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1. Der landschaftliche Charakter Württembergs. – 2. Die Alemannen. – 3. Die schwäbische Alb. – 4. Nürnberg.
Einer prächtigen, mit wahrer Inbrunst geschriebenen Darstellung des landschaftlichen Charakters des Württemberger Landes entnehmen wir die Hauptzüge zu unserm Bilde, und zwar wörtlich:
»Als Fußwanderer wollen wir unser Land durchpilgern, wobei mancher Ausspruch eines schwäbischen Dichters uns im Ohre klingen mag; denn wie das Land unerschöpflich reich an inniger Schönheit, so gebar es auch eine ganze Reihe von Geistern, die der Natur das erlösende Wort gegeben. Wir pilgern das Jagsttal hinauf, vorbei an Jagstberg, Regenbach, Langenburg Die Wanderung ist in Andrees Handatlas, Blatt 26/27, gut zu verfolgen.. Unten das grüne Tal und auf steilem, zungenförmigem Kalkberg die altertümliche Stadt, zum Teil noch ummauert, vorn das großartige, von vier wuchtigen Rundtürmen gefaßte Hohenlohesche Schloß tragend. Von hier jagstaufwärts ist so recht ein Gang für den, der Frieden sucht vor der Welt; das Tal krümmt sich in endlosen Schleifen, eng und voll Waldes, weiter, weglos, geisterhaft still, tief in das Kalkplateau hineingesenkt, mit wenigen Ortschaften und mit vielen Burgen, und hier gleitet die Jagst, bald rauschend und jagend, bald weit gestaut und von Schilfgras umwogt, als die einzige Straße, Himmel und Wolken abspiegelnd, dahin. Nacheinander treten, ohne daß man es ahnt, Schlösser, Burgen oder Burgruinen fesselnd hervor, wie Leofels, eine der schönsten Burgruinen aus glänzender Ritterzeit, aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts. Man sieht es an den großen, mit Säulen und Maßwerk verzierten Fenstern, welche die höhen, von Waldbäumen, Holunder- und Wildrosenbüschen umgebenen Buckelsteinmauern durchbrechen.
Vom Jagsttale wandern wir westwärts über die Hochebene ins Kochertal, das wir an der Komburg, eine Viertelstunde oberhalb Halls, erreichen. Frei aus dem schroffen Tale, auf grünem Hügel steigt die Komburg empor mit vieltürmiger Ringmauer und den drei, Steinhelme tragenden Türmen der Kirche. Wenn des Abends trübgraue Wolken über das Tal ziehen, um die schwärzlichen Steinhelme und die alte Ringmauer hin, so glaubt man eine Königsburg zu sehen aus längstvergangenen Tagen. Ganz herrlich ist der Blick gegen Hall zu, das nur eine Viertelstunde unterhalb am Kocher sich ausdehnt. Das steil, oft felsig einbrechende Tal erscheint lang hinab mit Gebäuden erfüllt; dazwischen herein und in den tiefen Buchten der Talgehänge empor drängen Laubbäumegruppen, dazu die Stadt, wie sie am Berghang sich hinanzieht mit alten Kirchen, Türmen, Toren und anderen Steinbauten.
Von Hall aus steigen wir westwärts auf das Keupergebirg des Mainhardter Waldes. Oben auf dem Wald auf rauher Ackerblöße Mainhardt mit den Resten eines Römerkastells, in der Nähe des hier schnurgerade vorbeiziehenden, in den Wäldern noch sichtbaren Römerwalles, der einstigen Grenze des römischen Zehntlandes. Gar anmutig ist vom Kastell aus der Blick hinab durchs langhin geöffnete Brettachtal, in das die Ruine Maienfels auf schwerem Sandsteinfelsen vortritt und durch das der Odenwald mit der edlen Pyramide des Katzenbuckels aus der Ferne hereinschaut. Wir aber wandern, immer noch westwärts, über schweigende Wald- und Felsenhöhen und tiefe von Wasserfällen durchrauschte Rinnen und Schluchten fort auf den Bergen, manchmal mit Aussichten weit in das Land und bis an die Schwäbische Alb.
Wär' ich nie aus euch gegangen,
Wälder, hehr und wunderbar,
Hieltet liebend mich umfangen
Doch so lange, lange Jahr –
sang einst Justinus Kerner, der in diesen Gegenden war, bis er nach Weinsberg zog. Wir folgen ihm auf eben dem Weg von den Bergen herab zum nahen Weinsberg und lassen ihn selbst sprechen: »Es kommen andere Täler, andere Berghöhen, ein weiterer Himmel, aber immer noch Wälder, stille Hütten auf einsamen Waldwiesen. So sehr auch diese Täler, Wiesen und Hütten wechselten, so hatten sie immer ein und denselben Hintergrund, und das war ein einsamer, kahler Berg, der blickte immer trauernd zu mir her, und so trauernd und einsam, wie er, sah ich mich immer in all diesen Wäldern, Tälern und Waldwiesen, und eine Stimme hört' ich rufen: dort stand der Hohenstaufen Haus. – Aber auf einmal erschien ich mir lächelnd und fröhlich am Wanderstabe durch die Wälder und Wiesen wallend, neben mir zu Rosse eine zarte weibliche Gestalt, ein blühendes Kind vor sich auf dem Schoße haltend. – –
Die Wälder verschwanden, der Himmel wurde immer weiter und lichter, und ein gesegnetes Tal voller Berge mit Reben lag vor uns ausgebreitet, und statt des kahlen, trauernden Berges im Hintergrunde ein hoher, lachender Rebenhügel mit einer Burg. Da hört' ich eine Stimme rufen: Sieh' da die Burg der Frauentreue! Ein kleines, freundliches Haus unter schattigen Bäumen ersah ich an des Berges Fuß, das war von Rebenranken bekränzt, und volle Trauben hingen an ihnen ob seinem Eingange nieder.«
Es ist Weinsberg, wo noch das Kernerhaus steht und dabei jetzt das Denkmal des ahnungsreichen Dichters. Kurz ist der Weg von hier nach Heilbronn; am rechten Ufer des Neckars, der von hier ab schon größere Schiffe tragen kann, liegt es, eine der gewerblichsten und fröhlichsten Städte des gesegnetsten Unterlandes. Hohe Pappeln und silberblättrige Weiden umsäumen den schönen, friedlichen Fluß, der leise dahinrauscht durch die ebene, fruchtbare Talweitung; denn gerade vor Heilbronn treten die Berge zurück und bilden ein reizendes Amphitheater von steilen und doch wieder weich gebuchteten Gehängen, die, von Weinreben übergrünt und auf den Höhen mit Laubwäldern bedeckt, gegen Osten an die von wilden Schluchten durchzogenen Waldgebiete sich lehnen. Viel größer und moderner ist jetzt die Stadt geworden gegen die Zeit, da Goethe am 28. August 1797 sie besuchte. Ein breiter Gürtel von Hafenbassins, schönen Wohnhäusern und großen Fabriken umgibt jetzt die Altstadt, als deren Hauptwahrzeichen noch immer der Turm der Kilianskirche hoch emporragt.
Von Heilbronn ziehen wir talaufwärts am schönen Gestade, zwischen steilen Rebenhängen, am Flusse selbst Nußbäume und Pappeln mit lieblichen Durchblicken, nach Lauffen, wo vorzeiten zwischen der Felseninsel Stromschnellen die blaue Flut des Neckars rauschend beschleunigten, dem Geburtsort des unglücklichen, früh in Wahnsinn untergetauchten Dichters Friedrich Hölderlin.
In deinen Tälern wachte mein Herz auf
Zum Leben, deine Wellen umfingen mich,
Und all der holden Hügel, die dich kennen,
Wanderer, ist keiner fremd mir –
singt er vom Neckar, und wieder von seinem Geburtsort Lauffen:
Heilig ist mir der Ort, an beiden Ufern, der Fels auch,
Der mit Garten und Haus grün aus den Wellen sich hebt.
Das ist die Felseninsel im Neckar, der hier kristallhell und rieselnd hinabzieht, mit ihrem alten Turm; an ihn lehnt sich die Oberamtei, wo Kerners Mutter geboren ward.
Von Lauffen aus pilgern wir im Tale der Zaber, die in den Neckar fällt, nach den nahen Höhen des Strombergs, und zwar gerade nach dem vordersten hierher gekehrten, mit uralter Wallfahrtskirche und verlassenem Kapuzinerhospiz, dem Michelsberge zu. Wir lassen hier wieder Kerner sprechen. »Das Kreuz von der Kapelle des Klosters blickte freundlich ins Tal her, und wir bestiegen rüstig den Berg. Je höher wir kamen, je freier schlug mein Herz, je herrlicher lag die Welt vor uns ausgebreitet. – Unter mir sangen die Vögel, auf zu mir dufteten die Blumen, und aus spiegelhellen Seen und Flüssen schien die Sonne empor. – Der Mönch führte mich durch lange Gänge voll heiliger Bilder in seine Zelle. – Sanft säuselte jetzt der Wind durch die Blumen, die vor dem Fenster standen, und füllte mit süßen Düften die Zelle; lauter und immer lauter aber, wie der Zug des Windes stieg, erklangen die Töne einer Äolsharfe, die vor einem Nebenfenster zwischen Blumen stand. – Ein dunkler Gang führte wieder hinaus; in einem tiefen Tale lagen Hütten und Felder, gingen Mädchen singend am Ufer eines Flusses und sahen aus einem zarten Schleier, gewoben vom Dampfe der Blüten und Kräuter, zu uns empor.«
Es ist das vom Waldgebirge des Strombergs und des Heuchelbergs eingerahmte Tal der Zaber, in weichen Formen sich hinziehend, reichlich mit Wein und Obst und freundlichen Dörfern und Städtchen gesegnet, und aus den Waldhöhen herab ragen Burgen mit gebrochenen Zinnen.
Der Wanderer mag hinabsteigen in das glückselige Tal oder auf dem Grat des Strombergs, auf dem uralten Rennweg, hoch über den Wohnorten der Menschen fortschreiten, bis er vorgelangt auf den am andern Ende stehenden Berg, der einst die Burg Sternenfels trug. Von hier aus blickt er gerade gegen Westen durch das von Waldhügelkränzen umfangene Kraichtal hinab bis an den langhin schimmernden Silberstreifen des Rheinstromes und die blauen, feingeschnittenen Berge der Haardt.
Und nun durch herrliche Buchenwälder hinüber nach dem ehemaligen Zisterzienserkloster Maulbronn. Hineingezwängt in das abgeschiedene, schmale, gegen Abend offene Salzachtal, dessen nordwärts schauende Gehänge mit Laubwäldern, die steileren südlichen mit Weingärten, die den goldhellen Elfinger hervorbringen, bedeckt sind, liegt das Kloster, noch von Graben und Mauer umfriedigt. Die schattigen, von Bächen durchrieselten Wälder und die großen, schon von den Mönchen in der Nähe des Klosters angelegten Weiher, zwischen Feldern, Wäldern oder Waldsäumen liegend, vermehren die Schönheit und Ruhe der Landschaft. Dann die Klostergebäude selbst, an denen 400 Jahre lang (1150-1550) gebaut wurde, mit ihren stimmungsvollen Einblicken, überraschenden Durchsichten, malerischen Gruppen; und dabei sind diese Bilder der Kunst nicht allein, sondern unauflöslich verknüpft mit denen der Natur. Sei es, daß wir Rast halten, unter den Linden, vor uns die Vorhalle mit den rohrschlanken Säulen, im Garten des Kreuzganges wandeln bei blühenden Rosenbüschen und dem Gemurmel des dreischaligen Brunnens oder im großen Ephoratsgarten unter rauschenden Wipfeln am efeuumsponnenen Faustturm träumen, bestaunend den Ernst der Kreuzarme der Kirche, oder daß wir im Abendrot über den Spiegel des Tiefensees nur noch die Spitzen des Klosters auftauchen sehen, – am schönsten im Herbst, wenn die Blätter fallen und die Vergänglichkeit des Naturlebens zusammenstimmt mit dem Geist, der diese von der Zeit verlassenen Hallen in sanfter Wehmut durchflüstert.
Und nun den Wanderstab nach Südosten, neckarwärts, wo nicht weit von Ludwigsburg aus der Ebene der Asberg aufsteigt, mit Festungswerken und mit einer der schönsten Aussichten des Unterlandes. Ein großer Teil Württembergs, besonders die Gefilde des unteren Neckars mit ihren Städten, Dörfern und Burgen, Schwarzwald und Alb, liegen hier ausgebreitet. – Auf dieser Festung saß von 1777-1787 der arme Schubart gefangen. Man höre seine eigene rührende Klage aus den Kerkermauern hervor:
Und der Neckar, blau vorüberziehend,
In dem Gold der Abendsonne glühend,
Ist dem Späherblicke Himmelslust;
Und den Wein, des siechen Wandrers Leben,
Wachsen sehn an mütterlichen Reben,
Ist Entzücken für des Dichters Brust.
Aber, armer Mann, du bist gefangen;
Kannst du trunken an der Schönheit hangen?
Nichts auf dieser schönen Welt ist dein!
Alles, alles ist in tiefer Trauer
Auf der weiten Erde, denn die Mauer
Meiner Feste schließt mich Armen ein!
Der Asberg, frei, felsig, leicht zu verteidigen, aus dem üppigen Getreideland aufsteigend, ist gewiß eine uralte Stätte menschlicher Besiedelung und muß in der Zeit, bevor die Römer in unsere Gaue einbrachen, der Sitz eines mächtigen Fürstengeschlechts gewesen sein. Um seinen Fuß, besonders in der Nähe des »Oster«holzes, liegen riesenhafte Grabhügel, die neben den Gerippen goldene Stirnbänder und Trinkhörner, mit Erzblech überzogene Wagen und feine, mit Goldblättern umhüllte, gemalte griechische Tonschalen – alles jetzt im Altertumsmuseum in Stuttgart – enthielten. Und von diesen Denkmälern ist es nur eine halbe Stunde hinüber zu der modernen, von großen, tiefschattigen Parkanlagen umfaßten Stadt Ludwigsburg, der Heimat von Justinus Kerner, David Friedrich Strauß, Friedrich Vischer und Eduard Mörike.
Von Ludwigsburg mag, wer Lust hat, einen Abstecher über das Neckartal hinüber auf den Lemberg bei Affalterbach machen. Von seiner einsamen Kuppe aus erblickt das Auge die wohlgerundeten milden Formen der nahen Höhenzüge mit den Burgen Lichtenberg, Wunnenstein, Wildeck auf den Vorsprüngen und Vorhügeln. Man sieht in das Neckartal und über die weite, grüne Saatfeldebene bis in das von seinen Bergen umzirkte Stuttgart hinein. O meine Heimat, in leuchtender Sommerluft und bedeckt mit blühenden Bäumen, wie umfängst du wieder mein Herz, daß es niemals altert und nicht hervorverlangt aus dem himmlischen Tal, das Hügel und Schluchten umgrünen und ragende Wälder umrauschen. Wer dort geboren, dem ist unauflöslicher Zauber in die Brust gesenkt, und er bringt das Heimweh nicht weg, wie er wandere über Länder und Meer. Das Herz geht ihm erst wieder auf, wenn er im waldumkränzten Weintalkessel hinter allen den neuen Prachtbauten den alten, dicken Turm der Stiftskirche wiederschaut. Beschützt durch ein gütiges Schicksal, steigt der Ehrfurchtgebietende noch immer empor über die hochgegiebelten Bürgerhäuser, das burgartige Alt-Schloß und andere Renaissancewerke und blickt so traulich herab auf Schwabens größten Sohn, auf Schillers von Thorwaldsens Meisterhand gefertigtes, tiefsinnendes Erzbild.
Von Stuttgart reizt es den Wanderer über Kannstatt durch das breite, blühende Neckartal hinauf. Rings Rebenhügel mit alten Kirchen, in den Seitentälern im Obstwald versteckte liebliche Dörfer mit weinumrankten Holzbalkenhäusern; auf allen Bergen Ausblicke herrlichster Art, nordwärts nach den blauenden Höhen des Strombergs und Odenwaldes, südwärts nach der Felsenmauer der Schwäbischen Alb. Davor wunderbares Wellenland, in mildschönem Licht, ein Garten voll edler Fruchtbarkeit.
Wir wandern im Neckartal weiter, das bei Plochingen plötzlich im rechten Winkel nach Westen umbiegt, und rücken, ins bescheidene, pappelreiche Filstal eintretend, der Schwäbischen Alb immer näher. Schon erhebt sich uns zur Linken, einsam und wurzelnd in weit hinausgreifenden waldigen Vorbergen, der baumlose Hohenstaufen. Um seine weltgeschichtliche Stirne, die nun so kahl, schwirren die Lieder der schwäbischen Dichter in trüben und kühnen Akkorden.
Unten kriecht der niedere Wald und sendet
Karge Nahrung, seltne Ziegel wittern
Auf der Heide rings – und Kaisernamen
Flattern geisterhaft, wie leise Düfte,
Zitternd in dem Abendflor der Lüfte
singt Albert Knapp und, in die alte Zeit sich zurückversetzend, Uhland:
O denk an jenen Berg, der hoch und schlank
Sich aufschwingt, aller schwäb'schen Berge schönster,
Und auf dem königlichen Gipfel kühn
Der Hohenstaufen alte Stammburg trägt!
Unt weit umher, in milder Sonne Glanz
Ein grünend, fruchtbar Land, gewundne Täler,
Von Strömen schimmernd, herdenreiche Triften,
Jagdlustig Waldgebirg und aus der Tiefe
Des nahen Klosters abendlich Geläut.
Wir ziehen jetzt vom Hohenstaufenberg über Göppingen südwärts hinüber zur Schwäbischen Alb, an welcher der Staufen, als ein weit ins geflügelte Land vorgeschobener Posten, Wache hält. Wir ziehen hinüber zum Steilrande der Alb und hinein in ihre so tief in das Herz des Kalkgebirges eindringenden, von Felsenkränzen begleiteten Täler. »Erhabene Berge mit den herrlichsten Aussichten, ungeheure Felsenmassen, abgerissene, schroffe Wände, schauerliche Wildnisse, rauschende Wasserfälle, finstere Höhlen und Felsenschluchten, wilde Ruinen und reizende, fruchtbare Täler findet man hier im malerischen Gemische,« sagt Schübler in seinem »Ausflug auf die Alb im Sommer 1810« – und wahrlich, unerschöpflich ist hier die Mannigfaltigkeit der großen landschaftlichen Eindrücke, sodaß ein Dichter wie Gustav Schwab ein ganzes prächtiges Buch nur über die Nordtraufe des Gebirges geschrieben hat. Hören wir ihn, wie er sich davor ausruht im Abendlichte: »Die dunkle Farbe des Gebirges wird in ein durchsichtiges Blau verklärt, über das der Sonnenschein eine leichte Röte gießt, in der bald mehr Wechsel der Formen hervortritt, als das Auge früher geahnet. Sie hält uns die reichen Buchenwälder, von welchen diese Berge bis zu ihren obersten Höhen umkleidet sind, schimmernd entgegen, zeigt dem Blicke den Anfang mannigfaltiger Täler, die sich zwischen den mehr und mehr vom ganzen Bergeszug abgelösten Massen eröffnen, bescheint, wo die Vorhügel einen Durchblick gewähren, die schmucken Städte und Dörfer, die üppigen Obstwälder, die sich am Fuß der Alb hin und in die Täler bergein ziehen, beglänzt die Kalkfelsen, mit welchen die Höhen übersäet sind, und vergoldet die wenigen Gipfel des Gebirges, auf welchen sie uns vorher unbemerkte Schlösser und Burgen zeigt. Und wenn dem Betrachtenden hier und dort ein Bauer, auf die goldenen Bergspitzen deutend, die Namen Hohenzollern, Achalm, Urach, Hohenstaufen, Rechberg, Rosenstein zu nennen weiß, so mag seine Phantasie wohl noch ein zweites Leben aus der Vergangenheit über diese Bergkette heraufbeschwören.«
Oder hören wir Hölderlin, wie er nach seiner Rückkehr in die Heimat das ihm so liebe Gebirge begeistert begrüßt:
Ihr milden Lüfte, Boten Italiens,
Und du mit deinen Pappeln, geliebter Strom,
Ihr wogenden Gebirg', o all ihr
Sonnigen Gipfel, so seid ihr's wieder!
Wir wandern und schwelgen von Berg zu Berg, von Tal zu Tal; am schönsten ist es oben auf den duftenden Bergheiden; da mögen wir Rast halten unter uralter Waidbuche, umher die kahlen, zerlöcherten Felsbrocken und feurig funkelnde Blumen. Durch die helle, scharfe, dunstlose Luft dringt aus den Tälern zuweilen der Schall einer Glocke, und harmlos flattern von Blüte zu Blüte schillernde Sommerfalter, balsamischen Honig und die Lüfte des Himmels trinkend.
Und nun durchs schöne Urachtal, am Fuße der Achalm vorbei, durch die alte Reichsstadt Reutlingen, die im Abendschimmer einer traulichen Ruhe genießt, durch die von Wein- und Waldbergen eingerahmte Musenstadt Tübingen über die schäumende Nagold nach den Höhen des Schwarzwaldes. »Am Fuße schwarzwäldischer Gebirge,« schreibt Kerner, »im Tale, durch das die Enz unweit ihres Ursprungs schon als ein beträchtlicher Waldstrom wild reißend zieht, entspringen die warmen Quellen des Wildbades aus Spalten zersprungener Granitfelsen. Diese Granitmassen, die hier den Grund der Enz und der Gebirge bilden, ragen bald als Felsen aus der Erde hervor, bald liegen sie in ungeheuren Blöcken als Geschiebe im Tale und im Bett der Enz zerstreut. Die Oberfläche der Gebirge ist rings mit großen, roten Sandsteinblöcken übersäet, die, wie aus der Erde gewühlt, lose daliegen und nirgends einen felsigen Zusammenhang zeigen. Sie sind jetzt noch das Spiel großer Wasserströmungen, die sie bei Gewittern und Wolkenbrüchen mit dumpfem Getöse weiterrollen. Größere Massen beharren in den dunklen Tannenwäldern, gleichwie in hohen Säulenhallen, als Grabsteine längst versunkener Jahrhunderte, auf ihrer Stelle. Sie sind mit Moos bekleidet, und aus den Spalten mancher wuchsen Tannen und Fichten hervor. Aus den Seitentälern und Schluchten strömen häufig Waldbäche, die sich in die Enz ergießen. Teils entspringen sie in den Gebirgen selbst, teils sind sie der Abfluß mooriger Strecken auf wilden, einsamen Ebenen der Gebirge. Überdies sprudeln viele tausend kleinerer Quellen vom reinsten und kältesten Wasser in den Höhen und Tiefen hervor, scheinen durch ihre Klarheit und Bläue den hier so sparsam zugemessenen Himmel ersetzen zu wollen und bringen in die einsame, selbst von Vögeln verlassene, gleichsam unterirdische Gegend Leben und Ton.« Ein tiefer Ernst lagert im allgemeinen auf den Höhen des Schwarzwaldes; riesige Tannen entwachsen dem mit Moosen, Farnkräutern, Heidel- und Preiselbeeren dicht bedeckten, immer beschatteten Waldboden, dessen farbenarme Flora nur durch einige schön blühende Pflanzen wie Fingerhut, Besenpfriem, Weidenröschen usw., jedoch nur an lichteren Stellen, unterbrochen wird. Der östliche Teil des Schwarzwaldes, also der württembergische Abhang, bildet eine weite, allmählich gegen Osten und zugleich gegen Norden sich abdachende Hochebene, in welche tiefe, enge Täler einbrechen, an ihren Steilgehängen mit losen Felstrümmern überlagert. Diese wilden, durch Seitentälchen und Schluchten vielfach geteilten Waldabhänge reichen bis zur Talsohle oder werden am Fuß mühevoll für die Landwirtschaft benützt. Dazwischen ziehen die schmalen, wiesenreichen Talebenen wie lichtgrüne Bänder durch den Wald und rufen einen freundlichen Gegensatz zu den dunklen Tannen hervor. Starke, klare, forellenführende Bäche, denen von beiden Seiten durch trümmerfelsenreiche, mit Farnkräutern hoch überwachsene Schluchten tosende kleinere zueilen, fließen rasch durch die Talebenen hin und bieten den Gewerben bereitwillig ihre Kräfte, was in der Landschaft des Schwarzwaldes einen hervorragenden Zug bildet; denn allenthalben trifft man die verschiedensten Wasserwerke, und auch in den entlegensten Tälchen, wo man menschliche Wohnungen nicht mehr vermutet, bringt noch eine Sägemühle Leben in den abgeschiedenen Wald. Überdies lagern zerstreut Holzmacher- und Flößerwohnungen malerisch in den Talgründen oder an den untersten Gehängen. Wie sich die Täler vom Herzen des Gebirges entfernen, werden ihre Sohlen breiter; ihre Gewässer erstarken, und freundliche Städte und Dörfer treten an die Stelle der Einzelwohnungen.«
Quelle: Das Königreich Württemberg. Herausgegeben vom Königl. statistisch-topographischen Bureau. Bd. 1. Stuttgart 1882.
Die herrliche Landschaft, die sich am Oberlauf der drei Flüsse Rhein, Donau, Neckar ausbreitet, wird vom Stamme der Alemannen oder Schwaben bewohnt, dessen Hauptvertreter die deutsch redenden Schweizer, die Elsaß-Lothringer und Badener, ferner die Bewohner Württembergs südlich von Heilbronn und Bayerns westlich vom Lech sind. Jene sprechen eine Mundart, die man als alemannisch (hoch- und niederalemannisch) zu bezeichnen pflegt, diese reden den etwas abweichenden schwäbischen Dialekt. In dem genannten Lande ist die Wiege von fünf bedeutenden Herrscherhäusern, dem der Staufer und Welfen, der Habsburger, Hohenzollern und Zähringer. Hier entfaltete sich frühzeitig unter römischem Einflusse eine höhere Kultur. Hier hat auch der Genius schon in alter Zeit die Flügel geregt. Denn die Bewohner sind hochbegabt mit Schätzen des Geistes, und mit reicher Phantasie begnadet. Die Dichtkunst hat von jeher bei ihnen eine Heimstätte gehabt. Dort wurde das erste, vollständig überlieferte, deutsche Epos, das Waltharilied, durch den Mönch Ekkehard von St. Gallen in lateinischen Hexametern aufgezeichnet; dort entstanden zur Blütezeit des Rittertums die höfischen Dichtungen Hartmanns von Aue und Gottfrieds von Straßburg, von denen jener durch seine Ritterepen Erek und Iwein die Artussage auf deutschen Boden verpflanzt hat, dieser in seinem Epos Tristan und Isolde das mächtig auflodernde Feuer gewaltiger Leidenschaft mit packender Naturwahrheit darstellt. Dort ließen die Minnesänger ihre Lieder erklingen. Auf schwäbischem Boden hat auch der Meistergesang die tiefsten Wurzeln geschlagen. Denn er wurde in Augsburg und Ulm, Straßburg und Kolmar, Freiburg und anderen Städten eifrig gepflegt und mit großer Zähigkeit festgehalten. Zu Ulm erlosch er erst 1839, zu Memmingen im Allgäu 1852. Als im 18. Jahrhundert die deutsche Dichtkunst eine neue Blüte erlebte, da war Württemberg mit hervorragenden Geistern wie Wieland und Schiller beteiligt; ihnen reihen sich in etwas späterer Zeit die Glieder des schwäbischen Dichterbundes würdig an, denen großenteils die Gabe heiterer, launiger und echt volkstümlicher Darstellung verliehen worden ist, vor allem Ludwig Uhland, der in seinen Dramen süddeutsche Helden wie Ernst von Schwaben und Ludwig den Bayer preist. Daß aber auch die jüngste Zeit in der Hervorbringung trefflicher Dichter nicht zurückgeblieben ist, lehren Männer wie Karl Gerok und Albert Knapp, die namentlich einen innigen, religiösen Ton anzuschlagen verstehen.
Aus alledem ergibt sich, daß die Neigung der Alemannen besonders auf das lyrische Gebiet gerichtet ist; für dieses befähigte sie einerseits die Tiefe des Gemüts und die Frische der Naivität, andererseits die Unmittelbarkeit der Empfindung und die Wärme des Gefühls am besten. Nächstdem haben sich die Alemannen mit Vorliebe der Epik zugewandt und darin Großes geleistet. Auf diesem Gebiete zeichnen sich namentlich die beiden sprachgewandten Züricher Gottfried Keller und Konrad Ferdinand Meyer aus, aber auch Josef Viktor Scheffel, der Schöpfer des »Trompeters von Säckingen« und des »Ekkehard«. Dagegen hat das Land mit einziger Ausnahme Schillers keinen großen Dramatiker hervorgebracht. Die Sprache der Alemannen hat manche Eigentümlichkeiten vor der anderer Stämme voraus. Schon zu Luthers Zeit wurden die Schwaben als crassilingues und duriloqui (dick- und hartzüngig) bezeichnet und ihre breite Aussprache der Vokale mit Spott und Hohn übergossen. Jetzt zeugt die Klangfarbe und Modulation der Stimme von der Gemütlichkeit und Herzlichkeit des ganzen Stammes; die vielen sch, die auch im In- und Auslaut vor t und p eintreten (z. B. in Kunscht, Poscht, Weschpe, wie schon bei Zwingli in Geischt, Gascht u. a.), atmen behagliche Breite. Charakteristisch ist der Mundart ferner die Nasalierung der Vokale, die zwar auch in anderen Gegenden des Südens beobachtet wird, aber hier ihren Hauptherd hat; für den rauheren Himmel des Schweizer Gebietes ist die starke Aspirierung des k (vgl. chalt, chrank, chrût, Kraut) besonders bezeichnend.
Was ferner die bildenden Künste anbetrifft, so zählen die Alemannen verschiedene hervorragende Repräsentanten; namentlich ist die Malerei trefflich vertreten, in älterer Zeit durch Hans Holbein den Älteren und den Jüngeren aus Augsburg, neuerdings durch Goethes Zeitgenossin Angelika Kauffmann, und durch geistreiche Männer wie Arnold Böcklin und Hans Thoma, die tiefer als andere das Wesen des Deutschtums erfaßt und mit dem Pinsel zum Ausdruck gebracht haben. Von Bildhauern aber ragt um Haupteslänge vor anderer hervor Dannecker, der Schöpfer der bekannten Schillerbüste und der herrlichen Ariadne auf dem Panther, die das Bethmannsche Museum in Frankfurt a. M. ziert.
Für die Stärke der alemannischen Phantasietätigkeit spricht auch die große Zahl von Sagen, die in diesem Lande entstanden sind. Wer denkt nicht mit Entzücken an die Heldengestalt eines Wilhelm Tell, die Schiller zu dramatischer Behandlung anregte, oder an die sagenumrankte Persönlichkeit Ernsts von Schwaben, die Uhland den Stoff zu seinem gleichnamigen Werke bot? Wer erinnert sich nicht der wackern Weiber von Weinsberg, die, von Kaiser Konrad III. begnadigt, um die Erlaubnis baten, mitnehmen zu dürfen, was sie tragen könnten, und nach Gewährung ihrer Bitte mit ihren Männern beladen die Stadt verließen, oder des urdeutschen Doktor Faust, der nach der besten Überlieferung im schwäbischen Orte Knittlingen das Licht der Welt erblickte? Wie der dänische Prinz Hamlet ein echter Typus niederdeutschen Wesens ist, so der oberdeutsche Professor das getreue Spiegelbild eines Schwaben. Eine andere Seite des alemannischen Geistes ist der Humor, der zwar nicht so reichlich sprudelt, wie an den Gestaden der Nord- und Ostsee, aber ebenso tief aus dem Herzen quillt. Sebastian Brants Narrenschiff und Thomas Murners Gauchmatt sind Zeugen der lebensfrohen Stimmung des Elsaß; Belege für die humorvolle Art der übrigen Schwaben geben die Schriften Abrahams a Santa Clara, deren derbkomische Ader aus der von Schiller übernommenen Kapuzinerpredigt hervorleuchtet, und Uhlandsche Balladen wie Graf Eberhart der Rauschebart, neuerdings Vischers Roman »Auch Einer« u. a. Entsprechend dem Dichterworte: »Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, gehört gewiß nicht zu den Besten«, haben die Bewohner des Landes auch von jeher Neckereien gegeneinander verübt. Verschiedene Orte sind durch ihre Schildbürgerstreiche berüchtigt. So erklärt sich die Mär von den sieben Schwabenhelden, sowie die weitverbreitete Kunde von den Schwabenstreichen und dem Schwabenalter. Aber durch wie viele treffliche Männer ist nicht das Wort, daß man am Neckar erst mit dem 40. Jahre gescheit werde, schon widerlegt worden! Hegel, Schelling und Tauler, Vischer und Zeller rühmen sich, aus Schwaben zu stammen, Männer mit hochstrebendem Sinn, wie Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus, Albertus Magnus und Joh. Kepler, sind ebenda zu Hause. Denn Grübeln und etwas in sich weiter Spinnen ist eine Lieblingsbeschäftigung des tief angelegten Stammes.
Kein Wunder, daß wir eine große Reihe von Erfindern aus dieser Landschaft zu verzeichnen haben. Mag auch das Schießpulver schon vor Berthold Schwarz bekannt gewesen sein, so hat dieser doch wohl das Verdienst, das staubförmige körnig gemacht zu haben. Daher wurde es auch in den großen schwäbischen Städten Straßburg, Ulm und Augsburg zuerst verwendet. Ebenso tritt in jener Gegend frühzeitig die Holzschneidekunst auf; denn der erste datierbare Holzschnitt, der heilige Christoph aus dem Jahre 1423, ist in einer Kartause bei Memmingen gefertigt worden. Desgleichen begegnet uns der Kupferstich am frühesten (um 1440) im südwestlichen Deutschland. Ferner stellte ein Württemberger zuerst das Ozon und die Schießbaumwolle dar, ein Elsässer (Steinheil) konstruierte den Nadeltelegraphen und die galvanischen Uhren. Robert von Mayr war der Entdecker des Wärmeäquivalents, Karl von Drais der Erfinder der nach ihm benannten Draisine, der Vorgängerin von unserm Zweirad, und Wilhelm Bauer lehrte durch die Hebung des Bodenseedampfers Ludwig seine Landsleute das Tauchwerk.
Was sodann die Religion anbelangt, so hat der Alemanne von jeher ein inniges Verhältnis zu seinem Gott gesucht. Frühzeitig fand die Reformation in jener Gegend Eingang, aber weil die Bewohner besonders individualistisch angelegt sind, neigten sie dazu, auch hier ihre eigenen Wege zu gehen und sich von anderer Menschen Weise zu trennen. Seit Jahrhunderten war das schwäbische Land der beste Nährboden für das religiöse Sektenwesen, von den Brüdern des freien Geistes an, die im 13. Jahrhundert besonders in Straßburg vertreten waren, bis zu den Methodisten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts dort großen Anhang fanden.
Und wie auf dem Gebiete des Glaubens, so liebte man persönliche Freiheit auch auf dem der Politik. Zwar hatte in der erregten Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Gedanke des Bundesstaates seine festeste Stütze im südwestlichen Deutschland, wo Pfister, Welcker und Gervinus tätig waren und die Deutsche Zeitung erschien, aber im übrigen zeigt sich dort wie in Franken mehr das Streben nach Dezentralisation und politischem Liberalismus. Daher gab es hier die meisten freien Städte, daher zeigt sich der Haß gegen Tyrannen selten so groß als bei Männern wie Daniel Schubart und dem jugendlichen Schiller, daher hat sich die Wut gegen den Unterdrücker selten so ungestüm entladen als bei den Landleuten eines Tell und Winkelried. Und hatte nicht in Schwaben der arme Konrad und der Bundschuh einen starken Rückhalt, lebte dort nicht Götz von Berlichingen, der Anführer der aufrührerischen Bauern, die »vor Pfaffen und Adel nicht genesen mochten«? Schickt nicht noch jetzt Württemberg die meisten Vertreter der süddeutschen Volkspartei in den Reichstag?
Daß aber mit der Freiheitsliebe Tapferkeit gepaart ist, hat sich seit alter Zeit gezeigt. Schon im Annoliede hießen die Schwaben wîchaft, d. h. tüchtig im Kampfe. In jener Gegend, wo der Glanz des staufischen Kaiserhauses erstrahlte, erlebte das Rittertum seine höchste Blüte. Und wie die Staufer die meisten Kreuzzüge und Romfahrten unternommen haben, so galten auch die Schwaben für so wehrhaft und streitbar, daß sie die Vorfechter des Reichsheeres bildeten und das Vorrecht genossen, immer das erste Banner in den Kampf zu tragen, eine Ehre, die bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts bei Württemberg verblieben ist.
Stark entwickelt ist auch der Gewerbsinn. In alter Zeit war daher der Stamm von großer Wanderlust beseelt. Ulmer, Augsburger, Züricher und Baseler Kaufleute zogen durch einen großen Teil von Europa. »Schwaben und bös Geld führt der Teufel in alle Welt«, sagt der Volksmund, oder mit einer anderen Lesart: »Ulmer Geld geht durch die ganze Welt.« Demselben Erwerbstrieb entspringt das Reislaufen der Schweizer Landsknechte, die in allen Armeen zu finden und für Geld (Kein Kreuzer, kein Schweizer) überallhin zu haben waren. Jetzt ist das alles anders geworden, aber noch immer kann man beobachten, daß die rührigen Leute in Italien und im Orient zahlreich als Gastwirte auftreten und sich auch an anderen Unternehmungen des Auslandes tatkräftig beteiligen. Nicht minder hat in der Heimat von jeher Handel und Industrie geblüht. Augsburg und Ulm waren im Mittelalter hochbedeutsame Kaufplätze. Hier erwarben sich die Fugger und Welser, namentlich durch den Handel mit Pfeffer, Zimt und anderen Gewürzen, die aus dem Morgenlande über Venedig oder Genua kamen, ihre großen Reichtümer, hier entstanden auch die ersten Obstbaumpflanzungen und Gartenanlagen, dank der Pflege von wohlhabenden Patriziern, wie der Familie Hochstetten. Gleichfalls früh läßt sich in schwäbischen Landen Bienenzucht und Weinkelterei nachweisen. Als der heilige Columban um 600 das Land betrat, fand er noch das Bier vor und bemerkte, daß man damit dem Wodan Trankopfer darbrachte, aber bald wich dieses vor der Gabe des Bacchus zurück, und es dürfte zweifelhaft sein, welches der beiden Getränke bei dem in Schwaben heimischen Ausdruck »saufen wie ein Bürstenbinder« gemeint ist.
Von Industriezweigen ist die Weberei schon jahrhundertelang in Augsburg und Ulm, die Seidenfabrikation in Zürich vertreten; jetzt aber gedeiht überdies die Spinnerei und Färberei zu Mülhausen im Elsaß und anderwärts, der Maschinenbau zu Eßlingen, die Verarbeitung von Edelmetallen zu Pforzheim und Heilbronn, die Strohflechterei, Uhren- und Bürstenindustrie auf dem Schwarzwalde. In wenigen Gegenden ist ferner die feine Handstickerei so verbreitet als in Appenzell und anderen Schweizer Kantonen; auch darf der Buchhandel Stuttgarts nicht gering geschätzt werden; denn diese Stadt stellt sich Leipzig und Berlin würdig zur Seite. Nur die Alemannen verstehen denjenigen Käse herzustellen, der unter dem Namen Schweizer oder Emmentaler durch die ganze Welt geht; daher bezeichnet man auch einen der Molkerei Kundigen geradezu mit Schweizer. In Schwaben züchtet man endlich die Ulmer Doggen und die Leonberger Hunde, jene Mischrasse zwischen Neufundländer und Bernhardiner.
Aus: O. Weise, Die deutschen Volksstämme und Landschaften. 2. Aufl. Leipzig 1903, B. G. Teubner.
Zwischen Lyon und dem Genfer See zweigt sich von den Alpen ein langgestreckter Gebirgszug ab, der als Jura bekannt ist, eine Bezeichnung, die sich vornehmlich in der Geologie völlig eingebürgert hat. Der Jura schlägt zunächst eine ausgesprochene Nordostrichtung ein, biegt aber dann in der Nachbarschaft des Donauknies nach Norden um und endet schließlich am Fichtelgebirge, wobei er zweimal eine entschiedene Unterbrechung seines Zusammenhanges erleidet, einmal im Vulkangebiet des Hegau, dann im Kessel des Nördlinger Ries. Durch diese auffälligen Lücken wird der Jura in die drei natürlichen Abschnitte des Schweizer, Schwäbischen und Fränkischen Jura zerlegt, von denen die beiden letzten auch als Deutscher Jura zusammengefaßt und dem Schweizer Jura gegenübergestellt werden, da sie in ihrer Oberflächengestaltung wesentlich von ihm abweichen. Zwar ist hier wie dort die Gesteinszusammensetzung die gleiche, aber der Schweizer Jura ist ein ausgeprägtes Faltengebirge mit einer Reihe paralleler Ketten, weshalb er auch Ketten- oder Faltenjura heißt. Der Deutsche Jura dagegen ist ein typisches Plateaugebirge mit ganz sanft geneigten Gesteinsschichten und welliger Oberfläche, ein massiger, breitrückiger Kalkklotz, der statt des schwer entwirrbaren Kamm- und Tallabyrinthes des benachbarten Schwarzwaldes die einfache Tafelform zeigt und deshalb auch mit Recht als Tafeljura bezeichnet wird.
Die Schwäbische Alb – d. h. nach dem keltischen alp = Höhe wohl Berg oder Bergweide – ist also nur ein Teil, und zwar der mittlere Teil des gesamten Jura. Sie dehnt sich zwischen dem Rheinfall von Schaffhausen und dem Ries in nordöstlicher Richtung aus und zieht sich als eine gewaltige Mauer von 210 km Länge und rund 40 km Breite zwischen Württembergs Hauptflüssen, Neckar und Donau, quer durch Schwaben und Hohenzollern und nimmt nicht bloß bezüglich ihrer Lage, sondern auch nach ihren Höhenverhältnissen eine Mittelstellung ein. Der Jura wird nämlich von der Rhône bis zum Fichtelgebirge immer niedriger, und diesem allgemeinen Gesetz folgend, dacht sich die Alb von Südwest nach Nordost hin ab, weshalb man sie gewöhnlich in die Obere, Mittlere und Untere Alb gliedert.
Die Alb läßt jedoch nicht nur in ihrer Längserstreckung, sondern auch senkrecht dazu von Nordwest und Südost eine Abdachung erkennen, sodaß die Hauptentwässerungsrichtung zur Donau verläuft, während dem Neckar meist bloß kleinere Zuflüsse zueilen. Neckar- und Donauseite sind jedoch sehr verschieden voneinander, und darum ist es vom landschaftlichen und geographischen Standpunkt aus viel mehr angebracht, statt Oberer, Mittlerer und Unterer Alb die Neckarseite, die Donauseite und die Hochfläche der Alb zu unterscheiden.
Nur von Norden aus gesehen, macht der Schwäbische Jura einen gebirgshaften Eindruck, indem er als mächtiger Wall zum Neckarland abstürzt und, nach oben immer steiler werdend, in einem weißen, festungsartigen Felskranz endet. Die Mauer gewährt deshalb einen imponierenden Anblick, weil sie in einem Zuge 400 bis 500 m tief abbricht, ein Steilabfall, wie er in solcher Höhe bei keinem andern deutschen Mittelgebirge wiederkehrt. Nur die Schutthalden, welche die abgerollten Trümmermassen aufgehäuft haben, verhüllen weiter abwärts mit ihrem dichten Waldkleid ausgleichend und mildernd die an frischen Abbröckelungsflächen reichen Steilwände. Der immerhin nicht unbeträchtliche Höhenunterschied, der im landschaftlichen Bild den Ausschlag gibt, wird dadurch bewirkt, daß der Neckarspiegel viel tiefer als der Donauspiegel und der Neckarrand der Alb viel höher als die Donauseite liegt. Denn die mittlere relative Höhe der Alb gegen den Neckar beträgt 360 m, gegen die Donau nur 125 m. Die Neckarseite ist somit die Stirnseite der Alb und erscheint wegen ihrer überreichen Gliederung als das ausdrucksvollere Antlitz des mit sanfterer Lehne zur Donau abgedachten Gebirges. Von der Felsmauer laufen nämlich Vorsprünge und Klippen aus, die meist nur durch schmale Grate mit dem Hauptkörper zusammenhängen oder völlig losgelöste Vorposten sind und wegen ihrer schweren Zugänglichkeit die natürlichen Bollwerke für längst verfallene Befestigungen darstellen. Zu ihnen gehört der kegelförmige Hohenzollern (855 m) mit seiner im alten Glanz wieder aufgebauten Kaiserburg, der sargdeckelähnliche Farrenberg bei Mössingen, der weithin im Unterland sichtbare Spitzkegel der Achalm (705 m), die stattliche Bergfeste Neuffen und die Teck (775 m) mit ihrem hochragenden Turm. Zwischen Göppingen und Gmünd stehen als beherrschende Schildwachen drei weitere nachbarliche Einzelberge, der seiner stolzen Burg im Bauernkriege beraubte Hohenstaufen (683 m), der Stuifen und zwischen beiden mit Kirche und Burgruine der Rechberg (706 m). Jenseits des kühnen, ebenfalls ruinengekrönten Rosensteins verliert die Alb plötzlich viel von ihrer Eigenart. Der Steilrand zieht einförmig dahin, bis endlich der Ipf, bekannt durch den auf ihm abgehaltenen Jahrmarkt, die Ipfmesse, samt den kurz berasten Buckeln seiner Umgebung den Blick auf das weite Riesbecken öffnet.
Gar manches dieser Felshäupter hat eine hohe geschichtliche Bedeutung gehabt. Denn auf der Alb steht die Wiege der hervorragendsten deutschen Fürstengeschlechter, der Hohenstaufen, Hohenzollern und mütterlicherseits (auf dem Oberhohenberg) auch der Habsburger. Andere dieser isolierten Vorberge und Vorsprünge, wie Lochen, Farrenberg, Roßberg und Rosenstein, dienten in vor- und frühgeschichtlicher Zeit als Opferstätten, bis später christliche Heilige sich auf den alten Opferplätzen niederließen und dort ihre Wallfahrtskirchen erhielten. Wieder andere Kalkklötze wurden wegen ihrer beherrschenden Lage in vorrömischer und altgermanischer Zeit zur Errichtung von Volksburgen und Ringwällen benutzt, deren man auf der Alb mindestens 50 kennt, vor allem die alte Felsenfestung des Ipf, die Heuneburgen auf der Donauseite und als größte den eine Fläche von 40 qkm umfassenden Heidengraben mit seinen beiden letzten Zufluchtsstätten, dem Neuffen und Beurener Fels. Vielfach findet man noch die Reste der alten Gräben und Wälle, hinter denen in Kriegszeiten der ganze Stamm mit seinen Herden und seiner Habe Zuflucht fand, und bei gar manchen sind die Trümmer römischer Befestigungen nachweisbar, zum Zeichen stattgehabter Belagerung der Eingeschlossenen, denen durch die jäh abstürzende Talwand meist der Rückzug abgeschnitten war. Das Mittelalter hinterließ seine Spuren in zahlreichen Kirchen und Ritterburgen, die noch heute ins Neckarland hinabschauen und auch auf den Hügeln der Albhochfläche oft angetroffen werden. Sie müssen der Alb einst einen prächtigen Anblick verliehen haben.
Abgesehen von den Felshalbinseln und Einzelbergen hat die Verwitterung die oberen Ränder des Plateaus in vielfachster Weise ausgekerbt und die Wände angenagt. Das fließende Wasser arbeitete die Schluchten weiter aus und verwandelte sie in zwar nur kurze, aber schmale Täler, die als Täler der Stirnseite viel tiefer eingeschnitten sind als die Lehnentäler der donauwärts gerichteten Abdachung. Mit ihren Obsthainen und frischgrünen Wiesen, mit den stattlichen Buchenwäldern an den schroffen Gehängen und den klaren, ohne große Krümmungen rasch dahineilenden Bächen am Grunde gehören die Täler des Nordwestrandes zu den schönsten Gegenden unseres Gebirges und machen einen unvergeßlichen Eindruck, wenn sie zur Zeit der Obstblüte mit einem weißen Blütenmeer überschüttet sind. Die Neckarseite hat man deshalb auch stets im Auge, wenn man von den landschaftlichen Schönheiten der Alb spricht.
Ganz anders stellt sich die Alb von Südost aus dar, weil Sie hier viel allmählicher abfällt und weil die Donau, gegen die sie mit einem bescheidenen Steilrand abbricht, streckenweise in den Albkörper eingeschnitten ist, während er vom Neckar stets durch ein mehr oder minder breites Vorland getrennt wird. Da ferner das Donautal schon ziemlich hoch über dem Meeresspiegel liegt, so erscheint die Alb von Oberschwaben aus als ein unscheinbarer, kaum gebirgsartiger Höhenzug mit sanften Linien und geringer Gliederung. Bloß in den malerischen Durchbruchsstrecken der Donau und in den mit steilem Rande in die Hochebene eingegrabenen Lehnentälern verraten die zackigen Felsklippen die wahre Natur des Gebirges. Ebenso fehlen im Süden die für den Norden so charakteristischen Vorberge, mit Ausnahme des abgelegenen, noch dazu durch die Donau getrennten Bussen, der indes wegen seiner tertiären Gesteinsschichten eher zum Alpenvorland als zur Alb zu zählen ist.
Hat man nach steilem, viel gewundenem Aufstieg den Albrand erklommen, so endet er und mit ihm der zusammenhängende Buchenwald plötzlich und unvermittelt an einer ausdruckslosen Hochfläche, die ein völlig anderes Landschaftsbild darbietet. Man glaubt sich gar nicht mehr auf einem Gebirge zu befinden, ebensowenig wie man auf einer tafelgleichen Hochebene steht, da sich hügelige Erhebungen und flache Mulden unaufhörlich aneinanderreihen, den Wellenbergen und Wellentälern einer bewegten Wasserfläche vergleichbar. Auf die Dauer wirkt diese wenig abwechselungsvolle Landschaft ermüdend und einförmig, so daß sie zu den minder anmutenden Gegenden Deutschlands gehört. Steinbesäte Felder und magere, kurzberaste Schaftriften verleihen vielen Gebieten des Albplateaus ein ärmliches, melancholisches Gepräge. Andererseits fehlt es auch nicht an fruchtbaren, korn- und obstreichen Strichen, an trefflichen Viehweiden und stattlichen Waldflecken. Namentlich der schwere Lehmboden der Geislinger und Ulmer Alb trägt unabsehbare Getreidefelder, wie überhaupt unser Gebirge nur an verhältnismäßig wenigen Stellen jenen trostlosen Anblick gewährt, der oft und sehr mit Unrecht der gesamten Albhochfläche angedichtet wird. Immerhin ist sie ein eintöniges, von der anheimelnden Neckarseite und von mehreren idyllischen Gegenden der Donauseite grundverschiedenes Gebiet. An diesem Gesamteindruck vermögen weder die aufgesetzten Einzelerhebungen, z. B. der wie aus der Drehbank geschnitzte Kornbühl (886 m) mit der Salmendinger Kapelle, etwas zu ändern, noch vermögen es die Täler, weil sie so jäh ins Plateau eingegraben sind, daß man sie meist erst bemerkt, wenn man unmittelbar an ihrem Rande steht.
Eine nicht geringe Schuld an der Eintönigkeit, der weniger großen Fruchtbarkeit und der dünnen Bewohntheit der Hochfläche trägt der Wassermangel. Zwar ist die Jahressumme der Niederschläge durchaus nicht unerheblich, im Gegenteil, die Alb empfängt als eines der regenreichsten Gebiete Württembergs viel mehr Feuchtigkeit als das Unterland. Allein der sie aufbauende Kalkstein ist so stark zerklüftet, daß er den Regen und den schmelzenden Schnee rasch aufschluckt und durch Spalten in unterirdische Hohlräume leitet. Erst tief unten am Gebirgsfuß oder dort, wo eine undurchlässige Toneinlagerung das Wasser am Weiterversinken hindert und ebenso viele Quellhorizonte bildet, als Toneinlagerungen vorhanden sind, oder dort, wo vulkanische Tuffe das Wasser aufhalten und als wahre Quellenfänger bevorzugte Siedelungsstellen darbieten, kommt das lebenspendende Naß wie im Muschelkalk in Gestalt zahlreicher Quellen wieder ans Tageslicht. So massenhaft daher am Abfluß das Wasser sprudelt, so sehr fehlt es der Hochebene. Fließendes Wasser ist dort auf weiten Flächen überhaupt nicht anzutreffen, und die unerwünschte Trockenheit wird um so größer, als die spärliche Erdkrume die Feuchtigkeit nicht lange festhält. Das wenige, das selbst von starken Regengüssen an der Oberfläche zurückbleibt, wird durch die Verdunstung rasch aufgezehrt.
Unter solchen Verhältnissen mußten sich die Albbewohner lange mit dem Regen begnügen, den sie in Zisternen und »Dachbrunnen« auffingen, und als Viehtränken dienten die Hülen oder Hülben, flache, mit Lehm ausgekleidete Vertiefungen, in denen die Niederschläge aus den Dorfgassen zusammenliefen, um rasch einen widerlichen Geruch und Geschmack und eine schmutzige Farbe anzunehmen. Oft mußten die Leute mit ihren Wassertonnen die tiefen Täler aufsuchen und das wertvolle Naß stundenweit auf steilen, bei Glatteis gefährlichen Wegen auf die Höhe schaffen: ein ebenso umständliches als kostspieliges Verfahren. Diesem Mangel hat man jetzt durch das großartige Werk der Albwasserversorgung abgeholfen, das seit 1870 auf Gemeinde- und Staatskosten nach und nach für die ganze Alb durchgeführt worden ist. Die schwierige Aufgabe hat man durch Anlage von Pumpwerken zu lösen begonnen, die teils mit Dampfkraft, größtenteils aber durch die Wasserkraft der Flüsse selbst das frische Quellwasser der Talgründe auf die Höhe treiben. Dort wird es in mächtigen Behältern gesammelt und von diesen aus unter natürlichem Gefäll durch ein 350 km langes Röhrennetz meilenweit in die Dörfer und auf die Felder geleitet. Über 100 Gemeinden auf einer Fläche von 1800 qkm mit 50 000 Einwohnern erhalten auf diese Weise gutes und reichliches Wasser und erfreuen sich einer bequemeren Wasserzufuhr als viele Orte des Unterlandes. Die Verteilung erfolgt durch 1600 Hydranten, zu denen noch 7000 Hausleitungen kommen.
Da das Wasser seine Wege von der Oberfläche der Alb ins Innere verlegt, so verlegt es dorthin auch seine ausnagende und auflösende Tätigkeit. Darum zeigt das Plateau die sogenannten Karsterscheinungen: unterirdische Flüsse, Höhlen, grubenartige Einsenkungen oder Dolinen, Einbrüche von Höhlendecken oder Erdfälle, Trockentäler mit ungleichmäßiger, weil nicht mehr vom Wasser benutzter Sohle, Hungerbrunnen und endlich in der Tiefe die mächtigen Quellen.
Die weitgehende Zerklüftung und Auslaugungsfähigkeit des Kalksteins begünstigt die Ausarbeitung der in jedem Kalkgebirge so häufigen Höhlen. In ihrer Entstehung sind sie an die kreuz und quer verlaufenden Gesteinsspalten gebunden, die das eindringende Wasser immer mehr erweitert und vertieft. Man zählt im Fränkischen Jura über 30, in der Alb über 70 größere Höhlen. Die längsten von ihnen sind die Charlottenhöhle (510 m) und die Falkensteiner Höhle (443 m) bei Urach, während durch Hauffs Lichtenstein und durch das an jedem Pfingstmontag stattfinde Volksfest die 200 m lange Nebelhöhle bei Pfullingen am bekanntesten geworden ist. Das Wasser, das die Höhlen schuf, hat sie auch mit Kalksintern und wunderbaren Tropfsteinbildungen, den Stalaktiten und Stalagmiten überzogen, indem der im herabtropfenden Wasser aufgelöste kohlensaure Kalk sich beim Verdunsten ausschied und erhärtete. Alle diese Höhlen sind ferner die Grabstätten einer längst verschwundenen Tierwelt, und Funde von Gerippen und Gegenständen des Schmuckes oder des täglichen Gebrauchs haben dargetan, daß einst auch der Mensch in diesen natürlichen Wohnungen eine Zufluchtsstätte suchte.
Die eigentümlichen Hungerbrunnen sind Quellen, die nur zeitweilig, dann allerdings sehr reichlich fließen, nämlich meist in nassen Jahren, weil dann die unterirdischen Hohlräume den Zufluß nicht mehr fassen können und ihn durch Spalten heberartig an die Oberfläche entleeren. Da nasse Jahre auf der Alb unfruchtbare Jahre bedeuten, so kündigen diese periodischen Quellen Mißwachs an und haben deshalb die Bezeichnung Hungerbrunnen erhalten, z. B. die Hungerbrunnen bei Fridingen, die Springwasser des Lonetals und der Bröller bei Hausen im Laucherttal, so genannt wegen des brausenden Geräusches, mit dem sein Wasser nach starken Niederschlägen ausbricht.
Die Trockentäler endlich lassen schon durch ihre große Zahl auf die Wasserarmut des Albplateaus schließen. Wohl sieht man häufig ein vielverzweigtes Netz solcher Täler, die unbedingt vom fließenden Wasser ausgearbeitet worden sind. Jedoch der Bach hat heute seinen Weg ins Erdinnere verlegt, und sein altes Bett führt höchstens während der Schneeschmelze oder nach heftigen Regengüssen für kurze Zeit etwas Wasser. Sehr viele Donauzuflüsse der Alb beginnen als Trockentäler, in denen erst ein gutes Stück weiter abwärts aus unterirdischen Zuleitungsadern ein kräftiger Wasserlauf zum Vorschein kommt, weshalb man die Trockentäler mit den dürren Spitzen eines vielästigen Baumes verglichen hat.
So trocken die Albhochfläche ist, so außerordentlich quellenreich sind die Gehänge und die tief eingeschnittenen Randtäler. Die meisten Neckarzuflüsse rinnen aus zahllosen gewöhnlichen Quellen zusammen. Die Donauzuflüsse dagegen entspringen aus mächtigen Quelltöpfen oder Kesselquellen, die sofort nach ihrem Austritt aus der Felswand ein Mühlrad in Bewegung setzen und eigentlich nichts anderes als die Ausmündungen fertig gebildeter Höhlenflüsse sind. Der berühmteste und schönste dieser rundlichen, weiherartigen Töpfe, deren Wasserfülle auch im Hochsommer kaum merklich nachläßt, ist der tiefblaue, 23 m tiefe und 123 m im Umfang messende, sagenreiche Blautopf bei Blaubeuren, der in der Minute 2800-3000 hl Wasser liefert und fast ganz allein die bei Ulm mündende Blau speist. Drei andere Quellen dieser Art, schlechthin Urspring genannt, geben bei dem früheren Kloster Urspring der Schelklinger Aach das Leben. Die Brenz entspringt ebenfalls aus drei mächtigen Kesselquellen, die in der Sekunde zusammen 12 hl Wasser entsenden und sofort das Hammerwerk von Königsbronn treiben. Man braucht sich diese ungeheure Wassermenge – täglich 1 Million hl – nur vorzustellen, um die hohe Bedeutung der Brenz für die dort lebhaft aufgeblühte Industrie zu verstehen.
Auf der Alb verläuft ein Teil der europäischen Wasserscheide zwischen Rhein und Donau, zwischen Nordsee und Schwarzem Meer, und da sie sich stets in unmittelbarer Nachbarschaft der Neckarseite hält, so empfängt die Donau den Löwenanteil des vom Gebirge abrinnenden Wassers. Viele Alborte liegen so genau auf der Wasserscheide, daß die Dachtraufe der einen Häuserreihe das Wasser in die Donau, die der anderen Straßenseite zum Neckar abfließen läßt. Zum Unterschied von den munteren, klaren Neckarzuflüssen schleichen die das Albplateau seiner ganzen Breite nach durchziehenden Lehnenflüsse auf flachem Wiesengrunde wegen des mangelnden Gefälls in schlammigen, von Wasserpflanzen überwuchertem Bett trägen, vielgewundenen Laufes zur hochgelegenen Donau. Ihre Täler, obwohl ebenfalls als Steilschluchten in den Albkörper eingegraben, sind viel weniger tief als die Täler der Neckarseite. Sie sind auch weit anspruchsloser und stiller als diese, ohne jedoch durchaus aller Schönheiten bar zu sein.
Die Alb bildet keine Wasserscheide im strengsten Sinne des Wortes. Einmal ist letztere wegen des Karstcharakters wiederholt ins Gebirgsinnere verlegt, und dann wird die Alb von mehreren Flüssen, namentlich von der oberen Donau und der das Ries durchströmenden Wörnitz, in ihrer ganzen Breite durchbrochen. Merkwürdig ist auch die verkehrsgeographisch hochwillkommene Erscheinung, daß von Norden und Süden her vielverzweigte Talsysteme tief in den Albkörper eingreifen und einander oft so nahe kommen, daß sie eine niedrige oder ganz unmerkliche Schwelle, eine Talwasserscheide oder ein Furchenpaß, eher verbindet als trennt. Am deutlichsten zeigt sich das Entgegenkommen solcher die Alb fast völlig durchbrechender und deshalb seit alters dem Verkehr dienstbar gemachter Doppeltäler im Kocher- und Brenztal. Hier läuft die Landstraße und die von dem wichtigen Knotenpunkte Aalen nach Ulm führende Eisenbahn in derselben Talfurche von einem Fluß zum andern, weil zwischen beiden nur eine flache Talwasserscheide liegt. Auch ins Jagst- und Remstal kann man von hier aus bequem gelangen.
Der Gegensatz zwischen Albrand und Albhochfläche kommt auch anthropogeographisch aufs schärfste zur Geltung. Klimatisch gehört das Plateau wegen seiner hohen, freien Lage zu den rauhesten Gegenden Schwabens. Schutzlos den kalten Winden preisgegeben, wird seine Temperatur erniedrigt, und der strenge, schneereiche Winter hält 5-7 Monate an, sodaß seine Schneemassen noch lange ins Unterland hinabschauen, während der spät geerntete Hafer zuweilen im Schnee verloren geht und häufige Frühlings- oder Herbstfröste den zarteren Gemüsen und Gartengewächsen Schaden bringen. Daher geht die mittlere Jahrestemperatur der Alb nicht über 6,7° C hinaus.
Unter solchen Umständen ist die Alb dem Weinbau verschlossen, weil die Rebe mindestens 9° C jährliche Mittelwärme verlangt. Auch der Obstbau, obwohl im Zunehmen begriffen, ist mühsam und noch nicht bedeutend, weil die besseren Sorten das rauhe Klima nicht recht vertragen. Die Blütezeit verspätet sich gegen den Gebirgsfuß um 7-17 Tage, und die Getreideernte beginnt meist erst in der zweiten Hälfte des August, d. h. 2-3 Wochen später als im Unterland. Doch erfreuen sich die niedrigeren, der Sonne zugekehrten Plateauflächen der südöstlichen Abdachung, insbesondere Hochsträß, Ulmer und Geislinger Alb, eines wärmeren Klimas und gehören mit zu Württembergs Kornkammern. Noch üppiger sind die geschützten, wasserreichen Randtäler, die mit ihren Wiesen, Obsthainen und Weinbergen den lachenden Fluren des Neckarlandes gleichen und einer wohlhabenden Bevölkerung Nahrung und Wohnung geben.
Der ohnehin weniger fruchtbare Kalkboden der Hochfläche wird durch seine Trockenheit, seine dünne Humusdecke und das Klima noch unergiebiger gemacht. Der Pflug bringt eine Menge bleicher, löcheriger Kalkbrocken zutage, deren größere zu niedrigen Wällen und Haufen aufgeschichtet werden, während man die kleineren liegen läßt, weil sie die Feuchtigkeit festhalten, durch Aufnahme der Wärme die Reife befördern und die Krume, vom Älbler »Fleins« genannt, vor der Gewalt des Windes schützen. Ein solcher steinbesäeter Acker mit seinen spärlichen Halmen bietet einen ganz anderen Anblick dar als die wogenden Getreidefelder des Unterlandes. Durchaus verschieden vom feinpulverigen, kohlschwarzen Fleinsboden ist der Lixboden, ein schwerer Lehmboden, der als unlöslicher Rückstand des aufgelösten Kalksteins auf dem Plateau viel weiter verbreitet ist als jener und gute Frucht trägt, wie überhaupt immer wieder der unrichtigen Anschauung entgegengetreten werden muß, daß die Alb einer der ödesten Striche Deutschlands sei, auf dem es bloß kümmerliche, steinige Felder gäbe.
Die trockenen Hochflächen dienen ferner zur Viehweide, deren Pflanzen auf dem durchwärmten Kalkgrund sehr gewürzhaft werden und ein vorzügliches Futter liefern. Von der Viehzucht hat vornehmlich die Schaf- und Pferdezucht und im Ries die Gänsezucht Bedeutung.
Jedenfalls ist die Landwirtschaft die Hauptbeschäftigung der Älbler; doch vermag sie, trotzdem sie etwas mehr als den eigenen Bedarf deckt, mit Ausnahme des sehr geschätzten Albhafers, nicht allzuviel nach auswärts zu liefern. Andererseits freilich sind auch die Bedürfnisse der Albbauern gering. Der Kaffee hat z. B. in vielen Alborten erst seit dem Hungerjahr 1817 Eingang gefunden, da er das billigste Nahrungsmittel war.
Der Prozentsatz der handel- und gewerbetreibenden Bevölkerung ist sehr gering, und die Industrie ist, abgesehen von der lebhaften Zementgewinnung, wenig entwickelt, weil die Hochfläche im Gegensatz zu den von einer gewerbtätigen Bevölkerung dicht besiedelten Höhen des Schwarzwaldes und Erzgebirges weder genügende Wasserkräfte, noch ausgedehnte, Heizmaterial liefernde Waldungen oder zur Verarbeitung geeignete Rohstoffe besitzt. Damit fehlen aber die unerläßlichen Vorbedingungen für eine auf Massenerzeugung gerichtete Fabriktätigkeit, sodaß bloß die als Hausindustrie betriebene Leinwandweberei Fuß gefaßt hat. Sie besitzt ihr Hauptverbreitungsgebiet in Laichingen (3000 Einwohner) und Gerstetten (Oberamt Ulm).
Bei der Kärglichkeit der Albnatur, bei der Unergiebigkeit ihrer Hilfsquellen und bei den unbedeutenden Verkehrsbeziehungen kann die Bewohnerzahl der Albhochfläche nur gering sein. Sie gehört zu den dünnst besiedelten Landschaften Württembergs, wobei auf der Nordseite die Protestanten, auf der Südseite die Katholiken wohnen. Auf 1 qkm entfallen in ziemlich gleichmäßiger Verbreitung nur 46-50 Menschen. Die nicht besonders reichlich vorhandenen, weil an die wenigen Quellen gebundenen Dörfer liegen weit auseinander und sind durch langweilige, mit Vogelbeerbäumen bepflanzte Straßen verbunden. Ihre meist einstöckigen, zuweilen noch strohgedeckten Häuser sind aus Mangel an Bauholz vorherrschend aus dem überall anstehenden Kalkstein errichtet, und um die winterlichen Schneemassen leichter abrollen zu lassen, reicht das steil geneigte Dach tief herab, so daß die Zimmer oft nicht viel über mannshoch sind. Das Haus zeigt die alemannische Bauweise, indem sämtliche Wohn- und Wirtschaftsräume unter einem Dache ruhen.
Weil es auf der Höhe kein Lockmittel des Handels und Verkehrs gibt, so fällt eine wichtige Ursache zur Städtebildung und zur Entstehung eines das ganze Gebirge beherrschenden Siedelungsmittelpunktes weg. Deshalb finden sich außer den nüchternen Dörfern, die gewöhnlich an einem den Wind fernhaltenden Hügel oder in einer geschützten Vertiefung angelegt sind, und die sich mit den behäbigen, im Grün versteckten Taldörfern in keiner Weise messen können, nur sehr wenige städtische Siedelungen und Gemeinden über 2000 Einwohner, wie die hohenzollernschen Flecken Gammertingen und Trochtelfingen und die württembergischen Münsingen (2000 Einwohner), Hayingen und das Pfarrdorf Laichingen. Münsingen beginnt auch erst neuerdings durch Einbeziehung in das Eisenbahnnetz, durch Erschließung reicher Zementlager und durch die Nähe eines Truppenübungsplatzes aus einem bescheidenen Landstädtchen zu einem größeren Verkehrsplatz heranzuwachsen.
Um so dichter besiedelt und um so reicher mit Städten ausgestattet sind die geographisch begünstigten Randtäler als Sitze einer regen Fabriktätigkeit. Allerdings gibt es auch hier, außer Heidenheim (12 200 Einwohner), bloß kleine Städte, vornehmlich längs der talreichen Neckarseite der Alb, wo sich diese Randstädte nur schwer von den im Albvorland gelegenen Städten des Neckarlandes trennen lassen, während die talärmere Donauseite auch städteärmer ist. Alle diese Orte verdanken ihr Aufblühen der durch die billigen Wasserkräfte ermöglichten und geförderten Industrie und der leichteren Erreichbarkeit durch die modernen Verkehrsmittel.
Dank den überreichlich vorhandenen Wasserkräften hat sich im gesamten Brenztal eine sehr lebhafte Gewerbtätigkeit entfaltet, die, im Norden mehr dem Eisengewerbe, im Süden mehr der Weberei angehörig, die große Städtezahl mit dem Zentrum Heidenheim und die starke Volksdichte (124 Einwohner auf 1 qkm) hervorgerufen hat. Geislingen (7100 Einwohner) ist durch geschickte Bein- und Holzdreher und durch seine große Metallwarenfabrik bekannt, und in Ebingen blüht als einer der interessantesten württembergischen Gewerbszweige die Feinmechanik, die aus dem Nachbarflecken Onstmettingen, wo sie ebenfalls noch in 17 Betrieben gepflegt wird, dorthin verpflanzt wurde. In Balingen hat die Gewinnung von Walkerde das Aufkommen der Färberei und Tuchfabrikation veranlaßt. Die Maurer des oberen Filstales gehen jeden Sommer durch ganz Württemberg und Bayern, die Gönninger Samenhändler vertreiben ihre Zwiebeln und Sämereien sogar durch ganz Europa, und ein ähnlich wanderlustiges Hausierervölkchen, das einst die halbe Welt durchreiste, sind die Bewohner der Gemeinde Eningen bei Reutlingen gewesen.
Endlich spielt im Fils- und Kochergebiet auch der Bergbau eine Rolle dank den im Braunjura enthaltenen Toneisensteinen, die in den Schmelzhütten von Aalen (10 500 Einwohner), Wasseralfingen (4000 Einwohner), Oberkochen, Königsbronn, Kuchen (bis 1886) und einigen Hammerwerken verarbeitet werden. Namentlich Aalen, wo schon in vorgeschichtlicher Zeit und von den Römern Eisen gewonnen wurde, ist im Verein mit Wasseralfingen der Mittelpunkt der vom württembergischen Staat betriebenen Eisenverhüttung geworden. Auch die Zementmergel des obersten Weißjura sind wegen ihrer ausgezeichneten Beschaffenheit eine lohnende Fundgrube für die Zementindustrie geworden, die hauptsächlich im Gebiet von Ehingen (4000 Einwohner), Allmendingen, Rottenacker, Münsingen und Blaubeuren (3200 Einwohner) zu Hause ist. Endlich ist der im frischen Zustand leicht zu schneidende, an der Luft aber rasch erhärtende Kalktuff, das bekannte Ausscheidungsprodukt der mit kohlensaurem Kalk überladenen Quellen, als dauerhafter, vielgesuchter Baustein wirtschaftlich nicht unwichtig. Daneben sind noch Mineralquellen zu nennen, die bei Überlingen und Göppingen Bedeutung erlangen.
Im Verkehr spielt die Albhochfläche keine Rolle. Eher ist sie als ein quer verlaufendes Plateaugebirge ein Hindernis des nordsüdwärts gerichteten Verkehrs, das er so schnell und so bequem als möglich zu überwinden sucht, zumal es für ihn dort nicht viel zu holen gibt. Als römisches Grenzland wurde zwar die Alb von einer Anzahl, wenngleich weniger wichtiger Römerstraßen durchzogen, die der Sicherheit halber und aus strategischen Gründen über das Gebirge führten. Daher die vielen »Hochsträß« auf der Alb, die seit der Römerzeit im wesentlichen nur ein Durchgangsgebiet geblieben ist. Der Verkehr und sein Hauptvertreter, die Eisenbahn, hält sich vor allem an die Täler. Ist die Bahn zur Überschreitung der Hochfläche gezwungen, so bleibt sie doch möglichst lange in den Zufahrtstälern, weil sie nur in ihnen den jähen Albabfall zu überwinden vermag. Trotzdem sind auf der Geislinger Steige, dem wichtigsten, von der Eisenbahn Paris-Wien überschrittenen Albpasse, beträchtliche Steigungen bis 1:45 mit schweren Vorspann- und Schiebelokomotiven zu überwinden, und auf der Honauer Steige (Linie Reutlingen-Münsingen-Ulm) hat man sogar zum Zahnradbetrieb gegriffen. Da sich jedoch in den industriereichen Randtälern fast das gesamte Geschäftsleben der Alb zusammendrängt, so hat jedes wichtigere von ihnen seine Eisenbahn, und der sich hier gleichsam stauende Verkehr hat im Verein mit der regen Gewerbtätigkeit die Volksdichte und die große Zahl städtischer Siedelungen am Albrand hervorgerufen. Der durchgehende Bahnverkehr benutzt mit Vorliebe die früher erwähnten Doppeltäler oder die den Jura seiner ganzen Breite nach durchbrechenden Täler, die als tief eingegrabene Verbindungslinien die brauchbarsten Übergänge aus dem Südwestdeutschen Becken nach der Oberdeutschen Hochebene darstellen. Darum kam dem Wörnitztal mit dem Riesbecken stets eine hohe Bedeutung zu, und bei Nördlingen fand eine der Entscheidungsschlachten des Dreißigjährigen Krieges statt. Durch das Doppeltal des Prim- und Faulenbaches, des tiefsten Furchenpasses der Alb, führt die Strecke Rottweil-Tuttlingen der Neckarbahn, die flache Senke zwischen Eyach und Schmiechen wird im Passe von Ebingen von der Zollernbahn Tübingen-Sigmaringen überschritten, die Täler der Starzel und Vehla verknüpft der Paß von Burladingen, und endlich führt über den schon von Römern stark befestigten Paß von Heidenheim die Brenzbahn Aalen-Ulm.
Aus: Prof. Dr. Kurt Hassert, Landeskunde von Württemberg. Sammlung Göschen Nr. 157. Leipzig 1903, G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.
Von Markus Schüßler. Mit neueren Nachträgen.
Wenn einer Deutschland kennen
Und Deutschland lieben soll,
Wird man ihm Nürnberg nennen,
Der edlen Künste voll.
Dich, nimmer noch veraltet –
Du treue fleiß'ge Stadt,
Wo Dürers Kraft gewaltet
Und Sachs gesungen hat.
Max v. Schenkendorf. 1814.
Wenn der das schöne Frankenland mit seinen sanft aufsteigenden Höhen und reich gesegneten Gefilden durchziehende Wanderer von ferne die auf hohem Sandsteinfelsen stolz sich erhebende mächtige Kaiserburg der alten Stadt Nürnberg erblickt, so schlägt ihm gewiß das Herz höher, und gar wunderbare Gefühle und Gedanken werden in ihm aufsteigen. Weiß er doch, daß er bald einer Stätte naht, deren Geschichte mit der Größe und dem Schicksal unseres Vaterlandes eng verknüpft ist, daß er eine Stadt betreten wird, in welcher eine tatkräftige Bevölkerung seit Jahrhunderten sich bewegt, die jederzeit deutsch gefühlt hat und dem Kaiser und Reich stets treu ergeben war. Sei mir gegrüßt, du mauerumgürtete Burg mit den mächtigen, efeuumrankten Mauern und wappengezierten Basteien, so möchte man ausrufen, wenn man die einen breiten gemauerten Graben überwölbende Brücke des alten Vestnertors überschreitet und durch einen kasemattenähnlichen Weg auf die eigentliche Burghut des Kaiserschlosses mit seinen malerischen Erkern, Zinnen und Türmen gelangt. Was ihre Erbauung betrifft, so herrscht über diese ein sagenhaftes Dunkel; immerhin ist sie aber bereits urkundlich 1050 nachweisbar, in welchem Jahre Kaiser Heinrich III. in der Burg sein Hoflager hielt. Seitdem haben mehr als zwanzig deutsche Kaiser sie bewohnt, und besonders waren es Friedrich Barbarossa, Heinrich V., Konrad III., Friedrich II. und Ludwig der Bayer, welche sich die Burg als ihren Lieblingsaufenthalt erkoren und der Stadt Nürnberg große Förderung durch verschiedene Vorrechte angedeihen ließen. Die erste Erweiterung erfuhr die Burg unter Kaiser Friedrich Barbarossa, und ihre im romanischen Stil ausgeführten Teile dürften aus dieser Zeit stammen. Treten wir in den inneren Hof der Burg ein, so begrüßt uns in dessen Mitte das duftige Grün einer uralten Linde, welche der Sage nach von der Kaiserin Kunigunde gepflanzt sein soll. Gotische Treppen führen in die interessanten Gelasse und Säle der Burg, von denen besonders der Audienzsaal mit reicher, künstlerischer Ausstattung und einer Sammlung von Gemälden der altdeutschen Schule die Beachtung des Besuchers verdient. Östlich vom Burgtor befindet sich der sogenannte Heidenturm mit Rundbogenfenstern und verwitterten figürlichen Steinskulpturen, welche man früher für vorchristliche Bildwerke hielt. Der Turm bildet den Eingang zur romanischen Margaretenkapelle, über welcher sich die vom Innern des Schlosses aus zugängliche, im gleichen Stil ausgeführte Kaiserkapelle mit schlanken, reich verzierten Marmorsäulen befindet. Gegenüber dem Heidenturm ragt auf einer Felsenpartie der mittelalterliche Sinwelturm stolz empor, und an seinem Fuße breitet sich ein geräumiger, von Gebäuden umschlossener Platz, die innere Freiung, aus. An ihrer Brüstungsmauer genießt man über das tief unten liegende Häusermeer der Stadt Nürnberg einen entzückenden Ausblick. Mächtig steigen daraus die Zwillingstürme der St. Sebalduskirche und der St. Lorenzkirche empor, majestätisch erglänzt in den Strahlen der Sonne die Kuppel der St. Elisabethakirche mit dem goldenen Malteserkreuze, und die Hunderte von Zinnen, Giebeln und Erkern könnten erzählen von all' dem Schönen und Großen, was sich seit Jahrhunderten in diesen Straßen und Gassen begeben hat. Gewaltige runde, von dem Nürnberger Baumeister Peter Unger in der Mitte des 16. Jahrhunderts erbaute Türme schließen an den Ecken den mit Basteien und Toren besetzten Mauergürtel der Stadt ab, und über ihn hinaus breiten sich die großen Vorstädte Nürnbergs aus, welche rings von duftigen Wäldern und den blauen fränkischen Bergen eingerahmt sind. Auf der inneren Freiung befindet sich auch die aus dem 15. Jahrhundert stammende Walburgiskapelle, die sich an eine ausgebrannte Fensteröffnungen zeigende Mauer anschließt, durch welche ein mit dem Reichsadler geschmücktes Tor an der ehemaligen Burgamtswohnung vorüber auf die äußere, mit alten Linden bewachsene Freiung führt. Diese gewährt gleichfalls eine herrliche Aussicht auf die ländliche Umgebung Nürnbergs mit ihren fruchtbaren Gefilden und schmucken Häusern, sowie auf die in der Ferne sich erhebenden Berge mit zahlreichen Burgruinen. Auf dem dortigen Plateau befindet sich der sogenannte fünfeckige Turm, der als das älteste Baudenkmal der Stadt gilt. Verschiedene Chronisten ließen ihn schon zur Zeit des Kaisers Tiberius und des Feldherrn Drusus Nero entstehen und brachten den Namen der Stadt als Neroberg = Nürnberg hiermit in Verbindung. Diese Vermutungen sind jedoch in das Gebiet der Sage zu verweisen. Sind doch die Römer, wie geschichtlich nachweisbar, nie in diese Gegend gekommen! An der an diesen Turm sich anschließenden Brüstungsmauer des Stadtgrabens sind einige Hufeisenformen eingegraben, welche daran erinnern, daß an dieser Stelle der von den Nürnbergern gefangene berüchtigte Raubritter Eppelein von Gailingen mit seinem feurigen Rappen über den Graben setzte und auf diese Weise seinen Feinden entwischte, was zu dem Sprichworte Veranlassung gab: »Die Nürnberger henken keinen eher, sie hätten ihn denn.« Neben dem fünfeckigen Turm erhebt sich die in den Jahren 1494-1495 von dem Baumeister Hans Behaim dem Älteren erbaute sogenannte Kaiserstallung, und zwar an der Stelle, an welcher das alte Burggrafenschloß, die Wiege des gegenwärtigen deutschen Kaiserhauses, sich befand. Dieses wurde nämlich im Jahre 1420 durch den bayerischen Pfleger in Lauf, Christoph Layminger, in dem Kriege des Markgrafen von Brandenburg mit Ludwig dem Bärtigen, Herzog von Bayern, niedergebrannt und nicht wieder aufgebaut. Der letzte dort residierende Burggraf Friedrich VI. wurde bereits im Jahre 1411 durch Kaiser Sigismund mit der Mark Brandenburg belehnt. Trotzdem nun die Nürnberger bereits im Jahre 1427 den obenerwähnten Platz mit den seit 1191 in den Händen der Burggrafen gelegenen Rechten erworben hatten, glaubten diese doch immer noch als nunmehrige Markgrafen von Brandenburg berechtigt zu sein, gewisse Hoheitsrechte über die Stadt ausüben zu können, was zu den blutigen Kriegen zwischen der Stadt und den Markgrafen Albrecht Achilles und Kasimir die Veranlassung gab. Der fortwährenden Eifersucht zwischen den Burggrafen und der Stadt verdankt auch der neben der alten Hohenzollernburg von den Nürnbergern 1367 erbaute hohe steinerne, noch jetzt vorhandene Turm, der sogenannte »Lug ins Land«, von welchem die Nürnberger das Tun und Treiben der Burggrafen in ihrer Burg beobachten konnten, seine Entstehung.
Von der Burghut des Schlosses gehen wir eine breite, mit stattlichen alten Häusern bebaute Straße zu der am Fuße des Berges auf hügeligem Gelände sich ausbreitenden Stadt hinab und lassen die halbkreisförmig um die Burg sich ziehenden alten, zum Teil nach den ehemaligen Bewohnern benannten Gassen, wie die Söldners- und Schildgasse, die Schmied- und Krämergasse, zu beiden Seiten liegen. In der Mitte der Burgstraße fesselt uns ein mit einem großen Ammoniten bezeichnetes Haus, welches der älteste Nürnberger Künstlerbiograph Johann Neudörfer im 16. Jahrhundert bewohnte. Dicht daneben steht das Scheurlsche Haus, das in früheren Jahrhunderten das Absteigequartier mancher Fürsten und besonders der bayerischen Herzöge war; das Haus ziert in seinem zweiten Stock die berühmte Pfalzgrafenstube mit prächtigem spätgotischen Schnitzwerk und anderen auf die Patrizierfamilie Scheurl bezüglichen Altertümern. Gegenüber liegt die Behausung des berühmten Nürnberger Malers Michael Wohlgemuth, des Lehrmeisters Albrecht Dürers. Nicht vergessen sei das nebenan befindliche, architektonisch schöne Fembo-Haus, in welchem sich die ehemals weitberühmte Homann-Fembosche Landkartenhandlung befand. Weiter hinabschreitend kommen wir zu der im ehemaligen Dominikanerkloster seit dem Jahre 1538 von dem berühmten Ratsherrn Hieronymus Paumgärtner errichteten Stadtbibliothek, die nahezu 80 000 Bände zählt, worunter sich kostbare Inkunabeln und wertvolle Manuskripte befinden. Von diesen nennen wir eine lex salica aus dem 12. Jahrhundert, ein Breviarium einer englischen Königin, Tochter Karls VI. von Frankreich, ein Missale mit sehr schönen Malereien von Glockendon, einem Schüler Dürers, dann das den Juden bei ihrer Ausweisung aus Nürnberg abgenommene große Machsor, welches eine Sammlung hebräischer Gebete enthält. Außerdem besitzt die Bibliothek wertvolle Autographen von Huß, Luther, Dürer, Regiomontan, Melanchthon, Hans Sachs, Gustav Adolf u. a. In den unteren Räumen des genannten Gebäudes und besonders in den prachtvollen gotischen Kreuzgängen des ehemaligen Klosters ist das städtische Archiv aufgestellt.
Ehe wir das mit seiner majestätischen Stirnseite uns entgegenschauende Rathaus besichtigen, biegen wir in ein Nebengäßchen ein und kommen, an dem berühmten, allen Fremden wohlbekannten Bratwurstglöckchen, einer aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts stammenden Wirtschaft, vorüberschreitend, auf den Albrecht-Dürer-Platz mit seinen erkergezierten Häusern, wo wir das Denkmal besichtigen, das Nürnberg seinem größten Sohne, dem berühmtesten deutschen Maler Albrecht Dürer, im Jahre 1840 gesetzt hat. Das Modell zu dem herrlichen Standbilde des Meisters fertigte der hervorragendste deutsche Plastiker Christian Rauch, während der Bronzeguß von dem Nürnberger Daniel Burgschmiet stammt. Weiter die Bergstraße emporsteigend, gewahren wir den mittelalterlichen Tiergärtnertorturm und nebenan die Behausung des berühmten, im 16. Jahrhundert für verschiedene Kaiser tätig gewesenen Harnischmachers Siebenbürger, die im Volksmunde das Pilatushaus heißt. Gegenüber erhebt sich ein altes Fachwerkgebäude mit weit vorspringendem Giebel, die einstige Wohnstätte des Altmeisters Albrecht Dürer. Mit Verehrung betreten wir das Haus, in welchem der unsterbliche Meister seine herrlichen Tafeln, u. a. auch die jetzt in der Pinakothek zu München befindlichen vier Apostel, gemalt hat, wo er seine phantasiereiche Apokalypse, die tiefempfundene Leidensgeschichte Christi und das echt deutsch geschilderte Leben der Maria gezeichnet hat. Alle diese Werke hat der vervielfältigende Holzschnitt der damaligen Kunstwelt vermittelt. Hier entstanden seine köstlichen Kupferstiche und die verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten, die Werke über die Befestigung von Städten und Burgen, über Geometrie und über die menschliche Proportion. In diesen bescheidenen Wohnräumen lebte, lediglich aus Liebe zu seiner Vaterstadt, ein so gewaltiger Künstler, den Venedig im Jahre 1505 mit Stolz empfangen und dem die flandrischen Städte wenige Jahre später die größten Ehrenbezeigungen angedeihen ließen. Das Dürerhaus ist im Besitze der Stadt Nürnberg, und eine am 400jährigen Geburtstage Dürers gegründete Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Haus stilgerecht wiederherzustellen und mit Werken des Künstlers auszustatten, was unter der Leitung des königlichen Professors und Malers Friedrich Wanderer vielfach in erfreulicher Weise schon geschehen ist. Gehen wir die nach dem Namen des Künstlers benannte Straße herab, so gelangen wir bald zur St. Sebalduskirche, dem ältesten Gotteshause der Stadt Nürnberg. Die Kirche dürfte gegen das Ende der Herrschaft des romanischen Baustils begonnen worden sein, wenigstens zeigen der Abendchor, die jetzige Löffelholzsche Kapelle, die beiden Türme mit ihren Portalen und vier Stockwerken, dann das Mittelschiff diese Anlage mit entsprechender Ornamentik. Die Seitenschiffe aber, die oberen Stockwerke der Türme, die 1300-1345 erbaut und in den Jahren 1482-1483 auf ihre jetzige Höhe gebracht wurden, dann der prächtige Chor von 1361 gehören der Gotik an. Der Chor, welcher bis 1561 eine Maßwerkgalerie um das Dach hatte, weicht in seiner Achse von der des Schiffes nach Südost zu ab. Die Kirche ward 1378 Pfarrkirche und 1477 eine Probstei. An der Außenseite zwischen den Türmen ist ein gewaltiges Kruzifix in Erzguß aus dem Jahre 1482 angebracht. Dieses wurde im napoleonischen Kriege schwarz angestrichen, um es dem Feinde wertlos erscheinen zu lassen. Diese Vorsicht trug den Nürnbergern den Spottnamen »Herrgottschwärzer« ein. Um die nördliche Ecke der Kirche gehend, gelangt man an die Brauttüre mit prächtig durchbrochenen gotischen Bogen und einer figurenreichen Vorhalle. Mehr dem Rathause zugekehrt folgt zwischen zwei Pfeilern der Kirche ein Meisterwerk des berühmten Nürnberger Bildhauers Adam Kraft aus dem Jahre 1492, die von dem Kirchenpfleger Sebald Schreyer gestiftete Grablegung Christi, eine Kunstleistung von ergreifender Schönheit. Über der Türe gegenüber der Hauptwache befindet sich noch ein zierliches Hochbild, das Jüngste Gericht darstellend, welches gleichfalls dem genannten Meister zugeschrieben wird.
Treten wir in die 290 Fuß in der Länge und 98 Fuß in der Breite messende, von zweiundzwanzig 78 Fuß hohen Säulen getragene Kirche ein, so ist das Auge von dem dortigen, durch die vielen gemalten Fenster geschaffenen Helldunkel förmlich gefangen, und diese Stimmung ist es auch, welche auf dem Meisterwerke, des berühmten Erzgießers Peter Vischer, dem im Chor der Kirche aufgestellten sogenannten Sebaldusgrab, lagert. Mit Recht hat der Kunstforscher Kugler dieses Werk den Triumph der deutschen Gießerei genannt, und mit Ehrfurcht lesen wir am Fuße des Denkmals die Inschrift: »Peter Vischer, Burger zu Nürnberg, machet das Werk mit seinen Söhnen und ward vollbracht im Jahr 1519 und ist allein Gott dem Allmächtigen zu Lob und Sankt Sebald dem Himmelsfürsten zu Ehren mit Hülf frommer Leut und dem Almosen bezahlt.« Das Denkmal ist 15 Fuß hoch, 8 Fuß 7 Zoll lang und 4 Fuß 8 Zoll breit. Der ganze Aufbau, der gotisch in der Anlage ist und zur italienischen Renaissance übergeht, wird von kriechenden Schnecken und Delphinen getragen. Vortrefflich in der Auffassung und künstlerischen Durchführung sind die rings um den mit Gold- und Silberblech überzogenen, die Gebeine des heiligen Sebaldus bergenden Sarg auf Postamenten stehenden zwölf Apostel und über ihnen die Gestalten der Propheten und Kirchenväter. Unterhalb des Sarges sind vier meisterhaft behandelte Fachbilder, welche die von dem heiligen Sebaldus vollbrachten Wunder zur Anschauung bringen. Die Schmalseiten des Grabdenkmals zeigen in je einer Nische die Figuren des heiligen Sebaldus, die Kirche tragend, und des Meisters Peter Vischer im Schurzfell und mit dem Hammer in der Hand. Den nach oben kuppelartig endigenden Aufbau krönt das aufrecht stehende Christuskind.
In der Löffelholzschen Kapelle, die den Westchor der Kirche bildet, befinden sich sehr alte Gemälde auf Goldgrund und das Taufbecken aus Bronze, an welchem 1361 der nachmalige Kaiser Wenzel getauft worden sein soll. Unter dieser Kapelle ist eine Krypta. Der Hauptaltar ist neu und wurde nach den Entwürfen des Professors Karl Heideloff gefertigt; das Kruzifix gilt jedoch als alt und wird für eine Arbeit des berühmten Holzschnitzers Veit Stoß gehalten. Hinter dem Hauptaltar befindet sich ein zierliches Weihbrotgehäuse und seitwärts davon, nur durch den ältesten, St. Peter geweihten Altar der Kirche getrennt, ein Denkmal der Familie Volkamer, welches in drei Hauptreliefs den Ölberg, die Gefangennahme Christi und das Abendmahl zur Anschauung bringt. Auf diesem hat der Künstler, vermutlich Veit Stoß, die Jünger mit den Zügen der Nürnberger Ratsherren vom Jahre 1501 dargestellt. An Gemälden sind Werke von Hans von Kulmbach, Rupprecht, Ermels und Kreuzfelder in der Kirche vorhanden; die von dem letztgenannten Meister gemalte Erschaffung der Welt verdient besondere Beachtung. Außerordentlich schön wirken die gemalten Fenster der Kirche; das Maximiliansfenster aus dem Jahre 1514 und das Markgrafenfenster aus dem Jahre 1524 sind von Veit Hirschvogel, dann die beiden ältesten, das Tuchersche (1364) und das Schürstabsche (1379) sind von unbekannten Meistern; das Imhofsche Fenster hat Christoph Maurer 1597-1598 ausgeführt. Beachtenswert sind auch die an den Wänden der Kirche angebrachten interessanten Teppiche aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Gegenüber der Kirche befindet sich der Sebalder Pfarrhof mit einem Chörlein aus dem 14. Jahrhundert, welches als eine Perle deutscher Baukunst bezeichnet werden muß. Jedenfalls ist dasselbe bei dem im Jahre 1364 erfolgten Brande des Pfarrhofes stehen geblieben. Das jetzige Gebäude errichtete der Probst Melchior Pfinzing, der Dichter des Teuerdank. Die auf dem Kirchenplatze liegende Moritzkapelle wurde im Jahre 1313 durch Eberhard Mendel von dem Marktplatz auf den damaligen Sebalduskirchhof versetzt. An den Außenseiten der Kapelle sind künstlerisch wertvolle Skulpturen angebracht.
Nehmen wir nunmehr das nahegelegene Rathaus in Augenschein! Es birgt so viele Kunstwerke, daß wir es eingehender schildern müssen! Das stolze Gebäude mit seiner 89 m langen Stirnseite wurde 1616-1622 mit Benutzung des alten, schon 1332-1340 an der gleichen Stelle erbauten Rathauses, im italienischen Renaissancestil von dem Baumeister Jacob Wolf unter der Leitung des Ratsherrn Eustachius Karl Holzschuher errichtet. Die drei Portale, die in das Innere führen, haben Säulen dorischer Ordnung, auf den Frontonen befinden sich je zwei Riesenfiguren, welche der Bildhauer Leonhard Kern 1617 in Sandstein nach den Modellen des Goldschmieds Christof Jamnitzer ausführte. Das Rathaus enthält einen vom ersten Treppenabsatz zugänglichen Saal, den sogenannten großen Rathaussaal, der als ein Rest des früheren gotischen Hauses dem neuen Renaissancebau eingefügt wurde. Er hat 130 Fuß Länge, 40 Fuß Breite und eine Höhe von zwei Stockwerken. Die als Tonnengewölbe hergestellte Decke stammt aus dem Jahre 1521. Die nördliche Langwand des Saales schmücken sehr schöne Wandgemälde nach den Entwürfen Albrecht Dürers, welche den Triumphzug des Kaisers Maximilian und eine allegorische Richterszene zur Anschauung bringen. Über einer dort befindlichen Tür steht der alte Richterspruch:
»Eines Mannes Red ist keine Red,
Man muß die Teil verhören beed.«
Die an der gleichen Wand angebrachte Darstellung von Nürnberger Stadtpfeifern ist von packender Wahrheit und dürfte von Dürers eigener Hand sein. An der südlichen Wand des Saales befinden sich schöne Rundgemälde von Gabriel Weyher, Juvenell u. a. Die östliche Seite des Saales zeigt die als Basreliefs hergestellten Bildnisse des Kaisers Ludwig des Bayern und seiner Gemahlin Margareta von Holland. Die Fenster des Saales sind teilweise mit Glasmalereien von Hirschvogel ausgestattet. In der südöstlichen Ecke befindet sich der sogenannte Kaiserstuhl. Den großen Kronleuchter, welcher von der Decke herabhängt, fertigte im Jahre 1613 der Kunstschreiner H. W. Behaim; die beiden kleineren Leuchter wurden nach der Zeichnung des Professors Wanderer in der Nürnberger Kunstschule unter der Leitung des Professors Baumeister ausgeführt. Bis zu Anfang dieses Jahrhunderts zierte den Saal ein prächtiges Bronzegitter von Peter Vischer, das in den am westlichen Ende noch vorhandenen beiden reizenden Steinlisenen eingelassen war. Über den Verbleib des Gitters fehlt jede Nachricht; es ist in den damaligen Kriegsjahren spurlos verschwunden. Seit Jahrhunderten war der große Rathaussaal der Raum für wichtige, die Stadt Nürnberg betreffende Verhandlungen und Feste. So wurde in ihm am 25. September 1649 zur Feier des Westfälischen Friedensschlusses das große Friedensmahl abgehalten, welches für den Maler Joachim von Sandrart den Stoff zu einem umfangreichen, in der städtischen Galerie befindlichen Gemälde gab. An der Decke des Korridors im zweiten Stock des Rathauses befindet sich eine herrliche Stukkoarbeit von Hans Kern aus dem Jahre 1621, die ein im Jahre 1446 auf dem Marktplatze zu Nürnberg abgehaltenes Turnier, im Volksmund nur das Gesellenstechen genannt, darstellt. Der sogenannte kleine Saal des Rathauses, welcher im venetianischen Stil mit sehr schönen Deckengemälden von Juvenell ausgeführt ist, wurde von dem Professor Friedrich Wanderer in trefflicher Weise wiederhergestellt. Der auf gleichem Korridor befindliche Saal für Ziviltrauungen hat eine prächtige, dem berühmten Bildhauer Peter Flötner zugeschriebene Holzvertäfelung und eine sehr schöne Kassettendecke; durch eine solche zeichnet sich auch der gemeindliche Sitzungssaal aus, in welchem sich die Bildnisse von bayerischen Königen befinden. Die Wandleibung am oberen Absatz der Rathaustreppe hat als Schmuck ein großes Gemälde des rühmlichst bekannten Künstlers Professors Paul Ritter, welches die Einbringung der Reichskleinodien in Nürnberg am 22. März 1424 zum Gegenstande hat. Im Rathaushofe steht ein reizender Brunnen, der im Jahre 1556 von Pankraz Labenwolf, einem Schüler Peter Vischers, gefertigt wurde. Unter dem Rathause befindet sich das große »Lochgefängnis«, aus welchem ein wohlerhaltener Gang unter der Burgstraße in den Schloßzwinger und andere, jetzt zum Teil verfallene Gänge weit vor die Stadt hinaus führen. Der nordöstliche Teil des Rathauses wurde nach den Plänen und unter der Leitung des Direktors Dr. v. Essenwein durch den städtischen Architekten Heinrich Wallraff im Anschlusse an den noch vorhandenen gotischen Teil des alten Rathauses 1887 bis 1889 umgebaut. Erwähnt sei die prächtige Fassade des Gebäudes gegen die Theresienstraße. Über dem Tore sind die aus Stein gemeißelten Brustbilder zweier Geharnischter angebracht, denen der Bildhauer die Gesichtszüge der beiden derzeitigen Bürgermeister der Stadt, Freiherrn v. Stromer und Ritter v. Seiler, geliehen hat. Dieses Gebäude hat im obersten Stock eine aus drei Sälen bestehende Gemäldegalerie. Von den dortigen Bildern nennen wir vor allem Anselm Feuerbachs im Jahre 1871 in Venedig gemaltes Riesengemälde »Die Amazonenschlacht« von ganz wunderbarer Wirkung, welches die nördliche Wand des ersten Saales vollständig einnimmt. Weiter seien erwähnt Joachim v. Sandrarts berühmtes Gemälde, das im Jahre 1649 in Nürnberg abgehaltene Friedensmahl darstellend, mit vielen interessanten, nach dem Leben gemalten Porträts, das er damals im Auftrage der Krone Schwedens für die Stadt Nürnberg malte; dann August v. Krelings »Abendmahlsfeier der Hugenotten«, Werner Schuchs »Leichenzug Gustav Adolfs«, A. Bauers »Verbringung der Leiche Kaiser Ottos III. über die Alpen« und Karl Jägers »Kaiser Maximilian bei Albrecht Dürer«. Im dritten Saal sind die Bildnisse der in der Neuzeit um die Stadt Nürnberg verdienten Männer aufgestellt. Wir nennen davon die Industriellen Theodor Freiherrn v. Cramer-Klett von Lenbach, Lothar Freiherrn v. Faber von Jäger, und Johannes Zeltner von Professor Fleischmann, dann den Bürgermeister Johannes Scharrer und den Hofrat Dr. med. Dietz, beide gleichfalls von Professor Fleischmann, schließlich die bayerischen Landtagsabgeordneten Karl v. Crämer von Professor Raupp und Justizrat W. Frankenburger von Blum. Die schöne gotische Hoffassade des Rathausneubaues ist gleichfalls der Beachtung wert. Gegen den Fünferplatz befindet sich ein zierlicher Turm mit Uhr. Den figürlichen Schmuck an dem Rathausneubau fertigte der Bildhauer Johann Schiemer, den ornamentalen der Bildhauer Jakob Rotermundt. Das prächtige Stiegenhaus zeigt Skulpturen des Bildhauers Georg Leistner.
Durch den Hof des Rathauses nehmen wir den Weg über den Fünferplatz und Obstmarkt. Diese Plätze sind von malerischen, sich in der Straßenflucht überschneidenden Häusern mit schönen alten Madonnenbildern und stilvollen gotischen Chörlein umgeben. So gelangen wir an einen mit kunstreich gefertigtem Eisengitter umgebenen Röhrenbrunnen, dessen Postament eine allerliebste, von Pankraz Labenwolf in Erz gegossene Genrefigur, das weltberühmte »Gänsemännchen«, trägt. Vorwärts schreitend fesselt unsern Blick ein herrliches Baudenkmal des reinsten gotischen Stils, die Frauen- oder Marienkirche. Sie wurde an Stelle der ehemaligen Synagoge auf Befehl Kaiser Karls IV. unter der Leitung des Ratsherrn Ulmann Stromer gebaut; seit 1816 ist sie der katholischen Gemeinde zum Gottesdienste überlassen. Sie gehört, namentlich was ihr Äußeres anbelangt, zu den schönsten kirchlichen Baudenkmalen Nürnbergs. Die von dem Direktor Dr. v. Essenwein vor einigen Jahren bewirkte Erneuerung der Kirche muß als vollkommen gelungen bezeichnet werden. Besonders schmückt die Kirche ein prachtvolles Portal mit einem Bilderschmuck von vortrefflicher Anordnung. Über dem Kapellenaufbau der Galerie befindet sich ein künstliches Uhrwerk, das sogenannte »Männleinlaufen« – die Kurfürsten ziehen an dem auf dem Throne sitzenden Kaiser vorüber –. Es wurde im Jahre 1509 von Georg Heuß gefertigt, während die aus Kupfer getriebenen beweglichen Figuren von Sebastian Lindenast herrühren. Im Innern der Kirche sind von Interesse das Grabmal des Geschlechts der Pergenstörfer, ein Hochbild von Adam Kraft, Bildschnitzereien von Veit Stoß, Georg Paul Ziegler, Joseph Stärk und Martin Lengenfelder. Der neue figürliche Schmuck an der Außenseite der Kirche stammt aus der Werkstätte des Bildhauers Jakob Rotermundt.
Der freie Platz, welcher sich vor der Frauenkirche ausdehnt, ist der große Marktplatz der Stadt. Die diesen in früherer Zeit verengenden Häuser wurden im 14. und 15. Jahrhundert niedergerissen, und bei der im Jahre 1424 erfolgten feierlichen Einbringung der vom Kaiser Sigismund der Stadt verliehenen Reichskleinodien hatte der Markt bereits seine jetzige Größe. Hier im Mittelpunkt der Stadt kam der Volkswille in gar mächtiger Weise durch Zusammenkünfte und Feste zum Ausdruck. So wurde im Jahre 1446 von den Nürnberger Patriziern auf dem Marktplatze ein Turnier abgehalten, wobei die reichen Geschlechter der Stadt mit ihrem Gefolge auf der Rennbahn in einem derartigen Prunk erschienen, daß dieser den Neid der Reichsritterschaft in hohem Maße erregte. Dicht bei der Frauenkirche befindet sich der sogenannte Plobenhof, welcher das Stammhaus des reichen Patriziers und Spitalstifters Konrad Groß war und dem Kaiser Ludwig dem Bayern zum Absteigequartier diente. Auf dem an der Südseite des Marktes liegenden Rieterschen Hause ruhte in früheren Jahrhunderten für seinen jeweiligen Besitzer das Recht, bei den in diesem Gebäude vorgenommenen Reichsbelehnungen die erste Bitte an den Kaiser stellen zu dürfen. An der von der Burg herab neben dem Marktplatz sich hinziehenden Straße liegt das Geburtshaus des berühmten Seefahrers und Fertigers des ersten Globus, Martin Behaims. Vor diesem Hause wurde auch alljährlich um die Osterzeit bis zur Einführung der Reformation in Nürnberg eine Tribüne, der sogenannte Heiltumsstuhl, aufgeschlagen, um von hier aus dem Volke die Reichsheiligtümer zu zeigen. Die an dem Hause nach dem Entwurf des Professors Friedrich Wanderer von dem Maler Sebastian Eisgruber angebrachte Wandmalerei bringt die Gestalt des Seefahrers Martin Behaim als portugiesischen Ritters und die Heiltumsweisung zur Anschauung. Eine kurze Strecke hiervon entfernt befindet sich das Wohnhaus des berühmten Gelehrten und Kaiserlichen Rats Willibald Pirkheimer, des Freundes Albrecht Dürers, das mit einer Gedenktafel versehen ist. Eine Hauptzierde des Platzes sind die beiden Brunnen. Der im Jahre 1903 errichtete Neptunbrunnen ist die von Lenz gegossene Kopie eines Originals, das von den Nürnberger Meistern Schweigger und Eisler um die Mitte des 17. Jahrhunderts zur Erinnerung an das Ende des Dreißigjährigen Krieges geschaffen, aber infolge mißlicher Finanzlage der Stadt 1797 an Kaiser Paul I. von Rußland verkauft wurde und im Schloßhof zu Peterhof Aufstellung fand. Der »Schöne Brunnen« ist ein im edelsten gotischen Stil ausgeführtes Kunstwerk, das 1385-1395 von Meister Heinrich (Behaim?) dem Palier unter Aufsicht der jeweiligen Stadtbaumeister Friedrich Pfinzing und Ulmann Stromer erbaut wurde. Ehemals war der Brunnen vollständig bemalt und vergoldet. Meister Rudolf der Maler hatte diese Arbeit besorgt, die im Laufe der Jahrhunderte oft erneuert wurde. 1587 fand eine Wiederherstellung und 1821 bis 1824 eine vollständige Erneuerung dieses Kunstwerkes unter der Leitung und nach den Zeichnungen des Kunstschuldirektors Reindel durch die Bildhauer v. Bandel, Burgschmiet, Rotermundt und Capeller statt. Die achteckige Spitzsäule des Brunnens ist 19½ m hoch. In den unteren Abteilungen des Aufbaues sind die Standbilder der sieben Kurfürsten und je drei Helden aus dem Juden-, Heiden- und Christentum, in den oberen Partien Moses und die sieben Propheten unter Baldachinen aufgestellt. Das kunstvolle schmiedeeiserne Gitter, welches den Brunnen umschließt, hat einen beweglichen Ring als sogenanntes Wahrzeichen. Im Jahre 1884 wurde das Becken des Brunnens nach dem Entwurfe des Direktors v. Essenwein neu hergestellt.
Durch die dem Brunnen gegenüberliegende Waaggasse gelangen wir in die Winklerstraße, wo sich das Haus des patriotischen Buchhändlers Johann Palm befindet, welcher wegen Herausgabe der Schrift »Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung« auf Befehl des Kaisers Napoleon 1806 in Braunau erschossen wurde. Die an dem Hause befindliche Gedenktafel trägt folgende von König Ludwig I. von Bayern verfaßte Inschrift: »Johann Palm, Buchhändler, wohnte hier, der als ein Opfer fiel Napoleonischer Tyrannei im Jahre 1806.« Diesem Hause gegenüber befindet sich ein altes Gebäude, die sogenannte Herrentrinkstube, welches mit einem vortrefflichen Hochbild Adam Krafts aus dem Jahre 1497, das Abwiegen von Kaufmannsgut darstellend, geschmückt ist. Nebenan befindet sich das Geburtshaus des großen deutschen Künstlers, Albrecht Dürer, welcher als der Sohn eines Goldschmiedes am 21. Mai 1471 daselbst das Licht der Welt erblickte. In nächster Nähe steht das Gerichtsgebäude, das an Stelle des alten Augustinerklosters von dem Königlichen Oberbaurat Solger in den Jahren 1872 bis 1878 erbaut wurde. Im Innern schmückt den Sitzungssaal der Kammer für Handelssachen ein großartiges Gemälde Anselm Feuerbachs, »Kaiser Ludwig der Bayer verleiht den Nürnbergern Handelsfreiheiten«, ferner ein von dem Bildhauer Heinrich Schwabe modelliertes und von dem Erzgießer Lenz gegossenes Porträtrelief jenes Künstlers. In dem Stiegenhaus des genannten Gebäudes, und zwar an der Wand beim obersten Treppenabsatz, sind die überlebensgroßen, von dem Königlichen Professor Roth in München aus carrarischem Marmor gefertigten Büsten des berühmten Kriminalisten Präsidenten Anselm v. Feuerbach und des hervorragenden Juristen Dr. Rudolph v. Holzschuher angebracht. Am Ende dieser Straße befindet sich das Staubsche Haus, welches im Hofe ein interessantes Treppenhaus mit Skulpturen von der Hand des Bildhauers Adam Kraft hat. Diese Straße verlassend, sehen wir das 1551 erbaute Fleischhaus vor uns, an welches sich ein Brünnchen mit reizendem Renaissanceaufbau anlehnt, der von dem Bildhauer Georg Leistner neu hergestellt wurde. Über dem Portal des Fleischhauses liegt ein steinerner Ochse, von welchem die darunter befindliche lateinische Inschrift besagt, daß zwar alles in der Welt seinen Ursprung und sein Wachstum habe, dieser Ochse aber nie ein Kalb gewesen sei. Die dort über die Pegnitz führende Fleischbrücke wurde im Jahre 1598 durch den Baumeister Wolf Jakob Stromer errichtet; dem kunstvollen Bau der in einem Bogen über den Fluß führenden Brücke diente der Ponte Rialto in Venedig zum Muster. Von dieser Brücke aus sieht man zwei weitere, über den die Stadt in zwei Hälften – die Sebalder und Lorenzer Seite – teilenden Pegnitzfluß führende steinerne Brücken, nämlich die im Jahre 1700 erbaute Museumsbrücke und die Karlsbrücke mit zwei Obelisken vom Jahre 1728, was in Verbindung mit den dortigen Häuserpartien einen äußerst malerischen Anblick gewährt.
Von der Fleischbrücke kommen wir in die Kaiserstraße, die eigentliche Handelsstraße der Stadt, mit großartigen Verkaufsläden und hierauf an das an der Museumsbrücke gelegene, mit dem geflügelten venetianischen Löwen gezierte, im 16. Jahrhundert dem reichen Handelsherrn Bartolo Viatis gehörige Haus, in welchem der venezianische Gesandte Vendramini sein Absteigequartier nahm. Über die Brücke nehmen wir dann den Weg in die Spitalgasse und besichtigen das von dem Schultheißen Konrad Groß 1341 für alte Personen gegründete Heiliggeistspital mit der interessanten gotischen Halle und dem eigenartigen Brunnen. Im Hofe des Spitals steht eine von dem Patrizier Martin Kezel 1459 nach dem Muster des Heiligen Grabes zu Jerusalem errichtete Kapelle. Die an das Spital angebaute Kirche zum Heiligen Geist wurde in den Jahren 1333-1341 erbaut; im Innern befindet sich das Grabmal des Stifters Konrad Groß. Daselbst wurden auch bis zur Auflösung des römisch-deutschen Reiches die Krönungsinsignien und Reichsheiligtümer verwahrt. Der an dem Kirchengewölbe befestigte, wappengezierte Schrein, der diese enthielt, wird jetzt im germanischen Museum aufbewahrt. Gegenüber dieser Kirche liegt die von 1869 bis 1874 im maurisch-byzantinischen Stil nach den Plänen des Architekten Wolff erbaute Synagoge. Mitten auf dem dortigen Spitalplatz steht das Denkmal des berühmten Meistersingers Hans Sachs; es wurde von dem Professor Lenz nach dem Modell des Nürnberger Bildhauers Konrad Kraußer gegossen und im Jahre 1874 enthüllt. In der nahen, nach seinem Namen benannten Hans-Sachsengasse ist das Wohnhaus des am 25. Januar 1576 verstorbenen Dichters der Wittenbergschen Nachtigall. Den Eingang dieser Gasse schmückt ein kleiner Brunnen mit der eigenartigen Bronzefigur eines Dudelsackpfeifers. Nicht weit davon entfernt, am Ende der Tucherstraße, erfreuen wir uns an einem künstlerisch vortrefflich ausgeführten Brunnen, welcher am 3. Juni 1881 zu Ehren des beliebten, auch von dem Altmeister Goethe hochgeschätzten Volksdichters Konrad Grübel – geboren am 3. uni 1736 – errichtet wurde. Wir sehen den Dichter auf einem mit Reliefs gezierten Sockel, ein Buch in der Hand, mit freundlicher Miene auf uns herabschauen. Der Entwurf dieses Werkes ist von Professor Wanderer, das Modell von Professor Rößner, den Guß fertigte der Erzgießer Professor Lenz. Durch einige enge Gäßchen kommen wir am Lauferschlagturm, einem der alten Stadttore vorüber, in die Hirschelgasse; dort fesselt unseren Blick das von Lorenz Tucher in den Jahren 1533-1544 teilweise im gotischen, teilweise im Renaissancestil erbaute Landhaus mit Kuppeltürmen und einem mit Fachbildern gezierten Chörlein. Das Innere des Hauses ist ganz stilgemäß eingerichtet und zeigt treffliche Schnitzereien und an den Wänden sehr schöne Gobelins. Das wenige Schritte entfernte Rupprechtsche, ehemals Hirschvogelsche Haus hat einen prachtvollen, im Renaissancestil ausgeführten, mit Skulpturen und Malereien reich ausgestatteten Saal. Gegenüber befindet sich die berühmte Fleischmannsche Kunstanstalt, in welcher besonders schöne Nachbildungen von Waffen, alten Öfen, Majolikagefäßen, Möbeln usw. gefertigt werden. Gehen wir die Hirschelgasse wieder zurück, so kommen wir auf den Egydienberg, einen der schönsten Plätze der Stadt. Diesen beherrscht das hochgelegene Pellerhaus mit wunderbar schöner, im italienischen Renaissancestil ausgeführter Fassade, deren Giebel in dem Chronostikon CVM DEO das Erbauungsjahr des Hauses 1605 anzeigt. Der reiche Bartolo Viatis ließ es durch Jakob Wolf den Älteren für seinen Schwiegersohn Martin Peller herstellen. Der Hof des palastähnlichen Gebäudes ist gleichfalls von großer Schönheit, außerdem besitzt das Haus eine herrliche Wendeltreppe und prachtvolle Gemächer, wovon der im zweiten Stock befindliche große Saal eine reiche Holzvertäfelung und Deckengemälde von der Hand des jüngeren Palma hat. Unmittelbar vor dem Hause hat das von Professor Rüemann ausgeführte und von dem Erzgießer Lenz gegossene Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. 1905 Aufstellung gefunden. Nebenan liegt das Platnersche, früher Imhoffsche Haus, in welchem 1632 der Schwedenkönig Gustav Adolf bei seinem Aufenthalt in Nürnberg wohnte. In dem auf dem genannten Platze befindlichen Behaimschen Hause wird noch der von dem Seefahrer Martin Behaim angefertigte erste Globus, »der Erdapfel«, wie er ihn nannte, aufbewahrt. Nebenan ist die mit einer Gedenktafel versehene Behausung des berühmten Buchdruckers Antoni Koberger. Dieser war unter den Nürnberger Druckern der bedeutendste; er arbeitete mit 24 Pressen, beschäftigte über 100 Gesellen als Setzer, Korrektoren, Drucker und Illuministen und ließ auch noch auswärts, vornehmlich in Basel, Straßburg und Lyon, drucken. Gegenüber dem Kobergerschen Hause steht die an Stelle der 1696 gänzlich abgebrannten romanischen Kirche erbaute Egydienkirche, welche in den Jahren 1711-1718 von dem Ingenieur-Oberst Gottlieb Trost im Barockstil erbaut wurde. Im Innern ist die Kuppel mit Freskogemälden von J. D. Preißler und Schuster geschmückt. Das vortreffliche Altarbild, die Totenklage Christi, ist ein Meisterwerk Anton van Dycks. Hinter dem Altar sind in die Wand zwei Bronzereliefs eingelassen, welche aus der Werkstätte der Erzgießerfamilie Vischer stammen. Von dem Brande der Kirche sind drei an sie angefügt gewesene Kapellen verschont geblieben, nämlich die Wolfgangs-, Eucharius- und Tetzelkapelle, die auch mit der neuen Kirche in Verbindung gebracht wurden. Die Euchariuskapelle gehört dem Baustil nach der romanischen Epoche an; in der gotischen Tetzelkapelle verdient die dort befindliche Krönung der Maria von Adam Kraft aus dem Jahre 1501 besondere Beachtung. Noch sei bemerkt, daß die alte romanische Egydienkirche einen Teil jenes Schottenklosters bildete, welches von Kaiser Konrad III. im Jahre 1140 gegründet wurde. Neben der Kirche befindet sich das im gleichen Stil erbaute Gymnasium. Vor diesem steht das Standbild des Reformators Philipp Melanchthon, welches von dem Bildhauer Daniel Burgschmiet in Stein gehauen und 1826 am 300jährigen Jubiläum der Gründung des Nürnberger Gymnasiums enthüllt wurde. Melanchthon wurde im Jahre 1526 vom Rat berufen, das Gymnasium zu errichten, an welchem dann Camerarius und Eoban Hesse lehrten. In der nahen Schildgasse ist das Sebaldsche Haus zum goldenen Schild, in welchem die Goldene Bulle 1356 abgefaßt wurde. Dieses Gebäude ziert ein Wandgemälde, welches den Kaiser Karl IV., die Goldene Bulle haltend, zur Anschauung bringt. Gegenüber diesem Hause befindet sich das naturhistorische Museum, welches von der naturhistorischen Gesellschaft gegründet wurde und dieser gehört. Den Egydienberg herabschreitend, gelangen wir auf den Theresienplatz, auf welchem das Denkmal des berühmten Seefahrers Martin Behaim steht. Das Modell zu diesem Denkmal fertigte der Bildhauer Professor Hans Rößner, die Figuren wurden in der Professor Lenzschen Erzgießerei gegossen, und der wappengezierte Sockel kam durch den Bildhauer Johann Suter zur Ausführung. Gegenüber dem Denkmal in der Theresienstraße ist das Paumgärtnersche Haus, das ein treffliches Hochrelief von Adam Kraft, der Kampf des Ritters Georg mit dem Drachen, schmückt. In derselben Straße befindet sich das Kraftsche Haus mit einem schönen spätgotischen Hof, geziert von einer trefflichen kleinen Brunnenfigur, den heiligen Moritz darstellend und von Peter Vischer geschaffen. Durch einige Gassen emporschreitend und die beiden Pegnitzarme wieder auf der Spitalbrücke querend, gelangen wir zu der in der Straße gleichen Namens gelegenen, 1295 zugleich mit einem Kloster gestifteten und 1300 vollendeten Katharinenkirche, die im Innern allenthalben Überreste von Wandgemälden aus dem 15. und 16. Jahrhundert zeigt. Sie fand im Laufe der Zeiten mancherlei, nicht gerade ihrer Bestimmung entsprechende Verwendung. So hielten auch die Meistersinger in dieser Kirche ihre Singschulen ab. In ihrer unmittelbaren Nähe befindet sich der moderne, in Barockstil aufgeführte Prachtbau des Bayerischen Gewerbemuseums, das seit dem Jahre 1872 besteht. Die namhaften Beiträge der damaligen Reichsräte Freiherrn Dr. v. Cramer-Klett und Freiherrn Lothar v. Faber, zu welchen noch Unterstützungen des Staates und des bayerischen Gewerbestandes, insbesondere der Städte Nürnberg und Fürth, hinzukamen, bildeten das Gründungskapital. Ursprünglich lag das Gewerbemuseum in der Königstraße. Seine jetzige prachtvolle Heimstätte wurde in den Jahren 1892-1898 aufgeführt. Die Sammlungen des Museums umfassen alle für die Hebung des Gewerbes notwendigen Gebiete. Großartig ist die Mustersammlung von Arbeiten alter und neuer Zeit, Halbfabrikaten, Rohstoffen, Herstellungs- und Veredelungsmitteln. Die Vorbildersammlung enthält Abbildungen und Zeichnungen von gewerblichen Gegenständen. Ein chemisch-technisches Laboratorium, eine Untersuchungsanstalt für das Bierbrauereiwesen, eine Papierprüfungsanstalt, eine mechanisch-technische und eine elektrotechnische Abteilung, Zeichensäle, Bibliothek und Lesezimmer vervollständigen die hohe Bedeutung des Museums. Der neueren Zeit gehört auch das gegenüberliegende Bayerische Verkehrsmuseum an, das eine in Deutschland einzige Modell- und Materialsammlung auf dem Gebiete des Verkehrswesens beherbergt. Von hier aus folgen wir dem die Stadt rings umziehenden »Graben« einige Minuten südwärts und biegen dann rechts in die Lorenzstraße ein, an deren Ende sich auf dem gleichnamigen Platz die herrliche Lorenzkirche mit ihren kühn emporsteigenden Türmen erhebt. Sie ist ein großartiger gotischer Bau. Fassade und Mittelschiff der Kirche wurden um 1257 vollendet; als Bauführer des Langhauses wird 1341 Hermann Keßler genannt. Der südliche Turm wurde erst 1400 auf seine jetzige Höhe – 77 m – gebracht. In den nördlichen Turm schlug 1865 am Dreikönigstage der Blitz und äscherte das Dach ein, welches neu hergestellt ist. Der Chor der Kirche wurde nach Konrad Roritzers Plänen im Jahre 1477 vollendet. Außer dem prächtigen Hauptportal mit vielen Figuren und Hochbildern und der über demselben befindlichen Fensterrose besitzt die Kirche als äußeren Schmuck dem Pfarrhofe gegenüber ein marmornes Hochrelief, die heilige Dreieinigkeit darstellend, dann eine von Stabius 1502 gezeichnete Sonnenuhr, welche in neuerer Zeit nach den Angaben des Professors Sigmund Günther in München erneuert wurde. Das Innere dieses Gotteshauses macht auf den Besucher einen überwältigenden Eindruck. Die Reformation ging an allen dort befindlichen Kunstwerken spurlos vorüber. Die Bekenner der neuen Lehre hatten zu viel Verehrung für die von ihren Vätern gestifteten Werke, als daß sie eine neuernde Hand daran legen wollten. Noch glühen die von Veit Hirschvogel und anderen Nürnberger Künstlern gemalten Fenster in ihrer alten Farbenpracht, noch hängt das mächtige Bildwerk von Veit Stoß, die Verkündigung Maria, der sogenannte englische Gruß, von dem mächtigen Chorgewölbe herab, noch blicken die Heiligen mit ihren besonderen Abzeichen aus den vergoldeten Altarschreinen, und Adam Krafts herrliches, von ihm und seinen Gesellen auf ihrem Rücken getragenes Werk, das Sakramentshäuschen, steigt, als wäre es gestern aus der Werkstätte des Meisters hervorgegangen, in wundervollem Aufbau und ausrankend in einer gotischen Blume bis zur Gewölbedecke empor. Wie viele haben schon bewundernd vor diesem herrlichen, in den Jahren 1496-1500 von Adam Kraft hergestellten Kunstwerke gestanden, das auch durch manchen Dichter, von Eoban Hesse bis Longfellow, besungen wurde! Durchwandern wir die Kirche, so erfreuen uns ferner das prachtvolle Portal und die Stiege zu der Sakristei, wie auch die darüber befindliche herrliche Chorgalerie. Rechts vom Hauptaltar, welcher von dem Bildhauer Rotermundt neu hergestellt wurde und den ein Kruzifix von Veit Stoß ziert, ist das im Renaissancestil ausgeführte marmorne Grabdenkmal der 1639 gestorbenen Markgräfin Sophie von Brandenburg. Beachtung verdient auch ein im Chor befindlicher, von Peter Vischer 1489 gegossener und von der Patrizierfamilie Tucher gestifteter Kronleuchter. Von Gemälden erwähnen wir das von dem Vikar Krell gestiftete Altarbild hinter dem Hauptaltar, welches die älteste Ansicht von Nürnberg, angeblich von Michael Wohlgemuths Hand, zeigt. Die Krönung Maria von einem der Kölnischen Schule angehörigen Meister ist ein Imhoffsches Votivbild und befindet sich auf der dieser Familie gehörigen Empore der Kirche. Die Kanzel der Kirche wurde 1839-1840 durch den Bildhauer Lorenz Rotermundt in Eberwieser Stein ausgeführt; den figürlichen Teil an derselben, die zwölf Apostel und die vier Evangelisten, fertigte jedoch der Bildhauer Müller in Meiningen. Eine neue Zierde hat die Kirche am 22. März 1881, dem Geburtstage Kaiser Wilhelms I., durch das von Professor Wanderer im Karton gefertigte und von Hans Klaus gemalte Kaiserfenster erhalten. Es wurde neben dem Denkmal der Markgräfin Sophie eingesetzt und schließt sich in jeder Hinsicht den dortigen herrlichen Fenstern früherer Jahrhunderte, dem Volkamerschen, Tucherschen, Kühnhoferschen und Rieterschen Fenster, würdig an. Der gegenüber gelegene gotische Pfarrhof der Kirche wurde in den Jahren 1842-1844 nach den Plänen des Architekten Karl Heideloff erbaut. In diesem Gebäude befindet sich die Fenitzersche Bibliothek. Nördlich und östlich der Kirche sehen wir die Gebäude der königlich bayerischen Hauptbank, der Handelsschule mit zwei Bronzereliefs über der Eingangstüre – Kaiser Ludwig den Bayern und König Ludwig I. darstellend – und des Stadttheaters, das im Jahre 1833 von dem Architekten Schmidtmer gebaut wurde. An der Nordseite der Kirche steht der von Benedikt Wurzelbauer 1589 in Erz gegossene Tugendbrunnen. Dieser bringt an einer reich verzierten Säule sechs allegorische weibliche Figuren und eine Anzahl Tuben blasende Knaben mit den Wappen der Stadt zur Anschauung. Das mit springendem Wasser reich belebte prächtige Gußwerk wird von der Gestalt der Gerechtigkeit gekrönt. Der Kirche gegenüber ist das Schlüsselfeldersche Stiftungshaus, fälschlich Nassauerhaus genannt. Dieses turmartig angelegte, mit Erkern und einem Wappengang gezierte Gebäude wurde zwischen 1399 und 1421 erbaut, zu welcher Zeit kein Graf von Nassau mehr in Nürnberg war.
Von der Lorenzkirche kommen wir in die breite Königstraße, in welcher sich die schon im 12. Jahrhundert zum Klarakloster gehörige Klarakirche befindet, die mehrmals erweitert und zum letztenmal 1420-1428 umgebaut wurde. Seit 1854 ist sie als zweite Kirche den Katholiken eingeräumt. In dem Klarakloster war die Schwester Willibald Pirkheimers, die gelehrte Charitas, Äbtissin und liegt daselbst auch begraben. Neben der Klarakirche gewahren wir das mächtige Mautgebäude mit sehr schönem Portal aus dem Jahre 1498 und gewaltigem Giebel. Eine kurze Strecke davon entfernt liegt die Marthakirche, welche ursprünglich zu einem Pilgrimspital gehörte und 1360 erbaut wurde. Sie diente nach der Reformation bis um 1614 zu den dramatischen Vorstellungen der Handwerker. Im Jahre 1729 wurde sie erneuert und 1810 der reformierten Gemeinde zum Gottesdienst übergeben. Vor der Kirche erhebt sich der mächtige, runde Frauentorturm und bildet mit dem angebauten Königstor und dem alten Frauentor den Abschluß der dortigen Straße. Dem Frauentor gegenüber befindet sich der vor kurzem in feinen Formen neu erbaute Hauptbahnhof der Stadt, vor dem unseren Blick das im Jahre 1901 von Professor v. Ruemann geschaffene Reiterstandbild des Prinzregenten Luitpold fesselt. Wir folgen dem Frauentorgraben an dem neuen, zum Teil auf der alten Stadtmauer erbauten Künstlerheim vorüber bis zu dem im Jahre 1905 von Baurat Seeling errichteten Stadttheater, einem neuzeitlichen Prachtbau mit reichem figürlichen und ornamentalen Schmuck.
Bei diesem Bau verlassen wir den Graben wieder und gelangen, rechts in die Karthäuserstraße einbiegend, zum Germanischen Nationalmuseum im vormaligen Karthäuserkloster, das 1380 Marquard Mendel errichten ließ. Bei Einführung der Reformation wurde auch dieses Kloster eingezogen, und seine ausgedehnten Räumlichkeiten dienten im Laufe der Jahrhunderte den verschiedenartigsten Zwecken. So gingen die schönen Kreuzgänge teilweise dem Verfall entgegen, und man war nahe daran, sie ganz abzubrechen. Gegründet wurde das Germanische Museum auf der am 17. August 1852 zu Dresden unter dem Vorsitz des damaligen Prinzen und späteren Königs Johann von Sachsen abgehaltenen Versammlung deutscher Geschichts- und Altertumsforscher auf Antrag des Freiherrn v. Aufseß. Dort erhielt es seine Satzungen; Aufseß wurde zum Vorstand ernannt und Nürnberg als Sitz des Museums bestimmt. Die reichen Sammlungen des Freiherrn v. Aufseß bildeten hierzu den Grundstock. Das Museum war zuerst mietweise in den Räumen des Tiergärtnertorturmes und im architektonisch interessanten Toplerschen Hause am Paniersplatz in der Nähe der Burg untergebracht. Im Jahre 1857 brachte es der für das Museum unermüdlich tätige Freiherr v. Aufseß fertig, daß ihm das Karthäuserkloster vom Staat und das anstoßende Bauland von der Stadt Nürnberg überlassen wurde. Mit Unterstützung der deutschen Fürsten, von denen vor allem König Ludwig I. von Bayern als der größte Wohltäter des vaterländischen Museums gerühmt werden muß, und durch Beiträge von Städten, Gemeinden, Körperschaften und Privatpersonen konnte der Ausbau der Gebäude des Karthäuserklosters zur Aufnahme der Sammlungen des Museums bewirkt werden. In neuerer Zeit ließen das Deutsche Reich, Kaiser Wilhelm I., Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm II. dem Museum große Unterstützungen angedeihen. Mit goldenen Lettern prangen auf dem Eingangsportal die Worte: »Eigentum der Deutschen Nation.« Unter der Führung des hervorragenden Architekten Dr. August v. Essenwein und unter der seines Nachfolgers und jetzigen Leiters v. Bezold ist die Ausdehnung der Gebäude des Museums von Jahr zu Jahr größer geworden, so zwar, daß nicht allein die Kreuzgänge vollständig ausgebaut, sondern auch eine Reihe Gebäude neu errichtet wurden, um die großartigen Sammlungen unterzubringen. Nicht weniger als 77 Säle dienen ihnen als Räumlichkeiten, und alles, was die deutsche Kunst und Wissenschaft seit Jahrhunderten hervorgebracht hat, ist durch Proben im Museum vertreten. Die alte Kirche des Klosters ist als Halle für kirchliche Kunst eingerichtet; an der Südwand befindet sich Wilhelm v. Kaulbachs großartiges Wandgemälde »Kaiser Otto III. besucht die Gruft Karls des Großen«. Die beiden Kapellen der Kirche haben gleichfalls eine entsprechende Ausstattung, und für den Geschichtsforscher und Kunstverständigen ist es ein wahrer Genuß, die Kreuzgänge mit ihren gemalten gotischen Bogenfenstern und den dort aufgestellten Denkmalen der Vorzeit zu durchwandern. Ungemein reich an trefflichen Gemälden ist die Galerie des Museums, und besonders schön ist die altdeutsche Schule in ihrer ganzen Entwickelung vertreten. Leider konnte das schönste Gemälde Albrecht Dürers, das Porträt des Nürnberger Bürgermeisters Hieronymus Holzschuher, das unter Eigentumsvorbehalt überlassen war, dem Museum nicht erhalten bleiben, da es vor einigen Jahren von der Familie v. Holzschuher der Königlichen Sammlung in Berlin um einen Preis verkauft wurde, den das Museum aufzuwenden nicht in der Lage war. Eine große Bereicherung erfuhr es jedoch durch die vor einigen Jahren erfolgte Überlassung der ehemals im Rathaus aufgestellten, unter Eigentumsvorbehalt überlassenen städtischen Sammlungen, welche Kunstwerke allerersten Ranges enthalten, und durch die Erwerbung der Waffensammlung des Fürsten Sulkowski, welche u. a. eine große Anzahl prächtiger Harnische, die als Meisterwerke der Nürnberger Plattnerkunst einst das städtische Zeughaus schmückten, dem Museum zugeführt hat. Die Bibliothek des Museums hat gegen 200 000 Bände, darunter viele seltene Handschriften, Inkunabeln und Prachtwerke. Die richtige Besichtigung aller zehn Sammlungsabteilungen, deren jede sich von Jahr zu Jahr vergrößert, dürfte für den Besucher des Germanischen Museums einige Tage in Anspruch nehmen. Verlassen wir die Karthäusergasse, so kommen wir auf den Hallplatz, auf welchem sich das ehemalige Zeughaus mit seinem von zwei Türmen flankierten Portal befindet. Die reichen Bestände des Zeughauses, die riesigen Kanonen, Mörser und Feldschlangen sind längst verschwunden, und von den Harnischen und Armaturen für 6000 waffenfähige Bürger der alten Reichsstadt ist nichts mehr vorhanden. Plünderungen aller Art dieses mächtigen Zeughauses, welche sich bis zu Anfang dieses Jahrhunderts fortsetzten, haben dies zustande gebracht. Jetzt befindet sich in den dortigen Gebäuden und auf dem Hallplatz der Hopfenmarkt, welcher der größte des europäischen Kontinents ist.
Von dem genannten Platz kommen wir durch die Pfannenschmiedgasse an der Lorenzkirche und dem eigenartigen Tugendbrunnen vorbei in die breite Karolinenstraße, die uns zwischen dem schloßartigen, aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammenden Nassauerhaus und dem stolzen Barockneubau des Leykaufschen Kunstgewerbemagazins an dem prächtigen Postgebäude vorüber zum Peter-Henlein-Denkmal auf dem Hefnerplatz führt, das von der Stadt Nürnberg und dem deutschen Uhrmacherbund im Jahre 1905 dem in Nürnberg ansässig gewesenen Erfinder der Taschenuhr errichtet wurde. Von hier aus gelangen wir, auf der Ludwigsstraße weitergehend, zu einem der ältesten Gotteshäuser der Stadt, zur St. Jakobskirche. Sie wurde im Jahre 1212 von dem Deutschen Orden gegründet und ist in ihrem jetzigen Zustand ein Werk des 14. und 15. Jahrhunderts. Sie enthält einen besonders schön geschnitzten Hochaltar aus dem 14. Jahrhundert, alte Bilder in der Sakristei und treffliche Holzskulpturen in der Seitenkapelle. Gegenüber der Jakobskirche liegt die Deutschhaus- oder Elisabethkirche, welche im Jahre 1784 durch den Oberst Neumann zu bauen begonnen wurde. Sie ist ein stolzer, herrlicher Bau mit einer gewaltigen Kuppel. In neuerer Zeit wurde diese Kirche einer Erneuerung unterzogen und im Jahre 1885 der katholischen Gemeinde übergeben. In nächster Nähe befindet sich der weiße Turm mit altem Vorwerk, das älteste aus der Zeit der Hohenstaufen stammende Stadttor. Indem wir noch einen Blick auf die dortige neue, im Jahre 1865 erbaute Kaserne werfen, gehen wir durch die Ludwigsstraße zum Spittlertor, welches mit einem der bereits erwähnten vier runden Riesentürme befestigt ist, hinaus in die Vorstadt Gostenhof und besichtigen den auf einem großen Platze, dem Plärrer, zum Gedächtnis an die im Jahre 1835 zwischen Nürnberg und Fürth ausgeführte erste Eisenbahn Deutschlands errichteten Kunstbrunnen. Der Entwurf und die Modelle zu diesem herrlichen Brunnen stammen von der Hand des Bildhauers Professors Heinrich Schwabe; die Figuren und Reliefs wurden in der Erzgießerei des Professors Lenz gegossen. In der Nähe des Brunnens befindet sich der Fürther Bahnhof, und auf der Rothenburger Straße gelangen wir nach Zurücklegung einer kurzen Strecke zu dem alten St. Rochuskirchhof. Die vielen dort befindlichen Grabsteine schmücken Inschriften hervorragenden künstlerischen Werts aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Unter dem Grabstein Nr. 90 liegt Peter Vischer begraben, Nr. 304 der Baumeister Paulus Beham, Nr. 536 der Maler Lorenz Strauch und Nr. 1469 der Volksdichter Weickert. Die Kapelle des Kirchhofes wurde von Konrad Imhoff im Jahre 1519 gestiftet. Sie birgt Gemälde von Burgmair und Skulpturen von Veit Stoß; die Fenster sind von Veit Hirschvogel gemalt. An den St. Rochuskirchhof grenzt der Militärkirchhof, der auch manches bemerkenswerte Denkmal aufzuweisen hat. Zurückkehrend über den Plärrer, gelangen wir nach wenigen Minuten an die Rosenau, eine der schönsten öffentlichen Anlagen Nürnbergs, von der aus sich ein überraschend schöner Blick bietet auf die jenseits des Grabens malerisch hintereinander aufsteigenden Türme und Dächer der Stadt, mit ihrer Krönung, der Burg. Nachdem wir uns an dem prachtvollen Bilde satt gesehen haben, besichtigen wir noch kurz den rechts in den Anlagen stehenden Minnesängerbrunnen, eine anmutige Schöpfung des Nürnberger Bildhauers Kittler. Nehmen wir jetzt unseren Weg an den efeuumrankten alten Stadtmauern und den gewaltigen Basteien vorüber, die den Geist in vergangene Jahrhunderte zurückversetzen, so steigt plötzlich noch einmal die herrliche Burgpartie mit den Türmen der St. Sebalduskirche und den sonstigen sie umgebenden mittelalterlichen Gebäuden vor uns auf. Zum letzten Male ergötzen wir am Mohrentor unser Auge an diesem köstlichen Anblick, besuchen, die dortige 1697 erbaute steinerne Brücke überschreitend, den am Hallertor gelegenen Maximiliansplatz, besichtigen im Vorübergehen den von dem Mechanikus Kuppler 1824 hergestellten Kettensteg, welcher die erste Brücke dieser Konstruktion in Deutschland war, und sehen uns den in der Mitte des Platzes stehenden sogenannten Wasserspeier an, einen Brunnen mit einem das Wasser aus einer Muschel hoch emporblasenden Triton aus Stein, welchen der Bildhauer Bromig 1687 nach der Fontäne Berninis in Rom ausführte. Nächst der dort über die Pegnitz führenden, von dem Oberbaurat Solger 1852 erbauten Maxbrücke befindet sich der Henkersteg mit dem ältesten über die Pegnitz sich ziehenden Teil der Nürnberger Befestigung und hinter dieser liegt der berühmte, allen Kunstfreunden wohlbekannte Trödelmarkt. Zurückgehend kommen wir auf die vor dem Tore liegende Hallerwiese, den ältesten, schon im 15. Jahrhundert bekannten Vergnügungsort mit prächtigen Bäumen. Eine Zierde der Hallerwiese bilden der nach den Entwürfen des Direktors August v. Kreling gefertigte Kunstbrunnen und die angebauten schönen Häuser, insbesondere das prächtige Freimaurer-Logenhaus. Die Mühlgasse emporsteigend, kommen wir in die Burgschmietstraße und statten der berühmten Professor Lenzschen Erzgießerei einen Besuch ab. Diese wurde von dem tüchtigen Bildhauer und Erzgießer Daniel Burgschmiet gegründet. In ihr wurden schon viele der berühmtesten von den größten Plastikern, wie Rauch, Hähnel, Schilling u. a., modellierte Denkmale gegossen. Die Gießerei besitzt eine sehenswerte Modellsammlung. In der Burgschmietstraße und auf dem zum St. Johanniskirchhof führenden Wege betrachten wir die Adam Kraftschen Stationen, welche den Leidensgang Christi in ergreifend schönen Darstellungen des genannten Bildhauers zur Anschauung bringen. Diese stiftete der Ritter Martin Ketzel, welcher mit dem Herzog Albrecht von Sachsen 1468 in Jerusalem war und dort die Maße für die Entfernungen der Stationen nahm. Zu Hause angekommen, merkte Martin, daß er auf der Heimreise seine Aufzeichnungen verloren habe, was den frommen Mann veranlaßte, zum zweitenmal diese mühselige Reise 1472 und diesmal mit dem Herzog Otto von Bayern zu unternehmen.
Auf dem St. Johanniskirchhof, den wir hierauf betreten, fesselt unsere Aufmerksamkeit der Kalvarienberg, gleichfalls von Adam Krafts Hand, und – in der dortigen, nach dem Vorbild des Heiligen Grabes in Jerusalem errichteten Holzschuher Kapelle – die Grablegung Christi, welche demselben Meister zugeschrieben wird. Der St. Johanniskirchhof, der Campo santo der Nürnberger, dürfte wohl der interessanteste deutsche Friedhof sein. Viele Hunderte von Leichensteinen, die meist mit künstlerisch vortrefflichen Bronze-Grabschriften geziert sind, bedecken eine weite mauerumgürtete Fläche. Die berühmten Söhne Nürnbergs haben dort ihre Ruhestätte gefunden. Der Künstlerfürst Albrecht Dürer ruht im Grabe Nr. 649, nebenan (664) der Goldschmied Wenzel Jamnitzer, kaum einige Schritte entfernt liegen der Historienmaler Anselm Feuerbach, der Bildhauer August von Kreling und der Architekt Adolph Gnauth. Willibald Pirkheimer ist unter dem Stein Nr. 1414 gebettet, Ratsherr Nützel Nr. 1321, Lazarus Spengler Nr. 1319, Veit Stoß Nr. 228, Hieronymus Paumgärtner Nr. 1265, Baumeister Wolf Jakob Stromer von Reichenbach Nr. 1490, Sebald Schirmer, der Heerführer der Nürnberger im 16. Jahrhundert, Nr. 615, der Erzgießer Benedikt Wurzelbauer Nr. 129, Joachim v. Sandrart C3b, Erzgießer Daniel Burgschmiet F33, der Kupferstecher und Kunstschuldirektor Albert Reindel Nr. 2131. Auf der neuen Abteilung des Kirchhofs ruhen der Philosoph Ludwig Feuerbach, der große Industrielle und Stifter Theodor Freiherr v. Cramer-Klett, der Maler Karl Jäger, der Germanist Dr. Frommann und der Tondichter Julius Grohe. Von Denkmalen ist auf dem alten Kirchhof besonders das Münzersche vom Jahre 1550 zu nennen. In der neuen Abteilung sind treffliche Arbeiten von den Bildhauern Gustav Eberlein, Hans Rößner und Heinrich Schwabe. Mitten im Kirchhof erhebt sich die im gotischen Stil im Jahre 1252 erbaute und im 14. Jahrhundert in ihrer jetzigen Gestalt hergestellte Johanniskirche. Diese hat manches Kunstwerk aufzuweisen; so schmückt den figurenreichen Altar ein Gemälde von Altdorfer, dem Schüler Albrecht Dürers. Auch die Glasmalereien der Fenster verdienen die Beachtung des Beschauers, ebenso die eigenartigen Denkmale einiger schwedischer Offiziere, welche im Dreißigjährigen Kriege bei Nürnberg fielen. – Nicht weit vom St. Johanniskirchhof liegt der neu angelegte große Zentralfriedhof, der ein von dem städtischen Architekten Heinrich Hase im Renaissancestil ausgeführtes herrliches Tor hat. Nun nehmen wir den Weg vom alten Kirchhoftor durch die St. Johannisstraße und machen bei einem kleinen Gotteshause, der heiligen Kreuzkirche, halt. Die Kirche enthält einen Altar mit vortrefflichem Schnitzwerk, die Grablegung Christi darstellend, von Veit Stoß. Auf den fünffach zusammengelegten Altarflügeln befinden sich außer der Kreuztragung und Auferstehung acht Darstellungen aus dem Leben Mariä von Michael Wohlgemuth. Diese Malereien zählen zu den besten Arbeiten des Künstlers. Mit wenigen Schritten sind wir wieder an dem breiten Stadtgraben und wandern daran entlang am Neuentor mit seinem gewaltigen runden Turm vorüber zum Maxtor, um durch die Straßen einer neu angelegten Vorstadt mit villenartigen Häusern zum schönsten Vergnügungsplatz der Nürnberger, dem Stadtpark oder Maxfeld, zu gelangen. Ehemals der Judenbühl genannt, wurde dieser Platz zum Gedächtnis an die Anwesenheit des Königs Maximilian II. von Bayern im Jahre 1855 und zur Erinnerung an das dort abgehaltene große Volksfest das Maxfeld geheißen. Im Jahre 1861 erhob sich die gewaltige Sängerhalle für das damals in den Mauern der alten Noris abgehaltene erste deutsche Sängerfest. Dort ertönten gar mächtig, von tausend und abertausend deutschen Männern gesungen, die von Franz, Lachner, Abt, Hiller und Methfessel eigens für das Fest komponierten Chöre, und durch das duftige Grün der auf dem Maxfeld stehenden hundertjährigen riesigen Linden erklang gar wundersam und prophetisch der seitdem so herrlich in Erfüllung gegangene Sängerspruch:
Deutsches Banner, Lied und Wort
Eint in Liebe Süd und Nord.
Beinahe zwanzig Jahre später, im Jahre 1882, war das Maxfeld wieder der Platz, auf dem sich im edlen Wettkampf die Kräfte maßen, aber diesmal nicht in der Kunst des Gesanges, sondern in den Leistungen der Industrie und des Handwerks, der Wissenschaft und der bildenden Kunst. Wer die von dem Architekten Direktor Adolf Gnauth und dem damaligen Direktor des bayerischen Gewerbemuseums Karl von Stegmann geschaffenen Gebäude der bayerischen Landesausstellung betrat, der mußte mit Freude wahrnehmen, auf welch hoher Stufe sich die Industrie und Kunst in Bayern befinden, und den Nürnberger erfüllte es mit Stolz, daß gerade seine Stadt es war, die zum Sitz der Landesausstellung erkoren wurde. Nach Schluß der Ausstellung zog das Maxfeld ein neues Gewand an. Inmitten der herrlichen Bäume wurden reizende Anlagen geschaffen; die gegrabenen Teiche durchfurchen jetzt stolze Schwäne, und die mit Blumenbeeten umgebenen Fontänen werfen ihre Wasserstrahlen hoch in die Lüfte. Ein schloßähnliches Gebäude wurde nach den Plänen des Architekten Hase als Restauration gebaut, die für die zahlreichen Besucher die entsprechende Aufnahme und alle Bequemlichkeit bietet. Vornehme Konzerte finden fast täglich, je nach der Jahreszeit und dem Wetter, in den Sälen des Gebäudes oder im Freien statt. Eine ähnlich großartige Erholungs- und Vergnügungsstätte hat Nürnberg neuerdings im äußersten Süden der Stadt, an dem in schöner Waldumgebung gelegenen Dutzendteich erhalten, der auch Gelegenheit zu erfrischenden Bädern und zu Fahrten in Ruder- und Motorbooten bietet. Wir betrachten noch die in der Rosenanlage des Stadtparks zum Gedächtnis an das erste deutsche Sängerfest aufgestellte riesige Vase aus Carraramarmor, welche auf ihren Flachseiten die Sängerfesthalle und die Wappen der Stadt, an den Henkelpartien Szenen aus dem Einzuge der Sänger in Nürnberg zeigt, und treten dann in das Restaurationsgebäude ein, um uns nach der langen Wanderung durch das alte und neue Nürnberg etwas zu erfrischen.