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Einundzwanzigstes Kapitel.
Ein Ehrendenkmal für die Käthe.

Der Mensch denkt, Gott lenkt. Der gewünschte Feierabend sollte dem Manne, welcher mehr gearbeitet hatte, denn sie alle, hienieden nicht kommen; es gab noch viel für ihn zu vollbringen, wirkend und schaffend sollte er sein großes Leben aushauchen und manchen sauren Tritt noch sollte er thun, ehe sein Herr zu ihm sprach: Ei du frommer und getreuer Knecht, gehe ein zu deines Herrn Freude.

Dennoch war er müde, ach sehr müde, und seine Gedanken waren beständig auf den Tod gerichtet. Auf die vielen teilnehmenden Anfragen nach seinem Befinden war seine Antwort immer ziemlich dieselbe: »Das Alter ist da, welches an ihm selbst alt und kalt und ungestalt, krank und schwach ist. Der Krug gehet so lange zum Wasser, bis er einmal zerbricht. Ich habe lange genug gelebt; Gott beschere mir ein selig Stündlein, darin der verdorrte, unnütze Leib unter die Erde komme zu seinem Volk und den Würmern zu teil werde. Achte auch wohl, ich habe das Beste gesehen, das ich hab' auf Erden sehen sollen. Denn es lasset sich an, als wollte es böse werden. Gott helfe den Seinen! Amen.«

Der Kurfürst überbot sich in zärtlicher Fürsorge und schickte ihm seinen eignen Leibarzt. Als sich aber Luther bei seinem gnädigen Herrn bedankte, daß sich derselbe seiner alten, bösen Haut so herzlich angenommen, setzte er hinzu: »Ich hätte wohl gerne gesehen, daß mich der liebe Herr Jesus mit Gnaden weggenommen hätte, da ich doch nun wenig mehr nütze bin auf Erden.«

Es war nicht greisenhafte Schwarzseherei, was ihm die Zeit in einem so düstern Licht erscheinen ließ, sondern der klare, erleuchtete Blick des Propheten, der eine schwere, trübe Zukunft voraussah. Und war nicht schon die Gegenwart unerquicklich genug? Wie hoch gingen die politischen Wogen, wie spannte sich zwischen der katholischen und protestantischen Partei der Bogen immer straffer, daß es einmal zum Springen kommen mußte! Und nun in Wittenberg selbst, der Stadt, die die Leuchte des Evangeliums gewesen war, wie war das sittliche Leben der Hochschule im Niedergang begriffen! Wie hatte Luther wider die liederliche Wirtschaft der Studenten donnern müssen, wie war er auch genötigt gewesen, gegen die Juristen und deren Verdrehung der Rechtsbegriffe zu Felde zu ziehen, daß von ihm das geflügelte Wort durch die Welt lief: »Juristen, schlechte Christen.« Die Antwort aber auf diesen Notschrei des evangelischen Gewissens und solches Zeugnis des Vorkämpfers der Wahrheit war Haß und Feindschaft. Man konnte in seiner zornigen Verblendung ganz vergessen, was die Christenheit dem Doktor Martinus zu danken hatte; man entblödete sich nicht, den Mann zu kränken und zu lästern, vor dem alles mit gezogenem Hut stehen mußte. – Das alles drückte auf den Riesengeist und machte ihn mürbe, so daß Todesgedanken jetzt seine Lieblingsgedanken wurden.

In solcher Stimmung saß er eines Tages zu Anfang des Jahres 1542 auf seinem Stüblein und schrieb seinen letzten Willen nieder. Innerlich war er zur Heimfahrt bereit, nun wollte er auch seine äußern Angelegenheiten ordnen und sein Haus bestellen.

Dieses Testament gestaltete sich von selbst zu einem Ehrenzeugnis und Dankbarkeitsdenkmal für sein Weib. Es ist, als wollte der hinwelkende Gatte noch einmal mit Buchstaben zusammenfassen und in einem unverlöschlichen Bild befestigen, was er in Worten je und je hatte laut werden lassen.

Das Schriftstück, welches bis auf den heutigen Tag noch vorhanden ist, hat folgenden Wortlaut:

»Ich, Doktor Martin Luther, bekenne mit dieser meiner eignen Handschrift, daß ich meiner lieben und treuen Hausfrau Katharina gegeben habe zum Leibgeding, oder (wie man das nennen mag) auf ihr Lebenlang, damit sie ihres Gefallens und zu ihrem Besten dessen brauchen möge, und gebe ihr das in Kraft dieses Briefes, gegenwärtigen und heutigen Tages:

Zum ersten das Gütlein Zulsdorf, wie ich dasselbe gekauft und zugerichtet, allerdings, wie ich es bis daher gehabt habe.

Zum andern das Haus Bruno Das Haus Bruno, die sogenannte Bude oder das kleine Haus, mit einem jährlichen Gebräude Bier, in der Kollegiengasse gelegen, hatte Luther im Jahre 1541 von Bruno Brauer, dem Pfarrer zu Dabin, für 430 Gulden erkauft und feinem Famulus Wolfgang Sieberger als Lehnsträger übergeben. Es gehörte ursprünglich zu dem Augustinerkloster und war schon 1534 Luthern einmal zum Ankauf angeboten worden; er hatte aber damals den Pfarrer Brauer zum Käufer vorgeschlagen. Die Universität, welche es später kaufte, brach es ab und erbaute auf der Stelle das Vordergebäude des Augusteums, in welchem sich gegenwärtig das Predigerseminar befindet. zur Wohnung, so ich unter meines Wolfgangs Namen gekauft.

Zum dritten die Becher und Kleinodien, als Ringe, Ketten, Schenkgroschen, güldene und silberne, welche ungefährlich gegen 1000 Gülden mögen wert sein.

Das thue ich darum:

Erstlich, daß sie mich als fromm, treu, ehelich Gemahl allzeit lieb und wert und schön gehalten und mir durch reichen Gottessegen fünf lebendige Kinder geboren und erzogen hat.

Zum andern, daß sie die Schuld, so ich noch schuldig bin, (wo ich sie nicht bei meinem Leben noch abtrage) auf sich nehmen und bezahlen soll, welche ungefähr, mir bewußt, 450 Gülden sein mag – mögen sich auch vielleicht noch mehr finden.

Zum dritten und allermeist darum, daß ich will, sie müsse nicht den Kindern, sondern die Kinder ihr in die Hände sehen, sie in Ehren halten und unterworfen sein, wie Gott geboten hat, denn ich wohl gesehen und erfahren, wie der Teufel wider dies Gebot die Kinder hetzet und reizet, wenn sie gleich fromm sind, durch böse neidische Mäuler, sonderlich wenn die Mütter Witwen sind, und die Söhne Ehefrauen, die Töchter aber Ehemänner kriegen. Denn ich halte, daß die Mutter ihren eignen Kindern der beste Vormund sein werde und solch Gütlein und Leibgeding nicht zu der Kinder Schaden oder Nachteil, sondern zu Nutz und Besserung brauche, als die ihr Fleisch und Blut sind, und die sie unter ihrem Herzen getragen.

Und ob sie nach meinem Tod genötigt oder sonst verursacht würde – (denn ich Gott in seinen Werken und Willen kein Ziel setzen kann) – sich zu verändern, so traue ich doch und will hiemit solch Vertrauen aussprechen, sie werde sich mütterlich gegen unser beider Kinder halten und alles, es sei Leibgeding oder anderes, wie recht ist, treulich mit ihnen teilen.

Und bitte ich hiemit unterthäniglich meinen gestrengen Herrn Kurfürsten Johann Friedrich, Seine Kurfürstliche Gnaden wollten solche Begabung oder Leibgeding gnädiglich schützen und handhaben.

Auch bitte ich alle meine guten Freunde, sie wollten meiner lieben Käthe Zeugen sein und sie entschuldigen helfen, wo etliche Mäuler sie beschweren oder verunglimpfen wollten, als sollte sie etwa eine Barschaft hinter sich haben, so sie den armen Kindern entwenden oder unterschlagen würde. Ich bin des Zeuge, daß da keine Barschaft ist, ohne die Becher und Kleinode, droben im Leibgeding aufgezählet. Und zwar sollt's bei jedermann die Rechnung öffentlich geben, weil man weiß, wie viel ich Einkommens gehabt von meinem gestrengen Herrn, und sonsten nicht einen Heller noch Körnlein von jemand einzukommen gehabt, ohne was Geschenk ist gewesen, welches droben unter den Kleinodien, zum Teil auch noch unter der Schuld steckt und zu finden ist. Und ich doch von solchem Einkommen so viel gebaut, gekauft, große und schwere Haushaltung geführt, daß ich's muß neben anderm selbst für einen sonderlichen, wunderlichen Segen erkennen, daß ich's hab können erschwingen, und nicht Wunder ist, daß keine Barschaft, sondern daß nicht mehr Schuld da ist. Dies bitte ich darum; denn der Teufel, so er mir nicht könnte näher kommen, möchte wohl auf allerlei Weise meine Käthe suchen, um deswillen, daß sie des Mannes Doktor Martinus eheliche Hausfrau gewesen und gottlob noch ist. Dieses ist meine ernstliche und wohlbedachte Meinung.

Geschehen und gegeben am Tag Epiphaniä 1542.

Martinus Luther.«

Noch an demselben Tag ließ der Doktor seine Freunde Melanchthon, Cruziger und Bugenhagen kommen, um die Urkunde mit den Zeugenunterschriften zu versehen und dadurch rechtsgültig zu machen. Seine Frau aber bekam das Schriftstück jetzt nicht zu Gesicht. Der Doktor scheute sich, ihre Wehmut aufzuregen, die bei dem Gedanken an eine baldige Trennung von dem Gefährten des Lebens ihre gegenwärtige Grundstimmung war.

Es war ihm aber, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen, nachdem er diese Pflicht des Hausvaters und Ehegatten erfüllt, und mit noch größerer Inbrunst konnte er jetzt in seinem täglichen Gebet sprechen: »Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.«


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