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Zwei Meilen südwärts von Leipzig, an der Landstraße nach Altenburg im Amt Borna liegt zwischen grünen Wiesen, wogenden Saatfeldern und rauschenden Eichen ein kleines Gütlein mit Namen Zulsdorf, ein amtsässiges Landgut und Vorwerk.
Still und einsam liegt es da, denn es fehlen rings die Hütten der Arbeiter und Unterthanen. Auch macht es, wenn wir näher treten, mit seinen durchlöcherten Dächern einen altersschwachen Eindruck und zeigt überall wie hilfeflehend seine klaffenden Wunden.
Die Hilfe kommt aber auch schon. Auf dem geräumigen Hof halten drei Lastwagen mit Bauholz und Ziegeln, von kurfürstlich sächsischen Beamten gesandt, und Zimmerleute, Maurer und Ziegeldecker sind auch bereits zur Hand, die Schäden zu beseitigen und namentlich das kleine, weinumrankte Wohnhaus in wohnlichen Stand zu setzen.
Geschäftig schreitet ein Weib von Raum zu Raum und giebt mit kundigem Sinn und sicherem Blick ihre Anordnungen, daß die Werkleute manchmal sich ansehen und zuflüstern: »Schade, daß die Frau Doktorin kein Mann ist!«
Bier hat sie auch kommen lassen, um den Eifer der Leute zu stärken, denn in kurzem, hat sie gesagt, wolle ihr Herr und Gemahl kommen, da müsse alles in gutem Stand und Wesen sein.
Von dem Bauplatz geht sie zu dem Stall und redet mit dem Vogt und erkundigt sich nach dem Stand der Saaten. Und dann begiebt sie sich in den Garten und weist die Mägde an und ermuntert sie mit freundlichem Zuspruch zu hurtigem Schaffen. Unmittelbar neben dem Garten ist ein Sumpf, mit Binsen und allerlei Schlinggewächs bestanden. Dort sind vier Bauern thätig, durch eingeschüttete Erde den Morast in Ackerland zu wandeln. Auch zu diesem begiebt sich die Frau und freut sich des geförderten Werks.
Man sieht es auf den ersten Blick, daß wir hier keine Bäuerin vor uns haben, aber das ist auch sofort zu sehen, daß die Frau sich hier wohl fühlt und mit Lust schaltet und waltet, wie ein König in seinem Reich. Sieht wohl etwas blaß und durchsichtig aus, wie wenn sie eben erst aus schwerer Krankheit erstanden wäre, aber aus ihren Augen leuchtet die helle, kräftige Lebenslust und das befriedigende Gefühl, hier in ihrem Element zu fein.
Aus dem Baumgarten, der sich gleich an den Gemüsegarten schließt, schallt fröhliches Kindergeschrei. Ein Mägdlein von zwölf Jahren kommt daher gelaufen mit gerötetem Antlitz und ruft schon von weitem: Mütterlein, kommt mir zu Hilf! Der Paul will nicht von dem Birnbaum herunter, ob er gleich sich an dem Gezweig schon das Höslein zerrissen! Und die Margarete will auch nimmer aufhören, von den Birnen zu essen, da sie doch längst genug hat.«
»Der Paul ist ein wilder Bursch«, sagte die Mutter in halbem Ärger und folgte der Tochter nach dem Baumgarten, wo alsbald die beiden Verbrecher ihre Strafe empfingen, die ihnen indes nicht allzusehr zu Herzen ging, da sie nicht ernst gemeint war.
»Kommet herein, Kinder«, sagte die Mutter alsdann, »daß ihr vernehmet, was der liebe Vater aus Eisenach geschrieben!«
Und die Kinder folgten ihr in die Stube, in welcher es sich schon recht behaglich wohnen ließ.
Der Leser hat wohl schon längst erraten, daß die geschäftige Landwirtin keine andere ist, als Frau Katharina Luther, so sehr er sich auch wundern mag, wie sie in diese Gegend und in dieses Verhältnis gekommen sei.
Ein Vetter Luthers, dem das Gütlein Zulsdorf gehörte, war in Schulden geraten und hatte seinen Landsitz veräußern müssen. Da hatte sich, von der Käthe geschoben, Luther seiner erbarmet und für 610 Gulden, die ihm der Kurfürst dargeliehen, das Landgut gekauft.
Als er seiner Frau die Kaufsurkunde brachte, leuchtete deren Gesicht in kindlicher Freude auf, und mit den zärtlichsten Worten bekam er seinen Dank. Das war ja von jeher ihre Schwärmerei, die Landwirtschaft und das ländliche Wesen. Was sie zuerst als Notwerk betrieben hatte, um für den großen Haushalt eine Einnahmequelle zu schaffen, das war ihr durch die errungenen Erfolge immer mehr zur Liebhaberei geworden.
Auch Luther selbst hatte bald seine Freude an dem Kauf, indem seine hausväterliche Fürsorge an dem stillen Landgütlein einen Ruhesitz für seine Witwe hoffte.
Freilich gewann es den Anschein, als habe Gott andere Gedanken und wolle der Katharina ein anderes Ruheplätzchen anweisen, draußen an dem Ort, wo die stillen Toten in ihren Kammern schlafen. War es Katharina gewohnt worden, als Pflegerin an ihres häufig leidenden Gatten Lager zu stehen, so wendete sich jetzt das Blatt, und Luther kniete an dem Bett seines Weibes, von dem er meinte, es sei ihr Sterbebett. Die Pest, welche im Jahre 1539 abermals mit großem Wüten in Wittenberg einfiel, war schonend an dem Hause Luthers vorübergegangen, da ward im Februar des folgenden Jahres Katharina zufolge einer Fehlgeburt so hart danieder geworfen, daß der Arzt alle Hoffnung aufgab und auch alle Umstehenden meinten, sie sei bereits tot. Aber ein Mittel gab es noch, das besser wirkt, als alle Mixturen des Apothekers, und auf dieses Mittel verstand sich Luther meisterlich. Auf seinen Knieen lag er und betete und betete sein Weib aus des Todes Umarmung wieder los. Am dritten März konnte er einem Freunde schreiben: »Meine Käthe ist von dem nahen Tod sehr wunderbar auferstanden, sie fängt an mit Wohlgefallen zu trinken und zu essen und schleicht mittels der Hände an Bänken und Tischen herum und lernet gehen.«
Jetzt erschien ihm der Gedanke, Zulsdorf zu kaufen, wie eine Eingebung von Gott. Dort in der ländlichen Stille und der frischen, gesunden Luft war der Ort, wo seine liebe Käthe sich wieder erholen und stärken konnte.
Käthe nahm das Anerbieten mit dankbarer Freude an, doch war sie nicht zu bewegen, früher abzureisen, als bis auch ihr Herr und Gemahl genötigt war, Wittenberg zu verlassen, um auf des Kurfürsten Wunsch den Konvent zu Hagenau zu beschicken. In liebendem Sichselbstvergessen wartete die der Pflege selber so Bedürftige des Gemahls, sie konnte sich nicht anders denken denn als seine Gehilfin in des Wortes vollster und tiefster Bedeutung.
Als nun Luther hinweg war, da machte sich auch Katharina fertig und strebte mit Lenchen, Paul und Gretchen dem Ort ihrer Sehnsucht zu – Johannes und Martin mußten wegen des Unterrichts zurückbleiben, erhielten aber in ihrer Traurigkeit den Trost, nachkommen zu dürfen, wenn der Vater von seiner Reise zurück sei. – –
Nun war Katharina bereits etliche Wochen in Zulsdorf und lebte hier in der stärkenden Landluft und dem ihr so sehr zusagenden Beruf zusehends auf, daß sie ihrem Mann nur gute Nachrichten geben konnte.
Aber auch Luthers Briefe waren voll von herzerhebender Botschaft. Von anderer Seite hatte sie erfahren, daß der große Betemeister eine zweite große That vollbracht und auch seinen lieben Philipp Melanchthon aus dem Tod heraus gebetet habe. Melanchthon war auf der Reise nach Hagenau plötzlich zum Tod erkrankt und hatte in Weimar liegen bleiben müssen. Der berühmte Arzt Sturz, welcher Luthern in Schmalkalden behandelt hatte, hatte ratlos an dem Bett gestanden, da war der Held des Glaubens und der Liebe hereingetreten, Doktor Martin Luther. Auch er war bei dem Anblick des Freundes mit den gebrochenen Augen und den verfallenen Wangen erschrocken und hatte zu seinen Gefährten gesprochen: »Behüte Gott, wie hat mir der Teufel dieses Rüstzeug Gottes geschändet!« Doch das Erschrecken hatte in seinem Herzen nur einen Augenblick Raum gehabt – alsobald hatte er sich zum Fenster gewendet und mit lauter, immer lauterer Stimme gebetet und dem Herrgott seinen lieben Freund abgerungen, daß der Tote wieder lebendig geworden war. –
Bald nachdem dieses Gerücht nach Zulsdorf gedrungen, war ein Brief aus Eisenach gekommen, vom 10. Juli datiert, in welchem es unter andern hieß: »Magister Philippus kommt wieder zum Leben aus dem Grabe, siehet noch kränklich, aber doch leberlich, scherzet und lachet wieder mit uns und isset und trinket, wie zuvor, über Tisch. Gott sei Lob, und danket Ihr auch mit uns dem lieben Vater im Himmel.«
Nach etlichen Tagen hatte Luther noch ein Schreiben gesendet, welches von froher Laune übersprudelte:
»Meiner gnädigen Jungfrau Katharina Lutherin von Bora und Zulsdorf, meinem Liebchen. Meine liebe Jungfer und Frau Käthe! Euer Gnaden sollen wissen, daß wir allhier, gottlob, frisch und gesund sind, essen wie die Böhmen, doch nicht sehr, trinken wie die Deutschen, doch nicht viel, sind aber fröhlich, denn unser gnädiger Herr von Magdeburg, Bischof Amsdorf, ist unser Tischgenoß. Es ist allhier solche Hitze und Dürre, das unsäglich und unerträglich ist Tag und Nacht. Komm, lieber jüngster Tag! Amen!
Dein Liebchen
Martin Luther.«
Endlich meldete er in einem dritten Schreiben seine nahe Rückkunft, und das war der Brief, den die Mutter jetzt ihren Kindern vorlas.
»Der reichen Frau von Zulsdorf, Frau Doktorin Katharina Lutherin, meinem Liebchen, zu Händen. Morgen, Dienstags, wollen wir uns von hier aufmachen. Es ist mit dem Reichstag zu Hagenau ein Dreck, ist Müh und Arbeit verloren und Unkost vergeblich; doch, wo wir nichts mehr ausgerichtet, so haben wir doch den Magister Philippus wieder aus der Hölle geholet und aus dem Grab fröhlich heimbringen wollen, ob Gott will und mit seiner Gnade. Amen.
Ich bin nicht gewiß, ob Dich diese Briefe zu Wittenberg oder zu Zulsdorf würden finden; sonst wollte ich von mehreren Dingen geschrieben haben. Hiemit Gott befohlen.
Montags nach Jakobi 1540.
Dein Liebchen
Martin Luther.«
Mit lautem Jubel hörten die Kinder diesen letzten Brief von der Mutter vorlesen, das Lenchen wurde aber bald nachdenklich und sagte: »Der liebe Vater weiß nicht, ob wir noch allhier oder zu Wittenberg seien, wird darum nicht wissen, wohin er sich wenden solle auf der Heimfahrt.«
Und das Kind ließ traurig den Kopf hängen.
Die Mutter tröstete: »Liebes Kind, dein Vater hat ein fein Gefühl, wird schon den rechten Weg finden.«
Nach drei Tagen sahen die Kinder, welche alle Tage zu wiederholten Malen auf den Hügel hinter dein Haus gestiegen waren, eine Staubwolke auf der Landstraße, aus welcher bald ein Wagen sichtbar ward. Das mußte der Vater sein, und in überstürzender Hast eilten sie ihm entgegen, indem die beiden älteren unbarmherzig das gestürzte Gretchen liegen ließen.
Durch das Geschrei war auch Frau Katharina aufmerksam geworden und hinausgeeilt. Da sah sie ihren geliebten Gatten, von seinen drei auf den Wagen gehobenen Kindern umgeben, daherkommen und winckte ihm schon von weitem mit dem Schweißtüchlein den Willkommen entgegen.
Mit stolzem Behagen und kindlicher Freude führte sie den Doktor, dem sie kaum Zeit gelassen, sich des Reisestaubes zu entledigen, in ihrem neuen Reich herum, denn sie brannte vor Begierde, ihm alle Herrlichkeit zu zeigen. Das dauerte eine gute Weile, denn es galt vieles zu erklären und zu preisen. – Luther hörte ihr geduldig, wie ein Lamm, zu, denn seiner Käthe Freude war auch seine Freude, ja er konnte seine Bewunderung nicht bergen, indem er sagte: »Lieber Herr Käthe, ich sehe, daß Ihr Euch als König in Eurem neuen Reich wohl zu schicken wisset und will Euch meine Ehrfurcht vor Eurem Regiment nicht versagen, auch meine allerunterthänigste Huldigung nicht weigern. Mehr aber als über das Königreich freue ich mich über den König selber, der wieder so volle, runde Wangen bekommt und einen so frischen, fröhlichen Mut.« –
In dem wohnlich hergerichteten Zimmer nach dem Hof zu hatten inzwischen die Mägde einen Imbiß auftragen müssen nebst allerlei Obst aus dem Garten, und Luther zeigte hier den Seinen, daß er in seinem vorletzten Brief keine Übertreibung geschrieben, wenn er sagte, er könne wieder essen wie ein Böhme, und trinken wie ein Deutscher. Wenn er auch nach seiner Gewohnheit nur wenig Speis' und Trank zu sich nahm, so aß er doch mit Genuß und Behagen, und mit stiller Wonne hörte ihm Katharina samt den Kindern zu, wie er dazwischen von seiner Reise erzählte.
Seinen Bericht plötzlich unterbrechend, sagte er: »Ein alter Heide in Rom, der außerhalb der Stadt auch so ein Zulsdorf besaß, hat davon gesungen:
Ille terrarum mihi praeter omnes
Angulus ridet.
Das heißt zu deutsch:
Vor allen Örtern dieser Welt
Mir dieser Winkel wohlgefällt.
Dasselbige mag auch ich wohl singen und rühmen. Wie gütig ist doch der Herr! Er giebt über Bitten und Verstehen. Wenn wir um ein Stück Brot bitten, giebt er uns einen ganzen Acker. Als du krank lägest, liebe Käthe, da bat ich Gott, er sollte dich mir leben lassen, und er giebt mir noch das Gütlein Zulsdorf dazu und bescheret uns sonst ein reich, fruchtbar Jahr. Ach, wie ist es hier so paradiesesschön und wehet mich so herzwarm an! Wahrlich, so mir Gott der Herr nach des Tages Last und Hitze noch einen Feierabend möchte vergönnen, so will ich denselben fern von Wittenberg allhier in Zulsdorf verbringen. Verspüre auch schon deutlich, daß mein Leben zur Rüste gehet und meine Kräfte brechen. Alsdann will ich vollends alle Herrschaft von mir thun, und du sollst dann mein »Herr« Käthe sein, dem ich gehorsamen will als wie ein Kind.«