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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Auf Flügeln.

Die Schiefertafel.

»Ach, Frau Fogg, ich wollte Ihnen alles erzählen – aber es geht nicht. Sie ahnen auch ohne das, wie es mit uns steht. Ich konnte wirklich nicht anders; zwar werde ich nicht so thöricht sein, Ihnen zu sagen, wie lieb – – aber Sie wissen ja selbst, daß keiner ihm gleich ist. Daß er, trotz meines offenbaren Mangels an Besonnenheit und Urteil, mich allen andern vorzieht – das ist eigentlich unglaublich; es beängstigt mich ordentlich, zu sehen, wie hoch er mich hält – bin ich doch nicht halb so gut, wie er denkt. Und doch sollte er mich kennen, aber ich fürchte, ich habe ihn irgendwie hinters Licht geführt – freilich ganz ohne es zu wollen!

Mama weiß alles; Karl hat es ihr gestern gesagt, ich hatte nicht den Mut dazu. Er hielt es nicht für ehrenhaft, mit uns nach Cambridge zu gehen und bei uns zu wohnen, ohne seine Absichten ehrlich auszusprechen. Mama war so erstaunt! ›Und du weißt, wieviel ich mir immer auf meinen Scharfblick einbildete!‹ sagte sie. Aber sie freut sich aufrichtig, und Papa ebenfalls. Er sagt, Karl sei sein guter Genius, und wenn er noch einmal von vorn anfangen müßte, so dürfte Karl nicht an seiner Seite fehlen.

Die Mutter sagte es gleich dem Großpapa. Ich versteckte mich, aber er rief mich zu sich, legte seine Hand auf meinen Kopf und segnete mich. ›Mein liebes Kind,‹ sagte er voll Zärtlichkeit, ›wir beide sind uns oft ein Trost gewesen. Mein altes Herz thut mir weh, wenn ich denke, daß ich von dir Abschied nehmen soll, aber ich würde dich keinem lieber anvertrauen, als Karl. Unter tausend giebt es nur einen wie ihn, und ich weiß es lange, daß er dich lieb hat.‹

Wer hätte dem Großvater solchen Blick zugetraut! Auch Großmama fand es nötig, etwas zu sagen. ›Ich wüßte nichts gegen Karl einzuwenden; hoffentlich wirst du nun auch verständig werden. Ich wünsche euch beiden Glück!‹ Dann gab sie mir jenen Ring mit dem Vergißmeinnicht zum Andenken, und ich lief weinend fort.

Meine liebe, teure Frau Fogg, ich kann den Gedanken kaum ertragen, Sie zu verlassen. Sie sind mir so unsäglich viel gewesen, eine so treue, mütterliche Freundin, und ich lasse Sie so ganz einsam zurück, allein mit Ihren Gedanken. Aber vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben; später müssen Sie kommen und bei uns leben, wenn – – ach wenn – –! Sie wissen, niemand liebt Sie, außer mir, so herzlich wie Karl.

Morgen sage ich Ihnen das letzte Lebewohl! Für heute gute Nacht, meine geliebte Frau Fogg – Gott segne Sie!«

* * *


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