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Im weiteren Sinne als Provinz, die Prignitz, Grafschaft Ruppin, Mittelmark, Uckermark, Neumark und Niederlausitz umfassend. Brandenburg als Kulturland.
Eine Lobrede auf den märkischen Sand.
Von A. W. Grube.
Unsere allzeit geschäftige Phantasie ist nur zu sehr geneigt, aus irgendeiner Beschreibung oder Schilderung ein hervorstechendes Merkmal herauszuheben und dieses dann ins Unbeschränkte auszumalen. So hat schon mancher, der von der durchaus ebenen Fläche um Leipzig gehört oder gelesen, sich diese Ebene so unbedingt herrschend vorgestellt, daß er sich nicht wenig wundert, wenn er dann, an Ort und Stelle gelangt, die Flußniederungen der Elster, Pleiße und Parthe mit ihren schattigen Eichenwäldern und grünen Wiesen, wenn er das Ackerland erblickt, das von vielen kleinen Einsenkungen durchschnitten ist und im Gegensatze zur Flußniederung wieder eine Hochebene bildet. Es überläuft wohl manchen Rheinländer, Schwaben oder Schweizer ein kleiner Schauer, wenn er von dem Sande der Mark Brandenburg hört, von ihren dürren Heideflächen und schattenlosen Kiefernwäldern, er malt sich in seiner Phantasie ein Bild aus von einem heillosen Steppenlande, einem Seitenstück zur Wüste Sahara: die gelben und grauen Sandfelder dehnen sich in seinen Gedanken ins Unabsehbare aus, Sand und nichts als Sand, von struppigen Kiefern umsäumt – man begreift nicht, wie überhaupt in so gottverlassenen Gegenden noch Menschen bestehen können! Hat doch schon Altmeister Goethe von den »Musen und Grazien der Mark« ebensowenig zu rühmen gewußt, wie vom prosaischen Boden selber!
Nun ist es allerdings wahr, ein Süd- oder Westdeutscher wird, wenn er zum ersten Male eine von den verrufenen »Marken« des Preußenlandes betritt, keineswegs poetisch gestimmt; da sind keine in froher Jugendlust dahinstürmenden Flüsse oder schäumenden Gießbäche mit felsenreichen Ufern, Obst- und Weingärten geschmückt, keine hochgipfeligen Bergreihen zieren den Hintergrund, kein schattiger Laubwald will sich zeigen. Doch gemach, ein wenig weiter gewandert und die Gegend näher angeschaut! Sie ist, zu diesem Bekenntnis nötigt sie dann den fremden Wandersmann, doch nicht so arm als sie scheint, ist nicht von aller Schönheit entblößt. Schon die Heide als solche hat ihre eigentümliche Schönheit; zur Kiefer gesellen sich freundlich die Birken in lieblichen Gruppen, ja in ganzen Wäldern, und die pfirsichroten Blütenglöckchen der Erika bilden nicht unschöne Teppiche, auf denen es sich auch wohl ruhen läßt. Weiter nach Norden, wo der Tonboden mehr überwiegt, entfalten sich dann vor dem überraschten Auge die goldgelben Weizenfelder, und große Wälder der hochstämmigen Buche umkränzen den stillen See. Die Buchenwälder der Uckermark können wetteifern mit den besten der dänischen Inseln. Nirgends ist das Flachland so eben, daß aller Gegensatz fehlte; es ist ein welliger Boden, von Hügelreihen durchzogen, die gleicherweise überraschende Ansichten und anmutige Fernsichten darbieten. Der Hagelberg und der Hohe Golm im Hohen Fläming, die Kronsberge, Müggelberge, Rauenschen Berge – sie erscheinen dem Flachländer als »Berge«, mitunter als »hohe« Berge, weil in der Ebene jeder Hügel eine beachtliche Größe ist. Im Gegensatz zu diesen märkischen Bergzügen ziehen sich die breiten Flußtäler hin, deren Sohle allerdings fast eine vollkommene Ebene bildet, sodaß in manchen Gebieten die fließenden Wasser meilenweit nur um wenige Zentimeter sich senken und darum mit aller Muße und Bequemlichkeit in vielen Seitenarmen und Krümmungen sich winden. Weite Torfmoore und Bruchwiesen, mit Binsen und Röhricht und weißglänzendem Wollgras besetzt, von Kranichen und Störchen gern besucht, könnten melancholisch stimmen, wenn nicht wiederum eine Reihe lachender, blumiger, saftiggrüner Wiesen, von starken Eichenbäumen überschattet, auch hier manch heimliches, idyllisches Gemälde vor das Auge stellten, das der Fremde nicht erwartet hatte. Im »Spreewalde« hat die unter den Flußnymphen keineswegs gefeierte Spree ein Kanalnetz gebildet, auf welchem ein wahrhaft holländisches Leben sich wiederholt. Denn der Landmann fährt auf den vielfach ineinander geschlungenen Flußarmen sein Vieh auf die Weide, sein Heu in die Scheune; die Gemeinde schifft in flachen, kleinen Kähnen zur Kirche, und selbst der Jäger rudert leise auf den Anstand. Keine hellaufjauchzenden Naturlaute, keine überströmende Freude, aber ein stilles, emsiges und zufriedenes Schaffen und Wirken, kein ausgezeichneter Wohlstand, aber eine zwischen Land- und Stadtbevölkerung gleichmäßig verteilte Wohlhäbigkeit – das ist es, was dem Fremden in der Mark überall in wohltuender Weise entgegentritt, und je mehr er die volkswirtschaftlichen Verhältnisse der Mark kennen lernt und Vergleiche zieht mit der schöneren Natur des Südens, um so mehr werden diese zum Vorteile des »armen Sandlandes« sich herausstellen.
Die Schweiz mit ihren herrlichen Tälern und himmelanstrebenden Bergen ist an Naturschönheit reich gesegnet, aber sie muß ihr Brot zum Teil aus den deutschen Nachbarländern holen, denn die Berge und Felsen sind oft nur wenige Zentimeter mit Fruchterde bedeckt, und tragen wohl Gras, aber kein Korn. Die stürzende Lawine, der tosende Waldstrom, der schroffe Fels und der steil ansteigende Tannenwald sprechen zum Menschen: Bis hierher und nicht weiter! Sie weisen ihm ein für allemal den Platz seiner Wohnung, den Bezirk seiner Wiesen und Alpweiden an; seit langem hat die wachsende Bevölkerung nur künstlich, durch Industrie und Verkehr, sich Leben und Wohlstand gesichert. Die Täler der Mosel, des Rheingaues, wie schön sind sie! Aber auch wie unsicher ist der Erwerb geworden, den die Rebe bietet, wie mühsam schleppt der Bauer den Dünger auf die Anhöhe, wie wenig lohnt die Arbeit! Im gesegneten Württemberg, das Acker-, Wein- und Holzland in schönster Abwechselung hat, finden wir die Bevölkerung gehäuft, die Güter bis in die kleinsten Anwesen zersplittert, das Volk zur Auswanderung gezwungen! Die ausgedehnten Waldstände müssen Wald bleiben, und doch ist das Holz in Stuttgart teurer als in Berlin, und wenn man näher zuschaut, ergibt sich, daß der Märker mit seinen Kiefernwäldern besser daran ist, als der Schweizer und Schwabe mit den seinigen. Denn erstens stehen seine Wälder auf ebenem Boden, sind überall leicht zugänglich, die Menschen können sich ansiedeln, wo es ihnen bequem dünkt, und somit können sie zweitens nicht bloß jedes Reis und jede Kiefernadel benutzen, sondern auch humusreichere Waldstrecken in Ackerland verwandeln. Lohnt die urbar gemachte Strecke nicht den Anbau, so ist bald wieder der Wald nachgewachsen, während in den Schweizerbergen dort, wo der Wald geschwunden ist, die Regengüsse und Schneeschmelzen bald die lockere Erde abwaschen und eine Wüste bilden. Ist die märkische Sandfläche nicht mit hoher Naturschönheit gesegnet, so ist sie dafür auch vor großen Verwüstungen und Angriffen der Natur geschützt, und der Mangel selbst wird wieder zum Segen. Dies gilt recht eigentlich vom märkischen Sande.
Es gibt wohl einige gleichsam ins Binnenland vorgeschobene Dünen und Sandwellen, die, vom Wasser ausgewaschen und auf starrem Kiesgrunde ruhend, ewig unfruchtbar bleiben, aber die Hauptmasse des Sandbodens ist doch mit Mergel und Löß (Lehm und Ton) und fruchtbaren Humusschichten durchwirkt. Der Dünger ist zwar dringende Notwendigkeit, und der Bauer holt ihn sorgsam aus den benachbarten Städten zusammen; aber muß nicht auch der Anwohner des Bodensees, der Appenzeller auf seinen wiesenreichen Halden, der Tiroler in seinen Tälern mit rastlosem Fleiße die durstigen Wiesen durch die sogenannte »Jülle« tränken, um nur hinreichenden Heuertrag sich zu sichern? Der bei weitem größte Teil des Sandbodens vergilt aber dem fleißigen Ackerbauer den Fleiß, ja er belohnt ihn mit Früchten, die in ihrer Art vorzüglich sind. Das treffliche Roggenbrot und der märkische Kuchen vom feinsten Weizenmehl geben hinlänglich Zeugnis. Wer hat ferner, wenn nicht gekostet, doch gehört von den feinen, außerordentlich wohlschmeckenden Teltower Rübchen, diesen Ananas im Rübengeschlecht! Ja, die Ananas selber, gedeiht sie nicht unter der kunstreichen Hand der Berliner und Potsdamer Gärtner am vorzüglichsten in Brandenburger Erde? Desgleichen haben die Melonen das feinste Aroma, und das Obst der Mark kann mit dem süddeutschen getrost in die Schranken treten. Und sind nicht zum Zeugnis der edlen Kräfte, welche im unscheinbaren Sandboden stecken, an der Havel bei Potsdam und Werder an die Stelle der Kiefernwälder freundliche Obstplantagen getreten, die auch recht wohlschmeckende Trauben liefern? Es ist der Sandboden, welcher die Sonnenstrahlen so eifrig sammelt, der den Weinbau in so hoher Breite möglich macht. Und wiederum ist es dieser sandreiche Boden, der das Kornfeld vor zu großer Dürre, wie vor zu großer Nässe schützt. Sein lockeres Gefüge läßt die Feuchtigkeit leicht durchsickern; und sie wird wiederum nicht so vollständig eingesogen, wie vom schweren Lehmboden, der, dürr geworden, wohl berstet, aber von der unteren Feuchtigkeit nicht mehr durchdrungen werden kann. Selbst auf den leichteren Verkehr der Dörfer und Städte hat der Sandboden günstigen Einfluß, indem die Wege und Straßen nie grundlos und morastig werden, wie es bei fetterem Boden der Fall ist, auch viel leichter trocknen. So ist der Sandboden ein Vermittler zwischen den Gegensätzen; er kann nicht mit den Weizenfeldern des Altenburger Landes und der Magdeburger Börde, auch nicht mit dem Marschlande Holsteins oder Danzigs wetteifern, gewährt aber seinen Anbauern doch einen ziemlich sicheren Unterhalt, und Mißernten sind verhältnismäßig selten.
Dazu kommt die Menge gesunder, klarer Wasserquellen, die jedenfalls die Anlage jener zahlreichen kleinen Gehöfte und Ortschaften sehr erleichtert haben. Der Sand der Brandenburger Marken verhindert eine zu große Anhäufung von Menschen auf kleinem Raume, er begünstigt auf der andern Seite nicht jene stolze gutsherrliche Abgeschlossenheit des westfälischen Bauern, aber er gibt den einzelnen doch hinlänglichen Spielraum, ihre Kräfte zu entfalten und sich's wohl sein zu lassen. Denn so ergiebig ist bereits die Ernte des Brandenburger Bauern geworden, daß er seine Hühner und Gänse, seine Eier und Speckseiten mit Behagen verzehren kann, ohne gezwungen zu sein, alles so schnell wie möglich versilbern zu müssen. Der Wohlstand und der Wert der Bauerngüter haben in letzter Zeit mit der Betriebsamkeit der Bevölkerung stetig zugenommen.
Hier muß man abermals fragen: Wäre wohl der märkische Bauer so beweglich und emsig, so haushälterisch und betriebsam geworden ohne den märkischen Sand? Diese sehr unpoetischen Felder und Wälder des Sandlandes haben ihn Sparsamkeit gelehrt, und diese trägen Flußläufe haben, indem sie den Handelsverkehr so sehr erleichterten, auch mittelbar dem Landbau in die Hände gearbeitet. Berlin, so reizlos seine nächste Umgebung auch ist, liegt in bezug auf den Handelsverkehr keineswegs ungünstig, da es durch die Spree mit Havel, Elbe, Nordsee in natürlicher, mit Elbe und Oder, mit Warthe, Weichsel, Ostsee in künstlicher Verbindung steht. Ebenso nimmt es auch im großen norddeutschen Eisenbahnnetz zwischen Nord und Süd (Hamburg und Stettin, Leipzig und Hof), zwischen West und Ost (Frankfurt und Köln, Breslau und Krakau) eine zentrale Stellung ein. Welches andere Gelände wäre aber auch für Kanäle und Eisenbahnen geeigneter gewesen, als die Provinz Brandenburg, die mit Recht das Herz der preußischen Monarchie genannt wird, in der die Tätigkeit des Volks mit der Tüchtigkeit einzelner seiner Regenten von jeher gewetteifert hat, einen Staat zu bilden, der trotz seiner Kleinheit ein bedeutendes Gewicht in die Wagschale der europäischen Geschicke legt und den Schwerpunkt des deutschen Vaterlandes bildet. Wenn sich Friedrich der Große den Inhaber der Erzstreusandbüchse des heiligen römischen Reiches nannte, so lag darin ebensoviel Ernst als treffender Witz; der große König durfte mit Stolz auf seine märkischen Sandbüchsen blicken, denn von diesem Kern war jene rastlose Tätigkeit ausgegangen, die aus wenigem viel zu machen weiß. Er hatte schon 1743-45 den Plaueschen Kanal zur Verbindung Berlins mit Magdeburg ziehen lassen, darauf den Finowkanal gebaut zur Verbindung der Havel und Oder, der Kanalbauten in Vorpommern und der Urbarmachung des Oderbruchs zu geschweigen, nach deren Vollendung er freudig ausrief: »Ich habe eine Provinz gewonnen!« Im Brandenburger Sandlande gewinnt noch fort und fort der Bauer eine Provinz nach der andern, indem er die versumpften Niederungen entwässert, auf Moor und Sumpf die überall bereit liegende Sanderde führt, die keineswegs unfruchtbar ist, und als fruchtbaren Untergrund fast überall in geringer Tiefe Ton- und Mergellager hat. Bald kommt dann auch Klee und Gras hervor. Unterfrüchte finden hinlängliche Nahrung, und Heide und Bruch ist ein Ackerland geworden! Eröffnet auf diese Weise das Sumpfland dem Menschen ein ergiebiges Feld der Tätigkeit, so hat es auf andere Weise bereits seit Jahrtausenden für ihn gesorgt durch Bildung reicher Torflager, die nebst den vortrefflichen Braunkohlen der Mark nicht minder ergiebige Schätze liefern als die Metalladern des Harzes oder Erzgebirges. Und damit der Mangel der Berge mit ihren Granitsteinen oder Kalkflözen nicht zu sehr empfunden werde, hat die allgütige Natur auch hierin das Sandland bedacht durch die »Findlings-Blöcke« feinkörnigen Granits, die auf den Ebenen ausgestreut liegen. Diese Granitblöcke sind, eben weil sie sparsam verteilt wurden, um so dankbarer benutzt worden zum Straßenbau, zu industriellen wie zu künstlerischen Zwecken. Die herrliche Granitschale vor dem Alten Museum in Berlin Sie wiegt 1500 Zentner und ist aus der einen Hälfte des »Großen Markgrafensteines«, eines in den Rauenschen Bergen bei Fürstenberg befindlichen nahezu 9 m hohen Gneisblockes, gefertigt., aus einem einzigen großen Steinblock gebildet, und die Unterlage mancher Denkmäler, wie der unterste Sockel des prächtigen Friedrichsdenkmals, geben Kunde, daß auch die Mark ihren karrarischen Marmor hat. So ist, alles in allem genommen, die »sandige Mark« mit allen Mitteln bedacht, um ein reiches Kulturleben zu entwickeln, ja in vieler Beziehung besser gestellt als manches deutsche Land, das einer schöneren Natur sich rühmt.
Vgl. den betreffenden Artikel in Pfeils Archiv für Landeskunde im Königreich Preußen, Bd. I.