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Elftes Kapitel.
Der treue Eckart.

»Wie lange doch der Hans säumet! Es wird ihm doch nicht wieder leid geworden sein?«

»Fürchte das nicht, Eberhard, denn er war derjenige, so am hitzigsten entbrannte über des Ketzers neues Bubenstück. – Wirt, füllet mir noch einmal den Krug!«

»Auch mir!« rief eine dritte Stimme.

Als der Wirt das Geforderte gebracht hatte, polterte ein junger, erhitzter Edelmann zur Thür herein und wurde von den Anwesenden mit lauter Freude begrüßt.

Wir befinden uns in einer Schenke nahe bei Wurzen, dem »blauen Hecht«. Düster flackert der Kienspan in dem dumpfen, verräucherten Gemach und hüllt die Gesichter der vier Gäste abwechselnd in Licht und Schatten. Es ist alles unsauber in dem Gemach, so unsauber wie der Wirt selbst, dessen Wams von Schmutz starrt und dessen Gesicht zu dem Wasser kein besonders freundschaftliches Verhältnis zu unterhalten scheint. Er mag wohl lange nicht solche vornehmen Gäste beherbergt haben, denen es auch in dieser Höhle nicht gerade behaglich zu sein scheint, denn nur mit Widerwillen führen sie die Krüge zum Mund.

Es sind vier Junker aus der Umgegend; Hans von Soldau, Eberhard von Kriebitsch, Wolf von Steinbach und Joachim von Spergau, die in der einsamen Herberge zum blauen Hecht eine geheime Zusammenkunft verabredet haben.

»Das ist brav, Hans, daß du kommst!« rief es dem Nachzügler entgegen, während zugleich der Wirt einen strengen Wink bekam, sich zu entfernen.

»Seid nicht ungehalten, ihr Freunde, daß ich die Stunde nicht eingehalten«, krächzte Hans von Soldau mit seiner heisern Stimme, nachdem er Platz genommen. »Genauere Kunde wollte ich vorerst einziehen, ob es wahr sei, was als ein Gerücht zu meinen Ohren gedrungen, daß nämlich das Glück unser Fürnehmen begünstige und uns bald eine schickliche Gelegenheit schaffen werde, unsre Rache an dem Unhold zu kühlen.«

»Was sagst du?« fragten auffahrend die drei andern.

Hans von Soldau hob beschwichtigend beide Hände auf. »Bleibet ruhig und höret mich an! Bin zuvor bei meinem Beichtvater gewesen und habe ihm gebeichtet, auf daß ich mit größerer Freudigkeit und Mut die Hand anlegen könne. Und der Pater hat mir auch seinen Segen gegeben und mir einen reichlichen Lohn im Himmel verheißen. Doch warnet er vor offener Gewaltthat, als wodurch ein neues Feuer entbrennen könne, schlimmer denn der kaum gedämpfte Bauernkrieg; es müsse vielmehr heimlich geschehen, daß niemand wisse, wo der Ketzer geblieben.«

Der Sprecher stand auf und fuhr mit erhobener Stimme fort: »Freunde, Brüder! Wir alle sind in gleicher Lage, müssen derhalben fest zusammenhalten. Einem jeglichen von uns ist durch die unwillkommene Rückkehr der Schwester das Erbe verkürzet. Haben wir darum unsrer Eltern Herz gedränget, die Schwester in das Kloster zu thun, daß dieser vermaledeiete Mönch ihnen die Pforte wieder öffne zur Heimkehr in das Vaterhaus? Wehe dir, Luther! Zu Nimptschen ist es dir geraten, aber daß du auch nach Freiberg deine lose Hand gestrecket, das soll dein Unglück sein.«

In bitterm Grimm schlug Wolf von Steinbach auf den Tisch und brüllte mit dröhnender Stimme: »Ich bin um zehn tausend Gülden ärmer geworden – Luther, das sollst du bezahlen!«

»Was scheret mich das Geld!« rief Eberhard von Kriebitsch mit giftigem Blick. »Ich wollte den Bettel wohl missen, aber nun den Drachen wieder im Haus zu haben, meine Stiefschwester, mit der ich seit meiner Kindheit Tagen immer in den Haaren gelegen, das ist, ums Gallenfieber zu kriegen!«

»Mäßiget doch eure Reden!« mahnte Joachim von Spergau, »auf daß wir erst von dem Hans erfahren, welches denn die Gelegenheit sei, so uns das Glück in den Weg wirft.«

Hans von Soldan fuhr sich mit der gespreizten Hand durch den wallenden roten Bart und erzählte: »Des Kurfürsten Hofkaplan und Geheimschreiber Spalatinus will am 19. November Hochzeit halten und hat dazu auch den Luther geladen. Vor zween Stunden traf ich von ungefähr mit dem Boten zusammen, der Luthers zusagende Antwort nach Altenburg trägt. Nun saget, Gesellen, füget es sich nicht alles zu unsern Gunsten? Hei, Luther, bald wird dein letztes Brot gebacken sein.«

Nach diesen in unheimlich heiserem Ton hervorgestoßenen Worten folgte eine augenblickliche Stille, daß der Hans befremdet die Mordgesellen anstarrte und trotzig fragte: »Ha, ihr Memmen, fällt euch etwan das Herz? Ei, so thue ich's allein, ich bedarf Euer nicht.«

Joachim von Spergau, der besonnenste der vier, antwortete mit dem Ausdruck der Kränkung in Stimme und Gebärde: »Lästere nicht, Hans, taste nicht an unsre Ehre! Das ist keine Feigheit, wenn das Herz sich erst sammelt, ehe es zu einem Blutrat sein Ja und Amen spricht.«

»Was redest du, Joachim?« fuhr Hans etwas gelinder fort. »Es wird sich ja ohne Blut ausrichten lassen, und mein Beichtvater weiß einen Ort, wo der Ketzer nicht zu sterben braucht und dennoch tot ist für die Welt. Sollte es indessen unvermeidlich sein, sein Blut zu vergießen, so erkläret euch jetzt feierlich, ob ihr mit Hand anlegen wollet, oder nicht. Noch ist es Zeit. Schrecket ihr vor Blut zurück, so gehet hin, ich will dann allein den Ruhm haben, die Welt von einer Pest des Verderbens erlöset zu haben. Im andern Fall aber hebet die drei Schwurfinger und leistet den Eid!«

Man sah es den andern an, daß es ihnen einen Kampf kostete, sich durch einen Eid auch für einen möglichen Mord zu binden, denn dieser Gedanke hatte ihnen am Anfang fern gelegen; aber der vorwurfsvolle Hohn, der ihnen aus Hansens Augen entgegenblitzte, trieb sie zu schnellem, übereiltem Entschluß, und sie leisteten den Handschlag.

Nachdem die Junker noch das nähere verabredet, wie der Anschlag ausgeführt werden solle, bezahlten sie ihre Zeche und trennten sich, die Rosse besteigend, nach allen vier Windrichtungen.


»Aus was Ursach blickest du jetzt immerdar so trüb, liebe Käthe?« fragte Luther seine Ehefrau. »Quälet dich ein Leibesweh, oder drücket dich eine Angst der Seele, die du vor mir verbirgest?«

Katharina seufzte tief auf. »Auf meinem Herzen lieget es als ein schwerer Stein, und ich weiß nimmer, was es sei. Gar oftmals überfällt den Menschen eine Ahnung, davon er sich keine Rechenschaft, zu geben vermag und dafür er keine vernünftigen Gründe zu finden weiß; aber sie ist einmal da und lasset sich nicht verscheuchen.«

»Ei, was ist es denn, das dir ahnet?« fragte Luther lächelnd.

»Es ist mir, als ob ein groß Unheil unser warte.«

Luther hob freundlich drohend den Finger: »Du Ahnungs- und Sorgenmeisterin siehest Gespenster, wo keine vorhanden. Weißt du nicht, daß solche Gespensterseherei nichts tauget, maßen sie nicht allein unser Herz ängstet, sondern auch den Herrgott betrübet? Wir sollen keine Gespenster fürchten, wo Gottes Engel über uns wachen. – Kann mir aber denken, was deine Unruhe sei: ist weiter nichts denn Unmut und Sorge, daß die drei aus dem fürstlichen Frauenkloster zu Freiberg entronnenen Nonnen in unserm Hause Zuflucht gesuchet haben und an unserm Tisch mit essen. Wollest dir darob kein Kümmernis machen, sondern den armen Flüchtlingen gern die Freistatt gönnen, bis daß ihrer Anverwandten Zorn still geworden.«

»Thuet mir nicht unrecht, Herr Doktor!« fiel Katharina mit bittendem Vorwurf ein. »Von Herzen gern habe ich die Armen aufgenommen, lieber denn jüngst die fünf Mönche aus dem Thüringerland, denen Ihr neben der Speis' und Trank auch noch Tuch zu einem neuen Gewand verehret, und die hernach so undankbar gewesen und als Diebe aus unserm Haus geschlichen. Nein, lieber Herr Doktor, unsre drei Freibergerinnen sind mir lieb und wert, und ich will gern mit ihnen teilen, was ich habe – ist doch auch gestern eine neue Zufuhr von dem kurfürstlichen Hof eingetroffen: Korn, Malz und Holz. Dennoch aber mag meine Angst wohl durch die Gegenwart der drei Nonnen verursachet sein und sonderlich durch eine derselbigen, die Herzogin Ursula von Münsterberg, welche als die Schwestertochter des Herzogs Georg, Eures grimmigsten Feindes, uns wohl Not und Fährlichkeit ins Haus bringen mag.«

»Sei ruhig, liebste Käthe!« sagte Luther beschwichtigend, »und befiehl deine Seele dem Herrn. Es ist ein gut, gottgefällig Werk, so wir an den Flüchtlingen thun, so wird uns Gott um ihretwillen kein Leid widerfahren lassen. Sollen wir aber trotzdem um dieser Sache willen leiden, so denke, daß geschrieben stehet: » Selig seid ihr, so euch die Menschen schmähen und verfolgen um meinetwillen!«

Käthe war still, aber das Herz blieb ihr schwer. Sie ärgerte sich über sich selbst und wollte sich die trüben Gedanken aus dem Sinn reden, aber ihr Herz blieb schwer. – –

Am andern Morgen, als nach der gemeinschaftlichen Andacht und eingenommenem Frühtrunk die Gäste samt dem Gesinde sich wieder entfernt hatten, trat Katharina sehr ernsthaften Blickes vor ihren Eheherrn: »Herzliebster Herr Doktor, nun weiß ich die Ursach meiner Angst, der Herr hat es mir diese Nacht im Traum gezeiget. Haltet Ihr etwas von den Träumen?«

Luther antwortete: »Die Schrift lehret uns, daß Gott sich zuzeiten des Traumes bediene, dem Menschen seine Gedanken zu offenbaren und das Zukünftige zu zeigen, sei es zur Lehre, sei es zur Warnung. Was hast du im Traumbild gesehen?«

»Nichts Gutes«, war Katharinas Antwort, »sondern etwas, das mich in harten Schweiß getrieben. Ich sähe Euch reisen auf einem offenen Wägelein zur Hochzeit Eures Freundes Spalatin. Unterwegs aber brachen Geharnischte aus dem Geheg, die fielen über das Gefährt her, rissen Euch aus dem Wagen und schlugen mit dem Schwert nach Eurem Haupt, daß das Blut danach ging. Ursula von Münsterberg aber, die entlaufene Nonne, stand auch dabei und zerraufte sich das Haar. – Darüber erwachte ich und war froh, daß es nur ein Traum gewesen sei. Da ich aber wieder einschlief, siehe, da kam der Traum zum andern Mal und zeigte mir dasselbige Bild. Da erkannte ich, daß der Traum kein Trug sei, sondern eine Offenbarung Gottes, daß Ihr den Weg nicht machen sollet. Ach, Herr Doktor, ich bitte, ich beschwöre Euch um Christi willen, bleibet daheim, bleibet dieses Mal daheim, denn wo Ihr reisetet, würde mich die Angst um Euch verzehren.«

Sie hängte sich so inbrünstig ungestüm an ihres Gatten Arm und schaute ihn so flehentlich mit den thränenden Augen an, daß diesem ihre Not tief zu Herzen ging; denn obgleich er anfänglich hatte unwillig werden wollen über die Träumerin, so wendete sich doch bald sein Sinn, und mit zarter Liebe ruhten seine Augen auf dem treuen Weibe, mit weichem, sanftem Klange sprach sein Mund: »Es ist mir leid um meinen Spalatinus, der mich an seinem Ehrentag gar schmerzlich vermissen wird; doch noch viel mehr würde es mir leid sein um dich, du liebes Weib, wenn du dich daheim ängstetest, während ich zu Altenburg fröhlich wär. So will ich bleiben und alsbald dem Spalatinus Nachricht geben, daß er meiner nicht warte.«

Von einem innigen, dankbaren Blick Katharinas gefolgt, begab sich Luther nach seinem Studierstüblein und schrieb dem Freund:

»Mein Spalatin!

Wie gerne wollt' ich Eurer Hochzeit beiwohnen und mit den Fröhlichen fröhlich sein; doch ist mir ein Hindernis in den Weg geraten, darüber ich nicht kommen mag, nämlich die Thränen meiner Käthe, so da glaubet, daß Ihr nichts weniger verlanget, als meine Gefahr. Eine Gefahr aber für meinen Leib und Leben hat ihr ahnungsvoll Gemüt, durch einen zweimaligen Traum unterrichtet, gesehen, als ob unterwegens Mörder auf mich lauerten. Welches mir auch nicht unmöglich dünket, maßen zu meinen Ohren gekommen, daß die jüngst geschehene Befreiung der Nonnen aus dem Kloster zu Freiberg einen großen Zorn der Adeligen in Herzog Georgs Landen erwecket. Ob ich nun gleich weiß, daß ich überall in des Allmächtigen Hand stehe und niemand mir ein Haar krümmen darf ohne Gottes Willen, so fühlet doch mein Herz Erbarmen mit meiner lieben Käthe, die sich während meiner Abwesenheit schier zu Tode ängsten möchte um meinetwillen. Wollet mir derhalben nicht gram sein, daß ich Eurem Ehrentag nicht beizuwohnen vermag, zu welchem ich Euch Gottes reichlichsten Segen und Gnade erflehe.

Datum Wittenberg am Tag St. Martini
den 11. November 1525.
Martinus Luther.«

Dem Boten, welcher den Brief nach Altenburg tragen sollte, drückte Katharina über die übliche Gebühr hinaus noch einen Gülden in die Hand und steckte ihm außerdem ein Fläschlein Frankenwein in den Ranzen. Nachdem sie ihn hatte aus der Hofthür entschwinden sehen, atmete sie tief auf, und ein langer, inbrünstiger Blick nach oben trug ihren Dank zum Throne Gottes. – – –

Noch nicht zwei volle Wochen waren verstrichen, als von Spalatin an seinen Freund Luther ein Brief anlangte, in welchem er schrieb:

»Mein liebster Bruder Martinus!

Wiewohl ich anfangs betrübet war, daß Ihr an dem festlichen Tage fehletet, da ich Eurer Anwesenheit mich am allermeisten erfreuete, so bin ich doch jetzund sehr fröhlich, sintemal ich erkenne, daß Gottes Hand im Spiel gewesen, so Euch vor großer Fährlichkeit hat wahren wollen. Denn es ist verraten worden, daß vier Junker Euch haben auflauern und auf die Seite schaffen wollen, darum daß Ihr deren Schwestern aus dem Kloster befreiet und den Brüdern dadurch eine Schädigung ihres zeitlichen Gutes verursachet, sintemalen ihnen nun oblieget, die Heimgekehrten zu ernähren und auszustatten. Einer unter ihnen, Hans von Soldau, ist ganz sonderlich ein wüster, wilder Gesell, von welchem alles Böse zu erwarten. Drücket darum, o Freund, Eurer lieben Käthe die Hand und danket ihr, denn sie ist unter Gottes Leitung Euer treuer Eckart gewesen.

Gottes Gnade sei mit Euch.
Spalatinus.«

Tief bewegt legte Luther den Brief auf den Tisch und schritt der Küche zu, wo er sein Weib am Kamin schaffen hörte. Er zog die nichts Ahnende an sich, küßte sie auf beide Wangen und sprach mit warmer, weicher Stimme: »Mein treuer Eckart!«


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