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Die Freundschaft zwischen Emmy Howe und Delicia Sanborn wurde immer inniger, und unsere kleine Heldin kannte bald kein größeres Vergnügen, als jene zu besuchen und derselben ihr unbegrenztes Vertrauen und volle Hingabe zu schenken. Lizzie ließ sich ihre Bewunderung gern gefallen und nahm sie ganz unter ihre Flügel; sie liebte es überhaupt, die Beschützerin zu spielen und die Jugend beiderlei Geschlechts an sich zu fesseln.
Eines Abends saß Emmy wie gewöhnlich zu den Füßen der Freundin, und beide plauderten im Flüsterton, während Frau Sanborn und ihr Sohn in einer andern Ecke des Zimmers Puff spielten. »Wie glücklich bin ich, wenn ich zu Euch flüchten darf!« sagte Emmy zärtlich. »Abends ist es so still und langweilig bei uns, ganz unerträglich – nur in der Küche bin ich immer gern.«
»Unmöglich, Emmy! bei den Dienstboten kann es dir doch nicht gefallen!«
»Liebe Lizzie,« erwiderte die Kleine lebhaft und schüttelte ihren dunklen Lockenkopf, »Karl Prestons Vater war ein Advokat, und Esthers Familie ist ebenso anständig wie die der Großmama, was hast du an diesen beiden auszusetzen?«
»Aber Emmy, du wirst doch den Unterschied der Stände nicht aufheben wollen! Jetzt stehen beide im Dienst deiner Großeltern und sind wirklich keine passende Gesellschaft für dich. Wie kannst du nur deine Zeit damit verschwenden, einem ungebildeten Knaben Unterricht zu erteilen? Überlaß das doch seinem Lehrer.«
»Er geht jetzt nicht in die Schule, Lizzie, möchte sich aber für den nächsten Winter dazu vorbereiten, und ich bin sehr zufrieden, daß ich ihm dabei helfen kann!«
»O du liebes, kleines Gänschen!« sagte Lizzie, indem sie der andern mitleidig die Wange strich, »du weißt doch noch gar nicht, wie es in der Welt zugeht. Und was thust du noch in der Küche, wenn die Lehrstunde aus ist?«
»Dann unterhalte ich mich mit Esther, indem ich ihr allerlei auf ihre Tafel schreibe. O, du solltest nur sehen, was für ein Vergnügen ihr das macht, wie sie mir schon über die Schulter guckt, um schneller zu lesen! Und dabei ist es gar nichts Besonderes, nur die kleinen Ereignisse des täglichen Lebens.«
»Du gute, kleine Seele! Du bist eine wahre Menschenfreundin!« ließ sich plötzlich Frau Sanborns Stimme vernehmen. Emmy sprang errötend auf, sie hatte nicht gedacht, daß jene sie hören könne.
»Nein, nein, Frau Sanborn, ich bin lange nicht so gut, wie Sie denken – ich schäme mich, daß ich mich besser gemacht habe, als ich bin. Ich bin gar nicht so gefügig gegen die Großmama, wie ich sollte – der Zorn kocht immer gleich bei mir über – o dann bin ich schrecklich! Wenn Ihr mich erst ganz kennen werdet, wie ich sein kann, dann werdet Ihr mich gar nicht mehr leiden können!«
Ihre Stimme zitterte, und Thränen schimmerten in ihren Augen – sie meinte es so aufrichtig! Aber Lizzie hatte die Arme um sie geschlungen und bedeckte das ernste Gesicht mit zärtlichen Küssen. »Komm nur immer zu uns, wenn du so schrecklich bist,« sagte sie schmeichelnd, »ich werde dich auf den rechten Weg zurückführen. Aber ich glaube nicht recht daran!«
Emmy legte den Kopf an ihre Schulter, die Zärtlichkeit that ihr so wohl, und sie liebte von diesem Abend an ihre Lizzie noch tausendmal mehr als bisher.
»Zwei Monate sind heute vergangen, seit ich in dieses Haus kam, das mir so düster erschien. Wie unglücklich war ich doch, Frau Fogg, bis Sie mir sagten, Gott selbst habe mich hierher geschickt und halte eine besondere Arbeit für mich bereit.
Sie zeigen auf Karl? Ja, ich habe ihm ein wenig geholfen, und Mama meint, das sei schon etwas Gutes. Er hat sehr viele Anlagen für Mathematik und weiß jetzt schon ebensoviel wie mein Bruder Richard, der immer in die Schule gegangen ist. Freilich ist Dick erst zwölf Jahre alt.
Ich freue mich, daß der Richter Davenport Gefallen an Karl gefunden hat. Kennen Sie ihn? Zufällig hat Lizzie ihm erzählt, daß ich Karl unterrichte; da ließ er ihn in seine Schreibstube kommen, um seine Bekanntschaft zu machen, und jetzt leiht er ihm Bücher und ist sein guter Freund. Der Richter ist der beste Mann, den ich kenne; vielleicht gefällt er mir darum so sehr, weil er meines Vaters Stubengefährte auf der Akademie gewesen ist.
Ich muß ihnen noch mehr von Dora Topliff erzählen. Alle ärgern sich über ihr hochmütiges Wesen, und doch fühlen sie sich ganz geehrt, wenn sie ihnen nur einmal zunickt. Am unfreundlichsten ist sie gegen Lena Giddings, welche das Amt hat, das Feuer im Ofen anzuzünden. Als wir am letzten Mittwoch in die Schule kamen, war der Ofen noch eiskalt; Lena ist oft so träumerisch, Katie Hackett sagt, sie sei immer auf der Jagd nach Reimen, die vor ihr entfliehen. Kurz, als Dora ins Zimmer trat, fand sie Lena auf ihren Knieen liegen und sich mit dem Feuer abquälen, das durchaus nicht brennen wollte. »Warum kommst du nicht früher und versiehst deine Geschäfte, wie sich's gehört?« herrschte sie jene an. Lena rollte sich zusammen, wie ein trockenes Blatt, als aber Dora fortfuhr, auf sie zu schelten, raffte sie sich auf und sagte, sie habe kein Recht, so zu ihr zu reden. »Kein Recht?« rief Dora und warf den Kopf in den Nacken, »so spreche ich immer mit Tieferstehenden.«
Das war zu arg; »pfui, Dora Topliff, schäme dich!« rief ich ganz laut. Lena stürzte hinaus, und ich ihr nach. »Es ist ein gottloser Hochmut von dieser Dora!« sagte ich entrüstet und schloß das arme Mädchen in meine Arme. Sie schluchzte heftig und rief, sie sei des Lebens überdrüssig; keiner könne sie leiden, sie sei zu häßlich und ungeschickt. Ich suchte sie zu trösten und sagte ihr, sie sei mir viel lieber als Dora; endlich kam Miß Lightbody und schickte sie in ihr eigenes Zimmer, damit sie sich beruhige, während ich das Feuer anzündete.
Meinen Sie, daß ich unrecht gethan habe, Frau Fogg? Ich denke nicht, und doch geriet die ganze Schule in eine Aufregung, als sei ein Pulverfaß in die Luft geflogen! Lizzie nahm mich nachher beiseite und hielt mir eine Strafpredigt: wozu müsse ich immer die Partei der Mißliebigen ergreifen? Das ginge doch nicht; Dora sei zwar abscheulich hochmütig, aber sie gehöre einmal der reichsten und angesehensten Familie im Ort an, und man dürfe sie nicht vor den Kopf stoßen.
Ich sagte ihr, ich fragte nichts nach Doras Billigung oder Verachtung und thäte immer nur, was ich für recht hielte. Darauf meinte Lizzie ganz erschrocken, wenn Dora mich fallen ließe, könne ich nicht in unserem Kränzchen bleiben; ich wäre immer so hitzig und würde noch einmal etwas anrichten, was nicht wieder gut zu machen wäre. Darin hat sie leider nicht unrecht!
Aber es ist merkwürdig, Frau Fogg, die Mädchen kommen alle einzeln zu mir und sprechen mir heimlich ihre Freude aus, daß ich Dora entgegen getreten bin. Im Grunde sind sie alle empört über ihr Betragen, aber keine wagt ihr das ins Gesicht zu sagen. Ist das nicht eigentlich eine niedrige Gesinnung?
Am wunderbarsten aber ist es, daß Dora selbst gar nicht böse zu sein scheint, sondern mich ganz achtungsvoll behandelt. Heute auf dem Heimweg fing sie eine lange Unterhaltung mit mir an, doch gab ich ihr nur kurze Antworten. »Warum bist du kühl gegen mich?« fragte sie plötzlich.
»So bin ich immer gegen Höherstehende,« erwiderte ich schnell.
Sie wurde rot, und ich hoffe, sie schämte sich. Ich that es freilich auch, denn hübsch war es wohl nicht von mir. Übrigens sagt mir Lena, daß Dora seit jenem Auftritt viel freundlicher gegen sie sei; das gute Geschöpf ist mir so dankbar dafür und überschüttet mich mit Äpfeln und Gedichten, die sie alle selbst verfertigt hat.
Acht Uhr! Großpapa schürt das Feuer, und ich muß mich ins Wohnzimmer verfügen. Um nicht zu hören, wie Großmama unablässig von ihrem Gelde und ihren Zinsen spricht, werde ich an Mama und Dina schreiben. – Da ruft Großmama schon wieder mit ihrer scharfen Stimme: »Emmy, Emmy!« O wie ich den Ton hasse!«