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Die Sache, welche Emmy und die ganze Familie des Kapitäns in solche Aufregung versetzte, hatte sich folgendermaßen zugetragen:
Bald nachdem das jüngere Howesche Ehepaar das Haus verlassen hatte, erschien ein Fremder, welcher die alte Dame zu sprechen wünschte. Emmy führte ihn ins Wohnzimmer und setzte sich mit Dina ans Fenster, um die Unterredung nicht zu stören. Sie merkte nur so viel, daß der Herr ein Beamter der Bank zu Bangor sei, achtete aber nicht darauf, was zwischen beiden vorging, bis sie ihre Großmutter in heftigem und nachdrücklichem Tone sagen hörte: »Dies kommt nicht von mir, Herr Chase, wo haben Sie das Ding her?«
Emmy wandte sich um und sah, daß der Beamte eine große, offne Brieftasche vor sich liegen hatte, und daß Frau Howe einen weißen Zettel in der Hand hielt, den sie nach allen Seiten umkehrte und aufmerksam durch die Brille betrachtete.
»Nicht von Ihnen?« fragte der Fremde im Ton des höchsten Erstaunens.
Der Kapitän wurde aufmerksam und fragte: »Was giebt es, Mutter?«
»Einen Wechsel über 20 000 Dollars. Vielleicht weiß Friedrich darum; ich weiß nichts davon.«
»Zeig her!« sagte der alte Herr und streckte die Hand danach aus, aber sie zitterte, als er sich die Brille aufsetzte.
»Es ist ein Wechsel, den Herr Friedrich Howe bei unserer Bank niederlegte,« bemerkte Herr Chase so langsam und vorsichtig, daß Emmy fühlte, es müsse etwas nicht in Ordnung sein und fürchtete, ihr Vater möchte ein Versehen dabei begangen haben. In diesem Augenblick trat Karl ein, und Frau Howe rief ihm zu: »Sieh her, Karl, und sage mir ob es ein Gesetz giebt, das einen zwingen könnte, einen gefälschten Wechsel einzulösen.«
»Aber Mutter, wie kannst du nur von gefälscht reden?« fiel der Kapitän ein; »vielleicht hast du ihn während deines rheumatischen Fiebers ausgestellt; du weißt, du hast manches vergessen, was sich damals zutrug.«
»Ich war niemals so von Sinnen, Vater,« versetzte Frau Howe verdrießlich; »dieser Wechsel aber ist vom vergangenen Mai, wo ich ebenso wohl war wie jetzt.«
Der alte Herr wurde blaß. »Lies mir das Ding vor, Karl, mir tanzen die Buchstaben vor den Augen.«
Karl las:
Quinnebasset, Mai 20, 18..
Vier Monate nach dato zahle ich auf diesen Wechsel an die Nationalbank zu Bangor 20 000 Dollars.
Miranda Howe.
»Nun Vater, habe ich nicht recht?« fragte die alte Dame mit einer Art von Triumph. »Es ist schrecklich, solche Dinge in seiner eigenen Familie zu erleben, aber ohne Zweifel hat Friedrich den Wechsel gefälscht!«
Bis dahin hatte Emmy noch kaum geahnt, wo die Sache hinaus wollte, aber bei diesen Worten flog sie in aufwallendem Zorne auf die Großmutter zu und hätte sie vielleicht gewürgt, hätte nicht Karl ihre Hände ergriffen und ihr in seiner gelassenen Weise zugeflüstert: »Sei ruhig, Em, es ist nur einer ihrer liebenswürdigen Scherze!«
Sie schlug die Hände vor das zornglühende Gesicht und wandte sich ab. »Ich bin ruhig, Karl, ganz ruhig,« sagte sie mühsam und rang nach Atem, »bitte, laß mich mit diesem Herrn sprechen. O mein Herr, achten Sie nicht auf Frau Howes Reden – sie sind nicht ernst gemeint!«
Ehe sie weiter sprechen konnte, unterbrach sie die Stimme ihres Großvaters; er stand hochaufgerichtet da, und seine Krücke bebte unter dem Druck seiner Hand. »Hier muß ein unerklärlicher Irrtum vorliegen,« sagte er mit würdevollem Ernst. »Mein Sohn ist eines solchen Verbrechens völlig unfähig, es ist nicht im entferntesten an so etwas zu denken. In kurzem wird er hier sein und für sich selbst sprechen. Bitte, mein Herr, legen Sie Ihren Überrock ab und essen Sie mit uns Mittag – die Angelegenheit wird sich bald zu Ihrer vollen Zufriedenheit aufklären.«
»Mit uns essen!« dachte Emmy bitter, »es ist, als sollte man mit dem Henker an einem Tische sitzen! Aber Großpapas Gastfreundschaft wird sich nie verleugnen.«
Endlich erschien Friedrich Howe; aber wenn sein Vater und seine Tochter auf eine sofortige Aufklärung gehofft hatten, so sahen sie sich sehr getäuscht. Er lachte zuerst, dann stotterte er eine Menge Erklärungen hervor, die gar nichts besagten, versicherte, daß der Wechsel der Firma gehöre, und daß er ihn für echt gehalten habe, – aber das alles kam so unklar und verworren heraus, daß es durchaus keinen guten Eindruck machte und Herrn Chase sicher nicht von seiner Unschuld überzeugte.
Seine Stiefmutter sah ihn mit einem kalten, forschenden Blicke an. »Wenn du noch stundenlang um den Berg herumgehst, so wirst du dich doch nicht herausreden. Wenn du selbst meinen Namen unter jenen Wechsel geschrieben hast, so wird die Sache schon ans Licht kommen, denn Herr Chase wird sie vor Gericht verfolgen. Ich werde meinerseits nichts desgleichen thun, aber ich kann es auch nicht hindern.«
»Mutter, Mutter, kannst du es nicht lassen, meinen Sohn so zu beschuldigen?« stöhnte der Kapitän, während Emmy schluchzend an seinem Halse hing und Frau Karoline mit einem dumpfen Aufschrei aus dem Zimmer stürzte.
»Wollen Sie so gut sein, mit mir zu einem Advokaten zu gehen?« fragte Herr Chase, als Friedrichs Redestrom endlich stockte.
Emmy fühlte eine Erleichterung bei diesem Ersuchen, denn sie glaubte, ein Rechtsgelehrter würde im stande sein, diese dunkle Angelegenheit schnell zu durchschauen und ihren Vater von jedem entehrenden Verdacht zu reinigen. »Geh mit, Karl,« bat sie, »und sieh zu, daß sie dieser dummen Geschichte ein schnelles Ende machen.«
»Gott segne dein liebes, gutes Herz, Emmy,« erwiderte Karl und versuchte zu lächeln, aber ihm standen dabei ein paar Thränen in den Augen. »Du und ich, wir wenigstens wissen, daß dein Vater so unschuldig ist wie ein kleines Kind.«
Die Herren gingen fort, und Emmy gab sich alle Mühe, ihre Mutter zu beruhigen, welche sich im traurigsten Zustande der Aufregung und des Jammers befand. Aber alle die hoffnungsvollen Vorstellungen, welche beide sich zu machen suchten, wurden rauh zerstört, als Karl nach mehreren Stunden bleich und düster zurückkehrte. Der Friedensrichter, Herr Willard, hatte auf Verlangen des Herrn Chase ein vorläufiges Verhör angestellt, und da, nach dem kühlen Dafürhalten der Beisitzer, Friedrich Howes Schuld für »wahrscheinlich« gehalten wurde, so war sofort ein Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen, falls er nicht eine Bürgschaft von 30 000 Dollars leisten könnte. Natürlich hatte er dieselben nicht, und vergeblich war Karl von einem reichen Mann zum andern gegangen, um ihn zu bewegen, das Geld vorzustrecken.
»Schande über Quinnebasset und Schmach über Großmama!« schrieb Emmy am nächsten Morgen auf Esthers Tafel. »Niemand wollte einen Pfennig hergeben, um einen Unschuldigen vom Kerker zu erretten. O Frau Fogg, sie haben meinen lieben Vater ins Gefängnis gebracht! Da hat er die letzte Nacht gelegen, hinter eisernem Gitter, er, der seine Nächsten nicht um eine Stecknadel betrügen würde! O ich meine, die Steine müßten weheschrein!«
Esther. »Meine arme, arme Emmy, dies ist eine Feuertaufe für Ihr liebes Herz! Halten Sie nur unerschütterlich am Glauben fest! Bedenken Sie, daß der Herr im Unglück uns doppelt nahe ist!«
Emmy. »Mir steht in großen, feurigen Buchstaben nur das eine Wort: Fälschung! vor Augen. Nicht wahr, nun begreifen Sie, daß ich Sie bat, für uns zu beten. Aber wird das Gebet uns wirklich helfen? o, wenn ich das wüßte!!
Dina geht umher und weint, weil wir weinen. Sie weiß nur, daß Papa fortgegangen ist, ohne ihr einen Kuß zum Abschied zu geben. ›Sei nicht so traurig, Mama!‹ bittet sie liebkosend; ›Papa wird schon wiederkommen, er kommt immer wieder!‹«