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Während Käthe noch beschäftigt war, die Briefe fein säuberlich wieder zusammenzulegen und die Mappe mit einem scharlachroten Bändlein zuzubinden, trat ihre Nichte Else Kaufmann herzu, eine Schwestertochter Luthers, die dieser nebst ihrer Schwester Lene und dem vorhin erwähnten Bruder Cyriakus als Waisen in sein Haus genommen hatte, wie er auch den Sohn einer andern Schwester, den Studiosus der Gottesgelahrtheit Hans Polner in Kost und Pflege bei sich hielt.
Die Else meldete, es sei ein Fremder draußen, der sich Urbanus Rhegius nenne und die Frau Doktorin zu sprechen begehre, sagend, er komme geradeswegs von Koburg.
Freudig erschreckt bei Nennung dieses Namens eilte Katharina nach dem Hof und fand auf der Bank unter dem großen Birnbaum, dem Lieblingsplatz des Doktors, einen saubern Herrn, der bei ihrem Nahen mit großer Ehrerbietung sich erhob und mit gezogenem Barett ihr entgegen kam.
»Gott grüße Euch, liebwerte Frau Doktorin!« hob er mit fremder Aussprache an, die an den Dialekt des Hieronymus Baumgärtner erinnerte. »Schätze es als ein sonderliches Glück, das Ehegemahl dessen kennen zu lernen, den ich vor etlicher Zeit zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht gesehen, und bin hoch erfreut, ihm einen geringen Dienst thun zu können, indem ich Euch, durch Wittenberg reisend, seine Grüße bringen darf.«.
»Wie gehet es meinem lieben Herrn?« fragte Katharina, indem eine freudige Begierde ihre Wangen höher erglühen ließ.
»Er ist wohlauf und gutes Mutes, hat mir auch in seiner großen Güte und Herablassung einen ganzen Tag seiner kostbaren Zeit geschenket. Wahrlich, in meinem Leben habe ich keinen froheren Tag gehabt, denn der Doktor Luther ist ein so gewaltiger Theologus, als zu keiner Zeit leichtlich gewesen. Habe ja allezeit Großes von ihm gehalten, aber jetzund halte ich noch mehr von ihm, denn ich selbst gegenwärtig gesehen und gehöret, was man mit keiner Feder den Abwesenden schreiben und auch mit Worten nimmer sagen kann. Seine Bücher zeigen Luthers Geist an, wenn man ihn aber selbst gegenwärtig ansiehet und ihn mit apostolischem Geist von göttlichen Sachen reden höret, so muß man bekennen: Es ist wahr, was man saget: Lutherus ist größer, denn daß er von einem Klügling könnte und sollte judicieret werden. Es ist und bleibt ein Theologus für die ganze Welt, das weiß ich.«
In lieblicher Verwirrung stand Frau Käthe da und fand nicht gleich, was sie erwidern sollte.
Rhegius ließ seine Blicke betrachtend nach allen Seiten gehen. »Dieses also ist die Stätte, da er wohnet, die Herberge Gottes, die Zufluchtsstätte aller, so um des Evangelii willen Verfolgung ausstehen? Saget mir nur, hochwerte Frau Doktorin, wie Ihr es machet, daß Ihr mit Eurem Wenigen so viele speisen und tränken und kleiden möget. Denn meinen Ohren wollte ich nicht trauen, da ich von dem Herrn Doktor vernahm, zweihundert Gülden wären sein ganz Einkommen.«
Katharina wies lächelnd nach dem Viehhof mit dem Stallgebäude. »Höret Ihr diese Töne, lieber Herr? Wo Küche und Keller leer sind, muß der Stall sie füllen und das Gärtlein dazu. Doch würde auch diese Hilfe nicht hinlangen für die vielen, so alltäglich an unsern Tisch kommen, wo nicht frommer Leute Erbarmen dazu schenkte. Sonderlich ist unsres lieben gnädigen Kurfürsten Hand gegen uns immer offen. Doch ist der Doktor, mein Herr, in diesem Stück von eigner Art: weiset viel Geschenk zurück, weil er in Angst ist, Gott wolle ihn mit zeitlichem Gut ablohnen, da er doch allein nach den ewigen Gütern trachtet. Der Kurfürst hat ihm einmal zwei Bergwerkskuxe geben wollen, er aber hat die Gabe abgewiesen, meinend, der Teufel werde ihm kein Glück beim Bergbau gönnen, und andere möchten es alsdann mit ihm entgelten. Dieweil man nun den Doktor von dieser Seite kennet, wendet man sich, so man ihm mit einem Geschenk dienen will, lieber an mich. Und ich weigere mich der Annahme nicht, nehme vielmehr mit Dank und Freude, was die Liebe darreichet, sintemal es not ist für die Armen. Denn ob ich gleich alles nach Kräften zu Rate halte, habe ich es doch nicht hindern mögen, daß der Doktor mehrere hundert Gülden Schulden gemacht hat, sonderlich durch Bürgschaftleistung für andere und Verpfändung der geschenkten Kleinodien; weshalb auch unsre lieben Freunde Lukas Kranach und Doktor Bugenhagen in treuer Fürsorge den Doktor gar nicht mehr zur Bürgschaft wollen zulassen, dieweil seine Bereitwilligkeit oft übel gemißbraucht wird.«
Rhegius hatte mit lebhafter Aufmerksamkeit zugehört und wies jetzt nach dem Seitenflügel des Wohngebäudes: »Was ist dieses für ein Haus?«
»Dort wohnen unsre Kostgänger«, war Katharinas Antwort.
»Wie, das ganze Haus ist voll, Frau Doktorin?«
»Ja, es ist eine lange Reihe, so ich täglich am Tisch habe. Etliche, so es vermögen, leisten mir ein genügend Kostgeld, die meisten aber zahlen mit einem »Vergelt's Gott«; und ich bin auch damit zufrieden, sintemal wir bis anher immer satt geworden und keinen Mangel erlitten haben. Möchte wohl gerne allen zumal ohne Lohn dienen, wo es nur anginge.«
»Wollet Ihr etwas Neues bauen, Frau Doktorin? Ich sehe dort in dem Winkel einen ansehnlichen Haufen Ziegel- und Backsteine liegen.«
»Ach, unser Haus ist groß und weitläufig genug, liebster Herr, aber auch alt und baufällig. So hat uns der Rat der Stadt jenes Baumaterial ohne Entgelt anfahren lassen, welches auch der Doktor angenommen, gleichsam als billigen Lohn für seine Dienste zur Pestzeit und weil er für das Predigtamt keinen roten Heller nimmt.«
Mit wachsendem Erstaunen und Gefallen ruhten des Fremden Blicke auf der Frau Doktorin, und leise murmelten seine Lippen etwas, das diese nicht verstand. Darauf sagte Katharina, das Gespräch ablenkend: »Eure Sprache klinget so eigenartig, lieber Herr – woher seid Ihr denn, so es erlaubt ist, dieses zu fragen?«
»Ein Schwabe bin ich von Geburt«, versetzte Rhegius, »aus Langenargen am Bodensee bürtig, meines Zeichens auch ein Theologus, doch nur ein kleiner und geringfügiger, nicht wert, dem Doktor Martinus die Schuhriemen aufzulösen, doch auch begierig, nach meinem Teil zu arbeiten im Weinberg des Herrn.«
»Setzet Euch doch, liebster Herr Rhegius«, bat Katharina gastfreundlich, »daß ich unsrer Hausgenossen etliche herbeihole, denen Ihr auch von dem Doktor erzählen möget. Inzwischen will ich Euch den Imbiß bereiten.«
Damit eilte Katharina über den Hof nach dem Seitengebäude, aus welchem sie nach wenigen Minuten mit den Brüdern Petrus und Hieronymus Weller, Hänschens Schulmeistern, zurückkehrte.
Während diese sich zu dem Fremden unter dem Birnbaum gesellten und mit lebhaften Fragen denselben bestürmten, stieg Katharina in den Keller hinab, eine Flasche selbstgebrautes Bier heraufzuholen, und begab sich dann in Hast nach der Küche, um auf dem Herd Eier in Speck zu bereiten.
Sie war damit noch nicht zuwege, als abermals die Else einen Ankömmling meldete. »Ach, Frau Doktorin, draußen stehet ein Weib, davor ich erschrocken bin – weiß nicht, ob aus Ehrfurcht, oder vor Jammer. Siehet aus wie eine Königin und ist doch so elend, ach so elend, daß man stracks weinen möchte, wo man in ihr gramvolles Antlitz schauet. Hat mich gefragt, ob der Doktor Luther wieder daheim, und da ich es verneinte, ist sie noch viel trauriger geworden, hat aber bald wieder aufgeschauet und geforschet, ob wohl die Frau Doktorin ein barmherzig Gemüt habe für fremde Not. Da ich nun dieses bejahete, hat sie gestehet, ich solle sie zu Euch führen.«
Käthe fühlte bei dieser unheimlichen Erzählung eine Beklemmung auf der Brust, übergab der Else die halb fertige Speise zu weiterer Besorgung und begab sich nach der großen Diele.
Betroffen blieb sie in der Thür stehen, denn vor ihr stand ein Weib, das wie ein Zauber auf sie wirkte. Eine hohe, edle, majestätische Gestalt mit einem Antlitz, auf welchem die Würde mit der Sanftmut um die Herrschaft kämpfte, und wie ein zarter Schleier darüber ausgegossen der Ausdruck unsäglichen Leides, so schaute das fremde Weib die Frau Doktorin an, daß es dieser ebenso erging, wie der Else: unwillkürlich traten ihr die Thränen in die Augen.
Die Unbekannte schien eine Anrede, einen Willkommengruß oder eine Frage zu erwarten und ließ bittend ihre milden, sanften, engelschönen Augen auf der Käthe ruhen.
»Wer seid Ihr, liebe Frau?« fragte diese endlich mit gepreßtem Ton und hielt zugleich der Fremden die Hand dar.
Langsam trat diese herzu und erwiderte mit einer müden, matten, aber seelenvollen Stimme: »Mein Gemahl sitzet auf einem Thron und trägt einen deutschen Kurhut, ich aber habe nicht, da ich mein Haupt hinlege.«
In heftigster Bestürzung wich Katharina einen Schritt zurück: »Allmächtiger Gott, des brandenburgischen Kurfürsten unglückselig Gemahl!«
»Erschrecket Euch meine Nähe?« fragte die Fremde mit der mißtrauischen Scheu, die dem Unglück eigen ist. »So will ich wieder von dannen ziehen, ob ich gleich mit schwerem Herzen von der Hoffnung scheide, daß ich unter dem Dach des großen Reformators Ruhe finden würde, denn um des Evangeliums willen ruhet auf mir der Zorn meines Gemahls, und dieweil ich des Doktor Martinus Lehre als Gottes Wort verehre, hat mir der Kurfürst mit Einmauerung gedräuet.«
Heiß wallte der Katharina das Blut und drängte sie zu der unglücklichen Frau hin, sie an ihre Brust zu ziehen; aber die natürliche Scheu vor der Gemahlin eines gekrönten Hauptes ließ sie nur zitternd nach der Hand der Fürstin greifen und in dem innigsten Ton flüstern: »Dieses Haus stehet offen allen Mühseligen und Beladenen, sonderlich aber denen, so um des Evangeliums willen leiden müssen.«
Da ging ein heller Lichtschein über das Antlitz der Dulderin, und mit mühsam verhaltenem Weinen erwiderte sie: »Dafür segne Euch der, der gesagt hat: Was ihr gethan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir gethan.«
Hochklopfenden Herzens führte nun Katharina die Kurfürstin, nachdem sie sich von dem Herrn Urbanus Rhegius kürzlich verabschiedet, in das stille Gemach, welches nach dem Garten hinauslag, und bald hatte die herzgewinnende Leutseligkeit der hohen Frau alle beklemmende Scheu der Wirtin überwunden, daß sie mit dem hohen Gaste redete wie mit einer Freundin.
Nun erfuhr Katharina im Zusammenhang und der Wahrheit gemäß, was das Gerücht bruchstückweise und mit Unwahrheit gemischt schon lange umhergetragen hatte, daß also die Kurfürstin um ihres evangelischen Glaubens willen den Zorn ihres streng päpstlich gesinnten Gemahls auf sich gezogen und zumal durch die heimliche Feier des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, die dem Kurfürsten verraten worden, in seinem Herzen solche Leidenschaft entzündet habe, daß er in toller Besinnungslosigkeit geschworen, der Frevlerin und Gotteslästerin solle keine Sonne und kein Mond mehr scheinen; worauf sie, um dem Gemahl ein Verbrechen zu ersparen, nach Torgau geflüchtet sei zu dem Kurfürsten von Sachsen, welcher ihr ein stilles Schloß an der Elbe, die Lichtenburg, zur Wohnung angewiesen habe. Dankbar habe sie solche Güte angenommen, doch fühle sie sich in der Absperrung innerlich wie verwelkt und verdorrt, da sie der geistlichen Speise entbehren müsse. Sei darum in aller Stille nach Wittenberg gekommen, um im Hause Luthers zu dem Brunnen lebendigen Wassers zu nahen, daraus ihre Seele sich Erquickung, Kraft und Trost trinken möchte.
Die Käthe sprach ihr herzliches Bedauern aus, daß ihr Eheherr so gar lange in Koburg festgehalten werde, bat aber die Kurfürstin dringend, so lange mit ihr fürlieb nehmen zu wollen, bis der Doktor selbst ihr besseres Brot darreichen könne.
Die hohe Frau fiel tief ergriffen und mit dem Ausdruck herzinnigsten Dankes der Frau Doktorin um den Hals, daß es dieser ganz wunderseltsam zu Mute ward, und diese stumme Umarmung war die Besiegelung einer verständnisinnigen, warmen Freundschaft, in diesem stillen Umfangen fanden sich zwei Herzen, welche, so verschieden auch ihre äußere Erscheinung und die Form ihres Auftretens war, doch den gleichen Pulsschlag hatten und harmonisch sich berührten in dem Streben nach dem einen, was not ist. Wenn Katharina in dem Umgang mit der fürstlichen Frau je länger desto mehr erkannte, daß das Gerücht nicht zuviel gesagt hatte von der Sanftmut, der Demut, dem Edelsinn und der tief innerlichen lauteren Frömmigkeit der Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg, so fand diese hinwiederum sich angezogen von dem schlichten, geraden, aufrichtigen, von echter Liebe geweihten Wesen, dem bei aller kindlichen Einfalt und aller Weichheit des Empfindens so starken Geist und so herzhaften Mut der Frau Doktorin, wie sie denn auch mit unverhohlenem Wohlgefallen ihr zusah, wenn sie mit sicherem Blick und energischem Durchgreifen das Regiment führte über ihre Dienstboten und mit praktischer Umsicht die umfangreiche Hofwirtschaft leitete. Es machte ihr sogar Freude, mit Hand anzulegen, und namentlich der Kindlein sich anzunehmen war ihr eine liebe Beschäftigung. Die gute Muhme Lene trat gern in den Schatten zurück und fühlte keine Regung von Eifersucht, wenn der undankbare Hans über der neuen »Muhme Elisabeth« all der Liebe vergessen konnte, die ihm von seiner Muhme Lene je und je zu teil geworden war.
Das Gefühl der Einsamkeit war jetzt für Katharina verschwunden. Der hohen Frau zu dienen und die Schwergeprüfte zu trösten, das füllte nun ihre freie Zeit aus und gab der Alltäglichkeit ihres Lebens eine höhere Aufgabe. Sie fühlte sich gehoben und geheiligt in diesem Werk der Liebe, und um so zufriedener ward sie mit sich selbst, je mehr sie aus den Blicken und Worten der Dulderin abnahm, daß dieselbe in der »Herberge Gottes« Ruhe gefunden habe für ihre Seele und langsam aus der Nacht den Tag heraufdämmern sehe.
Nach acht Tagen kam aus Koburg ein Brief von Luther an seine »liebe Käthe« mit der Botschaft, daß seine Rückkunft nahe sei und daß er auch seinem Hänsichen ein großes schönes Buch von Zucker habe, welches Vetter Cyriakus von Nürnberg aus jenem schönen Garten, davon er ihm früher erzählt, mitgebracht. Bei dieser Kunde fielen sich die beiden Frauen in die Arme, und die Herzen pochten gegeneinander in wetteiferndem Ungestüm sehnender Erwartung.