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In der Morgendämmerung eines drückend heißen Sommertags – es war am Sonnabend nach Mariä Heimsuchung, den 6. Juli des Jahres 1527 – eilte ein Weib durch die Gassen von Wittenberg und klopfte an die Thür des Stadtpfarrers Bugenhagen. Mit dem Ungestüm eines geängsteten Herzens drang sie in das Studierzimmer des geistlichen Herrn: »Lieber Herr Doktor, ich bitte Euch um Christi willen, folget mir eilig, denn mein lieber Eheherr lieget in schwerer Anfechtung und machet mir große Angst. Sehet doch, ob es Euch besser gelinge, denn mir, ihn mit Worten des Zuspruchs aufzurichten.«
Bugenhagen erschrak und erkundigte sich genauer nach des Freundes Leidwesen.
»Ach«, erwiderte in keuchender Hast Frau Katharina – denn der Kranke war kein anderer, als der Doktor Martin Luther – »der Kopf schwirret ihm, und schreckhafte Bilder schauen seine Augen, Meinet, der Teufel dringe leibhaftig auf ihn ein und wolle ihn zu Schanden machen und sein ganzes Werk verstören. Ob ich nun gleich mit sanften Worten und herzlicher Liebe ihm zugeredet, sitzet er doch immer still und stieret mit gläsernen Augen immerdar in eine Ecke, will auch weder Speis noch Trank nehmen und weigert sich, aus dem dumpfen Gemach in den Garten zu treten. Schon im Januar dieses Jahres ließ es sich einmal ähnlich mit ihm an, da hat ihn ein Tränklein aus Kardobenediktenkraut schnell wieder emporgebracht. Dieses Mal aber will solch natürlich Kräutlein nichts helfen.«
Bugenhagen hatte mit schmerzlicher Teilnahme zugehört und legte nun tröstend der Katharina die Hand auf den Arm. »Zaget nicht, vielliebe Frau Doktorin, denn seines Leidens Ursach ist nicht der Teufel, sondern vielmehr das dicke Blut, so ihm zu Kopf steiget und ihm allerlei Trugbild vor die Augen zaubert. Kann mir wohl erklären, woher solch Ungemach komme. Es rächet sich jetzund an ihm, was er aus Unwissenheit und vermeintlicher Frömmigkeit einst im Kloster gesündiget mit Fasten und Kasteien und Wachen und Frieren. Dazu hocket der beladene Mann so viel über den Büchern und entbehret der frischen Luft, martert auch den Kopf mit vielem Denken und Forschen; über das alles leidet sein Gemüt durch all die Feindschaft, so seinem heiligen Werk von seiten der Welt bereitet wird, wie denn der unselige Bauernkrieg seine leicht erregbare, zartfühlende und tief empfindende Seele hart mitgenommen und der Sakramentsstreit mit den Schweizern ihn gegenwärtig noch beweget. Solches alles hat sich zusammengefunden, um ihm Stunden schwerer Angst und Not zu bereiten. Doch wird es wohl mit Gottes Hilfe gnädig vorübergehen, und ich will mit Euch kommen, daß ich thue, was ich vermag zu seiner Aufrichtung.«
Die beiden begaben sich nun nach dem Augustinerkloster, auf dessen Hof das Gesinde in großer Bestürzung bei einander stand und mit scheuer Angst den Stadtpfarrer, Luthers Beichtvater, an der Seite der Frau Doktorin daher kommen sah.
Bugenhagen fand den Kranken mit geneigtem Haupt und welk herabhängenden Armen auf einem Stuhl sitzend und bekam auf seinen liebreichen Gruß mit trübem Lächeln die Antwort: »Sollst mir gottwillkommen sein, herzliebster Bugenhagen, denn nach deinem Anblick sehnete sich mein Herz, auf daß es sich vor dir ausschütte in aufrichtiger Beichte und die Absolution empfahe. Siehe, alles, was ich je und je gesündiget, es sei mit Gedanken, Worten oder Werken, solches fühle ich als eine Last auf mir und flehe zu Gott, er wolle sich des armen Sünders erbarmen um Christi willen. Du aber, liebster Bugenhagen, bringe mir von Gott den Trost, daß ich Gnade finden solle bei dem ewigen Erbarmer.«
Aufs tiefste erschüttert spendete ihm Doktor Bugenhagen die Absolution und redete dann des weitern von der Natur der Krankheit.
»Ach, liebster Doktor Pommer«, hob Luther an, »solche Stunden, als ich gegenwärtig durchkämpfen muß, mögen mich wohl an den heiligen Paulus erinnern und seine Not, da er von dem Satansengel mit Fäusten geschlagen ward, denn solches Übels kann kein natürlicher Grund und Ursach sein. Ach, dieweil ich mich unterweilen in meinem äußern Wandel fröhlich stelle, so denken viele, ich gehe auf eitel Rosen; aber Gott weiß, wie es um mich stehet.«
Bugenhagen suchte ihm gegenüber die Trostgründe hervor, die er der Frau Käthe schon zu hören gegeben, doch merkte er nicht, daß er auf den Kranken großen Eindruck machte.
Unterdessen war die Zeit des Frühmahls gekommen, und Bugenhagen erinnerte den Doktor an die Einladung, welche ihnen beiden von dem kursächsischen Erbmarschall Hans von Löser zugegangen war. »Die Gesellschaft werter Männer und die frische Luft wird dir gut thun, Martinus. So bitte ich, du wollest deinem Fleisch gebieten und dich aufraffen.«
Auch Katharina, welche inzwischen herbeigekommen war, bot alle ihre Überredungskunst auf, und Luther fügte sich endlich dem vereinten Bitten. –
Man fand in der Herberge, wo das Mahl bereitet war, eine gewählte Gesellschaft und auserlesene Speisen, aber Luther aß wenig, wiewohl er mit gezwungener Heiterkeit sich an dem Gespräch beteiligte.
Um 12 Uhr entfernte er sich still und ging zu seinem Freund Justus Jonas, dem Propst des Allerheiligenstifts. Er setzte sich zu ihm in die Gartenlaube und schüttete sein Herz vor ihm aus, denn auch dieser Freund war ein Mann guten Rats und teilnehmender Liebe.
Nach zwei Stunden brach er auf und lud den Freund ein, zur Abendmahlzeit um 5 Uhr zu ihm zu kommen.
Als um die bestimmte Stunde Jonas erschien, fand er den Doktor auf seinem Bett. Er fühlte sich sehr schwach, klagte auch über großes Brausen und Klingen des linken Ohres. Plötzlich spürte er eine nahende Ohnmacht und rief nach Wasser. Jonas holte das Verlangte schnell herbei und goß es ihm über Gesicht und Rücken.
Das schien dem Leidenden wohlzuthun, denn er legte sich still zurück und hatte die Augen weit aufgethan. Doch bald veränderte er sich im Gesicht, der ganze Leib wurde kalt und schüttelte sich in heftigem Fieberfrost. Mühsam falteten sich die Hände, und von den Lippen rang sich ein inbrünstiges Gebet: »Mein Gott, wenn du es also willst, daß dies die Stunde sei, die du mir versehen, so geschehe dein Wille. Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm. Herr, sei mir gnädig, ich bin schwach; heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken und meine Seele ist sehr erschrocken. Ach du Herr, wie so lange! Wende dich, Herr, und errette meine Seele, hilf mir um deiner Güte willen! Denn im Tod gedenket man deiner nicht, wer will dir in der Hölle danken? Ich bin so müde vom Seufzen, ich schwemme mein Bette die ganze Nacht und netze mit meinen Thränen mein Lager. Meine Gestalt ist verfallen vor Trauern und ist alt geworden, denn ich allenthalben gar geängstiget werde. Weichet von mir, ihr Übelthäter, denn der Herr höret mein Weinen, der Herr höret mein Flehen, mein Gebet nimmt der Herr an! Es müssen alle meine Feinde zu Schanden werden und sehr erschrecken, sich zurückkehren und zu Schanden werden plötzlich. Du, Gott, bist meine Hilfe, du bleibest meine Zuflucht für und für. Amen.«
Während des Gebets war Katharina eingetreten mit dem von ihr herbeigeholten Hausarzt Augustinus Schürf, der alsobald den ganz erkalteten Leib mit warmen Tüchern und Kissen zu erwärmen verordnete. Auch Bugenhagen kam und stellte sich an das Fußende des Bettes.
Luther schien von den Anwesenden nichts zu sehen, sein Herz und Gedanken waren bei Gott und seine Augen gingen unverwandt nach oben. Horch, er hebt wieder an zu beten, jetzt nicht abermals mit Worten des Psalmisten, sondern frei aus dem Herzen heraus. Alles faltet in Schauern thränender Andacht die Hände, da es von dem Bett her klingt: »Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesum Christum unsern Herrn! Siehe, ich liege und schlafe ganz in Frieden, denn deine Gnade ist mein Schirm und Schild. Herr Jesu, nimm meinen Geist auf! In deine Wunden flüchte ich mich, auf deine Gerechtigkeit stütze ich mich, du unser einiger Mittler und Hoherpriester, der du alle unsre Sünde trägst. Ach lieber Herr, du hast deinen Knecht nicht für würdig geachtet, gleich den heiligen Märtyrern sein Blut für dich zu lassen; doch will ich mich trösten mit dem heiligen Johannes, dem diese Ehre auch nicht widerfahren, der aber doch ein viel ärger Buch wider den Antichrist geschrieben hat denn ich.«
Dann plötzlich zu den Umstehenden sich wendend, fuhr er fort: »Ihr Lieben, Getreuen, damit nach meinem Tod die Welt nicht lügen könne, als habe ich zuvor noch meine Lehre widerrufen, so rufe ich euch auf, daß ihr Zeugen meines Bekenntnisses seiet: mit gutem Gewissen sage ich, daß ich recht und heilsam gelehret habe vom Glauben, Liebe, Kreuz, Sakrament und andern Artikeln aus Gottes Wort und nach dem Befehl Gottes, der mich in diese Sache geführet und ohne meinen Willen gezogen und gedrungen hat. Auch zeuge ich wider die, so mir vorgeworfen, ich hätte wider die Papisten und Rottengeister zu scharf und hart geschrieben, daß mich derowegen noch keinerlei Reue angewandelt hat, denn ich nie jemandes Schaden gesuchet habe, sondern aller meiner Feinde Bestes und Seligkeit. Ach, wohl möchte ich gerne noch bleiben, maßen wider die Sakramentierer und Rottengeister noch manch Wörtlein zu sagen sein wird; aber Gottes Wille mag geschehen – ist doch Christus auch stärker denn Belial und mag sich aus jeglichem Stein einen Knecht erwecken, der in seinem Namen streitet.«
Seine Augen fielen auf sein Weib, das still weinend und schluchzend in einem Winkel stand. Er winkte ihr, reichte ihr die Hand und sprach: »Herzallerliebste Käthe, ich bitte dich, falls mich der liebe Gott diesmal zu sich nehmen will, daß du dich in seinen gnädigen Willen ergebest. Du bist mein ehelich Weib, dafür sollst du dich gewißlich halten und gar keinen Zweifel daran haben. Laß die blinde Welt dawider sagen, was sie will, richte du dich nur nach Gottes Wort und halte fest daran, so hast du einen gewissen beständigen Trost wider den Teufel und alle Lästermäuler.«
Er legte sich zurück und atmete schwer, daß es sich fast wie Todesröcheln anhörte. Nach einer Weile wandte er sich wieder um und sprach: »Wo ist denn mein allerliebstes Hänsichen?«
Das Kind wurde gebracht und lachte freundlich den kranken Vater an. Da streichelte die kalte weiße Hand die warmen roten Wangen, und die erblaßten Lippen öffneten sich zum väterlichen Segen. »O du armes Kindlein, nun befehle ich meine allerliebste Käthe und dich allerliebstes Waislein meinem lieben, frommen, treuen Gott. Ihr habet nichts, denn ich hinterlasse euch kein irdisch Gut; aber Gott der Herr hat genug. Ach liebster Gott, ich danke dir von Herzen, daß es dein Wille war, daß ich auf Erden arm und ein Bettler sein sollte. Darum kann ich meinem Weib und meinem Kind weder Haus noch Feld, weder Geld noch Gut hinterlassen. Wie du sie mir gegeben hast, also gebe ich sie dir wieder zurück. Du reicher, treuer Gott, ernähre, lehre und versorge du sie, wie du mich bisher gnädiglich ernähret, gelehret und versorget hast, o Vater der Waisen und Richter der Witwen.«
In Katharinas Herzen nagte und bohrte es von unaussprechlichem Weh. O, in welche Prüfung nahm sie Gottes unerforschlicher Rat! Zwei Jahre nur sollte sie das hohe Glück genießen, die Gattin dieses Mannes zu sein und in dem Schatten seiner Größe zu sitzen; nun sollte sie allein stehen, eine Witwe mit einem unerzogenen Kindlein auf dem Arm und einem andern unter dem Herzen, arm und hilflos, angewiesen auf die trügerische Hilfe menschlicher Freundschaft, preisgegeben auch dem Hohn, und Haß der Feinde, die nun, was sie an dem Toten nicht mehr ausüben konnten, seine Witwe grausam fühlen lassen würden! – Wenn sie sich selbst ansah und ihr Kindlein, da wollte sie vergehen, wenn sie aber ihren Gemahl anschaute und seine Worte hörte, da kam wieder Kraft in ihre Seele, still zu tragen, ja, dem Leidenden noch zuzusprechen. Sie beugte sich zärtlich zu ihm nieder und sprach, wenn auch mit zuckendem Herzen: »Mein liebster Herr Doktor! Ist es Gottes Wille, so will ich Euch bei unserm Herrgott lieber wissen, denn bei mir. Es ist aber nicht allein um mich und mein Kind zu thun, sondern um viele fromme und christliche Leute, so Euer noch bedürfen. Wollet Euch, mein allerliebster Herr, meinethalben nicht bekümmern. Ich befehle Euch seinem göttlichen Willen, hoffe und vertraue zu Gott, er werde Euch gnädiglich erhalten.«
Es war, als brächten diese Worte auch über die Umstehenden eine neue Zuversicht, denn der Arzt, der schon alle Hoffnung aufgegeben, ordnete ein neues Erwärmen und Reiben des erkalteten Körpers an. Im Schweiß ihres Angesichts arbeitete die Liebe und Freundschaft, das teure Leben zu erhalten, und ein Hilfeseufzer nach dem andern stieg zum Himmel hinauf.
Da kam die Antwort des himmlischen Erbarmers: »Siehe, er soll nicht sterben, sondern leben!« Und wie ein Wunder war es den Anwesenden, da in das Totenantlitz die Farbe des Lebens zurückkehrte, und wie Himmelstauperlen erschienen ihnen die warmen Schweißtropfen auf des Kranken Stirn.
Der Arzt trat auf Frau Katharina zu: »Er lebt! Er lebt!« – und wie berauscht von der plötzlichen Freudenkunde sank das treue Weib zu den Füßen des Mannes, dem Gott der Herr das Mittel gezeigt, das ihrem geliebten Eheherrn das Leben wiederbrachte.
Ja, das leibliche Leben war außer Gefahr, aber die Seele wurde noch – wie er sich selbst ausdrückt – zwischen Christus und Belial hin und her geworfen und elendiglich zerstoßen. Er meinte, er werde wohl sein ganzes noch übriges Leben durch solche Fluten der Anfechtung waten müssen, wolle es aber auch gerne thun, wenn nur sein Gott, der liebste Heiland, dadurch verherrlicht würde.
Da schickte ihm Gott einen Engel des Trostes, der für andere, ja für ganz Wittenberg ein Engel des Schreckens war. Was andere niederwarf, das richtete den Doktor Martinus auf. Was andern das Gottvertrauen erschütterte und sie in die Nacht der Verzweiflung trieb, das half dem Angefochtenen wieder zur Lebensfrische des Glaubens und zum Heldenmut der Hoffnung auf den lebendigen Gott.
Zu den Thoren von Wittenberg herein ritt der Reiter auf fahlem Roß, mit dem bloßen, hauenden Schwert, vor welchem alles Lebendige in den Tod sinkt, der Schrecken aller Schrecken: die Pest.
Alles ist wie gelähmt von Grauen und Entsetzen. Die Spannkraft des Willens erschlafft, ein türkischer Fatalismus legt sich lähmend auf die Gemüter. Von Torgau kommt des Kurfürsten Befehl an die Universität: »Fliehe alles, Lehrer und Schüler, und berge sich in Jena! Und alles gehorcht in Eile dem landesherrlichen Gebot – alles bis auf einen. Dort in dem Augustinerkloster sitzt noch »der erste der Universitätslehrer, die Leuchte der Wittenberger Hochschule, und antwortet auf des Kurfürsten Sorge in heiligem Trutz: »Ich bleibe hier, ich darf von hier nicht weichen!« – Ein neuer Befehl des Landesherrn ergeht an ihn, in die Form der dringlichsten Bitte gekleidet: man möge sein in Jena nicht entraten: aber die Antwort ist wieder dieselbe: »Ich bleibe hier, ich darf von hier nicht weichen!« –
Alles ist mit Todesangst erfüllt, und die Angst ist der schlimmste Gehilfe der Seuche: die Furchtsamen fallen ihr am allerersten zur Beute. Luther weiß nichts von Angst; vor seinen Ohren summt das Wort des Heilands: Ein guter Hirt lässet sein Leben für die Schafe, der Mietling aber stehet den Wolf kommen und fliehet! – Und hin eilt er mit Bugenhagen, dem Stadtpfarrer, und Rörer, dem Kaplan, welche beide gleich ihm geblieben sind, hin, wo ein Kranker hilflos nach Erbarmen schreit, ein Sterbender den letzten Trost begehrt. In seinen Armen sterben die Pestergriffenen und hauchen ihm den Tod ins Gesicht – ihm darf es nichts schaden, er ist gefeit durch seine Hirtentreue. Und siehe, je aufopferungsvoller sich die Kraft seines Leibes verzehrt, desto reichlicher quillt ihm die Kraft der Seele zu, und die Schatten des Trübsinns weichen, der Teufel hat nichts mehr an ihm – klar steht an dem Himmel seines innern Lebens die Geistersonne: Jesus Christus.
Und nun siehe, wie Gott es ihm giebt, dem Tode allenthalben seine Beute zu entreißen, wie er hier mit kräftigem Wort die falsche Furcht vor der Seuche verscheucht und zum Gottvertrauen mahnt; wie er dort die kecke Vermessenheit straft, welche Gott versuchend die natürlichen Mittel wider die Krankheit verachtet und der Ansteckung spottet; wie er dort wiederum dem Aberglauben entgegentritt, daß man von der Krankheit heil werde, wenn man andere anstecke, und dort mit furchtbarem Zorn gegen die Ruchlosen donnert, welche in satanischer Bosheit in die noch unberührten Häuser dringen, weil es sie ärgert, daß da nicht auch die Pestilenz sei.
Daß er sich selbst dabei opfern könne, und ob er nicht sein teures Leben der Kirche im großen erhalten müsse, daran denkt er gar nicht. Wie er es von jeher mit immer gleicher Ruhe Gott anheimgestellt hat, ob ihn Gott noch ferner auf Erden brauchen wolle, so thut er es jetzt auch und geht an die Stätte des Todeswürgens mit demselben Angesicht, wie er sonst auf die Kanzel gegangen ist oder auf den Lehrstuhl.
Ja, wie er nimmer sich genug thun konnte, so begnügte er sich auch jetzt nicht, das Amt des Seelsorgers und des Arztes bei den Kranken und Sterbenden auszurichten – er setzt sich auch an seinen Schreibtisch und schreibt den Christen in Halle einen Trostbrief über den Tod Winklers, des von römischem Dolch ermordeten Predigers des Evangeliums, arbeitet an der Auslegung des Propheten Sacharjah und bereitet vor, was zu der beabsichtigten Kirchenvisitation von nöten.
So steht er fest und treu auf seinem Posten, der Prophet des Höchsten, die Leuchte der Christenheit, der gute Hirt der Wittenberger Herde, und schamrot, schweigend sehen seine Feinde zu, wie er mit seinem Leben seine Lehre auslegt.
Und siehe, neben ihm steht eine Heldin, das Weib, das ihm der Herr gegeben. Nicht allein, daß sie dem vom sauren Tagewerk Ermüdeten mit linder Hand den Schweiß von der Stirn wischt und mit der hingebendsten Pflege seiner wartet – sie ist auch seine Gehilfin in der Pflege der Kranken, sie öffnet bereitwillig ihres wunderbar verschonten Hauses Thür und nimmt mit tapferm Mute auf, was sich zu ihr flüchtet. Die Ehefrau des Arztes Schurf, der mit seiner Familie in das Lutherhaus eingezogen war, kommt zum Liegen, und verderbendrohend zeigt sich eine Pestbeule an ihrem Fuß. Nicht lange, so wird auch das Fräulein Margarete von Mochau, die Luther gleichfalls aufgenommen, vom Würgengel auf das Lager gestreckt. Katharina geht, sich selbst vergessend, von einem Lager zu dem andern, und die Kraft des Höchsten hilft ihr bei dem Samariterwerk.
Da kommt die Nachricht von dem Absterben einer lieben Freundin, der Gattin des Kaplans Rörer, die, in den Geburtswehen von der Pest überfallen, ihr junges Leben samt dem des Kindleins elendiglich hingeben muß. Da zuckt auch Katharina, die sich in den gleichen Umständen befand, zusammen, und der Mut will ihr vergehen.
Auch über Luther kommt es wie ein Verzagen, und der Sturm neuer Anfechtung droht die starke Eiche zu brechen. Bugenhagen, der jetzt auch noch mit seiner Familie in Luthers Wohnung zieht, versucht vergeblich den Freund zu trösten und zu stärken, denn dieser sieht sein Weib an, das täglich schwächer wird, und er sieht sein Söhnlein Hänschen an, das auch anfängt zu siechen.
Doch siehe, besser als Menschen wußte Gott zu trösten: am 10. Dezember stand der Doktor Martinus am Bett seines geliebten Weibes und dankte für das gerettete Leben der Mutter, wie auch für das dazu geschenkte neue Leben, denn er hielt dem Hänschen, der auch wieder wohlauf war, ein neugeborenes Kindlein dar und sprach: »Hänsichen, siehe, da hat dir der liebe Gott ein Schwesterlein bescheret!«
Der Winter kam mit seinen eisigen Stürmen und jagte den Würgengel von dannen. Die Überlebenden atmeten dankbar auf und die Geflüchteten kehrten langsam wieder. Luther aber und seine Käthe lagen vor Gott auf ihrem Angesicht und beteten: »Du bist der Gott, der Wunder thut, du hast an unserm Hause deine Macht und Güte kund gethan: in so vielen Häusern sind es weniger geworden, in dem unsern aber eines mehr!«
Und an seinen Freund Justus Jonas schrieb Luther: »Der liebe Gott hat mir ein Töchterlein bescheret, die holde kleine Elisabeth, und mich zugleich von der Sorge befreiet, die ich für meine Käthe hatte. Denn in meinem Haufe war die Pest, aber der Herr hat gewehret und sie in meine Säue fahren lassen, deren fünf gefallen sind. Wie bin ich fröhlich und dem Herrn dankbar, daß sich der Würgengel mit solcher Steuer begnüget! Siehe, nun ist die Pest gestorben und begraben.« –
Die heimgekehrten Freunde strömten herbei und wollten es selbst mit ihren Augen sehen, daß der Mann Gottes noch da sei und die Seinigen noch um sich habe. O, wie erfreuten sie sich seines Anblicks: einen Gebeugten und Angefochtenen hatten sie verlassen, einen Genesenen und neu Erstarkten fanden sie wieder, der ihnen mit leuchtenden Augen den Gruß entgegenrief: »Als die Sterbenden und siehe, wir leben!«