sorget Euch nicht fürder um uns, denn nicht ein Opfer ist es für uns, die Katharina zu behalten, sondern sie wieder von uns zu lassen, das ist ein Opfer und wird uns hart an das Herz gehen, denn lieb ist sie uns geworden, gleich als wäre sie unser eigen Kind.«

Luthers blasses Gesicht leuchtete auf in freudigster Befriedigung, und dem Syndikus bieder die Hand schüttelnd sagte er: »Ein treuer Freund ist ein köstlich Kleinod und nicht mit Geld zu bezahlen. Bleibet mir denn auch fürderhin freundschaftlich geneiget, Ihr aber sollet mir von heute an noch viel tausendmal lieber sein.« –

Inzwischen waren die Frauen herzugetreten. Katharina hatte, als sie des Mönches ansichtig wurde, die Frau Elsa ängstlich am Arm gezogen und geflüstert: »Der große Doktor!« Doch diese ließ sich nicht halten, sondern eilte, den lieben Gast zu begrüßen.

Mit Wohlgefallen ruhten Luthers Augen auf der anmutigen Gestalt der ehemaligen Nonne, auf deren bleichen, winterlichen Wangen in der Luft der Freiheit schon die ersten Frühlingsrosen knospten, und er bemerkte mit feinem Lächeln die Spuren der Erdarbeit an ihrem Kleid.

»Ei, Jungfer Käthe«, scherzte er, »Ihr seid nun ein rechtes Weltkind worden. Wie gefällt es Euch in der Welt? Sehe Euch an, daß Ihr sehr irdisch gesinnet seid und Euch mit niedrigen und gemeinen Dingen befasset, so Eure Seele in den Staub ziehen, denn schmutzig ist Euer Gewand und Eure Hand dazu. Möchtet Ihr nicht wieder zurück an den Ort, da man der argen Welt entrücket ist und in den Weihrauchwolken dem Himmel zuschwebet?«

Katharinas Wangen röteten sich noch mehr, und schamhaft scheu senkten sich ihre Augen zur Erde.

»Ach lasset mich nur immer in der Welt«, sagte sie mit leise erzitternder Stimme, »in der Welt ist es schön. Wenn ich nur nicht von der Welt bin, so will ich hier meinem Gott schon dienen und ihm mein Leben weihen. Habet Ihr mich doch selber verwichenen Sonntag in der Predigt gelehret, daß man dem lieben Herrgott auch mit kleinen Dingen dienen könne, auch sogar mit Holz spalten und Kohl pflanzen, so man nur treu erfunden werde.«

Der Doktor wollte beifällig etwas erwidern, da kam ihm Elsa zuvor: »Ehrwürdiger, möchtet Ihr nicht bei uns bleiben und das Abendsüpplein mit uns essen?«

Luther fixierte die Frau Syndikus mit schalkhaftem Augenblinzeln: »Wie fein möget Ihr doch meine Gedanken erraten! Wo Ihr mich nicht gebeten hättet, so hätte ich mich selbst zu Gast geladen, maßen ich sonsten heute mit ledigem Magen hätte ins Bett steigen müssen, denn traurig kam vorhin mein Famulus, der Wolfgang, zu mir in die Zelle: ›Herr Doktor, was wollet Ihr zu Abend speisen? Siehe, in dem Schrein stand noch ein Restlein gerösteten Fisches, so ich Euch wollte fürsetzen für die Nacht; muß aber wohl ein Kätzlein darüber geraten sein, denn nichts ist mehr vorhanden, denn der Kopf und etliche Gräten.‹«

Mit innerlichem Bedauern schaute Katharina zu dem Manne auf, der aller Welt so reichlich das Brot des Lebens spendete und selber am täglichen Brote Mangel litt; und höher noch stieg ihre Bewunderung seiner Geistesgröße, daß er diesen Mangel gar nicht zu fühlen schien und darüber noch scherzen konnte.

Sie teilte ihre Gedanken leise der Frau Reichenbach mit, welche ihr ebenso leise erwiderte: »Er hat für sich selbst kaum das Nötige, denn er als Professor nur 22 Thlr. 12 Groschen Jahrgehalt beziehet; aber er vergisset sich selbst über den Armen, denen er reichlich giebt, und die tagtäglich seine Herzensgüte ausbeuten.«

»Mag ein recht ödes, dürres, hartes Leben haben«, fuhr Katharina fort, »in seinem düstern Kloster, von keiner weiblichen Hand bedienet und weich gebettet! Der Wolfgang mag ein treuer Mensch sein, aber er ist kein Weib.« –

Man war inzwischen auf die Diele des Hauses getreten, wo die Sibylle den Tisch bereitet hatte.

»Wollet Ihr auch neue Zeitung vernehmen, ihr Lieben?« fragte Luther, nachdem man sich gesetzt und zu essen begonnen. »Dem Leonhard Koppe, dem Nonnendieb, welchem man den Tod eines Ketzers bereiten möchte, muß ein Märtyrerkranz gewunden werden, denn siehe, das Wagstück, so er in Gottes Namen unternommen, hat einen großen Segen hinter sich drein gezogen. Nichts hat es gefruchtet, das zu Nimptschen Geschehene zu verheimlichen: auch in andere Klöster ist das Gerücht gedrungen, und siehe, unsre liebe Käthe hat reichliche Nachfolgerinnen gefunden. Ist mir heute hinterbracht worden, daß aus dem Benediktinerkloster in Zeitz vier Nonnen zusamt der Äbtissin entwichen seien, item sechs Nonnen aus der Benediktinerabtei zu Sormitz, item acht aus dem Cistercienserkloster zu Beutitz an der Saale und aus dem Dominikanerstift zu Wiederstedt in Mansfeld gar sechzehn. Sonderlich aber wird es der Jungfer Käthe eine frohe Botschaft sein, so ich berichte, daß auch aus dem Kloster zu Nimptschen fernere drei Jungfrauen ausgetreten sind, aber nicht heimlich, sondern in guter Ordnung von ihren Verwandten heimgeholet. Des freue ich mich von ganzen! Herzen; auf daß ihrer aber noch mehr werden und die Klosterpforten sich von selber öffnen, bin ich im Begriff, die Geschichte einer Nonne zu schreiben, der Florentina von Oberweimar, so aus dem Kloster zu Neuhelfta bei Eisleben entronnen. Solche Schrift will ich gedruckt ausgehen lassen, daß alle Welt erfahre, was die Klosterei sei, und des Teufels Tand an den Tag komme, auch daß man aufhöre, dem armen Leonhard Koppe zu dräuen.«

Frau Elsa reichte dem Doktor eine Schüssel mit Gesottenem dar und nötigte zum Zulangen. »Das sind gute Nachrichten, ehrwürdiger Herr, und sonderlich unsre liebe Käthe schauet darob sehr vergnüglich drein. Möchte Euch bitten, Ihr wollet mir die Geschichte der Florentina leihen, sobald sie der Drucker fertig gebracht. Aber über Eurem Reden vergesset doch nicht, daß es jetzo Zeit zum Essen. Würde Euch auch gut thun, so Ihr eine Herzstärkung nähmet, denn um Eure Augen sehe ich wieder den dunklen Schatten, das Anzeichen nächtlichen Wachens und Studierens.«

Luther that sich mechanisch ein wenig auf den Teller und sagte dabei: »Daran sind die gottlosen himmlischen Propheten schuld, welche, derweilen ich in der Luft gefangen saß als Junker Görg, hierorts den Weinberg Gottes verwüstet haben. So ist viel Arbeit von nöten, wieder zu bauen, was sie zerstöret; und Bauen ist mühseliger denn Niederreißen. Manchen Morgen, wenn ich mein unberührtes Bett anschaue, denke ich an Freund Karlstadt und spreche: Siehe, solchen Freundschaftsdienst habe ich dir zu danken!«

»Aber saget mir nur, Herr Doktor«, fragte Frau Elsa, »wie Ihr es machet, daß Ihr alle diese Arbeit, dazu wohl zehn Menschenkräfte gehören, als Predigen, Vorlesungen halten, Bücher schreiben, Bibel übersetzen, Briefe empfahen und senden, Rat geben und dergleichen mehr so leicht bewältiget und nimmer müde werdet, vielmehr dabei immer getrosten Mutes bleibet und auch noch Zeit überbehaltet, mit dem Wolfgang an der Drehbank zu stehen und im Gärtlein der Blumen zu pflegen und mit Euren Freunden zu plaudern?«

Luther schaute heiter lächelnd auf. »Liebste Frau Magisterin, zu solchem allen sind nur zween Dinge erforderlich: Ordnung und Gebet. Hat nicht jegliche Stunde sechzig Minuten? In sechzig Minuten aber mag man gar viel schaffen und vor sich bringen, so man alles mit Ordnung treibet und die Zeit wohl auskaufet. Dazu aber das Gebet ist ein frischer Brunnen, daraus Leib und Seele immer neue Kräfte schöpfen. Sehet, dieses Psalterlein« – er zog ein kleines Buch aus der Brusttasche – »ist mein stetiger Begleitsmann und Tröster, der saget mir immer, was not ist und gießt mir, was mir fehlet. Ich halte mein Gebet für stärker denn den Teufel, und wo ich einen Tag nicht betete, würde ich am Feuer des Glaubens verlieren. Bet' und arbeit', so hilft Gott allzeit.«

Katharina hatte mit andächtiger Hingebung zugehört. Jetzt beugte sie sich nieder und flüsterte vor sich hin: »Der große Doktor! Der wunderbare Mann! Wer den beständig vor Augen haben könnte, zu sehen, wie er es treibet, und seinem Vorbild nachzufolgen! O könnte ich ihm dienen als seine Magd!«

Frau Elsa neigte sich mit innigem Blick zu der Jungfrau und streichelte ihr still die Hand.

Der Doktor Martinus war inzwischen mit dem Syndikus in ein Gespräch geraten über den Ritter Franz von Sickingen, dessen trauriger Ausgang gegenwärtig die Gemüter bewegte, denn über den Mächtigen und Gewaltigen war ein Stärkerer gekommen: die Fürsten von Hessen, Pfalz und Trier hatten ihn in seiner Feste Landstuhl belagert und überwunden.

»Habe Euch schier gezürnet, Herr Doktor«, bemerkte der Syndikus, »da Ihr des Sickingen dargebotene Hand ausschluget. Meinte, sein gutes Schwert sollte dem Evangelium ein starker Schutz sein und demselbigen eine Gasse hauen wider den Papst und den Kaiser, denn von Monat zu Monat wuchs des Sickingen Macht, und dem Kaiser bangete vor ihm. Nun aber ist es herfürgekommen, daß Ihr auch in diesem Stück recht gehabt.«

Luther wiegte wehmütig das Haupt. »Es ist mir leid um dich, mein Bruder Sickingen! Du hast es gut mit mir gemeinet. Und dennoch wärest du mir ein Versucher, und ich mußte zu dir sprechen: Hebe dich weg von mir, du bist mir ärgerlich, denn mit fleischlichen Waffen willst du der heiligen Sache Gottes helfen. Solches ist dem Herrn zu keinem Gefallen und dem Evangelium zu keinem Nutz, sondern zum Schaden, denn dieses bedarf keiner irdischen Krücken und Stützen, daß es laufe, es hat in ihm selber die Kraft, die Welt zu überwinden. Das Wort muß es thun, nicht das Schwert. Sehet, liebster Reichenbach, hätte ich das Evangelium dem Sickingen vertrauet, so wäre es mit dem sterbenden Sickingen zu Grunde gegangen. – Jetzo ist es aber Zeit, ihr Lieben, daß ich heimkehre, denn daheim wartet noch die Florentina meiner und der Wolfgang. – Ach, möchtet Ihr mir nicht einen Imbiß mitgeben für den Armen? Er ist so treu und teilet das letzte mit mir.«

Ehe noch Frau Elsa zur Hand war, dem Doktor das Erbetene zu geben, hatte Käthe schon ein Stücklein Rauchfleisch in ein sauberes Tuch geschlagen und reichte es eilfertig dem Doktor Martinus. Der nahm die Gabe mit Danksagung und bot dann allen eine geruhsame Nacht.


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