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Siebentes Kapitel.
Lizzies Fest.

Die Schiefertafel.

»Da bin ich wieder, Frau Fogg, und erlaube Ihnen großmütig, über meinen Anblick zu lachen. Der Barbier meinte, das wäre ein verzwicktes Ding, und er müßte tief einschneiden, aber ich dachte doch nicht, daß er bis auf die Kopfhaut gehen würde. Ich hoffe nur, daß wenigstens die Haarwurzeln geblieben sind, und das wäre immer noch mehr, als ich verdiene.

Solch einen Tag wie den heutigen habe ich noch nie erlebt. Zum erstenmal sah ich mich in meiner eigentlichen Gestalt, und mir graute vor mir selbst! Ist es nicht ein Wunder, daß unser himmlischer Vater mit solch einem Hitzkopf noch immer Nachsicht hat? Aber ich will mich wirklich bessern, das verspreche ich Ihnen, und mit Gottes Hilfe soll es mir gelingen.

Es war ein schwerer Schritt, zur Großmutter zu gehen und sie um Verzeihung zu bitten! Ich zeigte ihr mein geschornes Haupt und sagte, ich sei sehr unehrerbietig gewesen und schäme mich dessen. Das fand sie ganz in der Ordnung, ich fügte aber hinzu: »du hast auch nicht ganz richtig gehandelt; ich bin vierzehn und ein halbes Jahr alt und habe ein Recht auf mein eignes Haar.« Da ließ sie ihr Strickzeug fallen und blickte hilfesuchend zum Großvater auf, aber der trat diesmal auf meine Seite. »Komm, Kind,« sagte er lachend, »du siehst toll genug aus und hast hinreichend für deine Unart gebüßt. Wir sind beide jähzornige Naturen und müssen lernen, zu vergeben und zu vergessen. Gieb mir einen Kuß und laß uns nicht weiter darüber reden.« Damit war ich zufrieden.«

* * *

»Ich bin heute nicht in die Schule gegangen, ich mochte mich den Mädchen nicht zeigen. Katie Hackett besonders ist so spottsüchtig und kann einen guten Witz auf anderer Leute Kosten nie verbeißen. Ich war in großer Angst, ob ich auch nicht Lizzies Freundschaft verscherzt hätte; sie selbst ist so ruhig wie ein See zur Sommerzeit, wie könnte sie eine so aufbrausende Gemütsart wie die meinige verstehen? Nach Tische schlich ich zu ihr; als sie mich sah, lachte sie bis zu Thränen – darauf hatte ich mich gefaßt gemacht. Dann aber schlang sie ihre Arme um mich und gab sich alle erdenkliche Mühe, um mich zu trösten – das liebe, gute Herz!

»Trotzdem kommst du morgen in unsere Gesellschaft,« sagte sie, »und gieb acht, wir denken uns einen Hauptspaß aus, wobei du die Lacher auf deiner Seite hast.«

Ich wollte ganz betrübt widersprechen, aber sie erzählte, daß sie schon einmal etwas Ähnliches vorgehabt, eine Aufführung, bei der sich alle halb tot gelacht hätten. Ich atmete aus, und wir berieten eifrig, wie die Sache anzufangen sei; man könnte eine Gerichtsverhandlung darstellen, aber leider fehlte dazu Katies Bruder, der eine höchst komische Ader hat. Die andern jungen Leute paßten alle nicht zu der Rolle, die Lizzie im Sinne hatte – da fiel mir unser Karl ein, der so hübsch zu deklamieren versteht. Sie wollte zuerst nichts davon hören, – ein junger Mensch, der Heu einführe und das Feld bestellte, paßte doch nicht in unsern Kreis, – aber nachdem ich tapfer eine Lanze nach der andern für den guten Jungen gebrochen hatte, gab sie endlich nach. Sie mußte zugeben, daß Karl zehnmal so klug und manierlich sei, wie z. B. James Topliff, der ein garstiger Bär ist –, und mir zuliebe überwand sie ihre aristokratischen Bedenken, die süße, einzige Lizzie!

Schnell lief ich nach der Wiese, wo Karl Heu machte, um ihm die Einladung zu überbringen. Aber denken Sie, daß er sie mit Freuden angenommen hätte? Weit gefehlt! er hatte tausend Bedenken und schien gar keine Lust dazu zu haben.

»Gut,« sagte ich sehr enttäuscht, »dann unterbleibt die Aufführung, und ich kann auch zu Hause bleiben, denn sie wäre das einzige Mittel gewesen, um meinen kahl geschorenen Kopf mit Ehren unter die Leute zu bringen.«

Da besann er sich eines Besseren und versprach mir, alles zu thun, was ich wünschte; er werde den Richter Davenport bitten, ihm einige Auskunft über Gerichtsverhandlungen zu geben, er wolle auch den Hanswurst spielen, wenn er mir damit einen Gefallen thäte. So ist denn diese Angelegenheit geordnet.«

* * *

»Sie sind meinetwegen aufgeblieben, Frau Fogg? wie gut von Ihnen! Nicht wahr, ich soll Ihnen noch etwas von der Gesellschaft erzählen?

O, es war reizend, und wir sind alle himmlisch vergnügt gewesen! Während die andern Musik machten, versammelte John Sanborn im Eßzimmer alle Mitwirkenden, teilte jedem seine Rolle zu und sagte ihm ungefähr, wie er sich zu verhalten habe. Plötzlich gingen die Thüren auf, und ein Diener rief mit lauter Stimme: »Achtung! die Sitzung des ehrenwerten Gerichtshofes wird sogleich beginnen!« John Sanborn thronte als Richter auf einem Waschtische, der eine Gerichtsbank vorstellte, Will Curtis war der Verteidiger der Angeklagten, Karl vertrat den Staatsanwalt. Ich saß als Klägerin in der Mitte, eine große Haube bedeckte meinen Unglückskopf; die Zeugen, Virginia, Katie, Lizzie und Dora, waren alle wie Bäuerinnen gekleidet und strahlten in den schönsten Regenbogenfarben, in roten Röcken, grünen und blauen Schürzen und bunten Kopfbedeckungen. Karl sah höchst feierlich aus; das Haar hatte er in der Mitte gescheitelt und eine hohe, weiße Halsbinde umgelegt. Nun führte der Gerichtsdiener die Angeklagte, Lena Giddings, herein. O, wie sah sie aus! man mußte lachen, wenn man sie nur ansah. Von ihrem feuerroten Hut wallte ein grüner Schleier herab, unter dem Arm trug sie einen großen, blauen Regenschirm, und dazu suchte sie die Schwachsinnige zu spielen, was ihr wunderbar gut gelang.

Die Verhandlung begann; Karl trug die Anklage vor. Wie gut er seine Sache machte! noch viel besser, als ich erwartet hatte. Er sagte, die Angeklagte sei einer That beschuldigt, die man nur einer Indianerin zutrauen könnte, denn sie habe einen Skalp gestohlen! Abends vorher habe sie ein kleines, unschuldiges Mädchen überfallen und ihr heimtückisch ihr Haar abgeschoren. Um sieben Uhr sei sie nahe an Kapitän Howes Hofthür gesehen worden – ein sehr verdächtiger Umstand, der noch dadurch bestätigt würde, daß die Eindrücke ihres großen Schirmes sich deutlich auf dem Kieswege zeigten.

Er sagte das alles mit spaßhaftem Ernst, ohne eine Miene zu verziehen, während die Zuschauer lachten und kicherten.

Nun wurden die Zeugen aufgerufen, welche die lächerlichsten und widersprechendsten Aussagen machten; aber alle wurden von Karl sehr geschickt zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt. Dora brachte eine große Schafschere zum Vorschein, die sie am Ort der That gefunden haben wollte, und dieser Beweis war erdrückend. Dann verlangte Karl, daß man Lena den Hut abnähme, um zu beweisen, daß sie das gestohlene Haar auf ihrem Kopfe trüge. Lautes Gelächter erhob sich, als unter dem Hut eine ungeheure Perücke von Werg sichtbar wurde, die wie ein riesiges Wespennest aussah.

.

Nun hielt er eine donnernde Rede des Inhalts, daß die Schuld der Angeklagten klar am Tage läge, und daß es im Interesse aller derer, denen ihr Haar lieb sei, dringend geboten wäre, dieselbe einzukerkern, um ihr das verruchte Handwerk zu legen.

Will Curtis versuchte als Verteidiger einiges zu ihren Gunsten zu sagen; er führte aus, daß jemand, dem ein solcher Haufe gestohlenen Haars das Gewissen drücke, unmöglich so rund und rotbäckig aussehen könne, wie seine Klientin; aber obgleich er auch belacht wurde, so machte er doch lange nicht solchen Eindruck wie Karl. Darauf erhob sich langsam und würdevoll der Richter und erklärte die Angeklagte für schuldig des Lockenraubes an einem hilflosen, kleinen Mädchen, das infolge dieser Missethat genötigt wäre, seinen kahlen Kopf mit einer Haube zu bedecken, weshalb die Verbrecherin zu lebenslänglicher schwerer Arbeit in der Schule, im Hause und im Garten verurteilt würde.

Lena fiel über diesen Richterspruch in Ohnmacht, und Katie versuchte, sie durch Schnupftabak wieder zu erwecken. Da stürzte plötzlich Maggie Selden herein, schwang eine feuerrote Perücke hoch in der Luft und rief: »Das Verfahren ist ungültig, das echte Haar ist gefunden!«

Das Gelächter und Händeklatschen wollte kein Ende nehmen, als sich plötzlich die Thür aufthat und Miß O'Neil eintrat. »Ihr stellt ja den ganzen Ort auf den Kopf,« sagte sie mit einem bösen Blick, »was hat all dieser Lärm für einen Zweck? Und was bedeutet die große Haube, die Friedrich Howes kleine Tochter trägt? Wollt ihr alte Leute damit zum besten haben? Man erzählt sich überall, Kind, daß dir dein Haar gestohlen sei – laß doch sehen!«

Mich überlief ein Zittern, jetzt mußte der schreckliche Augenblick kommen, vor dem ich mich so kindisch gefürchtet hatte! Aber Lizzie wußte sich gleich zu fassen; mit einer scherzhaften Verbeugung ergriff sie meine Hand und sagte: »Mein Fräulein, ich habe die Ehre, Ihnen meine Freundin, Miß Stubbs aus Boston, vorzustellen, welcher der Rat erteilt worden ist, in diesem Sommer ihr Haupt abzukühlen.« Damit nahm sie mir die Haube ab – und da stand ich mit meinem kahlgeschorenen Kopfe, welcher in diesem Augenblick wie Feuer brannte. Alle lachten laut und drängten sich mit neckenden Fragen und Ausrufungen um mich – ich hatte Mühe, meine Fassung zu bewahren. »Gerechter Gott, habe ich dir wirklich dein Haar abgeschnitten?« fragte Lena ganz verwirrt. Da mußte ich auch lachen, und sogar Miß O'Neil schien zu fassen, daß es sich um einen Scherz handelte, obgleich sie die Ursache der Heiterkeit nicht recht begriff.

»Sagt mir, wer ist dieser junge Preston?« fragte nachher Miß Lightbody. »Mir hat lange kein junger Mann so gut gefallen. Er ist der geborne Advokat, und wenn eine von euch einmal einen Prozeß führen sollte, so möge sie sich ihn getrost zum Anwalt nehmen.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung,« sagte Richter Davenport, welcher dem Spiel als Zuschauer beigewohnt hatte. Diese Bemerkungen bewirkten, daß alle junge Mädchen Karl die Hand schüttelten und ihm herzlich dankten; Lizzie ließ sogar James Topliff links liegen, um dem Helden des Tages die gebührende Ehre zu erweisen. »Es ist nichts Gewöhnliches an ihm,« sagte Dora zu mir, »man merkt, daß er aus guter Familie stammt. Nächste Woche lade ich ihn zu mir ein.«

Das war ganz gut gemeint, aber ich glaube, Frau Fogg, Karl braucht Doras Gönnerschaft gar nicht und würde sie nicht sehr gern ertragen.

Aber jetzt muß ich aufhören, sonst fange ich an, vom Feuerwerk zu erzählen, und dazu ist es zu spät. Gute Nacht!

Ihre
ganz ergebene chinesische Freundin
Oh Ne Haar.


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