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Neuntes Kapitel.
Ein herrlicher Freudentag.

Die Dohlen, welche in dem alten grauen Gemäuer des Wittenberger Augustinerklosters nisteten, steckten verwundert die Köpfe aus den Nestern und konnten gar nicht begreifen, was das für ein lautes Leben und Treiben in dem stillen Hause sei. Sie waren es gewohnt, hier ungestört das Wort zu führen und auf dem Klosterhof sich breit zu machen ohne alle Scheu; jetzt aber wurden sie auf die Seite gescheucht von den vielen Menschen, die geschäftig hin und wieder gingen und allerlei Gerätschaft getragen brachten, was nach ihrer Ansicht sich für ein Kloster gar nicht schicke. Noch mehr aber waren sie verwundert, daß der gute Mönch, der ihnen alle Tage Atzung vorgeworfen hatte und vor dem sie sich gar nicht fürchteten, zu dem sie vielmehr immer zutraulich herangehüpft waren, sich seit etlicher Zeit gar nicht mehr um sie bekümmerte, also daß sie ins Land hinausfliegen und sich anderswo ihr täglich Brot suchen mußten.

Es war in der That ein lautes, reges Treiben in dem öden, einsamen Gebäude. Mit eilfertiger Beweglichkeit hastete die kleine, runde Frau Elsa aus und ein, und der Eifer hatte sie so entzündet, daß sie, des Wegs nicht achtend, zum öftern über einen Stein strauchelte. Dort hinten das geräumige Gemach, dessen Fenster nach dem Hof gingen, wurde unter ihrer Anordnung frisch getüncht und mit kostbarem Gerät versehen. Mit stolzer Freude erschien sie alle Tage darin und weidete ihre Augen an dem traulichen Heim, das sie in dem unheimlich düstern Kloster ihrer geliebten Käthe bereitet. Doch zog sie jedesmal vorsichtig den Schlüssel ab – die Käthe sollte nichts wissen, ehe denn der Luther sie heimholte in seine Wirtschaft, und das sollte am 27. Juni geschehen – bis dahin war sie in dem Hause ihrer Pfleger verblieben.

Je näher dieser Tag kam, desto mehr drängte sich die Geschäftigkeit, und mit innerlichster Freude gewahrte die gute Frau Elsa, wie alles miteinander wetteiferte, dem Doktor Martinus seine Liebe und Ehrfurcht zu bezeugen. Ja, Thränen der Rührung entquollen ihren Augen, als eines Tages eine arme Witwe an der Krücke daherkam und in einem Korb eine Gluckhenne mit sechs Küchlein brachte, sagend, mehr habe sie nicht, aber geben müsse sie etwas dem Manne, der ihr, wie einst der Herr der Witwe von Rain, den einzigen Sohn aus dem Tode wiedergegeben, denn auf des Doktors Wort seien die Klöster aufgesprungen und ihr geliebter Sohn zu seiner Mutter heimgekehrt. –

Auch andere Bürger erschienen mit Gaben für Küche und Keller, daß Frau Elsa Mühe hatte, alle die Vorräte zu bergen. Wenige Tage vor dem Fest aber kamen vier Stadtknechte und brachten von dem Rat der Stadt als Ehrengeschenk für den Doktor Luther »auf seine Wirtschaft« ein Fäßlein eimbeckisch Bier und 20 Gulden in Schreckenbergern, dazu auch für Frau Katharina ein Stück schwäbisch Linnen, sowie die schriftliche Verheißung, das junge Ehepaar ein ganz Jahr lang mit Tischwein zu versorgen. Das war ein neues Zeichen der Dankbarkeit, denn bereits am Verlobungslag hatte der Rat feinen Ehrenwein gesendet, nämlich ein Stübchen Malvasier, ein Stübchen Rheinwein und sechs Kannen Frankenwein.

Am folgenden Tage kam als Weihegabe der Universität für ihren größten Lehrer ein großer, silberner, innen stark vergoldeter Deckelbecher von getriebener Arbeit, auf dessen Fuß die Umschrift zu lesen war: »Die löbliche Universität der kurfürstlichen Stadt Wittenberg verehret dieses Brautgeschenke Herrn Doktor Martinus Luther und seiner Jungfrau Käthe von Bora Anno 1525, Dienstag nach dem Fest Johannis des Täufers.«

Während die Frau Syndikus noch damit beschäftigt war, diese und andere Hochzeitsgaben in sinniger Ordnung in dem hergerichteten Gemach aufzustellen, und heimlich lächelnd vor sich hinmurmelte: »Was wird der Doktor sagen, daß ihm dennoch so viel sichtbare Liebe gegeben worden, da er sich doch alles Brautgeschenk strengstens verbeten«, rollte ein Wägelein auf den Klosterhof, und zwei kurfürstliche Diener zogen mühsam ein großes Wildschwein herab nebst zwei Rehböcken. Der staunenden Elsa bestellten die Knechte einen Gruß von dem kurfürstlichen Hofprediger Spalatinus an den Doktor Luther, und in ihrer zerstreuten Glückseligkeit wäre die Frau Elsa dem einen der Knechte beinahe um den Hals gefallen.

Hinten aber in seiner stillen Zelle saß der Doktor und schrieb an dem letzten Hochzeitsbrief. Eine ganze Anzahl war bereits entsendet an die Entfernteren, vor allem an seine alten Eltern in Mansfeld, sodann an die drei gräflich mansfeldischen Räte Doktor Joh. Rühel, Joh. Dürr und Kaspar Müller, ferner an seinen Freund Spalatin in Altenburg und den dortigen Pfarrer Wenzel Link, an den Magdeburger Pfarrer Amsdorf und den Magister Kaspar Adler. Jetzt schrieb er an einen, den er beinah vergessen, und der doch in erster Linie hätte geladen sein sollen, da ohne ihn der Luther sein Lebtag keine Käthe bekommen hätte: den Torgauer Leonhard Koppe.

»Lieber, würdiger Vater Prior«, schrieb er ihm mit scherzender Anrede, »Ihr wisset, was mir geschehen ist, daß nämlich die Nonne, so Ihr vor zween Jahren mit Hilfe Gottes aus dem Kloster entführet, abermals in ein Kloster gegangen, nicht jedoch, um abermals den Schleier zu nehmen, sondern um als ehrsame Hausfrau dem Doktor Luther zu dienen, so in dem alten, leeren Augustinerkloster zu Wittenberg bis dahero alleinig gehauset. Gott hat Lust, Verwunderung zu erregen, mich und die Welt zu narren und zu äffen. So bitte ich Euch denn, Ihr wollet zu meiner Heimfahrt, so am Dienstag nach Johannis Baptista vor sich gehen soll, erscheinen, doch ohne etliches Brautgeschenk.« –

Der ersehnte Tag kam endlich heran. Ganz Wittenberg war in hoher, freudiger Erregung, und tausend brünstige Gebete stiegen zum Himmel auf. Drinnen aber in dem Kloster saß eine zahlreiche Tischgesellschaft um den Doktor Martinus her, an dessen Seite Katharina in seliger Wonnetrunkenheit still zuhörte, was von den Gästen zu des neuvermählten Paares Preis geredet ward und was ihr Eheherr darauf erwiderte.

Es war ihr wie einer Träumenden. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie von einer Magd zur Königin erhoben, denn daß der, der neben ihr saß, der König sei im Reich der Geister, das bezeugte nicht allein seiner Freunde Preis, das verrieten auch die Feinde durch ihren tödlichen Haß. Und sie, die arme Käthe, sie sollte nun dem großen Manne näher stehen denn die Vertrautesten der Vertrauten, näher denn ein Melanchthon, ein Kranach, ein Bugenhagen, ein Jonas! O, sie mußte die Hand auf das Herz pressen, daß es ihr nicht spränge vor Wonne, und unterschiedlich gingen ihre Augen nach oben in heimlichem Flehen: »Herr, hilf, daß ich nicht hoffärtig werde, sondern fein demütig bleibe allezeit!«

Trotz aller Freude aber, die auf Luthers Antlitz leuchtete, war eine gewisse Unruhe an ihm wahrzunehmen, und mehrmals hatte er seiner Käthe zugeflüstert: »Nun ist mein Hoffen aus! Gott hat mir diesen Wunsch versagen wollen, auf daß es nicht zu viel werde.«

Käthe wußte wohl, was er meine, und drückte ihm mitfühlend die Hand unter dem Tisch.

Man hatte schon bei einer Stunde an der Tafel gesessen, als der Studiosus Johann Pfister, welcher nebst dem Famulus Wolfgang den Mundschenken machte, herzutrat und meldete, draußen ständen zwei alte Bauersleute, ein Mann und eine Frau, die begehreten den Doktor Martinus zu sehen.

Luther fuhr freudig zusammen und gebot sie stracks hereinzulassen.

Da erschienen in der offenen Thür zwei bejahrte Leute in der Tracht der mansfeldischen Bauern, die blieben bei dem Anblick der hohen Tischgesellschaft betroffen stehen und neigten schüchtern, wie geblendet, das Haupt.

Luther hatte sich von seinem Sitz erhoben und drängte sich an der Wand entlang zu ihnen hin. Als er ihnen nahe kam, hob die alte Frau die Arme und streckte sie ihm entgegen: »Mein Sohn Martinus!«

Da sank sie dem Sohn an die Brust und weinte laut. Der Sohn aber entwand sich ihren Armen, den Vater zu begrüßen, welcher keines Wortes fähig dabei stand. »Herzliebster Vater! Tausendmal sollet Ihr mir willkommen sein, denn herzlich hat mich nach Euch verlanget, zu sehen, ob Ihr den ungehorsamen Sohn wieder ausgenommen habet in Eure volle Liebe! Sehet, Gott hat mich wunderlich geführet, daß wir ihn zu benedeien haben, denn was er wunderlich anhebet, das führet er herrlich hinaus.«

Und er wandte sich und sprach, auf die inzwischen herzugetretene Katharina deutend: »Vater, sehet, das ist Eure Tochter!«

Dem alten Manne zitterten die Kniee, und die gefalteten Hände zum Himmel aufhebend sprach er: »Nun will ich gerne sterben, da meine Augen diesen Tag gesehen! Mein lieber Sohn Martinus, ja du bist wieder mein Sohn, und der alte Hans Luther ist der glücklichste der Väter!«

Die Hochzeitsgäste drängten sich grüßend um die alten Leute, denen an der Tafel der Ehrenplatz neben den Neuvermählten gegeben ward, und der Doktor Martinus sprach: »Meine Freude ist nun erfüllet. Dieses hatte ich vor allem von dem Herrn erbeten, daß ich an diesem Tag meine lieben Eltern von Angesicht zu Angesicht schauen möchte, und er hat mich erhöret! Solches nehme ich als ein sonderlich Zeichen seiner Gnade und will ihm dafür dankbar sein mein lebelang!«

Zweites Buch.
Die Hausfrau.



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