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Eine Wanderung durch die Feenschlösser des reich begabten, später so unglücklichen Königs Ludwigs II. ist um so fesselnder, als uns diese stolzen Bauten mit ihren Anlagen gleichzeitig einen kurzen Blick in das eigenartige Geistesleben dieses Monarchen gestatten. Nach seiner ganzen körperlichen und geistigen Veranlagung zu schließen, lebte Ludwig von früher Jugend an in dem Wahn, daß er durch seine hohe Geburt nicht nur ein gewaltiger Beherrscher der Menschheit sei, sondern daß er auch in einer ganz vollkommen idealen Welt lebe, und je mehr er nach und nach einsah, daß das Leben seiner Untertanen und der Menschen überhaupt nicht aus Idealen zusammengesetzt sei, desto mehr baute er sich seine Welt der Ideale in sich und um sich auf. Hoher Gedankenflug führte ihn so allmählich ins Bereich des Traumlebens, er wollte mit kühner Hand Luftschlösser zu wirklichen Schlössern gestalten, die Phantasie eines Doré und die Pracht des Orients waren seine Baugehilfen, und in den bayerischen Bergen suchte er nach unwegsamen steilen Felsen und tiefen Schluchten, die einer Doréschen Phantasie gleich kamen. So entstanden nacheinander oder fast gleichzeitig die Prunkschlösser Herrenchiemsee, Linderhof und Schwanstein, und Tausendundeine Nacht oder die hängenden Gärten der Semiramis betitelt sich im Volksmund ein Bau, welcher, ein Kabinettstück der Gartenkunst, sich oben auf dem Dache der königlichen Residenz in München befindet und von Ludwig mit unerhörten Anforderungen an die Gesetze der Statik an einen Platz gestellt wurde, wohin man sonst keine Gärten zu verlegen pflegt. Als sein Großvater, der alte König Ludwig I., den großartigen Prachtbau der Residenz im Hofgarten zu München vollendet hatte, ahnte er wohl nicht, daß dieses herrliche Architekturstück einst vom Enkel einen höchst unsymmetrischen Aufbau auf dem Dache des riesigen Schlosses erhalten würde. Von außen gesehen, gleicht denn diese Verunstaltung auch einem riesigen Tonnengewölbe, aus Glas und mächtigen Eisengerippen zusammengefügt, einem großen Bahnhofstunnelbau, der, von der Straße aus erblickt, keineswegs harmonisch zu wirken vermag. Um so eigenartiger und voll zauberhaften Reizes ist aber das Innere dieses auf dem Dache in einer Länge von 245 Fuß sich ausdehnenden Wintergartens. Von dem Schlafzimmer des Königs aus führt eine Tür unmittelbar in dieses Feenreich, sodaß er jede Minute aus und ein gehen konnte. Inmitten des Gartens befindet sich – man denke nur: auf dem Dache eines Hauses – ein kleiner See mit zwei indischen Schwänen, eine reich vergoldete kleine Gondel lag am Gestade für den königlichen Fährmann bereit. Der See erhält seine Speisung durch einen Wasserfall, der aus einer mächtigen Tropfsteingrotte, in welcher der König nächtlicherweile zu träumen pflegte, hervorrauscht. Die Gesamtszenerie stellt eine indische Landschaft vor, die abschließende hinterste Wand zeigt eine wundervolle Malerei des Himalayagebirges und ist mit natürlichem Vordergrundaufbau nach Art unserer neueren Panoramen perspektivisch durch ausgesucht schöne Palmen, Bananen und Orangenbäume behandelt, große Spiegel lassen den Garten bis ins Endlose gedacht erscheinen. Zwei Wege, die sich in einem Halbbogen vereinigen, führen in diesen eigentümlichen Irrpark, der am See eine natürliche Wiese zeigt mit wundervollen Blumen und Blattgewächsen, und darin Tandardinis prachtvolle Marmorgruppe: »Faust und Gretchen«. Ein Kiosk erhebt sich mit vergoldeten Kuppeln und Minaretts, reich verziert mit kunstvollen Arabesken, Schnitzwerk und reizenden Glasmalereien, erleuchtet durch ein magisches Licht. Die indischen Möbelstoffe laden nach morgenländischer Art zum Ruhen ein, etwas weiter sieht man, als Gartenhäuschen gedacht, eine Indierhütte, dicke Efeuranken überdachen einen lauschigen Bogengang, das Ganze gleicht einem indischen Bungald, zu welchem der König mit eigener Hand die Pläne gezeichnet; so oft er diesen Feengarten auf dem Dache seines Palastes betrat, ertönte eine liebliche, schwärmerische, indische Musik, welche hinter den Büschen verborgen erklang, und Nachtigallen ließen nächtlicherweile hier wetteifernd ihren klagenden Gesang erschallen.
Von dem an Bergtouristen und Sommerfrischlern überfüllten Partenkirchen wanderten wir über Garmisch und Oberau in das nach Oberammergau führende Tal, wo das altehrwürdige Kloster Ettal uns im Bräustübl der Klosterbrauerei den gastlichen Trunk kredenzte. Wenn man von hier aus längs des rauschenden Ammer gehend, und Ammergau rechts liegen lassend, in das liebliche Graswangtal einlenkt, gelangt man an das 1½ Stunden entfernte Märchenschloß Linderhof, mit seinen prachtvollen Terrassen, um angesichts des höchsten der Berge im Deutschen Reich, der großartigen, schneebedeckten Zugspitze, munter fürbaß zu wandern, bis man am Fuße des Säuling an jenem bekannten, »die Jugend« benannten Aussichtspunkt Halt macht. Von hier aus sieht man in wahrhaft paradiesischer Lage das auf bewaldetem Felskopf gelegene Schloß Hohenschwangau, umgeben vom Schwan- und Alpsee, umrahmt von Wäldern und tiefen Schluchten, eine lieblich romantische Ritterburg, die auch Karl Gutzkow in einem mehrbändigen Roman behandelt. Einst ein Römerkastell, dann eine Ritterburg, wurde sie 1809 von den Tirolern verwüstet und vom König Max II. später wieder aufgebaut. Sinnreich und poesievoll haben die Meister Schwind und Schwanthaler hier zusammengewirkt, um auf Schritt und Tritt mit jugendfrischer Künstlerhand der Burg ein jungfräuliches und überaus freundliches Ansehen zu geben. Kein mürrischer Kastellan, sondern ein biederes, gutmütiges Bayerngesicht übernahm freundlich grüßend und dann erklärend die Führung. Gleich an der Einfahrt machen zwei Schwanthalersche Bannerträger mit dem bayerischen und Schwangauer Wappen die Ehrenerweisung, im Schloßhof sprudelt der Marienbrunnen sein kristallhelles Bergwasser, dann winken uns allerlei launige Fresken, welche auf das Schalten und Walten einer Schloßküche Bezug haben, und ein mächtiger Schwan versieht seine Dienste als Springbrunnen, während vier wasserspeiende bayerische Löwen, ebenfalls von Schwanthalers Hand, eine mächtige Schale tragen, aus deren Innern der Strahl eines hohen Springbrunnens emporsteigt, einige Schritte davon ein köstliches Marmorbad, welches aus dem ursprünglichen Felsen herausgearbeitet ist. Ein poetischer Gruß ladet den Wanderer ein, die Burg zu betreten, ein lustiger Vers über der Kellertür gemahnt ihn an das, was dem echten Bayern willkommen ist, an einen guten und tiefen Trunk. Doch man vergißt der Bedürfnisse der Zunge und des Magens, sobald man diese stolzen, ritterlichen und doch eines gemütvollen und anheimelnden Zaubers nicht entbehrenden Gemächer betritt. Die prachtliebenden Wittelsbacher verbinden mit Mediceergüte den Sinn für häusliches und künstlerisches Behagen und lassen sich nicht durch steife und vornehme Kunst die Wohnräume beeinträchtigen. Liebliche Märchen und Sagen, Bilder holder Minne und mittelalterlichen Frauenlebens bedecken die Wände in poesievoller Form, wie sie dem Märchenkomponisten Moritz v. Schwind so recht aus der tiefsten Tiefe seines kindlichen Gemütes kamen, und es ist keine Frage, daß diese freundlichen Märchengestalten, diese Schwanrittersagen und Siegfriedtaten auf den prinzlichen Knaben Ludwig schon früh eine bestrickende Macht von den al fresco bemalten Wänden der Hohenschwangauer Wohnräume herab ausübten. Die Schwanrittersage vom Lohengrin, die Wartburgminne und der Nibelunge Not, die hier schon in den frühesten Kinderjahren auf seine jugendliche Phantasie bildlich einwirkten, haben während seines ganzen späteren Lebens ein förmliches Gastrecht in allen seinen Schlössern, in allen Wandlungen und geschichtlichen Abzweigungen behalten.
Schloß Hohenschwangau trägt die vom König Max gewollte einfache kernige Pracht der Gotik und Renaissance, sein Inneres ist ein bis zum letzten Punkt harmonisch gestaltetes Gefüge. Nirgends eine Überladung an gleißendem Gold und Silber, alles Kunstvolle ist von einfach wuchtiger Kraft und gediegener Schönheit. Wir waren deshalb sehr gespannt, die Privatgemächer und das Arbeitszimmer des Königs Ludwig zu sehen. Hier entfaltete sich allerdings jener Prunk, der sich bei diesem eigenartigen und verwöhnten Schloßherrn in massigen Goldstickereien, schweren Sammetstoffen und raschelnden, glitzernden Seidenvorhängen bekundet. Aber der Blick haftete nicht neugierig an diesem oder jenem Einzelnen, denn der Kastellan öffnete die Fenster, und siehe, ein Panorama von nie gesehener Schöne umfing uns mit seiner leuchtenden, herzbeglückenden Allgewalt. Wie das blaue Auge der Alpen liegt da der Schwansee, und der Nachbar, der Alpsee, grüßt aus dem Grün der Föhren herauf zu unserem Fürstensitz, lieblich schlingt sich der Kranz der Allgäuer Berge, und weiter ragen die ehrwürdigen Häupter der Tiroler Grenznachbarn. Lärchen und Ahorn und eine Welt von dunkelbuschiger Vegetation strömen Tannenharzduft aus dem melodischen Waldesweben, brausend schäumen die Achen, weiße Silberbänder durch das Waldesdunkel schlingend, und aus der Pöllatschlucht schießt übermütig durch gehöhlte Felsen der aufbrausende junge Sohn des Gebirges. Wahrlich, der Platz an des Königs Schreibtisch hier ist kein Sitz zum Träumen, nein, er fordert heraus zum Handeln, zu großen Taten oder zum Forsten, zum Jagen, zum mutigen Wagen, aufwärts zu steigen und die Brust gesund zu baden und zu befreien von dunklen Gewalten. Aber König Ludwig hat hier weiter geträumt an diesem Sitze, und wie wir ein Bild an der Wand des eigenen Zimmers, welches wir täglich vor Augen haben, aus Gewohnheit schließlich nicht mehr gewahren, so hatte auch für den königlichen Träumer diese anbetungswürdige Natur keinen Reiz mehr. Sein begehrlicher Sinn suchte Veränderung, er schloß die schweren Goldbrokatvorhänge, und bei der Nachtlampe, die hier einst dem Minnesänger Hilpolt von Schwangau nicht viel besser geleuchtet haben mag, barg der König stieren Auges das Haupt in Bauentwürfe und Skizzen. Einen Büchsenschuß weit, auf dem Tegelfelsen, unwegsam, am jähen Abhang der tosenden und brausenden Pöllatschlucht war Platz für ein Schloß nach seinem Sinn; Hohenschwangau, das die Ritter einst Schwanstein geheißen, wollte er neu erstehen lassen, Neuschwanstein sollte es heißen, das Riesenschloß, das in seinen täglichen und nächtlichen Träumen wie ein Geisterspuk tobte. »Schnell, sprengt mir den Felsen, macht unwegsam den letzten Rest, der noch wie ein Zugang zum Tegelfelsen aussieht, und über dämonisch schwindelnde Brücken bringt mir die Granitfelsen von 2 m im Durchmesser!« Das war der Befehl des gewaltigen Machthabers auf Schwangau, gegeben wie ein Wink, wie man ihn leichten Sinnes einem Diener am Frühstückstische erteilt, befolgt aber und ausgeführt pünktlich und ernst wie das Machtgebot eines Weltenbeherrschers.
Jetzt ragt Neuschwanstein, erbaut nach dem Muster der Wartburg, nur doppelt so groß und umfangreich, auf dem Tegelfelsen, wenn auch unvollendet, empor, und das etwas weiter unten liegende Hohenschwangauer Schloß nimmt sich gegen diese Walhallagötterburg wie ein Kartenhaus aus: »Auf Berges Gipfel die Götterburg, – prunkvoll prangt der prächtige Bau.« – Neuschwanstein hat fünf mächtige Stockwerke und drei Dachstühle, die Söller im dritten und vierten Stockwerk tragen ein Dach von schwer vergoldeten Platten, die weit hinaus in die Lande im Sonnenlicht blitzen, von hier aus sieht man senkrecht und 1000 m tief in die Pöllatschlucht, deren brausendes Wasser durch den noch oberhalb des Schlosses beginnenden Pöllatwasserfall gebildet wird; über die 90 m tiefe Schlucht selbst führt eine lange, zierlich gebaute Schwebebrücke, deren gewaltige Träger von hier wie ein dünnes aus Zündholzstäbchen gebautes Balkenwerk erscheinen. Zaghaft näherten wir uns über ein Labyrinth von Steinmetzarbeiten und unvollendetem Material dem Schlosse, das damals noch kein Fremdling betreten hatte; freundlich grüßend kamen wir an Arbeitern und Aufsehern vorbei und drangen weiter vor, ohne aufgehalten zu werden, mit leisen Schritten barhäuptig schritten wir durch die mächtigen Hallen und Gänge und gelangten, ohne den Wunsch, die Zimmer zu sehen, in uns laut werden zu lassen, bis in das dritte Stockwerk. Die geräumige Flur mit prachtstrotzenden Kronleuchtern in Schwanengestalt gebildet, und an den Wänden die Fresken der Siegfriedssage, machte auf uns den Eindruck einer Wartburgsängerhalle, aber die eigentliche Sängerhalle sollte uns sich erst erschließen. Wir waren eben in Betrachtung eines Gipsmodells begriffen, welches das vom Könige geplante chinesische Schloß Falkenstein vorstellt, als die Tür des königlichen Speisezimmers sich öffnete und ein Schloßbeamter sein prüfendes Auge über unseren Touristenanzug gleiten ließ.
Von unserem Begehren, das Schloß zu besichtigen, in Kenntnis gesetzt, lud er uns mit freundlicher Handbewegung ein, in die Gemächer zu treten. Wie alle Zimmer in der Farbe der Samt- und Seidenstoffe verschieden, so hatte auch das Speisezimmer in allen Einzelheiten seine eigene Farbe, nämlich bordeauxrot. Neben dem Speisezimmer, welches prachtvoll geschnitzte Renaissanceschränke und eine Menge Prunkgefäße schmücken und dessen Kamin einen riesigen Schwan aus Porzellan trägt, liegt das Arbeitszimmer des Monarchen, dessen Möbelstoffe, grün mit schweren Goldauflagen versehen, das reich gestickte L. mit der bayerischen Krone tragen, an den Wänden spielt sich die Tannhäusersage ab, die Nymphen mit der gekrönten Venus sind in ihrer Gruppierung vom Könige selbst entworfen. Von hier aus führte man uns in ein geräumiges Empfangszimmer, welches durch Siegfrieds Tod, gemalt von Piloty, geschmückt ist.
Aus dem Speisezimmer gelangte man ins Schlafzimmer, offenbar den schönsten Raum in der Privatbehausung des Königs. Es ist bayerisch-blau, die Lieblingsfarbe des Monarchen, und wiederum sind alle Draperien, Rücklehnen und Sitze der Stühle mit fingerdicker Goldstickerei versehen. Das Bett mit einem schweren gotischen Traghimmel wie ein Kanzeldach und Baldachin ausgestattet, ist von einer Ausdehnung, daß bequem sechs Menschen darin Platz haben, die schwere, kunstvolle Holzschnitzerei reicht bis zur Decke hinauf, am Kopfende befindet sich eine Madonna, auf dem Bettischchen daneben steht ein zusammenlegbarer kleiner Hausaltar mit Flügelbildern. An den Wänden des Schlafgemaches sind wiederum Szenen aus Tristan und Isolde in Lebensgröße; man sieht, daß Wagners Minne den König bis in den tiefsten Traum zu verfolgen berufen war. Nebenan befindet sich ein erkerhafter Ausbau, die Hauskapelle darstellend, mit Malereien aus dem Leben des heiligen Ludwig; auf allen Bett- und Altardecken prangen in Brokatgoldstickerei des Königs Lieblingstiere, die bayerischen Löwen und die gekrönten Schwäne, ein silberner Schwan spendet das frischeste Waschwasser, wie es eben von der Hochquellenwasserleitung des Tegelkopfes hergeleitet wird; diese Leitung versorgt alle Stockwerke; ebenso reicht ein Speisenaufzug bis in den vierten Stock. Drei Riesenöfen besorgen die Luftheizung aller Räume, für den Thronsaal ist eine eigene Luftheizung angelegt. Im Ankleidezimmer nebenan erblicken wir die sich um Walter von der Vogelweide gruppierenden Minnesänger, und Szenen aus den »Meistersingern von Nürnberg« fehlen natürlich nicht. Alle Wasch- und Trinkgeschirre tragen den bayerischen Löwen und den Schwan als Emailarbeit. Betreten wir nun noch das größte aller Zimmer, das Wohnzimmer, so staunen wir über die prächtigen Bilder aus der Lohengrinsage; auf dem Sofatisch, an welchem der König oft und lange traumbefangen saß, steht zwischen Girandolenleuchtern das reich umrahmte Bildnis Ludwigs XIV., mit welchem er lange französische Zwiegespräche zu halten pflegte.
In den oberen Stockwerken liegen der Thronsaal und der Sängersaal mit Darstellungen aus Gudrun, Nibelungen und Parzival. Der Sängersaal zeigt nach der einen Seite eine Säulenreihe, die einen abgegrenzten Raum bildet und eine Galerie trägt, auf deren Säulen dann die in bunten Farben getäfelte Holzdecke ruht. Eine Menge riesiger Kronleuchter, reich mit 3000 Kerzen versehen, geben ein taghelles Licht. Im Hintergrunde befindet sich ein bühnenartiger Abschluß, eine waldige Landschaft mit dem Weltenbaum der Edda darstellend, in dessen Schatten die Weltenquellen entspringen und an dessen Stamm ein munteres Eichhörnchen auf und nieder hüpft. Eine Menge Sitze in den Farben der Minnesänger ohne Rückenlehne stehen im Saale reihenweise aufgestellt, ebenfalls aus prachtvollen, golddurchwirkten Seidenstoffen.
Wir eilen jetzt zu einer Stätte am vielgepriesenen Starnberger See, eine Stunde von München, zum Schloß Berg. Je öfter man hinauskommt an den See und an seinen Ufern lustwandelt oder im Kahn oder Dampfschiff all die schönen Villen, Gärten, Buchten und Gasthöfe besucht, desto mehr fühlt man sich zu ihm hingezogen. Er hat etwas Magnetisches; der Fremdling ist hier gleich heimisch, ein frohes Sommerfrischlervolk tummelt sich auf Wegen und Stegen, und auf den prachtvollen Dampfern fahren Vergnügungsreisende aus allen Ländern, Amerikaner und Engländer nicht ausgenommen.
Der Wagnerkultus, der beim Könige zu einem wahren Götzendienst herabgesunken war, hat auch in Schloß Berg seine prunkvollen Altäre gefunden. Während das an und für sich nicht große Gebäude unter König Max einer einfachen herrschaftlichen Villa glich, deren innere Ausstattung sich nicht besonders vor den übrigen Villen am See auszeichnete, ließ König Ludwig auch hier zahlreiche, zum Teil sehr gute Wandgemälde Wagnerscher Opernszenen anbringen, dazugesellt finden sich die Hauptpersonen der einzelnen Dramen plastisch dargestellt, von denen besonders die Statue des »Fliegenden Holländers« als ein Meisterwerk der Kunst zu bezeichnen ist.
König Ludwig hatte bei seinem Regierungsantritt einen wirklichen Kindersinn mitgebracht, er zeigte noch Lust an Knabenspielen und Scherzen. Sein Spielgefährte, Prinz Paul von Thurn und Taxis, mußte sich zuweilen als Lohengrin verkleiden und abends auf dem See bei Schloß Berg in einem, einer schwankenden Nußschale gleichen Fahrzeug im Mondenschein, von Schwänen gezogen und unter Absingung des Schwanenliedes mit Musikbegleitung auf und ab fahren. Aus dieser Zeit jugendlicher, harmloser Schwärmereien des jungen Königs sieht man in Schloß Berg noch ein Marionettentheater, dessen Puppen heute noch in niedlichen kleinen Gruppen aufgestellt sind. Darunter sieht man die Figürchen: Siegmund und Sieglinde, Frau Venus, Tannhäuser, Lohengrins Ankunft und den Fliegenden Holländer, an seinen Mast gelehnt.
Begleite der Leser uns nun auch nach dem Linderhof in der Nähe eines idyllisch gelegenen Försterhauses im Graswangtal, wo der König auf seinen nächtlichen Ausfahrten von Hohenschwangau gern abzusteigen und in der Försterfamilie ein bescheidenes Nachtmahl einzunehmen pflegte. Gebannt durch den Zauber dieser freundlichen Stätte, hatte er das überaus duftige, waldesgrüne Wiesental mit seinen mächtigen Ahornen und Blutbuchen lieb gewonnen und den schnellen Entschluß gefaßt, in der Nähe des Försterhauses ein Schloß zu bauen nach dem Muster von Klein-Trianon. Hinter Bäumen lauschig versteckt war schnell ein Platz gefunden, und den Bau ebenso schnell zu fördern, wie die Pläne ersonnen, war das hastige Bestreben des Königs, der schon für innere Einrichtung und Ausschmückung sorgte, als der Bau noch kaum unter Dach war. Dazu gesellte sich schnell eine Parkanlage, welche in ihrem Schattenreiche allerlei sinnliche Abwechselungen und architektonische Pikanterien und Bizarrerien entfaltete. Von einem Hügel herab grüßt zunächst ein Kiosk mit vergoldetem Dach glänzend und blitzend ins Tal. Die Pforte öffnet sich, man ist wie geblendet, eine Menge kunstvoll und prismatisch angebrachter Spiegel scheinen den Raum zehnfach zu vergrößern, alles strahlt in bunten Farben, und in der Mitte des Rundbaues steht ein Riesenpfau in schillernder Pracht, sein kostbares, aus Edelsteinen, Türkisen und Smaragden glänzendes Gefieder spreizend. Terrassenförmig führt der Weg von hier aus zum Monopteros; die Bewohnerin dieses Tempels ist eine aus karrarischem Marmor meisterhaft und in herrlicher Formvollendung gebildete Venus, sie schaut hinab in ein Bassin mit springenden Wassern und Kaskaden. Weiter hinein in der Waldeinsamkeit liegt das Marokkoschlößchen, ganz im marokkanischen Stil erbaut, die Fenster sind aus farbigem Glase, die Möbel mit morgenländisch schreiend bunten und doch harmonischen Farben überzogen. In den vielen lauschigen Nischen herrscht ein eigentümlich sinnbestrickendes Licht. Um das Leben dieses Raumes zu vervollständigen, mußten hier die Lieblingssklaven des Königs in orientalischen Gewändern ihre Tschibuks und Nargilehs rauchen, Sorbet und Kaffee schlürfen und orientalische Sitten nachahmen. Noch weiter im Walde steht aus eingerammten Pfählen und unbehauenen borkigen Stämmen die Hundingshütte, aus deren Dach eine mächtige Esche gewachsen. Im Stamme selbst steckt das Wälsungschwert »Nothung«, von dem es im Wagnerschen Textbuche heißt: »Bis zum Heft haftet es drin, die Stärksten schon zogen am Stahl, keinen Zoll entwich es dem Stamm«. Als einst die Hundingshütte nächtlicherweile in Flammen aufging, ließ sie der König sofort neu erbauen.
Die Nachahmung einer altgermanischen Behausung ist übrigens mit dieser Hundingshütte überaus glücklich gelöst, derb und roh gezimmerte Türen führen in das Innere, von dessen Wänden uns altdeutsche Waffen, ein Schlachtenschwert, Wurfbeil, Speer, Schild, Trophäen aller Art, Elen- und Bisamköpfe entgegenstarren, ein Kienspan dient als Leuchter, Wärme spendet ein Herd aus rohen Steinblöcken, über dem ein großer Kessel hängt, auch an Bärenfellen und Trinkhörnern fehlt es nicht, und aus einem mit Moos und Wurzelwerk behafteten Holzbrunnen quillt das Trinkwasser in den aus einem Baumstamm gehöhlten Trog. Als Gegensatz zu dieser heidnischen Kultur birgt das nahe Waldesdickicht eine kleine Eremitenklause mit einem Turmglöckchen, aber sonst aus demselben urwüchsigen Material erbaut. Eine wohleingerichtete Sennhütte und ein als Jägerhäuschen gedachter Hubertuspavillon mit schönen Deckengemälden, welcher aber unvollendet geblieben, bilden den Schluß dieser den Linderhof umgebenden Nebenbauten. Von einer Beschreibung des eigentlichen Schlosses Linderhof selbst, das in seinem Innern nur eine etwas eintönige Reihe prunkvoller Rokokozimmer und Säle aufzuweisen hat, kann abgesehen werden. Wir lenken deshalb unsere Schritte jetzt auf eine Anhöhe vor einer mächtigen, etwas zerklüfteten Felswand, die sich plötzlich wie der Berg von Hameln auftut, in welchen der Rattenfänger die Kinder hineinführte. Wir treten ein, der Felsen schließt sich wieder durch einen geheimnisvollen Mechanismus. Was wir jetzt erblicken, ist Blendwerk, Zauberei, wie sie ein Ammenmärchen gebiert, von unterirdischen Gnomen und verhexten Prinzen. Wir befinden uns in der Grotte von Capri, welche der König künstlich nachbilden ließ, nur mit der Änderung, daß sie hier nicht bloß blau, sondern auf Druck an einer Feder nacheinander in allen beliebigen Farben spielt. Ihr Inneres flimmert und flackert und leuchtet wie ein einziger gigantischer, geschliffener Saphir, dessen zitterndes Licht über den kantigen Raum flutet, sich in die Spalten der kleinen Grottenecken einsenkt und schleierhaft magisch über dem Ganzen liegt. »Wie ein mächtiger steinerner Dom wölbte es sich über seinem Haupte,« erzählte ein Günstling des Königs, »und – das Innere des Venusberges lag vor ihm. Hinter einem Felsvorsprung wurde plötzlich ein spiegelklarer, blau übergossener See sichtbar, auf dessen Fläche zwei schneeige Schwäne sich wiegten, und auf einem im Zickzack sich windenden Wege gelangte man nach einer kleinen Grottenhöhe, zu deren Linken sich in einiger Entfernung ein mächtiger Wasserfall, über Felsen rauschend, in den kleinen See hinabwälzte. Die Grotte wurde auf gegebene Signale des Königs bei seiner Anwesenheit allviertelstündlich anders beleuchtet, sodaß sich Wechselbilder von rot, gold, grün und blau gestalteten.«
» Versailles im Chiemsee« betitelt sich im Volksmund das architektonische Weltwunder, das sich aus den Fluten des größten unserer bayerischen Bergseen erhebt. Während Schloß Berg jetzt sonntäglich von den neugierigen Münchenern, nach Tausenden zählend, besucht wird, liegt dieses französische Schloß noch etwas vereinsamt, weil die Reise dorthin und die Besichtigung noch etwas erschwert sind.
Zwei Stunden von München, auf der Bahnstrecke nach Salzburg, bevor man nach dem idyllischen Traunstein gelangt, hält der Bahnzug an dem lieben und schönen Sommerfrischort Prien. Blau und augenerquickend lacht uns die mächtige und zugleich größte Binnenwasserfläche des Deutschen Reiches entgegen, befahren von kleinen Dampfern und zahlreichen Fischerbooten, die unseren Künstlern eine so liebe Staffage für ihre nach Hunderten gemalten Chiemseebilder abgeben. Dort auf der Fraueninsel mitten im See mit dem altehrwürdigen Frauenkloster, dessen Glocken das Metten- und Horageläute noch heute nach vielen hundert Jahren wie einst über den See erklingen lassen, und wo die schöne Nonne Irmengard, das Königskind, seit Hunderten von Jahren in der Klosterkirche bestattet liegt, da rastet in schöner Sommerferienzeit ein munteres Völklein mit Weib und Kind und Ingesinde; es sind die Münchener Maler, die hier stets gern gesehene Gäste sind. Fröhliches Lachen und Singsang, Tanz und lauter Jugendfrohsinn trägt hier seine Schallwellen über den weiten See und dringt wohl auch in stillen Nächten weit hinüber bis ans nächste Ufer, bis zur Herreninsel. Auf dieser stand früher (und daher der Name im Gegensatze zur Fraueninsel) ein Herrenkloster, dessen Bewohner aber lange, lange ausgezogen. Verwegene Unternehmer wollten die Insel wegen ihres Holzreichtumes ankaufen und Floßholz fällen; aber König Ludwig legte sich ins Mittel und ließ die Waldvegetation schonen, indem er die ganze Insel aus seinem damals noch reichen Geldbeutel bezahlte. So rings von tosenden Bergseefluten umgeben, fand der König eine neue, für die Einsamkeit geeignete Schrulle, um ein Einsiedlerschloß für sich und seine mächtigen Spuk- und Truggestalten zu bauen. Die Befehle dazu waren diesmal leichter und schneller auszuführen als bei anderen Schloßbauten, der König verschaffte sich die Pläne des Versailler Schlosses, und auf Kurierzügen sausten die Architekten, Maler, Gewerbsleute zwischen München und Paris einher, um möglichst schnell in sklavischer Nachbildung ein neues Versailles, bis ins einzelnste wiedergegeben, auf Herrenchiemsee entstehen zu lassen. König Ludwig hatte von seinem Halbgott Louis XIV. unter anderen die Eigenschaft angenommen, unüberwindliche Naturhemmnisse zu beseitigen. Louis XIV. ließ Berge versetzen und tyrannisierte die Natur; was damals nur durch Kärrner geschehen konnte, König Ludwig machte es sich leichter, indem er, um sich eine entsprechende Aussicht zu schaffen, einen unschönen Anblick zu entfernen, um Unerreichbares erreichbar zu machen, Dynamit zentnerweise springen ließ. So wurde das Ufer der Herreninsel bis zur Terrasse abgebrochen, um das Wasser näher am Schlosse zu haben, sodaß man von der Treppe gleich in den Kahn steigen kann; sonst aber ist hier alles genau wie in Versailles. Zunächst erblicken wir auch hier die große Wunderfontäne mit der Götterfabel von Latona und den Fröschen; die lykischen Bauern, welche der Latona einen Trunk Wassers verweigerten, wurden bekanntlich zur Strafe in Frösche verwandelt. Man sieht also auf den Stufen des Marmorbeckens allerlei wunderliches, vergoldetes Wassergetier: Ganz- und Halbfrösche, Schildkröten usw., die ihr Wasser auf die Kinder Latonas, Apollo und Diana, ausspeien. Weiter die sklavisch nachgebildeten großen Wasserbehälter, mit den sämtlichen Vertretern der ganzen mythologischen Wasserwelt.
Die äußere Ansicht des Schlosses und dessen lange Flucht von Sälen und Zimmern ist genau wie in Versailles, nur in einem unterscheidet es sich: Herren-Chiemsee ist prunkvoller und hat in seinem ornamentalen Gewande den Reiz des Neuen. Die im tiefsten Verständnis deutscher Sage und Dichtung wurzelnden Gedanken, aus denen sich die erste Unternehmung des Königs, der Riesenbau von Schwanstein, heraus entwickelte, waren zurückgedrängt, und jene krankhafte Neigung und Schwärmerei für die beiden französischen Könige erfaßte die Seele Ludwigs derartig, daß selbst das französische Rokokoschloß Linderhof ihm nicht mehr genügte, er wollte den Rieseneindruck von Versailles, vor allem mußten die Riesenfenster der berühmten »Spiegelgalerie« zu dem großen Parterre herableuchten, von dem man durch drei große goldene Gittertore das Schloß betritt. Reiches Stuckwerk, Bilder und Medaillons unterbrechen die Fensterflucht, oben krönen Standbilder die flache Galerie. Wir fanden mehr ausgebaut, als wir erwartet und vermutet; statt nur einige Zimmer, die wir im Gebrauch des Königs dachten, war es eine lange Reihe von Sälen, die alle bis aufs kleinste fertig, die mit ihrem Schmuck und ihren Kostbarkeiten jeder Beschreibung spotten, auch würden wir räumlich hier mit einer eingehenden Beschreibung der einzelnen sinnverwirrenden Gegenstände nicht zu Ende kommen, aber das muß hervorgehoben werden, daß bei aller Verschwendung und Überhastung nichts den Eindruck des Unkünstlerischen und Unschönen hervorruft. Zuerst kann man sich kaum in die Fülle von Glanz, Farbe, Licht und Schönheit finden; herrliche Wandgemälde, zu welchen Piloty, Schwoiser, Benczur u. a. den Pinsel geliehen, Allegorien und mythologische Szenen erfreuen unser Auge, prachtvolle bunte Marmorsäulen tragen die Galerie, zaghaft steigt der Fuß auf weißen, teppichbelegten Marmorstufen empor, kerzenbesteckte, blitzende Bergkristall-Armleuchter hängen von der reich bemalten Decke herab. Man betritt die »Salle des gardes«, dann das geschichtliche Vorzimmer, welches nach der Form eines Lugfensters bekanntlich »Oeil de bœuf« genannt wurde und als Wartezimmer für die zum »Lever« des französischen Königs befohlenen Hofherren diente. Auch für König Ludwig gab es solche »Levers«, jedoch nur in seiner Traumphantasie, mit welcher er die längst vermoderten geschichtlichen Persönlichkeiten jener Zeit vor seinen Blicken erscheinen ließ. Hieran stößt die »Salle de parade« mit dem großen Luxusparadebett, wie wir es auf Schwanstein und Linderhof zwar feenhaft, aber so schön doch nicht gesehen. Auf dem Toilettetisch stehen die kostbarsten Gefäße, ein kunstvoller Betschemel dient scheinbar der religiösen Pflicht, natürlich fügen sich alle Vorhänge, Polstersitze vom schwersten Damast und dichtester Seide und die staunenswertesten Stickereien harmonisch dem Ganzen an. Hunderttausende von Mark sind hier in nutzloses Prunkwerk umgeprägt, niemand wird jemals in diesem Bette schlafen, noch überhaupt hier wohnen. In Wohn-, Arbeits- und Speisezimmer stoßen wir auch hier wieder auf jene scharfsinnig erklügelte Üppigkeit, die sich nicht mit dem denkbar Schönsten begnügt, was andere Schlösser im kleinen aufzuweisen haben, sondern großartig und ornamental allen Übertreibungen bis zur Sinnerstarrung huldigt. Besonders machen sich hier Sèvres- und Meißener Porzellan, herrliche Uhren und Majoliken breit, dazu gesellt sich über dem Eßtisch des Königs ein gewaltiger Armleuchter aus Meißener Porzellan von ganz überwältigender Kunstschönheit. Der Eßtisch steht auf verschiebbarem Boden, ein Druck mit dem Finger, und der Tisch verschwindet, um neu gedeckt und serviert sich wieder emporzuheben. Die Manfrednatur des unglücklichen Königs, die auf dem Adlerhorst des »Schachen« oder auf dem hoch über der Pöllatschlucht thronenden Balkon ihren Phantasien nachhing, wollte auch hier auf Insel-Versailles ihren Zauberspuk, wenn es auch nur ein billiger mechanischer Zauber war; aber auch noch ein anderer Zauber verklärte ihn, wenn draußen Wald und See im Schlummer lagen und er allein schlaflos wachte, dann feierte er die Mitternachtsstille durch Tausende von Kerzen der 52 Riesenkandelaber und 33 Kronleuchter, welche die Spiegelgalerie in eine Feenwelt verwandelten, wie sie in unserer Phantasie aus Ammenmärchen und Gnomenbergwerken zur Spottgeburt werden. In keiner Königsburg der Welt ist ein Gleiches zu finden.
Den mächtigen, der ganzen Fassade des Schlosses entlang laufenden Bogenfenstern entsprechen an der gegenüberliegenden Wand zwanzig mächtige Spiegelscheiben, jede etwa 30 Fuß hoch, auch die Türen sind aus geschliffenem Spiegelglas von mehr als Zolldicke, und die Decken und Nischen zeigen Gemälde, welche sich auf die Regierung Louis XIV. beziehen, ferner vergoldete Bronzevasen mit 2 m großen Öffnungen, aus denen Blumen und Blattgewächse hervorragen, dazwischen Aufsätze aus Silber, Nachbildungen der schönsten Statuen der Antike, und auf vergoldeten Sockeln die Marmorbüsten römischer Kaiser aus farbigem Marmor.
So kommt man aus dem Staunen nicht heraus, bis plötzlich beschämt der Blick auf ein Friesgemälde fällt, das den Triumph Frankreichs über Deutschland darstellt und ebenfalls eine getreue Nachbildung jenes Gemäldes ist, das in derselben Versailler Galerie angebracht, in der am 18. Januar 1871 Bayern dem deutschen Kaiser die Krone reichte. Wir eilen fort, vorüber noch an dem sinnbestrickenden Marmorbad, in dem durch eine eigentümlich angelegte Spiegelung uns das eigene Bild in fünfzigfacher Vermehrung entgegentritt. Fort, fort von hier! Starrend überläuft uns ein Frösteln, trotz aller modernen goldschimmernden Pracht unseres Kunstgewerbefleißes liegt es um uns plötzlich wie Moderduft, ein grauer Schleier wie Gewitterstimmung umfängt uns nach dem augenblendenden und doch toten Prunk. Hinaus in den Park, hinaus in die Welt, in die gesunde Welt, fort mit den steif französisch gestutzten Taxushecken! Wo ist der schwankende Fischerkahn, der uns schnell über die sturmbewegten Fluten führt an das binsenumwogte Waldrandufer? Die Herreninsel liegt hinter uns, verschwunden sind die Marmorterrassen und Orangerien, um die einst ein schwarzer Trauerfalter geflattert. Kräftiges Tannenharz und das Moos des Waldes umfängt uns, ein leichtes Gewitter, das schnell über die grünblauen, schaumkräuselnden Seewellen geeilt, ist abgezogen, ein fernes Donnerrollen hallt noch wie ein leichtes Grollen ob jener einsamen, zwecklosen Fürstenpracht über den weiten See herüber, tiefes Himmelsblau lacht durch die Föhrenwipfel, und ein balsamischer Duft aus Waldkräutern und wohlriechendem Erdreich erfrischt unsere Nerven. Der Waldboden ist trocken, die Käfer summen im Sonnenlicht, der Vögel Waldruf klingt wie die Frage und Antwort von den tropfenden Zweigen, und frei atmet die Brust in kräftigen Zügen.