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Zehntes Kapitel.
Als die Geschmäheten und doch glückselig.

Es war um die Zeit, da die Abende schon lang werden und das Licht langsam wieder angezündet wird, wenn der Herbst zum Sommer spricht, es sei nun Zeit, das Feld zu räumen.

In seinem Stüblein nach dem Wallgraben hinaus an dem großen, eichenen Tisch saß der Doktor Martinus und schrieb, daß die Feder knarrte. In dem großen, grün glasierten Kachelofen, zu dessen Füßen sich ein halbwüchsiges, braunes Wachtelhündlein wohlig streckte, knisterte das Kienfeuer und gab dein von einer kupfernen Hängelampe erleuchteten Gemach eine behagliche Wärme. Dem Ofen gegenüber hing, in geringer Entfernung von dem Bücherbrett, eine wertvolle Wanduhr in hohem, schmalem Gehäuse von geglättetem Zedernholz (ein Hochzeitsgeschenk des evangelischen Abtes Friedrich zu Nürnberg), deren langes Pendel in gravitätischem Schritt die Sekunden maß.

Unweit des Schreibenden saß in schlichtem, schwarzem Hauskleid, das Haar von einer weiten, weißen Haube verhüllt, die Katharina an der Spindel, gleichfalls in ihre Arbeit vertieft, aber doch nicht so sehr, daß sie nicht von Zeit zu Zeit einmal aufgeschaut und mit einem zärtlich liebenden, ehrfürchtigen Blick an ihrem Eheherrn gehangen hätte. In dem Gemach herrschte eine feierliche Stille, die aber nur durch das Knarren der Feder, das Surren der Spindel und das Knistern des Ofenholzes unterbrochen ward.

Da entglitt der Käthe unversehens das Spinngerät und fiel lärmend auf den Estrich, daß der Doktor aus der Vertiefung in seine Gedanken erschreckt in die Höhe fuhr und sich umschaute.

Katharina stand ängstlich von ihrem Stuhl auf. »Zürnet mir nicht, liebster Herr Doktor! Will lieber von dannen gehen und Euch allein lassen, daß Euch meine Unvorsichtigkeit nicht abermals störe!«

Luther machte eine abweisende Bewegung: »Nicht also, liebe Käthe! Bleibe du nur bei mir! Habe ich es dir nicht schon zum öftern gesagt, daß mir deine Nähe nicht eine Störung sei, sondern vielmehr eine Förderung und Erquickung? Habe wohl vordem manchmal gemeint, daß man im ledigen Stand viel mehr könne arbeiten und schaffen, da einen kein Weib störe und keine häusliche Sorge beschwere; doch weiß ich es jetzt anders. Gleichwie der Müller durch das Klappern seiner Mühle nicht gestöret wird, sondern im Gegenteil aus dem Schlaf führet, wenn die Mühle plötzlich stehen bleibet, also auch ist es mir, als wären meine Gedanken flüssiger und meine Feder williger, wo du bei mir sitzest, und öde ist mir das Stüblein, so ich deine Nähe nicht verspüre. Ach, wie danke ich meinem Gott alle Tage, daß er mir ein liebes, treues Weib bescheret! Wohl haben, wie zu erwarten, meine Widersacher das Maul weit aufgesperret, mich zu verunglimpfen, und ich muß ihnen um meines Ehestandes willen ein noch schlimmerer Ketzer sein, als darum, daß ich dem Papst an die Krone und den Mönchen an die Bäuche getastet; aber ich gräme mich nicht darum, bin vielmehr von Herzen fröhlich. Denn siehe, wenn mein Ehestand Gottes Werk ist, was Wunder, daß sich das Fleisch daran stößet? Stoßet es sich doch selbst daran, daß der Schöpfer sein Fleisch zum Heil der Welt als Lösegeld und Speise darreichet. Wenn die Welt sich nicht an mir ärgerte, so würde ich mich an ihr ärgern und fürchten, das was ich thue, sei nicht von Gott. Jetzund also, wo sie ärgerlich und wütig auf mich drein führet, erbaue ich mich und bin von Herzen fröhlich.«

Katharina vernahm diese Worte mit innerstem Entzücken. »Ach, liebster Herr Doktor, wie machet mir Eure Rede das Herz leicht! Sehet, daß die Lästerer mich angetastet, solches ist mir wohl bitter eingegangen und hat mir manche liebe Nacht den Schlaf verscheuchet; aber zehnfach größere Not hat es mir verursachet, daß Ihr um meinetwillen solche Mehrung der Feindschaft und Schmähung erfahren. Nun Ihr aber saget, daß Euch die Afterrede der Welt gar lieb sei und Euch im Herzen erfreue, so bin ich auch getröstet. – Ach«, fuhr sie nach einer Pause fort, »hätten nur die Feinde Augen zu sehen, so würden sie aufhören uns zu lästern, würden uns vielmehr beneiden um das stille, heimliche Glück, so uns im heiligen Ehestand erblühet.«

Luther legte die Feder weg und zog sein Weib herzinnig an sich. »Ja, liebes Weiblein, du redest recht: es ist der Ehestand ein Heiligtum mit einem Altar, darauf ohn Unterlaß der Weihrauch duftet; muß auch alle Trübsal des Lebens leicht werden, sintemal einer des andern Last trägt. Ich habe ein fromm, getreu Weib, auf welches sich mein Herz verlassen kann, dem ich darf all mein Gut und Habe, ja meinen Leib und Leben vertrauen; so bin ich in ihrem Besitz ein Kaiser. Und du, Käthe, hast einen frommen Mann, der dich lieb hat, ja der dich höher achtet, denn das Königreich Frankreich und der Venediger Herrschaft; so bist du eine Kaiserin.«

Katharina rückte errötend ihrem Gatten näher und fragte, indem sie sich verwirrt über den Tisch beugte: »Was schreibet Ihr denn gegenwärtig, Herr Doktor?«

Luther hob ein Blatt Papier vom Tisch auf und zeigte es seiner Frau. »Siehe, diese Buchstaben sind Keulenschläge auf ein gekröntes Haupt, König Heinrich von England. – Erschrick nur nicht, Käthe, mit dem wird der »räudige Hund«, der »höllische Wolf«, wie er den Doktor Martinus heißet, schon fertig werden, daß er stille wird! Hätte schier vergessen, was er schon anno 1521 wider mich geschrieben, und wäre auch auf solche unkönigliche Anrede wohl die beste Antwort, wenn ich ihn gar keiner Antwort würdigte; doch da er jüngst aus Anlaß meiner Heirat abermals im Ton der Gassenbuben zu lästern angehoben, so will ich nicht länger schweigen, sondern reden und ihm das Maul stopfen. Willst du ein Stücklein dessen hören, das ich ihm geantwortet?«

Da Katharina eine große Begierde zeigte, den Inhalt der Schrift zu erfahren, so las er die beiden ersten Seiten vor.

Käthe unterbrach ihn mehrmals mit der Gebärde wohlgefälliger Befriedigung. »Ei, Herr Doktor, wie möget Ihr doch so gar sanft treten! Solches höre ich gerne und wollte Euch bitten, daß Ihr auch ins künftige Euren Zorn bändiget, maßen man mit Ruhe und Gelassenheit wuchtigere Hiebe austeilet und auch der Gegner Herzen eher gewinnet, denn mit Schäumen und Poltern.«

Lächelnd griff der Doktor nach seines Weibes Hand. »Für solches Wort will ich dir meinen Dank sagen. Ob auch des Weibes Beruf zunächst ein anderer ist, als dem Eheherrn in sein Sach und Amt dreinzureden, da sie vielmehr in Küche und Keller und Hauswesen zu schaffen hat, so mag es dem Manne doch nicht schaden, so ihn das Weib zur Sanftmut und Stille mahnet und durch ihr eigen Vorbild zu solcher Tugend reizet. Bekenne es offen vor dir, daß ich je und je in hitzigem Zorn entbrannt bin und Öl ins Feuer gegossen habe, da ich durch Mäßigung und sanftmütige Rede die Glut wohl hätte löschen und dämpfen mögen. So sollst du nun in diesem Stück mein Zuchtmeister sein, und auch dafür will ich Gott danken, daß er mir einen getreuen Eckart zur Seite gegeben.« Man hat den sänftigenden Einfluß Katharinas auf Luther bald gespürt, denn Erasmus, erst sein Freund und hernach einer seiner bissigsten Gegner, ließ sich so vernehmen: »Luther hebet jetzo an milder zu sein und wütet nicht mehr mit der Feder.«

Draußen auf dem Flur wurden Stimmen hörbar, und gleich darauf that sich die Thür auf, durch welche Dorothee, die Magd, mit einer Papierrolle trat. »Dieses hat mir ein fremder Mann übergeben mit dem Auftrag und Weisung, es in des Herrn Doktors Hände zu legen.«

Luther öffnete die Rolle und fand darin zwei Schreiben von Leipziger Theologen, ein lateinisches an ihn selbst gerichtet von Magister Joachim von der Heyden und ein deutsches an die Käthe adressiert von Magister Johann Hasenberg, genannt Myricianus.

»Ei siehe da«, lachte Luther auf, »nun ist die Käthe Lutherin eine berühmte Frau geworden, daß man ihr gelahrte Schriften weihet!«

Damit überreichte er ihr mit komisch feierlichem Ernst das Papier.

Doch das Lachen verging ihm bald, da er das an ihn gerichtete Sendschreiben zu lesen begann, und auch die Käthe wurde abwechselnd rot und blaß, als sie den Inhalt des ihr geweihten Schriftstücks kennen lernte. Sie war nicht im stande, bis zu Ende zu lesen; das Herz wollte sich ihr umwenden, als ihr Martin Luther, der Gegenstand ihrer anbetenden Verehrung, da ein ruchloser Verführer und Kind des Teufels genannt und ihr der Rat erteilt ward, sich so eilig wie möglich seiner verpestenden Nähe zu entziehen und zu dem himmlischen Bräutigam, dem sie die Treue gebrochen, zurückzufliehen. Mit Schmerz und Angst suchten ihre Augen nach dem Doktor, auf dessen Stirn sich eine dunkle Wolke türmte, da er im Lesen der Schrift durch eine Sintflut von Schmähungen und Lästerungen waten mußte. Doch siehe, die Wolke verzog sich bald, sein Angesicht zeigte wieder die alte heitere Ruhe, und zuletzt warf er mit hellem Auflachen den Brief auf den Tisch. Dann wandte er sich an die Käthe mit der Frage: »Was hat man dir geschrieben, mein liebes Weib? O, ich sehe es dir schon an, daß man dir das nämliche Leckergericht aufgetischet, als mir. So gehe und nimm den Wanderstab, daß wir dem uns erteilten Rat folgen und stehenden Fußes zurückkehren in den Schoß der allein seligmachenden Kirche.«

Katharina schaute schmerzlich lächelnd zu dem Doktor auf: »Ach, könnet Ihr scherzen und lachen? Mir krümmet sich drinnen das Herz.«

»Nicht also, liebe Käthe!« beschwichtigte Luther. »Ich bin ganz fröhlich und guter Dinge, denn je toller es die Feinde mit Dräuen und Lästern treiben, desto lieblicher erscheinet mir das Loos, das mir gefallen, und alle ihre boshaften Anläufe müssen nur dazu helfen, daß ich des Ehestandes Herrlichkeit immer klarer sehe.«

In diesem Augenblick trat der Wolfgang ein, Luthers Famulus: »Herr Doktor, draußen stehet noch der Bote, so das Packetlein überbracht. Wollen wir ihm nicht eine Zehrung reichen?«

Schnell fuhr Luther mit der Hand in die Tasche, und da er hier vergebens nach Münze suchte, ging er nach dem Wandschrank und nahm zwei Gulden heraus. »Wahrlich, einen hohen Lohn muß der Mann haben, so mir zu solcher Lust und Freude geholfen. Rufe ihn herbei!«

Der Bote trat alsbald herzu, und Luther klopfte ihm freundlich die Schulter: »Lieber Gesell, ziehe heim in Frieden und erzähle denen, so dich gesendet, was große Freude die beiden Schreiben bei uns angerichtet. Du aber, als der Mittler solcher Freude, sollst deine Gebühr haben: nimm diese zwo Gulden samt dem Segen des Doktor Martinus und seiner Frau Käthe.«

Der Gesell wußte in großer Verlegenheit nicht, ob das Scherz oder Ernst sein solle, und weigerte sich, die überreiche Gabe zu nehmen; aber Luther zwang ihm in seiner unwiderstehlichen Weise das Geld auf und wünschte ihm gute Reise. Dann wandte er sich zu der Käthe herum, die immer noch mit zwiespältigen Empfindungen dastand, und zog sie an seine Brust: »Siehe, herzliebste Käthe, die ganze Welt und der Teufel zerren an dir, daß du sollest den Doktor Martinus lassen. Aber je mehr sie zerren, desto fester halte ich dich, denn hier ist der Fleck, da du hingehörest.«

Leise weinend ruhte Katharina an der Brust des großen Mannes, aber das waren keine Schmerzensthränen mehr.


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