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Vierter Abschnitt.
Vom Hochgebirge und Hochland.

Das deutsche Alpen- und Alpenvorland.


1. Berchtesgaden und der Königssee. – 2. Eine Winterfahrt ins Gebirge. – 3. Mittenwald, das deutsche Cremona. – 4. Sieben Monate auf der Zugspitze. – 5. Das Passionsspiel in Oberammergau. – 6. Die Königsschlösser Ludwigs des Zweiten von Bayern. – 7. Käsebereitung im Allgäu. – 8. Oberbayerisches Volksleben. – 9. Der Bodensee. – 10. Die Bayerische Hochebene. – 11. München. – 12. Das Donaumoos. – 13. Weltstellung der Donau.

1. Berchtesgaden und der Königssee.

Von A. W. Grube.

Lange und oft hatte ich mir vom Parke des Schlosses Aigen aus, eine Stunde südöstlich von der Geburtsstadt Mozarts, dem reizend gelegenen Salzburg, entfernt, den herrlichen Watzmann angeschaut, der eine von den höchst eigenartigen Formen der Salzburger Hochalpen besitzt und sein Antlitz gleich den scharf markierten Gesichtern großer Männer auf den ersten Blick dem Gedächtnisse einprägt. Der merkwürdige Berg schaut mit seinen schärfsten Kanten nach der Salzburger Seite hin und stellt sich in zwei schroff abfallenden Hörnern dar, welche durch eine Querwand, die sogenannte »Watzmannscharte«, die mit glänzendem Firn überkleidet ist, miteinander verbunden sind. Die Spitzsäule des größeren Hornes (der große Watzmann genannt) scheint unbesteiglich, und doch ist sie noch gefahrloser zu erklimmen als der breitrückige Untersberg mit seinen vielen Schluchten.

Hoch und stolz ragt dieses Doppelhorn in den sonnigblauen Äther, alle anderen Gebirgsriesen neben sich in den Schatten stellend. Aber nicht lange währte es, und luftiges Gewand, aus Nebelschleiern gewoben, legte sich um seine Brust, doch ohne das Doppelhaupt zu verhüllen, das über den Wolkenthron sich hebend nun noch viel höher erschien.

Der Watzmann muß eine besondere Anziehungskraft für Nebel und Wolken haben, denn auch an den heitersten Tagen ist er von ihnen umlagert, teilweise oder ganz eingehüllt. Aber auf den Naturfreund, der ihn zum ersten Male sieht, übt er eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus; man eilt, so schnell als möglich ihm nahe zu kommen und hochachtungsvolle Grüße ihm zu Füßen zu legen.

Ich ging über Reichenhall, das als Solbad und Molkenkurort jetzt sehr in die Mode gekommene freundliche Städtchen. Eng eingeschlossen vom Lattengebirge (Dreisesselberge) und Hohenstaufen, Müllnerberg und Siebenpalfen (Karlstein) liegt es zwar ganz reizend zwischen den Felshöhen im Tale der Saalach, aber doch gar zu sehr beengt, und vom frischen Odem des Gebirges merkt man an den heißen Tagen gar nichts. Hohe Berge, wenn sie dem Wohnorte gar zu nahe liegen, haben etwas Drückendes, sie beengen das Gemüt und können uns das Blachfeld wieder lieb und wert machen, weil dieses doch einen großen, offenen Gesichtskreis hat. Auch will alles Große aus einer gewissen Ferne betrachtet und gewürdigt sein. Einige Tage hielt ich's in Reichenhall aus. Wie freute ich mich, als ich auf der steilen, aber doch nicht unbequemen Heerstraße den Paß Hallthurm erreichte und nun der Blick auf Berchtesgaden und seine Umgebung frei ward! Schnell geht es am südöstlichen Abhange des Untersberges, der nach der Berchtesgadener Seite mit schroffen Wänden aus seiner zerklüfteten Hochfläche aufsteigt Der Berchtesgadener hohe Thron hat 1975 m, der Salzburger nur 1851 m., ins Tal der Königssee-Ache (Alm) hinunter; – doch nicht so tief, als wir von Reichenhall aufgestiegen sind.

Berchtesgaden liegt etwa 100-150 m höher als Reichenhall und Salzburg, nämlich 576 m über dem Meere; Salzburg 412 m und Reichenhall 467 m. Aber wieviel machen diese 125 m aus, wieviel frischere Gebirgsluft verschaffen sie uns! Auf dem Abhange eines vom Untersberge nach Süden vorgeschobenen Vorgebirges ist der kleine Marktflecken auf offener, sonniger Halde gelagert, die sich aus dem engen Tale der Alm, welche sich hier mit der Ramsauer Ache vereinigt hat, emporhebt.

Sehr malerisch stuft sich der kleine Ort in drei Höhenlagen ab. Unten an der hellgrünen, dem Salzburger Gebiete zueilenden Alm liegen die Sudhäuser, Maschinenwerke, Holzfelder; auf dem mittleren Absatze, wo sich die Landstraßen kreuzen und die beiden Hauptstraßen des Marktes sich ausdehnen können, liegen die drei Kirchen und die zahlreichen Hotels, Gasthöfe und Sommervillen. Besonderes Interesse bietet das stattlich auf langem Felsenhange gelegene Chorstift, die ehemalige Residenz der gefürsteten Pröbste und der adeligen regulierten Augustiner-Chorherren mit der ehrwürdigen Stiftskirche im gotischen Stil. Portal, Türme und Kreuzgang sind aus dem 12. Jahrhundert. Der Kreuzgang ist im romanischen Stile ausgeführt, die geschnitzten Chorstühle aus der gotischen Epoche von 1450 bis 1530. In der Sakristei bewahrt man reiche Kirchengeräte auf aus der ältesten Zeit des Stifts.

Über diesem mittleren Teile, dem Kerne von Berchtesgaden, erheben sich noch kleine Schlößchen auf mäßigen Anhöhen und Vorsprüngen: Lustheim im Süden, oberhalb der Stelle, wo die Ramsauer und Königssee-Ach zusammenkommen; Fürstenstein auf der nordwestlichen Höhe, Adelsheim am nordöstlichen Ende des Marktes, und im Süden das geschmackvoll dem Gebirgs-Baustile entsprechende Sommerschloß, vom König Maximilian II. 1850-1855 erbaut. Der Blick auf den Talkessel, die grünen Gelände und das Hochgebirge ist prachtvoll; doch noch schöner die Aussicht vom Lockstein, dem nordöstlich gelegenen Felsenkopf, zu welchem eine dritte und höchste Straße des Marktfleckens am sogenannten Doktorberge hin hinanführt. Man schaut hier unmittelbar in das tief eingeschnittene Flußtal mit seinem saftigen Wiesengrün und den herrlichen Ahornbäumen an den Abhängen, hat den ganzen Markt unter sich, ähnlich wie Salzburg vom Mönchsberge, und der Blick auf die hohen Berghäupter ist noch freier als von der königlichen Villa aus. Wunderbar prächtig steht der Watzmann da, obwohl er nicht mehr so leicht und frei aufsteigt, wie vom Aigener Park aus gesehen. Sein Antlitz ist für Berchtesgaden drohender und finsterer geworden.

Die Bewohner des Berchtesgadener Ländchens hausen teils in dem Marktflecken selbst, teils in zahlreichen Einzelgehöften, die an den Berghängen umher liegen, und nähren sich, da der Ackerbau nicht ergiebig ist, durch Viehzucht, durch die Holzarbeit in den mächtigen Bergwäldern, durch Arbeiten im Bergwerk und in der Saline und durch Holzschnitzerei. Zu diesen alten Erwerbsarten ist neuerdings als eine sehr wichtige Einnahmequelle der Fremdenverkehr hinzugekommen. Die wunderbare landschaftliche Schönheit der Gegend ließ sie seit einem Menschenalter zu einem Zielpunkt lebhaftesten Fremdenzuflusses werden. Fast ist Berchtesgaden jetzt etwas zu stark »Sehenswürdigkeit« geworden und samt seiner Umgebung zu sehr von Besuchern aller Nationalitäten überschwemmt; wer sich der Natur daselbst erfreuen will, muß schon ziemlich weit hinaufklettern in die Einsamkeit des Hochgebirges.

Der Ort verdankt seinen Ursprung christlicher Frömmigkeit. Irmengart, die Gemahlin des Grafen Engelbert von der Lintburg, erbaute in dieser vormaligen Wildnis, wo nur eine Jagdhütte und einige Viehschirme standen – für das zur Sommerszeit vom Weiler Grafengaden zur Weide herüberkommende Vieh –, eine Kapelle zu Ehren des heiligen Martin, und berief vier Klausner zu deren Erhaltung. Die armen Männer hatten mit einbrechendem Winter einen schweren Stand und wußten sich vor der grimmigen Kälte wie vor dem Andrange der wilden Tiere kaum zu schützen. In furchtbarer Starrheit standen der Watzmann und Steinberg, deren Eisfelder auch der warmen Frühlingssonne Trotz boten, vor ihren Augen. Doch die Schrecken des Hochgebirges hinderten nicht, daß schon im Jahre 1109 unter Leitung eines tatkräftigen Augustinermönchs, namens Eberwein, der Bau eines Klosters begonnen wurde. Der wackere Priester ließ die Wälder lichten, an geeigneten Stellen Äcker anlegen, die Viehzucht hob sich, und nebenbei lernten und lehrten die Mönche den Leuten die Kunst der Holzschnitzerei. Das aus der Kapelle des heiligen Martin hervorgegangene Kloster ward am 7. Mai 1122 eingeweiht zu Ehren Johannis des Täufers und des Apostels Petrus; Eberwein ward der erste Propst.

Die Entdeckung der reichen Salzlager in der Nähe half nicht wenig zum Emporkommen des Stifts, obwohl man in der ersten Zeit den vorhandenen Salzreichtum gar nicht erkannte, weshalb die ersten Pröpste sehr darauf bedacht waren, durch Schenkungen oder Kauf und Tausch Salzrechte in Reichenhall zu gewinnen. Aus der Bestätigungsurkunde des deutschen Königs Friedrich II., des großen Hohenstaufen, vom Jahre 1212 geht hervor, daß um jene Zeit eine Saline in Goldenbach eröffnet war. Die Pfanne zum Versieden befand sich unmittelbar an der Alm in Schellenberg. Erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts folgte auch Frauenreut.

Im Jahre 1567 wurde Propst Jakob II. vom Kaiser Maximilian zum Reichsfürsten erhoben, und so ward aus dem etwa 400 qkm großen Ländchen, von dem man spöttisch sagte, es sei ebenso hoch als breit, ein selbständiges Fürstentum. Doch der wachsende Reichtum des Stiftes erregte die Eifersucht und Habgier der Erzbischöfe von Salzburg, die öfters in das Berchtesgadener Ländchen einfielen, dadurch aber auch die Herzöge von Bayern in Harnisch brachten, sodaß nun die gefürstete Propstei recht eigentlich ein Zankapfel zwischen beiden mächtigen Nachbarn wurde. Der übergroße Aufwand, den die Fürstpröpste machten, mehrere Unfälle im Bergbau, dann der österreichische Erbfolgekrieg, der das kleine Fürstentum in Mitleidenschaft zog, brachten es dahin, daß die Ausgaben nicht mehr von den Einnahmen gedeckt wurden und die Schuldenlast bedenklich wuchs. So entschloß man sich in großer Not, mit Bayern einen Vertrag abzuschließen (1795), demzufolge das Nutzeigentum vom ganzen Berchtesgadener Forst- und Salzwesen an die bayerische Krone übergehen und das Mindestmaß der jährlichen Salzgewinnung in 140 000 Zentnern Kochsalz und 75 000 Zentnern Salzsteinen bestehen sollte. – Dagegen erhob bereits im folgenden Jahre Salzburg beim Reichshofrat Klage, und 1800 kündigte Berchtesgaden selber den ungleichen Vertrag. Doch die Tage der früheren Selbständigkeit waren dahin; im Jahre 1803 entsagte der letzte Fürstpropst, Josef Konrad, der Regierung, und nachdem das Land noch mehrere Male den Herrn gewechselt hatte, kam es endlich im Jahre 1810 dauernd an das Königreich Bayern, fortan dessen äußersten südöstlichen Zipfel bildend.

Von nun an gewann der Betrieb der Salzbergwerke einen kräftigen Aufschwung. Sachkundige Beamte verwerteten die Fortschritte, welche die Mechanik gemacht hatte, und mit glücklichem Griffe berief die Regierung den in seinem Fache genialen Ritter von Reichenbach aus Sachsen, unter dessen Leitung die hydraulischen Pumpwerke ausgeführt wurden, welche die Sole aus dem Ferdinandsberge über die Pfisterleiten am hohen Ilsang hinauf bis auf die Höhe am Söldenköpfl, weiter zur Straßenhöhe an der Schwarzbachwacht und hinab nach Jettenberg bis nach Reichenhall leiteten. Dieser durch seine natürlichen Solquellen bevorzugte Salinenort wurde wieder mit Traunstein und Rosenheim in Verbindung gesetzt, sodaß die ganze, über Berg und Tal gehende Solenleitung eine Länge von mehr als 90 km gewann!

Bekanntlich wird das in dem Tone eingeschlossene Salz – dieser stockförmig auftretende Salzton wird »Haselgebirg« genannt – in künstlich zugeleitetem Wasser aufgelöst und die so gewonnene Sole dann zum Versieden gebracht. Die Menge der 1893 Infolge der 1868 erfolgten Aufhebung des Monopols hat sich der Handel mit Steinsalz außerordentlich gehoben. Die Türkei bestellte alsbald 70 000 Zentner. erzeugten Sole betrug nach Angabe der Salinenverwaltung 130 000 cbm, worin 39 000 t oder 780 000 Zollzentner Salz enthalten waren. Das ganze Salzwerk beschäftigt gegen 200 Arbeiter, wovon 96 dem eigentlichen Bergbau angehören, während 45 bei der Saline, die übrigen bei der Solenleitung beschäftigt sind. Die Salzsackmanufaktur ist aufgegeben. Die Regierung ließ im Jahre 1829 zur Veredelung der Schafe, deren Zucht in der Gegend viel zu versprechen schien, aus der Stammschäferei zu Schleißheim eine Anzahl von Merinoschafen und Merinowiddern unentgeltlich ab. Und behufs der künstlerischen Vervollkommnung der Schnitzarbeiten – schon zur Zeit der Reformation gingen Berchtesgadener Holz- und Hornschnitzwaren in alle Welt – ließ sie am 6. April 1858 eine Anstalt für Zeichner und Schnitzer eröffnen, welcher ein eigener, zugleich in der Bildhauerei erfahrener Lehrer zum Vorstand gegeben ward; die Schule zählte 1894 insgesamt 165 Schüler und Hospitanten und stellt ihre kunstgewerblichen Arbeiten der öffentlichen Beurteilung aus.

Da der Berchtesgadener Salzberg (er liegt tief am rechten Ufer der Alm, hart an der Salzburger Straße, am äußersten Ostende des Talgrundes) viel leichter zu befahren ist als der Halleiner Dürrenberg, so ziehen ihn die Reisenden jetzt vor, zumal da er nicht minder sehenswert ist und bei dem größeren Salzgehalte des Gesteins nicht selten reines Steinsalz erscheint. Mit jeder Station, welche der Wanderer in dieser unterirdischen Welt erreicht, gewinnen die Salzstufen eine größere Klarheit und reichere Kristallisation. Auf der Rutschbahn in die schwarze Tiefe hinabzufahren, gehüllt in schwarzgraue Bergmannskleider, gewährt ein aus Scherz und Ernst eigentümlich gemischtes Vergnügen; – der Führer setzt sich zuerst in die Bahn, mit gerade ausgestreckten Beinen, indem er mit der rechten Hand das hinabführende Seil erfaßt, um den Stützpunkt nicht zu verlieren; hinter ihn setzt sich der zweite, hinter den zweiten der dritte, immer so, daß er auf die Schultern des Vordermannes zu sitzen kommt, und so geht es pfeilschnell auf dem über ½ m breiten Holzgeleise hinab. Unten angelangt, sieht man sich plötzlich vor einem der kleinen Salzseen, dessen Ufer rings mit kleinen Lichtchen erhellt sind. Hat das Wasser genugsam das Salz aus Decken und Wänden der Höhle ausgesogen, dann wird es als gesättigte Sole abgelassen, die vermittelst einer Radmaschine ans Tageslicht gehoben wird. Draußen vor dem Brunnenhause macht sie, dem Fenster des Maschinenwärters gegenüber, einen Schlag auf die Schelle bei jedem Rundgange, wodurch die Gangart fortwährend beobachtet werden kann.

Näher bei Berchtesgaden ist das große hydraulische Pumpwerk, welches die Sole durch eiserne Röhren emporhebt und gen Ilsang führt. Eine gute Stunde von Berchtesgaden entfernt, gelangt man auf der schönen Ramsauer Straße zur Ilsangmühle und erblickt dann rechts in ansehnlicher Höhe ein weißes Brunnenhäuschen auf einem Bergvorsprunge des » Söldenköpfls«. Unten am Wege ist gleichfalls ein Brunnenhaus, in welchem die von Herrn von Reichenbach höchst einfach und wirksam eingerichtete Maschine arbeitet, welche, durch ein winziges Bächlein, das nur 112 m vom Berge herabkommt und gefangen genommen wird, in Bewegung gesetzt, die Sole in einer eisernen Röhre zu genanntem Söldenköpfl nicht weniger als 365 m hoch emportreibt. Der Röhrenweg führt, parallel mit der Ramsauer Straße, zunächst zu der zwei Stunden entfernten Schwarzbachwacht, einem Brunnenhäuschen mit einfachem Wirtshaus in der Nähe, auf dem Sattel gelegen, welcher die Abhänge der Reiteralp mit denen des Lattengebirges verbindet. Es ist einer der herrlichsten Spaziergänge, die man machen kann. Unten das lachende grüne Tal, gegenüber die Bergriesen, die mit jedem Hundert Schritte vorwärts neue Gruppierungen bilden. Zuerst nimmt, wenn man vom Söldenköpfl ausgeht, der Hohe Göll mit seiner großartigen Kuppelwölbung, die mit der flachen, abfallenden Gestalt des » Brettes« einen anziehenden Gegensatz bildet, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch; dann der herrliche Watzmann, mit dem man sich mehr befreundet, je näher man ihm nun kommt! Wie er auf seiner Ostflanke den Königssee beherrscht, so hat er hier auf seiner Westseite zwischen sich und dem Steinberg (dessen höchste Spitze der Hochkalter 2629 m) das öde, kahle, aber wildprächtige Wimbachtal, eingeschlossen von 2100-2600 m hohen, von aller Vegetation entblößten Kalkfelsen, von denen Geröll- und Schuttbäche herabrollen, Heerstraßen für Lawinen, welche Schnee- und Schuttmassen in der Tiefe anhäufen. Den Hintergrund des merkwürdigen Tales bilden der Hocheisspitz, das Palfelhorn, der große Hundstod. Blendend prallt das Sonnenlicht von den weißgrauen Flächen des Hochtals ab, und die Schneefelder des Hintergrundes erglänzen im reinsten Weiß. Ich jauchzte auf vor Freude, als mir dieser Anblick bei der günstigsten Beleuchtung zuteil ward. Früher war in dieser ungeheuren Felsspalte wohl ein See; aber das unablässig von den Höhen ringsum abstürzende Geröll füllte ihn aus.

Nicht minder wild wird die Szene, wenn man von der Schwarzbachwacht zum kleinen sumpfigen Taubensee hinabsteigt und jenseits durch das enge, aber sehr romantische Tal nach Jettenberg hinabgeht, oder wenn man bei der Teilung der Straße links sich wendet und am reizend-melancholischen Hintersee vorbei in das öde, wilde Tal zum Hirschbühl emporsteigt, einem früher befestigten Paß mit der österreichischen Grenzmaut, und weiter in die Seissenberger Klamm, eine enge Felsenschlucht, wandert, in welcher über Felstrümmer der Weißbach rauscht, der die ganze Kluft muldenförmig ausgewaschen hat.

Im einsamen, stillen Hintersee spiegeln sich der Reiter Steinberg So genannt von dem Dorfe Reit, das im jenseitigen Saalachtale liegt. und die Mühlsturzhörner, und aus weiter Ferne schaut auch der Hohe Göll hinein, dessen Bild – mit dem grünen See als Vordergrund, an dessen Ufer König Max ein freundliches Jagdschlößchen erbaut hat – Meister Rottmann in einer wunderschönen Beleuchtung so treu der Natur abzulauschen wußte.

Alle diese Ausflüge sind ohne große Beschwerde vom Dorfe Ramsau aus zu machen, und man begreift leicht, wie dieses, zumal da es ein gutes und billiges Wirtshaus hat – mit Vorliebe von den Münchener Malern zum Standquartier gewählt wird. Da ist eine Natur, deren Formenspiel und Formenfülle unerschöpflich ist, die noch eine ursprüngliche Größe hat, die uns doch nicht übermannt, sondern anzieht, eine Wildheit, der es nicht an Lieblichkeit fehlt. Der Dachsteinkalk, aus dem das Berchtesgadener Hochgebirge sich aufbaut, ist ein durchaus plastisches Gestein, das meist schroff aufsteigt und steil abfällt, wenn es auch, wie der Untersberg und die Reiteralpe zeigen, eine ausgedehnte Hochfläche bilden kann. Die Kettenbildung fehlt; es sind überall Berg-Einzelwesen, die wir vor uns haben, von ausgeprägter Eigenart, mit denen wir sozusagen persönlich zu verkehren und uns vertraut zu machen streben, die wir ganz umgehen können, und die wegen der vielen Einschnitte und Durchbrüche des ganzen Hochgebirgs von den verschiedensten Standpunkten aus sichtbar werden und eigentümlich sich darstellen. Der Watzmann aus dem Salzachtal gesehen oder von Berchtesgaden aus oder vom Obersee und der Gotzenalp – wie verschieden ist der Eindruck und das Bild! In Berchtesgaden scheinen seine beiden Hörner ganz nahe beisammen zu stehen, am oberen Ende des Taubensees rücken sie weit auseinander, und der Riese zeigt uns die ganze breite Brust.

Wie nahe das Liebliche und Anmutige an das Wilde und Erhabene gerückt ist, sehen wir an der Wimbach-Klamm, am Ausgange des oben erwähnten, öden, nacktfelsigen Wimbachtals, da, wo der Wimbach in die Ramsauer Ache mündet. Wir benutzen einen sonnigen Nachmittag, sei es, daß wir nach Ramsau und Berchtesgaden zurückkehren oder von Berchtesgaden aus den Spaziergang machen. Es ist eine enge Felsschlucht, nicht weit von der Straße, tief eingeschnitten, mit einem über Felsblöcke gebahnten, zum Teil an die Felswand geklebten Wege. Die Hauptmasse des Bachs braust und schäumt in zierlichen Sprüngen unter uns, während ein Teil des Wassers oben über die Felskanten herabrieselt und die zartesten Spitzenbänder silberhell herabwallen läßt. Es bedurfte nur einer geringen Nachhilfe der Kunst, um das, was die Natur bot, zu einem so lieblichen Parkstück zu gestalten.

Doch nun ist es Zeit, daß wir uns zu der Perle des Bergländchens wenden, um derentwillen die Mehrzahl der Reisenden nach Berchtesgaden geht, und die den kleinen Ort eigentlich berühmt gemacht hat: es ist der St. Bartholomäussee, oder, wie er in neuerer Zeit genannt wird, der Königssee. Auch ihm fehlt im hellen Sonnenschein nicht die Anmut und Lieblichkeit, trotz der starren Größe und Wildheit seiner Umgebung. Wie sowohl der Fahrweg am rechten Ufer der Albe (Alm) unter schattigen Linden, Ahornbäumen und waldigen Bergabhängen, als der Fußpfad an den Sudhäusern vorbei, erst am linken Ufer des Flüßchens, dann am rechten über die baumreiche Schönau, wahre Parkwege sind: so ist, wenn sich nun das Tal öffnet und der Eingang des Sees mit dem Seedorfe hart an seinem Ufer sich zeigt, zu dem in der schönen Jahreszeit Omnibusse und Reisewagen unablässig heranfahren, und wenn der hellgrüne Ufersaum des Sees selber, auf dessen Grunde jedes Steinchen zu sehen ist, die Menge kleiner und großer Kähne, welche der Spazierfahrenden harren, uns winken: so ist – sage ich – das alles dazu angetan, den Eindruck des Großen, das uns erwartet, sehr zu mildern. Doch besteigen wir einen der Kähne, um den See selbst kennen zu lernen. Was gern miteinander fährt, tut sich zusammen und wählt je nach Anzahl der Personen ein kleines oder größeres Ruderboot. Unter heiterem Gespräch fahren wir an der kleinen Insel Christlieger oder St. Johann vorüber, die wir für einen Park aus einzelnen Felsstücken künstlich aufgeführt halten. Sie trug früher ein Kapellchen des heiligen Johannes, des Schutzpatrons der Schiffer, jetzt nur noch ein Denkmal – vier Männer retteten sich hier aus einem Sturm. Zu unserer Rechten springt eine Felsenwand vor, wie ein scharfkantiges Vorgebirge: es ist der Falkenstein, an dessen Wand – durch ein Kreuz bezeichnet – vor etwa hundert Jahren ein mit Wallfahrern besetzter Kahn scheiterte. Haben wir das Kap umfahren, so wird die grüne Farbe des Sees dunkler, und wir merken nun auch, daß wir auf beträchtlicher Tiefe dahingleiten. Der See zeigt uns jetzt seine ganze Länge, die ganze grüne Schroffheit seiner Uferwände, den überaus ernsten, erhabenen Hintergrund und die graue, schneegestreifte Sagereckwand mit dem Grünseetauern, über welchen links noch höher der Funtenseetauern sich erhebt, und über allen diesen Felsmassen schaut aus dem steinernen Meer die schlanke Schönfeldspitze herab. Das Gespräch verstummt, wir sind ganz Auge, dem Eindruck des Erhabenen hingegeben. Die Felswände scheinen aus unendlicher Tiefe dem Wasser entstiegen zu sein; ihr Spiegelbild zieht den Blick tief abwärts, wie ihre hohen Spitzen und Ecken ihn aufwärts zum blauen Himmelszelt heben. Fast schüchtern stehen nur vereinzelt oder in dünnen Reihen die Tannen auf den schmalen Absätzen, mühsam ihre Wurzeln in die Felsspalten eintreibend. Dort, am östlichen Ufer, stürzt ein Bächlein von der roten Marmorwand, das im hohen Sommer leider zu wenig Wasser hat, um einen schönen Wasserfall zu bilden, im Frühjahr jedoch, wenn oben im Teiche das Wasser angesammelt worden ist, zum Herabflößen der Holzstämme benutzt wird; dann gewährt dieser »Königsbach« ein anziehendes Schauspiel. Mit Donnergetöse bricht das hoch aufgestaute Wasser durch die geöffnete Klause; als hätten die Holzblöcke Flügel gewonnen, stürmen sie über den Felsen, als jagten sie einander in die Tiefe des Sees, der aufschäumend und aufbrausend nun hohe Wellen treibt, die in Nebel und Regen sprühen, und die am jenseitigen Ufer haltenden Gondeln schaukeln wie auf sturmgepeitschtem Meer.

Weiterhin bei dem nassen Palfen Palfen = Felsen. Das rätoromanische palva = Felshöhle. feuern die Schiffer gern ein Gewehr ab, nach der rechten Seite des Sees hin; das Echo ist großartig, ein lang nachhallender Donner. Der Kahn fährt über die größte Tiefe des Sees, denn das Senkblei mißt hier 240 m, am Kuchler Loch vorüber, einer Höhle, die bei niederem Wasserstande sichtbar wird und durch welche der Gollinger Wasserfall (bei Kuchl) sein Wasser erhalten soll. Als im Jahre 1823 und 1866 der Spiegel des Sees unter der Sohle dieser Höhle stand, war auch der Gollinger Wasserfall versiegt.

Bald haben wir den »Kessel« erreicht, die linke Talwand wird durch eine Kluft unterbrochen. Nun lasse man an der vorspringenden Landzunge des linken Ufers das Boot anlegen. Auf gut gebahntem Wege, unter schattigen Baumanlagen steigt man am Rande des Kesselbaches aufwärts bis in eine enge Schlucht, wo der Bach zwei kleine Wasserfälle bildet und in einen Felsen die Worte eingehauen sind, welche der erhabenen Naturszene wohl entsprechen, wenn auch der Wasserfall mehr lieblich als groß ist:

»Ewiger, dich spricht das Gestein, dich das Brausen des Gewässers,
wann wird meine Seele dich schauen?«

Das Herz geht einem auf, wenn man, aus den Schauern der Schlucht heraustretend, oben den blauen Sonnenhimmel, unten, durch das Laub der Ahornbäume schimmernd, den grünen Wasserspiegel, und gegenüber auf dem breiten Fußgestell in schwindelnder Höhe die Hörner des Watzmann erblickt. Umfassend und großartig wird der Blick, wenn man dem sehr bequemen, aber etwas langwierigen Reitwege aufwärts bis zur Gotzenalp folgt. Doch heute gilt's, den See als solchen zu genießen, und so begeben wir uns wieder hinab zu unserem Kahn, der nun rechts hinüber nach St. Bartholomäi, einer kleinen grünen Halbinsel, rudert, auf welcher eine alte Wallfahrtskirche steht, die dem Heiligen geweihet ist, von dem sie den Namen trägt. Daneben steht ein Jagdhaus, im vorigen Jahrhundert vom Fürstpropst Kajetan von Noothaft erbaut. Die Doppeltürme des Kirchleins, freilich an sich nicht hoch, erscheinen gegenüber den hohen Uferwänden des Sees doppelt niedrig. Alljährlich findet am Bartholomäustage eine Wallfahrt statt, zu welcher von allen Seiten des Sees die Älpler und Bergbewohner herbeiströmen; nachts leuchten auf den Höhen rings umher die Feuer, deren Licht vom dunklen Spiegel des Sees zurückstrahlt. In dem von einem königlich bayerischen Förster bewohnten Jagdhause finden die Reisenden neben gutem Bier und Wein auch ein Gericht der schmackhaften Rotforellen, genannt Salblinge Im Munde des Volks »Saiblinge«, geräuchert heißen sie »Schwarzreiter«. (Salmo salvelinus), die vorzugsweise den Gebirgsseen eigen sind, doch auch schon im Würmsee vorkommen. Auch die Lachsforelle (Fario Marsilii), die bis 30 und 40 Pfund schwer werden kann, fehlt dem Königssee nicht. Ihr Fleisch ist rötlich, wie das der Salblinge. Im Vorhause des Jagdschlößchens sind Abbildungen besonders großer Salmen, die man früher im Königssee gefangen, aufgehängt. Auch die Abbildung des berühmten Kampfes mit einem Bären, den der Fischmeister auf dem See glücklich bestand, ist da zu sehen, neben der in Verse gebrachten Geschichte des Abenteuers.

Wer gute Augen hat, entdeckt vom Jägerhause an heißen Sommertagen, wenn die Luft rein ist, schwarze Punkte auf den Schneefeldern des Hochgebirges. Diese Schneegründe scheinen ziemlich nahe zu sein, ihre Höhe täuscht jedoch über ihre Entfernung, denn jene schwarzen Punkte sind Hirsche oder Gemsen, welche in der Hitze sich etwas abkühlen wollen und darum für einige Stunden auf Schneematratzen sich gebettet haben.

Im heißen Sommer hat Schnee und Eis einen gewaltigen Reiz, und so freuen wir uns denn auch, die vielbesprochene »Eiskapelle« an den Abhängen des Watzmann, ¾ Stunden von St. Bartholomäi entfernt, besuchen zu können. Doch muß hier die Phantasie das Beste tun. An einer Stelle, wo sich mehrere Schneerinnen vereinigen und eine Masse Schnee und Eis zusammengeballt ist, bricht ein Bächlein hindurch, das die unteren Lagen schmelzend, die oberen über sich wölbt. Das Gewölbe soll früher in einem lasurblauen Lichte geschimmert haben, ward jedoch teilweise durch nachstürzende Eis- und Felstrümmer zerstört (im Winter von 1860/61) und ist noch nicht wieder zur alten Schönheit und Fülle zurückgebracht. Am Eingange der Schlucht steht die kleine Kapelle St. Johann und Paul, und in der Nähe sprudelt ein Quell des reinsten, wohlschmeckendsten Trinkwassers. Der Bach und der Quell sind das einzige Lebendige in dieser öden, unwirtlichen Gegend, in der man um sich Schutt und Felstrümmer, über sich die Steilwand des Bergriesen, in der Ferne drohende Felszacken und unter sich den tiefen See hat – schauerlich schön; auch die Bergwüste hat ihre Poesie!

Wir kehren befriedigt zurück und fahren weiter zum oberen Ende des Sees, von der Salet-Alp gebildet, einer etwa zehn Minuten breiten Landenge, welche mit ihren Kalkfelstrümmern den Obersee vom Königssee getrennt hat. Indem wir landen, erfreut uns der kräftig herabrauschende Schreinbach, der viel wasserreicher ist als der Königsbach und von einer ansehnlichen Höhe in Absätzen aufstäubend am südwestlichen Ende des Sees herabstürzt. Links flattert noch ein zarter, milchweißer Streifen an der Uferwand: das ist der Schleierfall.

Es mögen Jahrhunderte vergangen sein, bis der Damm zwischen dem oberen kleineren See und seinem größeren Nachbar ausgemauert wurde: das Wasser zerreißt und baut wieder auf, und ein tosender Gebirgsbach führt Steinmassen mit sich, von denen sich der Bewohner eines Flachlandes keinen Begriff macht. Der riesige Damm lehnt sich an die schroff abstürzende Sagereckwand, welche das Südende des Sees höchst malerisch begrenzt.

Der Obersee biegt nach Osten um; er ist nur ½ Stunde lang und ¼ Stunde breit, aber fast noch fesselnder als der Königssee. Die Poesie des Erhabenen und Wilden ist hier noch kräftiger wirksam. Linker Hand steigt senkrecht die Kaunerwand auf, von der ein Bächlein, in Staub aufgelöst, herabwallt, rechts erhebt sich in mehreren bewaldeten Absätzen die Walchhüttenwand, und den Hintergrund vermauert roter Marmorfels, über welchen der Rötenbach in vielen Silberfäden herabrauscht. Über der Marmormauer baut sich ein höheres Stockwerk auf, das ist der Laubsattel, wegen der grünen Streifen des Baumwuchses, der hier noch fortkommt, so genannt; hinter ihm, unheimlich weißgrau, treten die beiden Teufelshörner hervor, wie schadenfroh auf den stillen, hellgrünen Spiegel des Sees herabschauend. Hier und da der Pfiff eines Raubvogels oder eines Murmeltiers, das einförmige Rauschen eines Wasserfalls oder das Rollen eines abbröckelnden Steines: das sind die einzigen Töne, welche das Ohr des Menschen hier vernimmt. Der Wanderer sieht sich fast scheu um in dieser wild-prächtigen Umgebung; es überkommt ihn ein Gefühl, als sei er ein unberufener Eindringling, der sich unterfängt, den Isisschleier zu lüften.

Solches Gefühl wird auf keinem der Schweizer Seen rege. Mit dem Vierwaldstätter See, der Perle aller Seen, kann der Königssee gar nicht in Vergleich gebracht werden, auch wenn man nur an dessen engere Schluchten denkt. Wir sind dort mitten im Herzen der Schweiz, wo die Fülle und Herrlichkeit ihres ganzen Lebens sich zusammendrängt, wir sind zugleich auf klassisch-historischem Boden, über den aller Nimbus der Sage und Heldengeschichte gebreitet ist. Das ganze reich gegliederte Alpenleben von den grünen Matten und Vorbergen bis zu den glänzenden Firnkronen und Schneepyramiden der Hochalpen, von den Kastanien- und Walnußbäumen unten bis zu den Legföhren oben, von den Obst- und Weingärten, über welche die Luft Italiens weht, bis zum isländischen Moos hat der Vierwaldstätter See voraus, der überdies in der reichen Gliederung seines aus vier Seen gebildeten Kreuzes, das überall die größte Mannigfaltigkeit von Engen und Weiten, Busen und freien Breiten und damit die größte Mannigfaltigkeit der Uferansichten erzeugt, das gerade Gegenteil bildet vom Königs- und Obersee. Selbst der Walensee, mit dem ich letzteren noch am füglichsten vergleichen möchte, hat doch einen ganz verschiedenen Charakter. Er ist noch einmal so breit, als der Königssee, der stellenweise kaum 1 km in der Breite mißt, und viermal so lang. Die Ufer bieten also viel weitere Ansichten und Aussichten, sie gestatten, die hohen Bergstöcke vom Fuß bis zu ihrem Gipfel anzuschauen. Selbst das Nordufer des Walensees, wo die Kurfirsten ziemlich steil abfallen, ist doch viel belebter, als der Königssee, dessen Ufermauern uns selbst den Blick auf Alpen- und Sennhütten entziehen; am südlichen Ufer des Walensees, wo der Mürtschenstock sich ganz und voll darstellt, eilt das Dampfroß dahin und rauchen die Schlote der Fabriken. Aber eben diese Armut des Königssees ist wieder Reichtum, weil Ursprünglichkeit und spröde Eigentümlichkeit. Gerade darum, weil wir plötzlich dem Kulturleben uns entrückt finden, weil alle geschichtlichen, staatlichen, gesellschaftlichen Verhältnisse plötzlich im Eindruck des reinen Naturlebens verschwinden, weil wir sozusagen auf die einfachen Elemente: Wasser und Stein, Luft und Licht beschränkt werden und doch in dieser Einfachheit alles groß, schön, ja harmonisch ist: darum ist der Königssee samt dem Obersee so ganz ein Stimmungsbild, wirft er uns – so ganz deutsch – auf unser eigenes Gemüt zurück und macht ihm einen so starken Eindruck.

Der Königssee ist der wild-schönste unter den deutschen Seen und rechtfertigt seinen Namen, insofern dieser die Erwartung von etwas Großem und Einzigem in seiner Art rege macht. Sein König ist der groß-herrliche Watzmann, dessen Haupt freilich unsichtbar wird, sobald man den See erreicht hat, aber auf dem östlichen Ufer und auf dem Obersee um so überraschender erscheint. Doch eben darin beruht die eigentümliche Schönheit dieses Sees, daß er unser Auge gefangen, daß uns eine riesige Felsspalte in die Mitte nimmt. Wir fahren in den See ein wie in einen Saal mit himmelanstrebenden Wänden, auf spiegelblankem Parkett, es ist, als kämen wir in ein Feenland, in eine wunderbar seltsame Welt, in ein Reich, von dem die Märchen der Jugendzeit uns erzählen. Der einfache Kahn schwebt leicht wie von Flügeln getragen über der kristallenen Tiefe, er paßt zu der einfachen Größe dieses Prachtsaals. Der kräftige Sohn der Berge in seiner kleidsamen Tracht mit dem Spitzhut, der grauen Joppe, den kurzen Hosen und den Halbstrümpfen, welche das von der Sonne gebräunte Knie freilassen, sowie das frische Alpenmädchen, dessen kräftiger Arm mit ihm guten Takt hält, beide rudern stehend im schweigsamen Ernst, als zieme sich in solchem Naturheiligtum kein unnützes Wort: das sind auch kerndeutsche Gestalten, die zum Königssee passen.


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