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Dreizehntes Kapitel.
Allerlei Scherz und Ernst.

Es war an einem Abend im März, als sich der gewohnte kleine Kreis um Kapitän Howes Kamin scharte. Die jüngere Frau Howe war in ein großes Rechnungsbuch vertieft, Emmy nähte an einem Käppchen für den Großvater, während Dina zu ihren Füßen saß und jeden Stich beobachtete, Karl studierte ein chemisches Werk, und Esther häkelte ein Netz. Die beiden letzteren brachten jetzt immer ihre Abende im Wohnzimmer zu, seit die alte Dame nach ihrer Krankheit die Gewohnheit angenommen hatte, mit Einbruch der Dunkelheit zu Bett zu gehen. Als sich die Thür hinter ihr geschlossen hatte, war Emmy aufgesprungen und hatte sich ein paarmal im Kreise herumgedreht, was Dina ihr sofort nachmachte. »So, nun fühle ich mich wieder frisch und munter,« sagte die ältere Schwester; »Großmamas Unterhaltung bewegt sich in einem so engen Kreise, daß mir zuletzt ganz schwindlich davon wird.«

»Liebes Kind,« sagte Frau Karoline Howe mit sanftem Vorwurf, »du solltest die kleinen Eigentümlichkeiten deiner Großmutter geduldiger ertragen.«

»Ganz recht, Mama! Aber bitte, laß jetzt deine alten Ziffern in Ruhe und plaudere gemütlich mit uns.«

»Jetzt nicht, Liebling; du weißt, ich übe mich in der doppelten Buchführung und bin gerade dabei, die Bilanz zu ziehen.«

Karl blickte von seinem Buche auf und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Er hegte die höchste Bewunderung für Frau Karolinens Geist und Bildung, aber es schien ihm, als würden die Rechnungen besser für sie passen, wenn man sie in Poesie und Musik hätte verwandeln können.

»Wenn ihr nicht kurzweiliger sein wollt, so gehe ich schlafen,« sagte Emmy ein wenig ärgerlich. »Die eine schreibt, der andere liest, als ob es weiter nichts auf der Welt gäbe.«

Karl klappte zögernd sein Buch zu. »Ich stehe dir zu Diensten,« sagte er, indem er noch einmal hineinblickte.

»Karl, du bist ein alter Pedant!« zürnte Emmy. »Ich drehe mich zehnmal um mich selber, ehe du auch nur einen Fuß aufhebst.«

»Kann sein!« erwiderte er mit gutmütigem Lächeln; denn Emmys Offenherzigkeiten belustigten ihn nur, ohne ihn zu verletzen. »Aber, mein Fräulein, was würden Sie dazu sagen, wenn ich nächstens meinen Fuß erhöbe und auf eine höhere Schule ginge?«

»O Karl, wie herrlich!« rief sie ganz entzückt und stülpte ihr Mützchen über Dinas Kopf. »Wenn ich wie du wäre, so hätte ich es längst gethan. Freilich – den Kostenpunkt hatte ich vergessen.«

»Natürlich! aber ich denke desto mehr daran. Ich wollte, irgend eine alte Dame machte mir ein anständiges Geschenk, und müßte ich ihr auch bis zu ihrem hundertsten Jahr die Zinsen bezahlen.«

Emmy runzelte die Stirn. »Sprich nicht von Großmamas Schein, Karl! die Erinnerung reizt mich zum Zorn.«

»Es giebt in unserem Staate eine sehr billige Akademie, das Colby-Collegium,« fuhr Karl fort, »vielleicht könnte ich dort den Lehrgang in anderthalb Jahren durchmachen …«

Emmy stieß einen Freudenschrei aus und klatschte so lebhaft in die Hände, daß ihr Arbeitskorb umstürzte und sein ganzer Inhalt auf der Erde umherlief.

»Kinder, Kinder!« mahnte Frau Karoline, »welch ein Lärm! Könnt ihr euch nicht ruhiger unterhalten?«

Draußen ließ sich das Rollen von Rädern, Peitschenknall und Hörnerklang vernehmen. »Die Post!« rief Emmy jubelnd, »der Großpapa ist da!«

Alle flogen hinaus, jeder wollte ihn zuerst begrüßen. »O Großpapa, wie glücklich sind wir, dich wieder zu haben!« rief Emmy, indem sie ihn zärtlich umarmte, während Dina, wie ein kleiner Affe, ihm auf den Rücken sprang, um ihn von hinten zu umschlingen.

»Wo ist meine liebe, gute Frau?« fragte der Kapitän, indem er seine Schwiegertochter mit einem Arm umfaßte und den anderen benutzte, um Karl und Esther die Hände zu schütteln.

»Emmy, Emmy!« rief eine Stimme aus dem Schlafzimmer, »laß den Großvater sich erst ordentlich aufwärmen, ehe er zu mir kommt, sonst bringt er mir eine neue Erkältung mit.«

Es kam Emmy vor, als wehe ein eiskalter Hauch aus diesen Worten, aber der alte Mann hörte sie mit glücklichem Lächeln an; »Mutter« konnte sagen, was sie wollte, ihm klang es immer lieblich. Gehorsam wärmte er sich die kalten Hände am Feuer, während Esther den Tisch deckte und das Abendessen auftrug.

»So schöne Zwiebäcke giebt's doch nirgend wie hier,« sagte der Kapitän, als er behaglich seinen Thee schlürfte, »und niemand versteht sie so gut zu erwärmen wie Esther. Überhaupt ist es nirgend so gut wie zu Hause.«

»Und zu Hause ist es niemals so gut, als wenn der Großpapa da ist!« sagte Emmy zärtlich. Sie konnte nicht umhin, ein wenig zu lauschen, als der alte Herr zu seiner Frau hineinging, und deutlich vernahm sie deren erste Worte: »Nun, Vater, was bringst du für Bescheid über die Papiere?« –

Emmy fühlte sich in dieser Zeit unbeschreiblich glücklich; die Nähe der liebsten Menschen, die Herstellung der Großeltern, Karls Gesellschaft und Esthers zärtliche Liebe, dazu Lizzies Freundschaft und die herzliche Zuneigung all der andern jungen Mädchen – das alles floß in einen Strom von Freude und Wohlsein zusammen, der ihr ganz unerschöpflich dünkte. Aber das menschliche Leben ist einem steten Wechsel unterworfen, und auch Emmy sollte es immer wieder erfahren, daß man das Glück eines jeden Tages dankbar genießen, aber auf seine Dauer nicht allzu sicher rechnen darf.

Es war am ersten April, als sie einer Einladung zu Lena Giddings folgte, welche bei einer mehrtägigen Abwesenheit ihrer Mutter und Schwestern ganz allein zu Hause geblieben war und sich den Besuch der Freundin für den Tag und die Nacht ausgebeten hatte. Auf ihre flehentlichen Bitten hatte Emmy die kleine Dina mitgenommen, für die es ein köstliches Vergnügen war, hinter dem Ladentische zu stehen und die Kunden zu bedienen, während Lena dies Geschäft mit der Miene einer Prinzessin besorgte, welche in der Gefangenschaft zu niederen Diensten gezwungen wird. Dina trieb ihre kleinen Aprilscherze dabei, indem sie alle Leute aufforderte, den Fisch zu besehen, welcher an dem Baum vor der Thür in die Höhe geklettert sei; sie jubelte jedesmal laut, wenn die Blicke sich dorthin richteten und ihre kleine List ihr so trefflich gelungen war. Alle thaten dem hübschen Kinde den Gefallen, herzlich mitzulachen, nur Miß O'Neil verstand den Spaß falsch und verwies ihr in herben Worten diese Thorheit, da nur ein Narr solchen Unsinn glauben könne.

Dina brach bei dieser Strafpredigt in Thränen aus, und Emmy hatte Mühe, sie wieder zu beruhigen. »Komm, Liebling,« sagte sie, um die Kleine zu erheitern, »wir wollen Lena einen hübschen Streich spielen. Sie denkt, du wirst in ihrem Bett schlafen; wir wollen ihr aber eine Puppe hineinlegen und dich oben in Nannys Stube einquartieren.« Gesagt, gethan; Dina war von dem Plane entzückt und mußte über die Puppe, welche aus einem Kissen und einem Nachthäubchen hergestellt wurde, so sehr lachen, daß sie kaum einschlafen konnte.

Lena hatte von dem Tausch nichts bemerkt – sie hatte ihr Stübchen, das zu ebner Erde neben dem Warenlager lag, nicht wieder betreten; als das Geschäft geschlossen war, saßen die beiden jungen Mädchen im Wohnzimmer und plauderten, bis unerwartet Virginia Curtis eintrat. »Bei uns wird heute Abend eine »Königin der Nacht« aufblühen,« sagte sie, »wollt ihr sie euch nicht ansehen? Es ist ein prächtiger Anblick, und eine ganze Menge Gäste haben sich dazu eingefunden. Wir erwarteten auch eine Verwandte von außerhalb, Miß Osgood aus Halifax; sie ist aber nicht angekommen.«

Ein toller Gedanke schoß durch Emmys Kopf. »Führe mich als Miß Osgood ein, Virginia!« rief sie »es ist heute der erste April, da darf man die Gesellschaft ein wenig hinters Licht führen. Lena kann mir gewiß Sachen von ihrer Mutter leihen, in denen ich nicht gleich zu erkennen bin.«

Die beiden andern gingen mit Eifer auf den Plan ein, Lena fand in einem Kleiderschrank das Staatskleid ihrer Mutter von perlgrauer Seide mit schwarzem Spitzenbesatz und langer Schleppe, das mit Hilfe vieler Stecknadeln Emmys zierlichem Figürchen angepaßt wurde. Ihre Locken wurden hoch aufgesteckt und leicht gepudert, so daß sie wie ergraut aussahen, ihre Augenbrauen verstärkt, ihre Wangen geschminkt, und als das Werk unter Scherzen und Lachen vollendet war, konnte Emmy selbst das Bild im Spiegel kaum als das ihrige erkennen. Im letzten Augenblick wollte ihr freilich der Mut entsinken, aber Virginia zog sie mit sich fort und behauptete, sie sähe zu vorzüglich aus, um ihre Rolle nicht durchzuführen; würde sie erkannt, so wäre es eben nur ein übermütiger Aprilscherz, den keiner übel nehmen würde.

Das Wohnzimmer im Curtis'schen Hause war mit Gästen gefüllt, die sich in doppelter Reihe um den Kaktus gesetzt hatten, welcher zusehends seine duftige Wunderblüte erschloß. Alle standen auf, als Virginia mit einer fremden Dame eintrat und dieselbe als Miß Osgood aus Halifax vorstellte. »Meine Freundinnen, Dora Topliff, Delicia Sanborn und Katie Hackett,« fuhr sie ernsthaft fort, während die Fremde sich tief nach allen Seiten verneigte. Niemand erkannte sie, nur Karl Preston machte ein drolliges Gesicht, als er sich, mit der Hand auf dem Herzen, feierlich bis zur Erde verbeugte. Mit Mühe verbiß Emmy ihr Lachen und suchte ihm mit den Augen zuzublinken, daß er sie nicht verriete.

»Hoffentlich wird es Ihnen bei uns nicht allzu langweilig vorkommen,« sagte Dora verbindlich; »Sie sind ohne Zweifel an größere Genüsse gewöhnt, als unser kleiner Ort sie Ihnen bieten kann.«

»O gewiß nicht!« murmelte die Fremde, welcher der Mut zu einer längeren Erwiderung fehlte.

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, aber eigentlich ist es hier schrecklich,« fuhr Dora fort, »und im Frühling wird es geradezu unerträglich.«

»O wirklich?« sagte die angebliche Miß Osgood.

»Ich weiß nicht, warum du Quinnebasset so schlecht machst, Dora,« nahm Delicia das Wort, »du weißt, es giebt gewisse Leute hier, die für seine landschaftlichen Reize geradezu schwärmen!«

Sie sagte es so spöttisch, daß Emmy, die sehr wohl merkte, auf wen sie zielte, nicht übel Lust hatte, sie ein wenig zu schütteln. »Wer nicht viel von der Welt gesehen hat,« versetzte sie mit möglichst verstellter Stimme, »ist leicht befriedigt.«

»O Miß Osgood,« rief Katie Hackett lebhaft, »wenn Sie nur so lange bei uns bleiben, werden Sie sich bald überzeugen, wie schön unsere Umgegend ist. Und wenn einer noch so weite Reisen gemacht hätte, es müßte ihm hier trotzdem gefallen, wenn er nur Sinn für die Natur besäße!«

»Das klingt ganz nach Emmy Howe,« sagte Lizzie lachend, »nur lange nicht scharf genug. Wo ist sie übrigens, Virginia?« fügte sie nachlässig hinzu.

»Wer ist Emmy Howe?« fragte Miß Osgood mit unsicherer Stimme.

»Sie ist unsere kleine Xanthippe!« erwiderte Delicia schnell, »ihre Zunge ist so scharf wie eine Nadel und muß immer das letzte Wort behalten.«

Emmy wandte sich ab und that, als ob sie mit großer Aufmerksamkeit den Kaktus beobachtete; ihr Herz blutete, und ihre Augen füllten sich mit heißen Thränen. Sie hörte, wie Dora Lizzie halblaut tadelte, gegen eine Fremde so hart über ihre beste Freundin geurteilt zu haben. »O Dora! sprich nicht so zu mir!« hörte sie Delicia antworten, »du weißt doch, daß ich dich tausendmal lieber habe, als Emmy oder sonst jemand.«

Ein Zittern überlief die Gestalt der Lauscherin, sie glaubte, ihre Rolle nicht länger spielen zu können, als sie Karls Stimme neben sich hörte. »Ruhig, ruhig, Emmy,« flüsterte er, »laß dir nichts merken. Suche dich unbemerkt zurückzuziehen; ich bringe dich nach Hause.«

Sie folgte seinem Rat und war wenige Minuten später an seiner Seite auf der Straße. Er fühlte, wie es nach der eben gemachten Erfahrung in ihr aussehen müsse und vermied feinfühlend jede Hindeutung auf Lizzies Falschheit. Lena war noch nicht zu Hause; so hatte Emmy Zeit, ihre Verkleidung abzulegen, die ihr zwar über alle Erwartung gelungen war, ihr aber doch so bitteres Herzeleid gebracht hatte. Wie grenzenlos hatte sie Lizzie geliebt, wie hatte sie in ihrer Gegenliebe, in der Versicherung ihrer ausschließlichen Freundschaft und ewigen Treue geschwelgt. Vorüber, vorüber! Delicia hatte sie auf ihre Art auch liebgehabt, aber »ihre Art« war lange nicht das, was Emmy darin zu sehen glaubte. Es war eine bittere, schmerzliche Erfahrung!

Als Lena heimgekehrt und die Hausthür verriegelt war, schlüpfte Emmy unbemerkt die Treppe hinauf, während jene wenige Minuten später ihr Stübchen betrat und sich sehr erstaunt nach Dina umsah. Bald durchschaute sie den Scherz und folgte Emmy nach oben, wo sie die Gesuchte erwacht fand und ihr zu ihrem höchsten Entzücken den Schrecken beschrieb, den die Puppe in ihrem Bett ihr eingeflößt hätte. Alle drei lachten ausgelassen wohl eine halbe Stunde lang, bis die Kleine wieder einschlief. Plötzlich wurde Lena totenblaß, ließ die Arme schlaff sinken und brach in krampfhaftes Weinen und Schluchzen aus.

»Was fehlt dir, Lena?« fragte Emmy, indem sie ihre eignen Thränen, die, trotz der erzwungnen Heiterkeit, nicht weit vom Fließen waren, tapfer hinunterschluckte.

»O Emmy, ich bin so unglücklich! Seit drei Monaten habe ich kaum soviel gegessen, um mein Leben zu fristen – ich fühle mich schwach und elend zum Umsinken –, aber meine Gestalt bleibt immer dieselbe! Ich kann diesen Fettklumpen nicht länger ertragen – o warum muß ich dazu verurteilt sein, einen so häßlichen, plumpen Körper mit mir herumzuschleppen?«

»Lena Giddings!« versetzte Emmy mit großem Ernst und voller Schärfe, »du bist eine Närrin – nein, mehr als das: du versündigst dich schwer gegen Gott und Menschen. Du hast Geist und Gaben, – aber dir fehlt aller gesunde Menschenverstand und, schlimmer noch, auch das Gewissen! Schämst du dich nicht, so gegen Gott, der dich schuf, deine Mutter, die dich liebt, und dich selbst zu handeln?«

»Du bist grausam, Emmy!« schluchzte Lena. »Du würdest Mitleid mit mir haben, wenn du wüßtest, wie schwach ich mich fühle, wie abgespannt meine Nerven sind.«

»Nein, ich habe kein Mitleid mit dir,« zürnte Emmy um so heftiger, je mehr ihr der Kummer der andern zu Herzen ging. »Wir dürfen den Schöpfer nicht meistern, weil er uns nicht die Gestalt gab, die uns gefällt. Ich möchte auch lieber drei Zoll größer sein und nicht so oft noch für ein Kind gehalten werden, aber es fällt mir doch nicht ein, mich auszurecken oder darum zu jammern!«

»O Emmy, du hast kein Recht, zu klagen; dich machte Gott hold und zart wie eine Blume, und alle Menschen haben dich lieb; mich aber hat er plump gemacht wie einen dicken Kohlkopf, und niemand kann mich leiden; denn die Menschen urteilen immer nach dem Äußeren und spotten über jeden Aufschwung der Seele in einem so häßlichen Körper.«

»Liebe Lena,« sagte Emmy viel sanfter, als vorhin, »man sagt, je mehr die Seele sich läutere und veredle, desto mehr präge sich die innere Schönheit auch im Äußeren aus. Damit tröste dich, danach strebe! Suche endlich einmal dich selbst und dein Aussehen zu vergessen und deiner Mutter eine wirkliche Stütze zu sein. Glaube nur, alle guten und verständigen Menschen werden dich lieb haben, wie ich es schon jetzt von Herzen thue.«

»Wirklich, Emmy? Hast du mich ein bißchen lieb? O sage das noch einmal …«

Ein furchtbarer Knall erschütterte plötzlich das Haus in allen seinen Fugen; es zitterte wie bei einem Erdbeben, und im nächsten Augenblick war die ganze Stube mit Rauch erfüllt. Voll Entsetzen waren die Mädchen aus dem Bett gesprungen, Emmy riß Dina aus dem ihrigen und nahm sie auf den Arm. »Fort, Lena, fort!« keuchte sie; »es brennt!« Mühsam bahnten sie sich durch den dichten Rauch den Weg die Treppe hinunter bis zur Hausthür, mit zitternden Fingern rissen sie den Riegel zurück, und kaum hatten sie die Straße erreicht, als ein neues, donnerähnliches Krachen hinter ihnen ertönte und das Haus zusammenstürzte. Das Dach flog in Stücken nach allen Seiten auseinander, die Fenster zerstoben in Millionen Scherben, und ein Feuermeer loderte zum Himmel hinauf.

Wie gelähmt kauerten die kaum Geretteten an der nächsten Straßenecke und blickten in dumpfem Schauder auf die Trümmer des so schnell zerstörten Hauses. Schon läutete die Sturmglocke, schon rasselten die Spritzen heran, aber sie konnten nichts weiter thun, als die angrenzenden Gebäude vor der Wut der Flammen schützen. Bald erschienen auch teilnehmende Nachbarn auf der Straße; man holte die zitternden Mädchen in das nächste Haus, suchte sie zu beruhigen und zugleich die Ursache des Unglückes von ihnen zu erfahren. Sie wußten nichts darüber zu sagen, als daß das Feuer im hinteren Gewölbe ausgebrochen sein mußte, wo der ganze Pulvervorrat lag; vielleicht war durch nagende Ratten die Kiste mit Streichhölzern in Brand geraten, und die Funken hatten sich bis dorthin verbreitet.

»Emmy!« stammelte Lena mühsam, »was wäre aus uns geworden, wenn wir in meiner Stube geschlafen hätten, die dem Gewölbe zunächst liegt?«

Emmy legte die Hand an die Stirn. »Wenn Dina nicht mitgekommen wäre – wenn ich ihr zuliebe nicht den Scherz mit der Puppe und dem veränderten Nachtlager ausgedacht hätte – wir wären rettungslos verloren gewesen! O Lena, Lena, wie hat uns Gott behütet, wie hat Er selbst unsere kleinen Thorheiten zu unserem Besten gelenkt! Komm und laß uns Ihm danken, denn Seine Hand hat sichtbar über uns gewaltet!« –

.

Welch ein Jammer war es, als Frau Giddings mit ihren Töchtern heimkehrte und ihr Haus samt allem, was es enthielt, vom Erdboden fast verschwunden fand! War doch auch nicht das kleinste Stück der Einrichtung oder des Warenlagers gerettet, da das Unglück mit viel zu verheerender Gewalt aufgetreten war. Aber die Einwohner von Quinnebasset ließen es an Teilnahme für die schwer betroffne Familie nicht fehlen; noch an demselben Tage wurde eine Sammlung veranstaltet, und wie im Herbst der Wind die Blätter zusammenweht, so flogen von allen Seiten die Banknoten herbei. Frau Hackett erklärte, sie würde die Giddings so lange in ihrem Hause behalten, bis sie eine andere Wohnung gefunden hätten, Dora Topliff schickte für Lena zwei ihrer hübschen Kleider und legte vorsorglich für jedes noch eine Elle Stoff dazu, um ihnen die nötige Weite zu geben. Alle Bekannten steuerten bei, was in ihren Kräften stand; Emmy trat Lena ihr feines Tuch und ihren besten Hut ab, und wenn es ein Opfer war, immer mit den alten Sachen zu gehen, so brachte sie es doch mit freudigem Herzen und dem einzigen Bedauern, nicht mehr geben zu können. Karl erbot sich, die Fuhre Holz, die ein Nachbar geschickt hatte, klein zu hauen; da er kein Geld besaß, so gab er seine Zeit und seine Kraft. So strömten im regen Wetteifer der Liebe die Scherflein zusammen, welche den Obdachlosen ein neues Heim bereiten sollten; nur die alte Frau Howe konnte sich von ihren Besitztümern nicht trennen. Endlich entschloß sie sich, eine Seite Speck, die schon sehr lange in ihrer Vorratskammer gehangen hatte, zu spenden; aber der Kapitän gab Karl heimlich ein Zeichen, sie in die Scheune zu tragen und zum Einfetten der Flinte und des Schubkarrens zu verwenden, während er ihm einen Fünfzig-Dollarschein für die Abgebrannten einhändigte.

Auf Lena hatte das Unglück den besten Eindruck gemacht; sie schien ihre Sommersprossen und ihre schlechte Figur ganz vergessen zu haben und aufrichtig bestrebt zu sein, sich ihrer Mutter bei der Neugestaltung ihrer Verhältnisse nützlich zu machen. Da das Geschäft nicht gleich wieder eröffnet werden konnte, so übernahm es Frau Giddings, für einen Schneider in Poonosac zu nähen, und Lena überwand ihre tiefe Abneigung gegen alle Handarbeit so weit, daß sie die Nähmaschine fleißig schnurren ließ. Noch nie war sie so einfach und verständig erschienen, wie bei dieser bescheidenen Thätigkeit.

Als Emmy dies Frau Fogg in einer ihrer langen Unterhaltungen auf der Schiefertafel erzählte, ergriff jene den Stift und schrieb: »So leitet Gott immer in Weisheit und Liebe seine Menschenkinder,

»Denn nur auf steilem, dornigem Pfade
Gelangen wir ins Reich der Gnade.«

»Nur auf dem dornigen Pfade?« fragte Emmy nachdenklich, »giebt es wirklich keinen andern?« Und als Esther ernst den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Sie müssen es freilich wissen, Sie liebe Seele, denn Ihr Weg führte immer über spitze Steine und durch stachlige Dornenhecken, und vielleicht sind Sie gerade dadurch zu so heller Erkenntnis und zum wahren Frieden gelangt!« –


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