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Wohin heute?
Ins Donaumoos.
Ja, gibt es denn da auch etwas zu schauen, was des Sehens wert ist?
Gewiß. Nur mit!
Wir wählen zum Ausgangspunkte unserer Wanderung eine Station zwischen den Städten Neuburg und Ingolstadt. So kommen wir mitten ins Moos. Der Weg führt eine kleine Weile durch ein Wäldchen. Dann treten wir ins eigentliche Moosgebiet.
Es ist eine weite Fläche ohne jeden Hügel. Sie ist so eben, daß unser Auge fast das ganze Gebiet überschauen kann. Im Westen gegen die Lechseite hin, wird die Fläche durch einen Hügelrückenzug mit Wäldchen halbkreisförmig eingerahmt. Das Moos selbst hat keinen Wald.
Als besondere Eigentümlichkeit der Landschaft fallen uns gleich die schnurgeraden Straßen auf. An ihnen stehen lichtgrüne, junge Birken und vereinzelt silbergraue, schmalblätterige Weiden. Diese Bäume sind Wasserfreunde und lieben den feuchten Boden. Längs der Straßen und ein paarmal auch quer über diese laufen Abzugsgräben, in denen das schmutzigbraune Moorwasser zwischen Sumpfvergißmeinnichtbüscheln, hoch aufgeschossenen Schaum- und Labkräutern, Wasserdost und fädigem Moossteinbrech träge dahinschleicht.
Die Dörfer sind sehr lang. Sie strecken sich nicht selten eine Viertelstunde, ja eine halbe Stunde, z. B. Karlshuld, am Wege hin.
Jedes Haus steht einzeln, d. h. die Häuslein sind nicht enge beisammen, sondern zwischen Haus und Haus ist in der Regel ein kleiner Obstgarten und Hofraum. Hier und da ist vor dem Häuschen auch ein schmuckes Gemüse- und Blumengärtchen.
Die Häuser haben durchweg nur ein Erdgeschoß. Dies ist sehr niedrig, während das Dach unverhältnismäßig hochgiebelig ist. Die meisten Häuser schauen mit der Schmalseite, also der hohen Giebelfront, gegen die Dorfstraße. Die große, tiefe Längsseite mit der Haustüre ist dann gegen den Hofraum gerichtet.
Die ansehnlicheren Gebäude werden mitunter von ein paar prächtigen Eschenbäumen beschattet.
In einigen Dörfern, z. B. in Neuschwetzingen oder Schwirzing, wie es das Volk nennt, sind die Häuser alle nur auf einer Seite der Straße. Auf der andern Seite, hinter dem Abzugsgraben, dehnen sich bereits Roggen- und Kartoffeläcker zwischen Streuwiesen aus.
Hier drängt sich dem Auge das Unfertige, das erst Werdende der Landschaft am deutlichsten auf. Gerade dieses augenfällige, offenkundige Sichtbarwerden, daß hier alles noch in der Entwicklung ist, gibt dem scheinbaren Einerlei von schnurgeraden Straßen, jungen Birkenalleen, lang verstreuten Dörfern, einstöckigen Häuslein, schmalen, schwarzen Moosgräben usw. eine freundliche Abwechslung.
Wer sich das Donaumoos als eine einzige große Sumpffläche mit häßlichen Moorwiesen und Morasttümpeln vorstellt, macht sich von dieser Landschaft ein ganz falsches Bild.
Uns ging es ebenso, und wir waren nicht wenig erstaunt, als wir allenthalben die wogenden Roggenfelder und das fruchtbare Gemüseland sahen. Wir machten der Bäuerin, die hinter uns kam und der wir uns zugesellten, daraus kein Hehl.
Das Korn da ist nicht übel.
Korn! wiederholte die Bauersfrau mit stolz leuchtendem Blick. O, schöner als draußen »im Land!« Das glaub' ich.
Mit dem »Land« meint sie die Dörfer ein paar Stunden draußen vor dem Moose.
Und Kartoffeln erst, Herr; die sind bei uns so schön und wachsen so gut, wie nicht leicht wo! Der Boden da (sie zeigte auf kohlschwarze Torfmullkrume, worauf Kartoffelstauden standen) ist mit Unrecht verschrien. Er wär' schon recht, wenn bei uns der Reif nicht wär'.
Warum? Was ist's mit dem?
Ja, der Reif ist bei uns im Moos halt am meisten zu fürchten. Plötzlich, oft noch Mitte Juni, »fliegt« er daher und brennt uns über Nacht unsere schönsten Kartoffelfelder zusammen, daß sie ganz schwarz sind. Und das Merkwürdige ist, er tut es bloß platzweise, ja auf demselben Acker oft nur stellenweise. Sehen Sie, z. B. da auf dem Kartoffelfelde ist in der Mitte ein vom Reif beschädigter Fleck, so groß wie ungefähr der Tanzsaal bei unserem Wirt. Weiter oben an der Straße, wohin wir nachher kommen, ist ein Kartoffelacker, den der Reif ganz ruiniert hat, während der Acker links neben dem Kartoffelfelde ganz unbeschädigt ist.
Richtig!
Ja, das ist eben der fliegende Reif.
Der fliegende Reif?
Wohl! Am Tage ist es über dem Moos recht brütwarm, und bei der Nacht kommt der kühle Wind. Der Reif fliegt mit dem Wind. Wenn der plötzlich aufhört, so setzt sich der Reif und bleibt oft gerade vor einem Kartoffelfelde liegen.
Ich wagte gegen diese Aufstellung keinen Einspruch, denn die Frau redete mit dem Tone innerster Überzeugung. Die Sache mag wohl aber ihre Ursache darin haben, daß der Boden im Moos an verschiedenen Stellen ganz verschiedenen Feuchtigkeitsgehalt besitzt. Neben krümelig trockenem Ackergrund treffen wir oft noch Streuwiesen mit speckig nassem Boden, wo das Riedgras meterhoch steht.
Da ist jetzt mein neuer Acker: den haben wir erst heute in der Stadt protokollieren lassen, sagte die Bäuerin und hielt einen Augenblick vor ihrem neuen Besitztum inne.
Der Grund ist groß und scheint gut.
Das mein' ich! Er mißt etwas über drei Tagewerke und kostet ein großes Stück Geld.
Wie hoch etwa kommt ein Tagewerk?
Herr, der ganze Grund kostet 1100 Mark. Es wird sich also das Tagewerk ungefähr auf 370 Mark berechnen.
Im Moos! Das ist aber nicht billig!
Billig? Für die besten Gründe bei uns zahlt man sogar 400 bis 450 Mark, mehr als draußen »im Land«. Freilich, die Mutter von meinem Mann, eine geborene Möslerin, weiß es noch und hat es uns oft erzählt, daß früher das Tagewerk um eine ganze Mark gekauft werden konnte. Es ist halt anders geworden seit der Zeit.
Und wie man wohl wird sagen dürfen – auch besser da herinn!
Gewiß, was den Grund und Boden anbelangt. Er ist auch jetzt noch immer in Umwandlung. Die Leute lassen es sich angelegen sein. Sehen Sie: hier, gleich rechts von der Straße, ist eine wüste Streuwiese. Da ist in einer Zeile – etwa hundert Schritte lang und einen Schritt breit – der speckige Rasen als Torf ausgestochen. Wenn der nebenan geschichtete Torf getrocknet ist, wird wieder eine Zeile ausgestochen. Das läßt sich in einem Sommer, je nach der Witterung, drei- bis viermal wiederholen.
Ei, dann braucht ja der gute Mann sicher zehn Jahre zu seinem Grundstück.
Jawohl, – aber dann ist aus der nassen, wüsten Streuwiese ein fruchtbares Ackerland geworden.
Auf einem Anger in der Nähe weideten ein paar Rößlein, die mir wegen ihrer Kleinheit und Schmächtigkeit auffielen.
Das sind unsere Moostrakehner, sagte die Frau lachend. Ein solches Rößlein ist fast in jedem Hause, zu dem ein Torfstich gehört. Man braucht das Rößlein notwendig zum Verfahren des Torfes in die umliegenden Städte.
Und wie steht es mit dem Milchvieh?
Das ist sehr unterschiedlich. In den meisten mittleren Häusern hat man zum Rößlein ein bis zwei Kühlein. Es gibt aber auch etliche Moosbauern, die 40 Tagewerke Feld vermögen, vier Pferde, vier Ochsen und sechs bis acht Kühe im Stalle haben. Da erstrecken sich die Hofgebäulichkeiten im Geviert herum; ist ein eigener Stall, eine eigene Scheune und eine eigene Torfremise vorhanden. Das sind reiche Leute, die sind im ganzen Land bekannt; mein' ich. Hab' ich recht?
Die Frau warf uns einen Blick zu, als ob sie sagen wollte, daß wir so etwas doch schon wüßten.
Wir geizten nicht mit der verdienten Hochachtung. Damit dem Lichte aber der Schatten nicht fehle, zeigte uns die wackere Bauersfrau auch gleich ein Gegenstück zum vorigen Bilde: ein paar armselige Strohhüttlein abseits der Straße mitten im Torffelde.
Die Häuslein sind nicht recht viel größer als die bekannten Schäferkarren beim Schafpferche. Die alten, wackeligen Mauern schließen nur zwei Räume ein: ein Stüblein für die arme Korbmachersfamilie und einen kleinen Stall für ein bis zwei Ziegen.
Friedlich und schiedlich lebt hier alles zusammen, und man trifft hier oft einen Schatz, den man in reichen Häusern vergeblich sucht: Genügsamkeit und Zufriedenheit. Im Winter beschäftigen sich die Leute mit dem Flechten von Weidenkörben. Im Sommer gehen sie mit ihren Waren auf die Wanderschaft, reisen das ganze Land ab und fragen, ob es nichts auszubessern und zu verdienen gibt.
So, diese Krattlersleute sind aus hiesiger Gegend!
Jawohl, Kirmzäuner heißt man's, und die alten Hütten, in denen sie wohnen, sind hier und da noch die Häuser der ersten Ansiedler im Moos vor etwa hundert Jahren.
Vor etwas über hundert Jahren war das Donaumoos noch eine öde, unbewohnte und ungesunde Sumpffläche. Es gab dort nur vereinzelt Plätze, die als kärgliche Weiden benutzt werden konnten. Das Vieh sank bis an die Knie oder bis an den Bauch in den Morast. »In regnerischen Zeiten brach das Vieh ganz in den bodenlosen Grund ein und ging zugrunde. Trockene Sommer versengten das Gras der lockeren, torfigen Flächen. Der Sümpfe Ausdünstungen brachten den Herden beständig Seuchen.«
Da regten edle Männer (hier ist vor allen Graf Friedrich v. Pappenheim zu nennen) den Gedanken an, das Moos auszutrocknen und so allmählich in fruchtbaren Boden umzuwandeln. Dem Kurfürsten Karl Theodor von Bayern gefiel dieser Gedanke. Nach längerem Prüfen wurde im Jahre 1790 mit der Trockenlegung begonnen. Der Staat und eine Gesellschaft edler Vaterlandsfreunde streckten das Geld zu den Arbeiten vor. Eine halbe Million Gulden bildeten fürs erste das Betriebskapital. Bald wanderten Ansiedler ein. Kanäle wurden angelegt, um das überschüssige Sumpfwasser abzuleiten und den schwammigen Moorgrund zu festigen. Dämme wurden aufgeworfen, Tiefen eingefüllt, Straßen, Brücken und Wege gebaut. Rasch entstanden Häuslein. Es bildeten sich nach und nach an den Straßen ganze Reihen. Der billige, fast geschenkte Grund und mancherlei andere Vergünstigungen So z. B. waren die Ansiedler für zwei Geschlechter vom Militärdienst und für die ersten dreißig Jahre nach der Ansiedlung von allen Steuern befreit. lockten mit der Zeit immer neue Ansiedler an. Sie kamen aus allen Gauen Deutschlands, aus aller Herren Länder.
Dörfer mit Kirchen und Schulen entstanden. Mehrere davon sind nach den damaligen Regenten Bayerns (Kurfürst Karl Theodor und dann Kurfürst und König Max) benannt, z. B. Karlshuld, Karlskron, Ober- und Unter-Maxfeld. Der Hauptort des Donaumooses ist Karlshuld. Die Gemeinde zählt 1800 Einwohner und hat eine große Korbwarenfabrik.
Im Donaumoos sind heute über 30 Kolonien, und das ehedem öde Gebiet ist zurzeit mit etwa 7000 Einwohnern bevölkert.
Die Bevölkerung des Donaumooses ist nach Abstammung und Glaubensbekenntnis sehr gemischt. Dies entspricht den Einwanderungsverhältnissen. Neben Altbayern, Schwaben, Franken und Rheinpfälzern trifft man unter den Möslern auch Badenser, Württemberger, Elsässer, ja sogar Ostpreußen. Neben Katholiken wohnen friedlich Protestanten und Reformierte. Der bunten Zusammensetzung der Bevölkerung entsprechen auch die mundartlichen Verhältnisse. Die altbayerische Mundart ist die vorherrschende.
Das Donaumoos ist ein sogenanntes Quellenstaumoos. Man darf aber nicht meinen, es sei durch Stauung der Wasser von Donau und Lech entstanden. Seine Bildung geschah vielmehr auf die Weise: Aus den Hügeln, welche das Donaumoos im Süden und Südosten umgrenzen, entquillt ein reiches Quellengeriesel. Es hatte die Richtung nach Ingolstadt hin. Die Donau mit ihrer an der rechten Seite abgelagerten Geröllbank staute die Bäche und Flüßchen der Donaumoosgegend. So entwickelte sich die Versumpfung und entstand mit der Zeit das Moos.
Aus: F. J. Bronner, Bayrisch Land und Volk in Wort und Bild. 3. Aufl. München 1910 (Max Kellerer).