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Wieder war's ein schöner, milder Abend, als in der Zelle der Magdalene von Staupitz sieben Nonnen bei einander saßen: außer der Zellenbewohnerin die beiden Schwesternpaare Eva und Margarete von Schönfeld, Veronika und Margarete von Zeschau, ferner Eva von Groß und Katharina von Bora.
Es herrschte eine sehr gedrückte Stimmung, denn die Hoffnung, welche man auf die Einsicht und das Erbarmen der Eltern und Verwandten gesetzt, war elendiglich zu schanden geworden. Wohl hatte die Staupitz von ihrem Bruder, dem Generalvikar des Augustinerordens, einen warmen, teilnehmenden Brief erhalten, sowie auch Katharina von Bora eben ein Schreiben ihres Bruders Hans vorgelesen hatte, aus welchem eine herzliche Liebe sprach; aber beider Brüder Rat mahnte von dem Vorsatz des Austritts aus dem Kloster auf das dringendste ab. Mönche möchten ohne etliches Bedenken den Schritt thun, da sich für sie wohl ein Amt und Brot finden würde; aber was wollten hilflose Nonnen in der Welt? Ihnen würde das zweite Übel ärger werden denn das erste. – Die beiden Schwesternpaare aber, sowie auch Eva von Groß waren noch viel schlimmer daran. Die Antwort, welche ihnen von seiten ihrer Eltern zu teil geworden, war eine Reihe von Vorwürfen und Drohungen, und die Betroffenen waren so niedergeschmettert, daß es schwer war, sie zu trösten und ihnen Mut zuzusprechen.
Jetzt kam auch Laneta von Gohlis hinzu, gesenkten Hauptes und mit Trauer in den Augen. Schweigend setzte sie sich zu den übrigen, und unwillkürlich suchten aller Augen das Angesicht der Staupitz, deren durch die Jahre gereiftem Urteil allgemeines Vertrauen entgegenkam. Sie war es auch, die die Verbündeten zu sich beschieden hatte, um heimlichen Rat zu pflegen, was nun zu thun sei.
Magdalena erhob sich von ihrem Sitz, eine hohe, würdevolle Figur mit klugen Augen und ruhigem Wesen. »Unsre erste Hoffnung ist zu schanden geworden, liebste Schwestern«, sagte sie mit ihrer volltönenden, angenehmen Stimme, »und bitter muß es uns eingehen, von denen verlassen zu sein, so durch die Bande des Blutes zu unsern natürlichen Nothelfern berufen waren. Sie fordern von uns, daß wir bleiben; aber wie, sollen wir nun Menschen mehr gehorchen, denn Gott? Gottes Ruf ist durch seines Propheten Wort an uns ergangen, so duldet das aufgeweckte Gewissen uns nicht mehr an einer Stätte, der wir innerlich fremd geworden, denn Heuchelei ist all unser Gehorsam gegen die Regeln und Übungen des Ordens.«
Mit schmerzlich zuckendem Mund erwiderte Katharina von Bora: »Meine Seele ist voll Weh bei dem Gedanken, daß ich an diesem traurigen Ort meine Tage beschließen soll, sterbend, ehe ich noch gestorben bin; aber was sollen wir thun?«
»Höret mir zu, Schwestern, welcher Entschluß in mir gereifet!« fuhr mit erhobener Stimme Magdalena fort. »Wenn Luther es ist, durch den der Ruf Gottes an uns gekommen, so ist er auch der Mann, an den sich unser Hilferuf wenden muß, auf daß er ihn zu Gottes Thron bringe.«
»Magdalene!« rief das Fräulein von Bora abwehrend, »was wagest du? Den Großen sollen die Kleinen mit ihrer Not beschweren? Hat er nicht größere und wichtigere Sorgen zu tragen?«
Magdalene schüttelte den Kopf. »Sei still, Katharina, und wehre mir nicht! Durch meinen Bruder habe ich genauere Kunde von dem wittenbergischen Mönch, und nach dem, was ich von ihm erfahren, dürfen wir es getrost mit ihm wagen. Dieser Riesengeist fraget nicht, was groß sei oder klein – für alles, auch das Geringfügigste, hat er Ohr und Herz. Schon mehrerer ausgetretener Mönche hat er sich väterlich angenommen und ihnen durch seine thatkräftige Fürsprache ein Unterkommen in der Welt verschafft. Sollte es ihn der schutzlosen Nonnen nicht noch viel mehr erbarmen?«
Eva von Schönfeld faßte begierig Magdalenens Hand: »Schwester, dein Rat ist gut, und in neuer Hoffnung hebet sich meine geängstete Seele. Ich bin gewiß, Luther wird es thun. Ich glaube an ihn wie an den Herrgott.«
In dem Kreis der Niedergeschlagenen entstand eine Bewegung – der Name Luther hatte lebenweckend und mutstärkend die Herzen getroffen, und alle umringten die Schwester Magdalene, dankend für den glücklichen, heilsamen Gedanken.
»Aber wie soll dem Luther Kunde werden von unsrer Not?« fragte Eva von Groß, nachdem die schnell aufgeloderte Begeisterung einem ruhigen Überlegen Platz gemacht hatte.
»Diese Frage ist die allergeringste«, tröstete Magdalene von Staupitz. »Klaus, der Gärtner, gehet mit Freuden für mich den Gang, denn längst schon wartet er einer Gelegenheit, mir erkenntlich zu sein für die Hilfe, so ich ihm geleistet, da ihn das giftige Insekt gestochen.«
Hastig ward in diesem Augenblick die Thür aufgerissen. Mit fahlem Antlitz und allen Zeichen des Entsetzens stürzte Elisabeth von Kanitz herein.
»Wehe, alles ist verloren!« kreischte sie händeringend. »Mein Vater ist gekommen und hat mir in Gegenwart der Äbtissin mit Schelten und Drohen seine Antwort auf meinen Brief gegeben. Unsre Heimlichkeit ist verraten, und ich Unglückselige muß daran schuld sein!«
Sie sank, das Gesicht in den Händen bergend, mit Stöhnen auf einen Schemel, und die andern standen, keines Wortes fähig, mit erstarrten Gliedern um sie her.
Magdalene von Staupitz war die erste, die sich wieder sammelte und faßte. »Schwestern«, rief sie dringend, »verlieret nicht den Mut! Man wird eilen, unsern Bund zu stören und uns zu strafen. So wollen wir die noch übrigen Minuten nützen, uns die Hand darauf zu geben, daß wir bleiben in dem, das wir beschlossen. Nun ist Luther vollends unsre einige Hoffnung. Überlasset es mir, den Boten an ihn abzuordnen.«
Die Nonnen hatten kaum Zeit, ihre Zustimmung zu geben, denn in dem Kreuzgang wurden schlürfende Tritte hörbar, und nach wenigen Augenblicken stand die Schreckgestalt der Äbtissin vor den zitternden Schwestern. –
Das für gewöhnlich aschfarbene Gesicht der Alten hatte einen grünlichen Schimmer, welcher, zusammen mit dem fast bis zur Nasenspitze heraufgezogenen Kinn das Anzeichen der tiefsten Entrüstung war. Man sah, wie die Matrone, an dem ganzen Leibe zitternd, mit sich kämpfte, um des Aufruhrs in ihrem Innern Meister zu werden und Worte zu finden für ihre Empfindung. Es währte eine geraume Zeit, ehe ein Ton aus ihrem zahnlosen Munde kam, und in angstvoller Stille neigten die Nonnen, die Hände auf der Brust gekreuzt, die Häupter, wie ein Verbrecher, der den tödlichen Streich erwartet. Endlich kam es stoßweis aus dem geweihten Munde: »O daß – meine – alten – Augen – solche Schande – noch haben – sehen müssen! Was habet – ihr gethan, ihr Kinder – des Satans? Stündet ihr – vor mir – als gefallene Magdalenen, oder – als Mörderinnen – mit blutiger Hand, so wollte – ich euch – im Herzen beklagen – und bedauern; vor eurer Missethat – aber – bäumet sich – mein Herz – in Abscheu, und auch die schärfste Rute – ist noch – zu sanft! In stolzer Freude – habe ich – erst ehegestern – dem Ordensprovinzial – berichtet: Siehe, das Kloster Marienthron – ist ein unentweihetes Heiligtum, gefeiet – wider alle Ketzerei. Wehe, nun bin ich – zur Lügnerin geworden, und mein Stolz – ist gedemütigt, meine Ehre in Schmach gewandelt! Heilige Mutter Gottes, verbirg dein Antlitz – vor dieser Schande und strafe nicht – um der Missethat dieser Neun – das ganze dir geheiligte Haus! Was aber – diese Ehr- und Pflichtvergessenen – gefrevelt, mit strenger Pön soll es – gesühnet werden, auf daß – der Schmutzfleck – getilget werde – von deinem Heiligtum! Ihr aber, ihr – ihr – ihr – – – was stehet ihr? Auf die Knie! In den Staub!«
Die Nonnen sanken vor der Äbtissin nieder und küßten ihr schweigend die verwelkten Hände zum Dank für die verheißene Strafe, denn so hatten es nach der Belehrung der Äbtissin die Nonnen sich angewöhnen müssen, die Strafen als eine Wohlthat hinzunehmen. –
Am Abend dieses Tages waren im Remter des Klosters bei dem Nachtmahl neun Plätze leer, die folgenden zwei Tage desgleichen. In ihren Zellen waren die Büßenden eingeschlossen bei Wasser und Brot, und in heiligem Eifer übernahm die Äbtissin selbst den Dienst, an den Thüren zu lauschen, ob die Gefangenen auch gewissenhaft die vorgeschriebenen Rosenkränze abbeteten. Am vierten Tage endlich öffneten sich den Unglücklichen die Bande, aber auch nicht zur Freude, sondern zu der tiefsten Demütigung. Während der Messe, welche in der Kapelle gehalten wurde, bekamen sie ihren gesonderten Platz auf dem Büßerbänklein, und sobald der Priester die Bußlitanei anstimmte, mußten sie, die Brust mit den Händen schlagend, auf den Knieen bis zu den Stufen des Altars rutschen und dort stille halten, bis das reinigende Weihwasser und der entsündigende Weihrauch den Geruch der Ketzerei vertrieben. Die Äbtissin, welcher sie die Füße küssen mußten, sprach dann die Formel, welche die Reuigen wieder aufnahm in die Gemeinschaft der Gotteskinder. Doch das war nur der Mund, der die vorgeschriebenen Worte daherplärrte – aus den Augen sprach unversöhnter Groll, der auch den übrigen Klosterschwestern sich mitteilte und den armen Ketzern das Kloster noch vollends zur Hölle machte. Man würdigte sie keines Blickes, keines Wortes, man that, als wären sie nicht vorhanden, oder als hätten sie das Recht verwirkt, an dieser heiligen Stätte zu weilen. So lag es auf ihnen wie ein Bann, und die heiße Not des Herzens lehrte sie, sich nicht zu begnügen mit den auswendig gelernten Gebeten, sondern in freiem Erguß echt evangelisch sich zu dem Gnadenthron Gottes zu drängen und in brünstigem Flehen mit dem Herrn zu ringen wie Jakob.
»Wo ist der Klaus?« fragte in diesen Tagen die im Klostergarten lustwandelnde Äbtissin den dienstthuenden Laienbruder, welcher mit dem Grabscheid die Gemüsebeete herrichtete.
Der Gefragte richtete sich langsam empor: »Er ist ins Land hinein nach Sämerei.«
»Wohin?«
»Dieses hat er mir nicht geoffenbaret. Wahrscheinlich nach Erfurt.«