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Sechstes Kapitel.
Ein flüchtig Feuer.

Es war an einem Augustmorgen desselben Jahres 1523, als Frau Elsa in das Schlafgemach ihres Gatten drang. Sie befand sich in einem sehr erregten Zustand. Ihre Wangen waren hoch gerötet und der Atem ging schnell, daß es ihr schwer ward, zu sprechen.

»Nun weiß ich es endlich, wer es sei, der seit etlicher Zeit in aller Frühe immer das Blumensträußlein in das Fenster leget. Habe mich auf die Lauer gestellet, und siehe, es ist also, wie ich besorget.«

Der Syndikus wischte sich den Schlaf aus den Augen und sah sein Weib betroffen an. »Du meinest den Nürnberger?«

»Keinen andern! Gar auffällig hat er es in der letzten Zeit getrieben. Selbst die Andacht in der Kirche hat er ihr gestöret, da er sich immer ihr gegenüber aufstellete und die Augen nimmer von ihr ließ – sündhaft zu sagen.«

»Und wie denket die Käthe darüber?«

»Ach, ihr Herz scheinet sich zu ihm hinzuneigen, denn wo er sie anschauet, erglühen ihre Wangen wie von Feuer, und gar gesprächsam wird sie, die sonst so stille Jungfer, wo auf ihn die Rede kommt. Jüngst, da wir von Lukas Kranach des Abends zur Tafel geladen waren, wo der junge Baumgärtner auch zugegen war, hat sie gar angelegentlich mit ihm geplaudert und auf dem Heimweg mich gefragt: wie weit Nürnberg von Wittenberg entfernt sei, und ob die Schwaben alle so herzig redeten, als der junge Hieronymus.«

»Und was hast du ihr geantwortet?«

»Ich habe ihr geantwortet, bis Nürnberg wäre es ein weiter, weiter Weg, und ob die Schwaben herziger redeten, denn die Sachsen, wäre mir nicht bekannt, so viel aber wüßte ich, daß man an der herzigen Sprache allein noch nicht erkenne, ob ein Mensch ein gutes Herz habe.«

»Und was sagte sie dazu?«

»Was sie dazu sagte? Hm, sie hat mich verlegen fragend angeschaut und dann schweigend den Kopf geneiget.«

»Ei, so will ich hoffen, daß sie dich verstanden, denn trauern würde ich, wo die Käthe uns verließe, um dem Hieronymus zu folgen. Sollen wir sie hergeben, so sei es einem würdigen Manne, zu dem wir das Vertrauen haben können, daß sie bei ihm wohl aufgehoben sei. Dieser Nürnberger aber scheinet mir gar leichten, flüchtigen Sinnes zu sein.«

»Solches meine ich auch«, versetzte Elsa mit lebhafter Gebärde. »Doch will es mich bedünken, als ob der Doktor Luther den jungen Menschen liebe. Hat ihn unterschiedlich belobt um seines Fleißes und seiner reichlichen Kenntnisse willen, so er sich während der Zeit seines Aufenthalts in Wittenberg erworben. Besorge dahero, daß der Hieronymus in Luther einen Fürsprech haben werde, wann er kommt und die Hand unsrer Käthe begehret.«

»Liebste Elsa«, fuhr der Syndikus fort, indem er seiner kleinen Frau die Hand auf die Schulter legte, »hier gebühret es sich, daß unsre Erfahrung und Fürsicht der jugendlichen Unerfahrenheit zu Hilfe komme. Katharina ist so gut wie unser Kind, und Sünde wäre es für uns, so wir nicht unser Kind vor einem möglichen Unglück und langem Herzeleid bewahreten. Kann mir ja wohl denken, daß ihr Herz in schnellem Feuer für den Jüngling entbrannt sei, maßen er ein feiner, sauberer Gesell ist und von wohlanständigen Gebärden; überdem ist er das erste Mannsbild, so ihr in Liebe nahet. Wo sie mehr Umgang mit Männern gehabt hätte, möchte sie wohl kühler und überlegsamer sein.«

Frau Elsa brach das Gespräch ab und drängte ihren Eheherrn, sich anzukleiden und zur Morgenandacht zu kommen.

Während das Ehepaar sich nach der Diele bewegte, wo Sibylla eben das Morgensüpplein aufgetragen hatte, that es mit dem messingenen Klopfer drei Schläge an die Hausthür, und bald erschien ein stattlicher, junger Mann in vornehmen Kleidern, der mit edlem Anstand grüßend auf der Thürschwelle stehen blieb und wartete, bis der bei seinem Anblick sichtlich betroffene Hausherr ihn zum Nähertreten nötigte.

»So frühe schon beehret Ihr uns mit Eurem Besuch, werter Herr Baumgärner?« sagte etwas beklommen der Syndikus, ihm entgegengehend und die Hand darreichend, während Frau Elsa in zerstreuter Hast an den Tisch trat, das Geschirr zu ordnen.

Der junge Mann verneigte sich höflich. »Wollet nicht ungehalten sein, daß ich Euch beim Frühtrunk störe, maßen ich um der Eiligkeit meiner Abreise willen keine andere Zeit finde, Euch Valet zu sagen.«

Herr Reichenbach sah erstaunt zu dem hochgewachsenen Jüngling auf, und Frau Elsa, welche sich bis jetzt zurückgehalten, trat eilfertig hervor: »Wie saget Ihr, Herr Baumgärtner? Ihr wollet Wittenberg verlassen?«

Trübe den Kopf neigend antwortete der Studiosus: »So schwer es mir auch wird, die Stadt zu verlassen, da mir so viel Segen und Freude erblühet ist, so gebühret sich doch dem Sohn Gehorsam gegen den Vater, welcher meine schleunige Heimkunft heischet.«

Mit heuchlerischer Wärme und übel verhohlener Freude nötigte Frau Elsa den jungen Mann an den Tisch, erkundigte sich sehr teilnehmend nach dem Grund des väterlichen Gebots, war überhaupt sehr redselig und freundlich mit Fragen auf ihn drein, daß er sich im stillen verwunderte über die Gunst, in die er auf einmal bei der sonst so kühl zurückhaltenden Frau gekommen war. Seine Augen gingen aber unruhig nach der Thür hin, als ob er jemandes warte, und je länger er vergebens wartete, desto unstäter ward sein Blick, desto zerstreuter und verworrener seine Antworten.

Endlich erhob er sich zum Abschied. Man sah ihm an, daß er noch etwas auf dem Herzen habe, was ihm nimmer über die Zunge wollte, bis er endlich mit gewaltsamem Zusammenraffen und wiederholtem Räuspern nach der Katharina fragte. »Gern möchte ich auch ihr Valet sagen, maßen ich …«

Er vollendete den Satz nicht, denn die Verlegenheit, welche seine Worte bei den beiden Eheleuten hervorriefen, steigerte seine eigne Herzbeklemmung.

Nach einer peinlichen Pause stammelte die Frau Reichenbach: »Sie ist noch droben auf ihrem Kämmerlein – hat sicherlich keinen guten Schlaf gehabt, denn sonst würde sie schon zu der Morgenandacht erschienen sein. Habet Ihr ihr aber noch etwas Sonderliches zu sagen, so will ich es gern ihr übermitteln.«

»Über des Jünglings schönes Angesicht ging ein Schatten, ein Gemisch von Schmerz und Zorn, seine Oberlippe kräuselte sich, daß unter dem Bärtlein die Zähne sichtbar wurden, und mißtrauisch forschend ruhten seine dunklen, großen Augen auf dem Mienenspiel der kleinen Frau, welcher es unter dieser Ausforschung heiß und kalt wurde, und deren Hände hastig ihr Gewand in Ordnung zu bringen suchten, das doch gar nicht in Unordnung war.

Fast wie ein Vorwurf klang es, als der Syndikus seiner Frau zurief: »Gehe doch und siehe, aus was Ursach Katharina heute so gar lange säumet!« Und mit innerem Widerstreben beugte sich Frau Elsa dem Befehl.

In diesem Augenblick ging die Thür auf, und die Käthe trat herein. Beim Anblick des jungen Mannes hemmte sie betroffen den Schritt und senkte das erglühende Antlitz.

Der Syndikus kam ihrer Pein zu Hilfe, indem er väterlich liebreich sich ihr nahete und ihr die Hand reichte. »Tretet herzu, Katharina, und grüßet den Herrn Baumgärtner, welcher gekommen ist, uns Valet zu sagen, um heimzukehren zu seinem Vater.«

Der Katharina stockte der Atem, ihr Gesicht verfärbte sich, und mit scheuem Fragen gingen ihre Augen zu dem jungen Manne hin. Dieser trat auf sie zu und suchte nach ihrer Hand. »Wollte Euch bitten, liebste Jungfer, daß Ihr meiner freundlich gedenket, gleichwie auch ich Euer Gedächtnis treulich bewahren werde, bis daß Gott es füget, daß ich Euer Antlitz wieder schaue.«

»So wollet Ihr wiederkehren gen Wittenberg?« fragten Katharina und Elsa zusammen, die erstere freudig erglühend, die andere mit sichtbarem Erschrecken.

Der Jüngling breitete in einer schwärmerischen Anwandlung die Arme aus: »Wie könnte ich dein vergessen, Wittenberg, du Städtle, das du meinen Geist gebildet und mein Herz beseliget! Nicht lange, hoff' ich, soll mich die Pflicht des Kindesgehorsams in Nürnberg festhalten, alsdann eil ich zurück. Inzwischen seid dem Schutze Gottes befohlen!«

Er brach schnell ab, um die ihn übermannende Rührung zu verbergen. So machte er einen kurzen, jähen Abschied und eilte davon. –

Tiefe Stille herrschte diesen und die folgenden Tage in des Stadtsyndikus Hause. Die Eheleute redeten wenig miteinander, fanden sich auch nicht einmal im Dämmerstündlein zusammen, und droben auf ihrer Kammer saß das Käthchen, den Kopf in die Hand gestützt, in großer Traurigkeit. Sie fühlte in ihrem Herzen eine Leere – jetzt, wo der Hieronymus von dannen gegangen, kam es ihr erst zur vollen Klarheit des Bewußtseins, daß sie ihm herzlich zugethan sei. Sie wollte sich der Liebe ihrer Pflegeeltern getrösten, aber diese schien ihr kein hinreichender Ersatz zu sein. Was sie verloren, schien ihr unersetzlich, und daß der Hieronymus nicht wiederkehren werde, sagte ihr eine unüberwindliche Ahnung. Doch, wenn die Thränen aus den Augen brechen wollten, raffte sie sich empor und nahm ihre ganze Kraft zusammen, sich über den Schmerz zu erheben, damit es die guten Reichenbachs nicht sähen, wie sie, die zu so großem Dank Verpflichtete, jetzt ihre Liebe teile zwischen ihnen und einem andern, der ihnen noch dazu nicht genehm zu sein schien. Sie fühlte es als eine Sünde, da sie ihr Herz darüber ertappte, daß ihr die Wohlthäter zurückträten hinter einem fremden Mann, der ihr freundlich genahet. Und nun gebot sie mit starkem Willen ihrem Herzen: Sei still, du thöricht Herz, und siehe, daß du mit doppelter Liebe die Sünde an den Wohlthätern sühnest!

Etliche Tage später empfing Frau Elsa den vom Rathaus heimkehrenden Gatten in stürmischer Umarmung: »Philippus, die Katharina ist ein tapferes Mädchen! Sie hat ihr Herz bezwungen, sie ist ganz wieder die unsre!«


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