Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Bringe die Gefäße, Sibylla, denn das Bier ist fertig!« rief Frau Katharina einer der Mägde zu, welche mit ihr im Brauhaus beschäftigt waren. »Wird auf dieses Mal ein schön Gebräu, daran der Herr Doktor seinen Wohlgeschmack haben mag, denn sonderlich frisch und kräftig ist das Malz, so uns des Kurfürsten Gnade gesendet. – Wo bleiben denn die Dorothea und Brigitta? Daß sie doch eilen möchten, uns zu helfen, ehe der helle Tag anbricht, denn viel noch bleibet uns für den heutigen Tag zu schaffen.«
Schlaftrunken und die Glieder reckend kam in diesem Augenblick der Wolfgang herbeigehinkt und legte auf Frau Katharinas Aufforderung mit Hand ans Werk, daß das klare, schwarzbraune Getränk in den Gefäßen stand, als der Türmer der Stadtkirche die sechste Morgenstunde verkündete.
Es war ein stiller, schwüler Augustmorgen des Jahres 1532. Der Himmel hing schwer voll aschgrauer Wolken und milderte die Glut der Sonne, die schon mehrere Tage erdrückend auf der Welt gelegen hatte. Fido, das Spitzhündlein, dehnte sich schläfrig auf seinem Nachtlager und schien keine Lust zu haben, dasselbe heute zu verlassen. Auch die Tauben auf dem Dach ließen träg die Flügel hängen und rührten sich nicht vom Fleck. In dem Hof des Lutherhauses herrschte aber sonst ein reges Leben – es mußte heute wohl etwas Besonderes im Werke sein.
Frau Katharina begab sich eilig aus dem Brauhaus nach dem Viehhof, wo zwei Mägde beschäftigt waren, etlichen feisten Hühnern die Hälse zu brechen. Von da ging sie nach der Küche, um zu sehen, wie weit die Else und Lene, ihre Basen, mit der Zubereitung des Gemüses seien.
Nachdem sie sich überzeugt, daß alles in Ordnung und im besten Gange sei, schritt sie an der Seite des Wolfgang und eines Knechtes zum Hofthor hinaus durch die noch stillen Straßen nach dem Baumgarten, welchen Luther in der Nähe des Saumarktes besaß.
Unter dem Schatten dichten Weidengebüsches ruhte hier still und träumerisch ein kleiner, schmaler Fischteich, auf dessen Inhalt es jetzt abgesehen war, denn die beiden Männer warfen ein Netz aus, welches die Breite des Teiches hatte, und zogen dasselbe, indem jeder an einer Uferseite entlang ging, durch das Wasser.
Es währte nicht gar lange, so hatte die Käthe, welche inzwischen von einem niedrigen Baum einen Korb voll Birnen gepflückt, einen ziemlich großen Zuber voll Fische aller Gattungen: Hechte, Schmerlen, Forellen, Kaulbarschen, Karpfen und Schleien.
»Solch Gericht wird den Herrn Doktor daß erfreuen«, sagte sie mit zufriedenem Lächeln, »denn er ein großer Liebhaber von Fischen ist, und dem heutigen Fest soll diese Speise zur sonderlichen Zier gereichen.«
»Mit Gunst«, fiel der Knecht ein, »noch nimmer habe ich erfahren mögen, was das heutige Fest zu besagen habe.«
»Weißt du nicht, Daniel, daß Friede worden in Deutschland?« fragte Katharina verwundert zurück. Und nun belehrte sie auf dem Heimweg den Knecht über das, was am 23. Juli zu Nürnberg auf dem Reichstag geschehen: daß die evangelischen Fürsten sich mit dem Kaiser vertragen und ihm wider den Türken Hilfe versprochen hätten, falls er dem Evangelia nicht ferner wehren, sondern ihm sein Recht zugestehen wolle, bis die Sache auf einer allgemeinen Kirchenversammlung zum endlichen Austrag gebracht worden sei.
Man war inzwischen an die Pforte gekommen. Als man eben in den Hof eintrat, kam Meister Peter aus dem Haus, der Barbier, welcher allmorgendlich erschien, um den Doktor dem Bart zu scheren. Er trat eiligen Schrittes auf Frau Katharina zu, grüßte artig und fragte, ob denn der Herr Doktor nicht daheim sei. Er habe ihn vergebens in allen Räumen gesucht.
Katharina wurde unruhig und nachdenklich. »Habet Ihr nicht an seinem Studierstüblein gepochet?«
»Wohl habe ich zu dreien Malen an die Thür geklopft, doch eine Stimme drinnen nicht vernommen, und ohne seinen Zuruf einzudringen wage ich niemals.«
»Sicherlich hat er«, fiel Katharina erregt ein, »die ganze Nacht wieder über den Büchern gesessen, denn er gestern schon über Tisch nicht viel redete und in sich versunken saß.«
Sie eilte nach des Gatten Schlafgemach – da stand das Bett unberührt.
Nun lief sie zu dem Studierzimmer und pochte, aber es kam keine Antwort. Sie pochte abermals – wieder alles still. Sie pochte zum drittenmal, und als auch jetzt nichts hörbar ward, riß sie in Angst die Thür auf und trat in das Gemach, aus welchem ihr eine dumpfe, erstickende Luft entgegenquoll. Da saß der Doktor über ein Buch gebeugt, regungslos und stumm. Neben ihm auf dem Tisch stand ein wenig trockenes Schwarzbrot und ein halber Häring.
»Herr Doktor!« rief Katharina mit gepreßter Stimme, indem sie an der Thür stehen blieb.
Luther regte sich nicht.
Da trat sie herzu, rührte ihn mit der Hand an und beugte sich zu ihm nieder mit einem Blick, in welchem Angst und Vorwurf sich mischte.
Jetzt erst regte sich Luther und schaute verwundert auf.
»Herzliebster Herr Doktor!« klagte Katharina mit Thränen, »wie habet Ihr uns schon wieder erschrecket und mit Sorge erfüllet! Warum thuet Ihr doch also?«
Diese Frage brachte den Doktor erst vollends zu sich selbst. Über seine Stirn ging ein Schatten, und seine Hand deutete auf die vor ihm liegende hebräische Bibel. »Was ist es, daß du mich verklagest, Katharina? Meinest du, es sei etwas Schlechtes, das ich vorhabe? Weißt du nicht, daß ich wirken muß, so lange es Tag ist? Denn es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.«
Er hatte diese Worte in einem fast harten Ton gesprochen, aber aus dem Klang seiner Stimme hörte Katharina, daß der Zorn nicht ernstlich gemeint sei. Sie streichelte darum still glücklich die Hand, die rastlos wirksam sein mußte für die ganze Christenheit und sich nimmer genug thun konnte. Da fiel ihr Blick auf den halb verzehrten Häring, und mit wehmütigem Lächeln fragte sie: »Wie ist das nur zu deuten, daß Ihr bei der mäßigen Kost, so Ihr zu Euch zu nehmen pfleget, einen so gar starken, stattlichen Körper habet, daß der Magister Melanchthon neben Euch erscheinet als ein Knäblein? – Heute aber müsset Ihr Eurer Hausfrau ihr Recht vergönnen, daß sie Euer pflege und für die nächtliche Entbehrung und Anstrengung Euch erquicke mit festlicher Speise. Sind doch auch zu heute die Freunde geladen, daß sie fröhlich seien mit dem Fröhlichen über den geschlossenen Frieden.«
Luther wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Ei, schier hätte ich dieses vergessen, liebe Käthe! Ich freue mich des Mittagsmahls im Kreise der Vertrauten, denn auch Freund Spalatin sein Erscheinen zugesaget hat.«
Er stand plötzlich auf, legte sanft die Hand auf die Schulter seines Weibes und sprach mit veränderter, bewegter Stimme: »Du liebes Weib, wie herzlich bist du doch um mich besorgt! Wünsche mir Glück, daß mir Gott der Herr eine solche schickliche Ehefrau bescheret, die so fürtrefflich meiner Gesundheit warten, sich so verständig in meine Art schicken und meine Fehler und Gebrechen so still tragen mag! Würde dem Doktor Martinus gar übel ergehen, wenn er keine Käthe hätte. Will dir darum auch gern in Haus, Küche und Hof das Regiment lassen, denn ich ein gar ungeschickter Hausherr bin, und in solcherart Sachen die Weiber tauglicher sind, denn die Männer.«
Katharina wurde verlegen und suchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, indem sie sagte: »Es harret draußen Meister Peter, der Balbierer; darf er jetzund zu Euch herein, lieber Herr Doktor?«
Auf Luthers bejahendes Kopfnicken entfernte sich die Käthe, und der Bartscherer, ein kleines, hageres Männlein mit sinnenden Augen und beweglicher Zunge trat ein. Er begrüßte ehrfurchtsvoll den Doktor und ging alsbald an sein Werk.
Während er die Seife im Becken rührte, fragte Luther: »Nun, Meister, was traget Ihr heute neues in Eurem Täschlein?«
Der Meister schwieg einen Augenblick, dann stotterte er: »Ach, hochwürdiger Herr Doktor, das Neueste ist dieses, daß der arme Meister Peter immer noch nicht weiß, wie man recht bete, und längst schon hätte ich Euch gerne danach gefraget, wie man solche Kunst lerne, denn Ihr, als der Meister, möget einen armen Christenmenschen in dieser Sache wohl unterweisen.«
Luther verzog in leisem Lächeln den Mund. »Thuet erst Eure Arbeit, danach will ich Euch lehren.«
Der Barbier beeilte sich und wartete in Ungeduld auf den Anfang der Lektion.
»Setzet Euch hierher, lieber Meister Peter«, sprach endlich der Doktor, nachdem er sich mit einem weißen Linnen das Gesicht abgewischt. »Heißet Ihr das Beten eine Kunst? Ei wohl, es ist auch eine Kunst, so sie im Papsttum nimmer verstehen. Und dennoch mag sie ein jeglicher einfältige Christenmensch leichtlich lernen. Sehet, lieber Meister, wo Eure Seele unlustig ist zum Beten, so reizet sie, indem Ihr Euch mit dem Psalter in Eure Kammer setzet und leset, bis das Herz warm werde und zu sich selbst komme, welches am besten geschiehet, wenn der Tag anhebet oder zur Rüste gehet. Auch möget Ihr den Katechismus zur Hand nehmen und die Hauptstücke andächtig betrachten. Solches ist auch ein gut Feuerzeug, damit im Herzen ein Feuerlein aufzuschlagen. Ich, ob ich gleich ein alter Doktor der heiligen Schrift bin, sauge doch noch immer wie ein Kind an dem Vaterunser und dem Glauben, trinke und esse davon und mag nimmer satt werden. Wo Ihr aber also zum Beten gereizet seid, so sehet wohl zu, daß es geschehe mit ganzem und ungeteiltem Herzen! Muß doch auch ein guter Balbierer Gedanken, Sinn und Augen gar genau auf das Schermesser und die Haare richten und nicht zugleich mit plaudern oder anderswohin denken und gucken.«
Der Meister Peter bedankte sich mit vielen Worten für die Unterweisung und wollte sich entfernen, Luther aber hielt ihn fest: »So Ihr Muße habet, möget Ihr noch bleiben und der Morgenandacht beiwohnen, denn die Stunde ist da.«
Er nahm die Bibel und den Katechismus vom Tisch und schritt dem Meister vorauf nach der großen Diele, wo bereits das Gesinde sich an der Thür versammelt hatte und des Hausherrn wartete.
Nach freundlichem Morgengruß setzte sich alles in guter Ordnung um den langen Tisch von Eichenholz her, jeder auf seinen gewohnten Platz: obenan saß der Doktor, neben ihm zur Rechten Frau Katharina mit der Muhme Lehne und den Kindern, zur Linken die Gebrüder Peter und Hieronymus Weller nebst dem Wolfgang und vier andere Kostgänger, welche als Familienglieder galten; ihnen gegenüber die Schwestern Elsa und Lene Kaufmann, danach das Gesinde.
Mit seiner wohlklingenden, runden, vollen Stimme gab der Hausherr den Ton an, und im vollen Chor der hohen und tiefen Stimmen sang es andächtig zum Himmel hinauf:
»Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten!
Es ist ja doch kein andrer nicht,
Der für uns könnte streiten,
Denn du, Herr Christ, alleine.
Kyrieleis.«
Nachdem hierauf der Hausvater den 23. Psalm verlesen, erhob sich die ganze Hausgemeinde und betete gemeinsam den Morgensegen:
»Das walt' Gott Vater, Sohn und heiliger Geist. Amen. Ich danke dir, mein lieber himmlischer Vater, durch Jesum Christum, deinen lieben Sohn, unsern Herrn, daß du mich diese liebe Nacht vor allem Schaden und Gefahr so gnädiglich und väterlich behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, auf daß dir all mein Thun und Leben möge wohlgefallen. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht noch Gewalt an mir finde. Amen.«
»Lasset uns nun den Katechismus hören!« fuhr Luther fort. »Du, Wolfgang, mögest heut den Beginn machen!«
Wolfgang erhob sich mit gefalteten Händen und sagte das erste Gebot auf, sein Nachbar das zweite, und so ging es der Reihe nach, bis es an den Doktor kam, der wie ein Schulknabe gleich den andern seine Lektion aufsagte.
»Mein liebes Hänsichen«, fragte er darauf seinen sechsjährigen Ältesten, »magst du mir wohl sagen, bei welchem Stücklein ich gestern mit der Erklärung stehen geblieben?«
Sogleich war aus des Kindes Mund die Antwort da: »Beim Beschluß der heiligen zehn Gebote, lieber Vater.«
»So merket auf«, fuhr Luther fort, »daß Ihr vernehmet, was Gesetz sei. Die Kreatur mag vor dem Wörtlein »Gesetz« billig erschrecken, denn es da mit Dräuen und Strafen gehet wider alle Übertreter. Und solches ist auch Gottes Absehen, daß das Gesetz den Sünder erschrecke und ängste, denn es ist ein Zuchtmeister, so in der Rechten die Rute führet. Doch will es recht verstanden sein: das Gesetz ist nicht ein Zuchtmeister stracks für sich selbst, als habe es seine Lust und Gefallen am bloßen Strafen, sondern es ist ein Zuchtmeister auf Christum; denn was wäre das für ein Zuchtmeister, der nicht mehr thäte, denn immerdar seine Schüler zu plagen und zu stäupen, lehrete sie aber nichts? Wie vor dieser Zeit die Schulmeister gewesen sind, da die Schulen rechte Kerker und Höllen, die Schulmeister aber Tyrannen und Stockmeister waren; denn da wurden die armen Kinder ohne Maß und ohne alles Aufhören gestäupet, lerneten mit großer Arbeit und unmäßigem Fleiß, doch mit wenigem Nutzen. Ein solcher Zuchtmeister ist das Gesetz nicht, denn es schrecket und plaget seine Schüler nicht allein, sondern treibet die, so unter seiner Zucht gehen, zu Christo. Wo es aber zu Christo getrieben hat, so ist es mit dem Dräuen aus und hat an dem Menschen nichts mehr. Kommt Mose mit mir vor Gericht, so will ich ihn abweisen und sagen: Hinweg Mose, hier stehet Christus! und am jüngsten Tage wird Mose mich ansehen und sagen: »Du hast mich recht verstanden«, und wird mir günstig sein. Denn wer in Christo ist, der ist los von dem Gesetz, wie die Schrift spricht: Christus ist des Gesetzes Ende. Welche Christo angehören, die darf Mose nicht mehr mit der Rute streichen, denn sie sind geheiliget.«
Plötzlich sich zu seiner Frau wendend, fuhr der Doktor fort: »Liebe Käthe, glaubest du, daß du heilig seiest?«
Die Angeredete war über diese unvermutete Frage erschrocken und fand nicht gleich, was sie erwidern sollte. Nach einer Weile sagte sie: »Wie soll ich glauben, daß ich heilig sei? Bin ich doch eine große Sünderin!«
Da lächelte der Doktor: »Sehet nur den päpstlichen Greuel, wie er die Herzen verwundet und alles Inwendige eingenommen und besessen hat, also daß sie nicht mehr sehen können, denn nur die äußerliche und persönliche Frömmigkeit und Heiligkeit, so ein Mensch für sich selber thut. Liebe Käthe, glaubest du, daß du getaufet und eine Christin bist, so mußt du auch glauben, daß du heilig bist. Denn die heilige Taufe hat solche Kraft, daß sie die Sünden ändert und wandelt, nicht daß sie nicht vorhanden wären und gefühlet würden, sondern daß sie nicht verdammen. Der Taufe Wirkung, Kraft und Macht ist so groß, daß sie alle Anfechtung aufhebet und wegnimmt.«
Über Katharinas Wangen ging eine leise Röte, und ihre Augen dankten dem Doktor für die herztröstende Belehrung mit einem stumm beredten Blick.
Wieder erhob sich jetzt nach dem Exempel des Hausherrn die ganze Hausgemeinde, um den priesterlichen Segen zu empfangen.
Die Mägde holten hierauf aus der Küche das Morgensüpplein, welches still eingenommen ward. Dann verfügte sich ein jedes an seine Arbeit. –
Der Doktor holte sich aus dem Studierzimmer seine hebräische Bibel und begab sich, von Peter Weller geleitet, nach der Hochschule, um über das erste Buch Mosis zu lesen. Hieronymus nahm das Hänschen mit sich auf sein Losament und gab ihm Unterricht im Schreiben. –
Die Vormittagsstunden gingen hin, und unter dem Birnbaum im Hof wurde ein großer, langer Tisch mit weißem Linnen gedeckt, denn so hatte es der Doktor gewünscht, daß das Freudenmahl unter Gottes freiem Himmel eingenommen werde.
Der Himmel bezog sich aber immer schwärzer, und bald fielen schwere Tropfen; auch ein heftiger Wind erhob sich und fegte alles zusammen, was von Wolken am Horizont hing.
Verdrießlich rief Käthe die Mägde herbei und klagte dem herzutretenden Doktor ihre Not, daß ihr durch den Regen ein gut Teil ihrer Freude genommen werde.
Luther erhob drohend den Finger: »Nicht doch, liebe Käthe! Jetzund giebt uns Gott viel hundert tausend Gülden wert, jetzund regnet es Weizen, Hafer, Gerste, Kraut, Zwiebeln, Gras, Milch und dergleichen. Dafür sollen wir billig dem Herrgott danken und nicht murren. Haben wir doch auch drinnen im Hause Raum genug zu essen und zu trinken. – – Horch, ist das nicht das Geräusch eines heranrollenden Wagens? Das ist der Spalatin! Besorgete schon, er werde nicht kommen. Die andern sind schon alle drinnen bei einander.«
Jetzt rollte wirklich ein Gefährt in den Hof ein, und einen Augenblick später drückte unter strömendem Regen Luther seinen lieben, teuern Spalatin an das Herz. Indem traten auch die andern Gäste aus dem Haus und begrüßten den Ankömmling: Philipp Melanchthon, Justus Jonas, Johann Bugenhagen, Georg Rörer, der Kaplan von St. Marien, Kaspar Cruziger, der Wittenberger Professor und Schloßpfarrer, und Lukas Kranach.
Auch Katharina hatte heute zwei ihrer besten Freundinnen geladen, die Frauen von Melanchthon und Jonas, beides ihre Namensschwestern, so daß also drei Katharinen bei Tisch zusammensaßen. –
Mit großer Freude sahen die Freunde des Doktor Martinus fröhliche Laune und dankten still im Herzen dem Herrgott, denn längere Zeit hatte wieder einmal der Geist des Trübsinns und schwerer, innerer Anfechtung auf ihm gelegen wie ein Alp. Mit besonderem Interesse erkundigte sich Luther nach dem Befinden des Kurfürsten, der schon seit dem Februar kränkelte, und die tröstliche Kunde, welche Spalatin geben konnte, half dem Doktor zu noch größerer Heiterkeit.
Nachdem das Tischgespräch eine Weile lebhaft hin und her gegangen war, erhob sich Luther von seinem Sessel und faßte mit der Rechten den Bierkrug. »Meine herzlieben Freunde! Sonsten ist die Christenheit gewohnt, vor dem Türken drei Kreuze zu machen und ihm alles Böse zu wünschen, als dem Feinde Gottes und dem Verderber der Christenheit; heute aber gebühret es sich, daß wir ihm Dank sagen und ihm zu Ehren einen Trunk thun!«
Die Männer lachten auf, denn sie verstanden den Scherz wohl. War es doch dem Sultan Suleiman zu danken, daß der Friede zwischen dem Kaiser und den evangelischen Fürsten, welche zu Schmalkalden ein Schutz- und Trutzbündnis geschlossen hatten, zustandegekommen war. Die Gefahr, welche das anrückende Türkenheer dem deutschen Reiche drohte, hatte den Kaiser genötigt, in den sauren Apfel zu beißen und den Forderungen der Evangelischen nachzugeben, um ihre Hilfe wider den auswärtigen Feind zu gewinnen.
Luther fuhr fort: »Wie doch in der Hand Gottes alle Kreatur ein Werkzeug werden muß zur Ausrichtung seines heiligen Willens, oftmals ohne daß sie es weiß und ahnet! Die da meinen, es böse zu machen, die machen es gut und müssen, während sie das Reich Gottes stürzen wollen, daran bauen helfen. Also möge auch unser Vertrauen nicht müde werden, denn Gott der Herr hat viele Mittel und Wege, auch wo unser Kleinglaube meinet, es sei alles aus; und selbst der Türke muß dem Evangelio helfen, wo Papst und Kaiser nicht wollen. – Ach, liebe Freunde! Wie gnädig hat sich doch der Herr bis hierher zu unsrer Sache bekannt! Ist doch jetzund allenthalben in deutschen Landen eine große Schar zu finden, so der Wahrheit folget. Das Gebäu ist unter Dach und Fach gekommen; es bedarf nicht mehr des Neubaues, sondern allein des Erweiterns und Erhaltens. Ein neu Geschlecht ist herangewachsen, und nicht mehr auf mir allein ruhet die ganze Last und Bürde, sondern viele stehen da als Säulen und Träger des neuen Lebens, als Führer in dem Kampf des Lichtes mit der Finsternis.«
Spalatin nickte dem Sprechenden verständnisvoll zu: »Ja, Bruder Martinus, mit Freuden sehen meine Augen das Wachstum der guten Sache, und auch der Kurfürst hat gute Hoffnungen von Nürnberg mit heimgebracht, und ist solche Hoffnungsfreudigkeit wohl auch die Ursach, daß seine Krankheit linder geworden.«
»Auf den Türken habe ich einen artigen Schluck getrunken«, sagte jetzt der Kaplan Rörer, »doch ein größerer gebühret dem Mann, dessen Geistesmacht den Frieden zwischen dem Kaiser und dem schmalkaldischen Bund zustandegebracht, dem Mann, der so wohl zu unterscheiden weiß zwischen dem, was Gottes und dem, was des Kaisers ist, besser als der Zwingli, dem seine Vermengung des Geistlichen mit dem Weltlichen zum Verderben geworden. Was wären wir ohne den Mann, der – – –«
Luther, auf welchen als den mit diesen Worten Gemeinten sich aller Blicke richteten, machte eine abwehrende Bewegung und sagte mit großem Ernst: »Liebster Rörer, Ihr wisset doch, daß ich solche Rede nicht gerne höre. Was ich bin, bin ich von Gottes Gnaden – ihm gebühret alle Ehre.«
Spalatin hatte sich inzwischen zu der neben ihm sitzenden Käthe gewendet und flüsterte ihr ins Ohr: »Des Kurfürsten Gnade sendet Eurem Eheherrn durch mich ein Geschenk von hundert Goldgülden. Klein und geringfügig, sagte er, sei dieses als Gegengabe für das, was Doktor Luther bei seiner letzten Anwesenheit ihm von Trost und Stärkung auf dem Krankenlager gespendet. Doch dränge ihn sein Herz, zu thun, was er könne, um seinen Dank kund werden zu lassen. Will mich aber nicht an ihn selber wenden, sondern an Euch, werteste Frau Doktorin, maßen ich schon im voraus weiß, daß er die Gabe verweigert. Wollet das Geld gütig annehmen, denn Ihr desselbigen wohl bedürfet und dem gnädigen Herrn damit eine große Freude geschiehet.«
Katharina drückte dem Hofprediger unter dem Tisch die Hand, sagte ihm leise ihren Dank und fügte hinzu: »Es ist unmöglich, in diesem Stück des Doktors Sinn zu wenden. Erst ehegestern wieder wäre schier ein Streit zwischen uns entstanden. Kam ein Studiosus, so seine Studien beendet und kein Zehrgeld mehr hatte zur Heimfahrt. Mein Eheherr langet alsbald in die Tasche, findet aber keine Münze, im Kasten auch nicht. Da greift er einen silbernen Becher vom Gesims und reicht ihn dem Gesellen dar. Dieser weigert sich zu nehmen, und ich winke dem Doktor auch mit den Augen. Doch es ist, als hörete und sähe er nicht, drückt vielmehr mit seiner starken Hand den Becher zusammen und drängt ihn dem Jüngling mit den Worten auf: »Ich brauche keinen silbernen Becher! Da, nimm ihn, Gesell, trage ihn zum Goldschmied, und was du dafür lösest, das behalte!«
Spalatins Augen gingen mit einem feuchten Schimmer nach dem Doktor Martinus hin, der mit seinen Tischnachbarn in fröhlich lautem Gespräch begriffen war, und mit dem Kopfschütteln bewundernder Verehrung sagte er leise vor sich hin: »Es ist der Luther!«
Da das Gemüse verzehrt war, erhob sich Katharina und brachte nach einer Weile das Fischgericht. Als sie beim Herumreichen zu ihrem Gatten kam, klopfte ihr dieser scherzend auf die Schulter: »Käthe, du hast größere Freude an den wenigen Fischen, denn mancher Edelmann, wenn er etliche große Teiche und Weiher fischet und etliche hundert Schock Fische sähet. Ach, der Geiz und Ehrsucht machen, daß wir Gottes Kreaturen nicht können recht mit Lust brauchen. Es sitzet mancher Geizhals und lebet in großer Wollust, hat überflüssig genug und kann dennoch desselbigen nicht mit Lust und Nutzen genießen. Es heißt: Der Gottlose wird Gottes Herrlichkeit nicht sehen.«
Melanchthon hatte nach seiner Gewohnheit im stillen Sinnen dagesessen. Jetzt hob er den Kopf hoch und sagte, zu Luther gewendet: »Was möchten wohl unsre Widersacher sagen, wo sie uns allhier so lustig schmausen sähen!«
»Laß sie immer das Maul aufreißen«, fiel Luther schnell ein. »Fasten wir, so schreien sie: Die Pharisäer und Scheinheiligen! Schmausen wir, so schreien sie: Die Fresser und Säufer! Mit dem Heiland haben sie es seiner Zeit auch also gemacht. Was sagt aber unser Herrgott droben im Himmel dazu, daß wir also hier sitzen und seine Güter verzehren? Nu, er hat alles darum geschaffen, daß wir es brauchen sollen, fordert anders nichts von uns, denn daß wir erkennen, daß es seine Güter sind, und ihrer mit Danksagung genießen.« –
Das Gespräch ging so in beständigem Fluß und großer Lebhaftigkeit noch eine Stunde weiter, bis der Hausherr seine Gäste zum Danksagen aufforderte.
Die Männer begaben sich danach in den Hof und erlustigten sich, da nach beendetem Regen die Luft frisch und rein geworden war, auf der Kegelbahn, welche Luther mit Hilfe des Wolfgang für seine Kostgänger hergerichtet hatte, während die Frauen sich unter den Birnbaum setzten und plauderten.
Der Freundschaftsbund dieser drei Frauen war nicht minder innig, als der der Männer, besonders waren die Ehefrauen von Luther und Justus Jonas ein Herz und eine Seele. So haben sich wohl selten zwei weibliche Wesen verstanden, wie diese beiden Katharinen. Es gab keine Freude, die sie nicht miteinander teilten, es gab kein Leid, das nicht die eine mit der andern trug. Manchmal, wenn Luther mit Todesgedanken umging und vorahnend sein Weib als Witwe sah, da wies er tröstend auf Frau Katharina Jonas als ihre Stütze, ihre Zuflucht, ihren Rat und ihren Trost. Und die Freundschaft der Mütter übertrug sich auch auf die Kinder, welche viel miteinander spielten und auch zusammen lernten.
Die Frauen hatten noch gar nicht lange gesessen, als sie Luthers fröhliche Stimme vernahmen und beim Aufschauen einen neuen Gast daherkommen sahen, den von Luther sehr wert gehaltenen Johann Walter, den Sangmeister von Torgau. Das gab eine freudige Begrüßung, nur der Wolfgang war mit der Störung nicht einverstanden und brummte ärgerlich vor sich hin: »Warum muß dieser Unhold gerade jetzund Hereinbrechen! Nun ist es mit dem Spiel aus und so weiter, nun wird wieder das leidige Singen und Zetern anheben.«
Der gute Wolfgang, der seinen Gesangunterricht bei den Dohlen und Elstern genommen zu haben schien, zog eine Partie Kegel der schönsten Musik vor, mochte er auch, wie heute, nur als Kegelaufrichter angestellt sein.
Sein Verdacht ging auch in der That nicht fehl, denn bald hatten sich die Männer nebst den herzugekommenen Frauen um den Sangmeister gesammelt und stimmten unter dessen. Leitung ein Liedlein nach dem andern an: erst Volksweisen, welche Luther sehr liebte, dann aber geistliche Lieder und Choräle, welche auf Luthers Bitten und unter seinem Beirat der Sangmeister für den evangelischen Gottesdienst im Druck hatte ausgehen lassen. Und immer höher gingen auf den Schwingen der Töne die Herzen, immer brünstiger loderte die Andacht zum Himmel auf, bis die Begeisterung ihren Gipfel erstieg, als Walter das Schlacht- und Triumphlied des Wittenberger Gotteshelden anstimmte: »Ein' feste Burg ist unser Gott«, dessen Töne an den Klosterwänden wiederhallten und von dem Abendwind hinausgetragen wurden in die Straßen und Gassen der Stadt, auch andern zur Erbauung, denn wunderbar war die Gewalt, mit welcher dieser Heldensang mit seinen majestätischen Klangwellen jedes Hörers Herz ergriff. Selbst der Wolfgang konnte da nicht widerstehen, er trat herzu und sang, oder vielmehr krähte mit.
Der Abend dämmerte langsam herein, und nachdem die Käthe noch einen Imbiß bereitet, verließen die Freunde außer Spalatin und Walter das Haus, welches, wenn es eine Inschrift hätte tragen sollen, diese haben mußte: »Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen!«