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Von A. W. Grube.
Im Bodensee reinigt sich der junge Rhein, der in seinem jugendlichen Ungestüm eine Menge von Geröll und Sand aus den Graubündener Bergen mit sich fortreißt und in ziemlich schmutziger Erdfarbe bei Rheineck anlangt, in dessen Nähe er mündet. Indes rückt, eben des vielen Geschiebes wegen, das der Rhein mitbringt, die Mündung allmählich weiter gegen Norden vor. Wegen der alljährlichen Überschwemmungen, denen besonders das schweizerische Ufer ausgesetzt ist, kam man auf den Gedanken, den Mündungsstrom in einer geraden und kürzeren Linie in den Bodensee zu leiten in der Absicht, den Stromlauf zu verbessern und das Nordufer zu entsumpfen.
In der Gegend von Ragaz, wo ein Seitental nach dem Walensee führt, ist das linke Ufer so niedrig, daß der Fluß bei hohem Wasser in den Jahren 1627, 1817, 1821 und 1853, auch 1868 fast sich nach dem Walensee gewandt hätte; ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß in der Vorzeit wirklich seine Straße durch den Walen- und Zürichsee geführt habe, wo er dann nach erfolgtem Durchbruch des Lägerberges bei Baden sich mit der Aar vereinigte. Die Berge in der Nähe von Sargans und der Kurfirsten im Norden des Walensees zeigen noch deutliche Spuren, daß hier das Wasser einst 270 m höher stand als in gegenwärtiger Zeit.
Seit dem Durchbruche des Rheins zwischen dem Schöllberge und Fläscherberge trat der Fluß in das weite Tal, welches in nördlicher Hauptrichtung bis an den Bodensee sich erstreckt und ein breites Bett darbietet, das freilich wegen der zahlreichen Sandbänke oft genug zur Sommerszeit, wenn der Schnee in den Alpen schmilzt, überschwemmt wird. Beim Einströmen in den See bemerkt man noch (wie das bei allen Mündungen größerer Flüsse der Fall ist Seit Ammianus Marcellinus fabelte man, der Rhein fließe durch den Bodensee, ohne sein Wasser mit ihm zu vermischen.) eine gute Strecke den Rhein, dann aber mischt er sich vollkommen mit dem ruhigeren Seewasser, schlägt seinen erdigen Inhalt zu Boden, und erst bei Konstanz merkt man an dem westwärts gerichteten Wasserzuge, daß der Rhein hier aus dem Bodensee tritt. Er fließt zwischen Konstanz und Petershausen hindurch, etwa 5 km westwärts, und bildet den Untersee, aus welchem er eine halbe Stunde oberhalb Stein wieder als breiter Strom hervorkommt, um bald als prächtiger Wassersturz über den hohen Laufenfall bei Schaffhausen hinabzugleiten.
Der Bodensee ist das freundliche Vermittelungsglied zwischen der Schweiz und Deutschland; er ist nicht mehr bloß ein schweizerischer See, sondern er wird mit Recht das schwäbische oder deutsche Meer genannt, denn er öffnet seine Arme, um Deutschland an seinen Busen zu drücken; er zeigt dem über den Gotthard- und Splügenpaß kommenden Südländer den Weg nach Bayern, Württemberg, Baden. Zwischen diesen Ländern samt der österreichischen Provinz Vorarlberg einerseits und den schweizerischen Kantonen St. Gallen und Thurgau andererseits bildet er zugleich die Grenze und das Band. Von Ostsüdosten gegen Westnordwesten dehnt er sich in einem großen Bogen, der nach Norden zu etwas ausweicht, in einer herrlichen Wasserfläche aus, deren Größe 534 qkm (mit Einschluß des Untersees) beträgt. Es könnte somit die Gesamtbevölkerung der Erde – auf 1500 Millionen veranschlagt – wenn man sie auf der festgedachten Seefläche aufstellen wollte, im Bodensee Platz finden, ja es würde sogar noch ein ansehnlicher Raum leer bleiben!
Den Namen Bodensee hat er wahrscheinlich von dem alten Schlosse » Bodmann« (Bodoma) erhalten, einer Burg am nördlichen Ufer der Überlinger Bucht, zur Zeit der Karolinger ein königliches Besitztum und der gewöhnliche Aufenthalt der königlichen Bevollmächtigten. Der von Hügeln und bewaldeten Höhen eng eingeschlossene Überlinger See soll übrigens zuerst den Namen Bodensee geführt haben; erst in Urkunden aus dem 9. Jahrhundert findet sich die Benennung lacus podamicus (Bodamsee) für das ganze Seebecken. In der Geographia Ravenasensis ist der Name Bodensee mit Bodungo bezeichnet. Zugrunde liegt jedenfalls das gute deutsche Wort » Boden«, nordisch bottom (Vertiefung), das im Althochdeutschen podam (Mehrheitsform podama) hieß. Ritter vermutet, daß auch das Zeitwort bodden (flößen) den Namen veranlaßt haben könne.
Den Römern wurde der See unter Tiberius bekannt, der von Gallien aus seinem Bruder Drusus zu Hilfe kam, eine kleine Flotte erbaute, seine Legionen übersetzte und die vereinigten Rätier und Vindelizier in der Gegend von Feldkirch schlug. Die Römer nannten den See Lacus brigantinus, von der Stadt Brigantium (Bregenz), wo sie ein Lager hatten. Jetzt noch nennt man den oberen Teil Bregenzer See, den nordwestlichen Teil aber Konstanzer See, die nordwestliche Bucht Überlinger oder Hintersee. Der Untersee, mit dem eigentlichen Bodensee durch den Rhein verbunden, wird durch die Insel Reichenau in zwei Teile, den eigentlichen Untersee und dessen nördlichen Teil, den Zeller See (von Radolfszell so genannt), getrennt und gewöhnlich als ein Teil des Bodensees betrachtet.
Die Höhe des Obersees über dem Meeresspiegel ist verschieden berechnet worden, von französischen Ingenieuren auf 404, von Pestalozzi trigonometrisch auf 388, von Schubler barometrisch auf 407 m. Gegenwärtig ist die am meisten angenommene Höhenangabe auf 398½ m festgestellt. Die mittlere Höhe des Wasserspiegels des Sees ist dabei als Normalhöhe angenommen worden. Die Frage, ob der Spiegel des Bodensees, seit dieser seine jetzige Gestalt hat, sich gehoben, wird neuerdings verneint. Der Untersee, bei Radolfszell gemessen, steht in der Regel etwa 30 cm tiefer als der Obersee bei Konstanz; Konstanz aber liegt schon merklich tiefer als Bregenz.
Die größte Breite (im rechten Winkel der Längenachse) gewinnt der See zwischen Friedrichshafen und Romanshorn, nämlich eine solche von etwa 12 Kilometern. Blickt man von Friedrichshafen nach Rorschach hinüber, so überschaut man eine Linie von 5 Stunden. Es gehört schon nicht geringer Mut und noch mehr Kraft dazu, über die ganze Breite des Sees vom Schweizer Ufer zum deutschen Ufer hinüber zu schwimmen. Dr. Titus Tobler, der rühmlichst bekannte Palästinaforscher, wagte mutig diese Schwimmpartie; er schwamm das erste Mal von Horn nach Friedrichshafen, dann von Horn nach Langenargen. Ihm taten's später mehrere Schweizer und deutsche Herren nach.
Die Hochgebirge des Bündener Alpenlandes, die St. Galler und Vorarlberger Höhen liefern dem See hauptsächlich sein Wasser; der Rhein samt der mit ihm vereinigten Ill und die Bregenzer Aach bilden die Hauptzuflüsse; die Flüßchen und Bäche des rechten (deutschen) Seeufers sind unbedeutend. Die Veränderungen im Wasserstande des Sees hängen daher entschieden von den atmosphärischen Niederschlägen ab, welche sich in Schnee und Eis drei Vierteljahre hindurch auf den Hochgebirgen anhäufen, in den Sommermonaten schmelzen und ins Bodenseebecken abfließen. Im Juni beginnt in der Regel die »Flut«; der See steigt dann wohl in einem Tage um über ¼ m, nicht selten erhebt er sich drei volle Meter über seinen niedrigsten Wasserstand. Die niederen Uferränder werden dann weithin überschwemmt, und es gewinnt den Anschein, als wolle der See voll Zorn und Unwillen das eingebüßte, früher von ihm besessene Erdreich zurückerobern. Da die Tiefe nicht zu-, sondern abnimmt, so ist erklärlich, daß der See seit einigen Jahrhunderten an Oberfläche gewonnen hat, wenn auch seine Wassermasse geringer geworden ist. Durch das planlose Abholzen der Wälder in Graubünden ist ein plötzlicheres Schmelzen der Schneemassen und die verheerendere Wirkung starker Regengüsse angebahnt, und das müssen nun die Anwohner des Rheins und Bodensees entgelten. Wie es mit dem Genfer See bei Genf der Fall, so ist die Wassermasse bei Konstanz und Stein durch Eindämmungen und Versandungen geschwellt worden, und es wäre eine Tieferlegung beider Seen durch Ausräumung ihrer Ausflüsse bei Konstanz und Stein oder durch Anlegung von Nebenkanälen sehr praktisch.
Die Tiefe des Sees ist sehr verschieden; am beträchtlichsten ist sie zwischen Friedrichshafen und Romanshorn, etwas näher gegen Friedrichshafen zu. Das Senkblei hat hier 276 m gemessen Zur Vergleichung mögen hier nach neueren Angaben die größten Tiefen einiger Alpenseen angeführt werden: Genfer See 309 m, Bodensee 276 m, Gmundener See 191 m, Königssee 188 m, Attersee 171 m, Neuenburger See 144 m, Achensee 132 m, Starnberger See 131 m, Hallstadter See 125 m, Wolfgangsee 144 m, Chiemsee 89 m, Mondsee 67 m.. Am unebensten erscheint der Seegrund zwischen Rorschach und Lindau, wo er zuerst 6, dann 75, hierauf in der Nähe der Rheinmündung nur 26, dann sogar nur 10, etwas weiter wieder 35, dann wieder nur 11, auf der Mitte des Wegs 20 und gegen Lindau zu zwischen 65 und 97 m Tiefe hat. Somit läßt sich voraussehen, daß in nicht sehr langer Frist die Fahrt von Rorschach nach Lindau nicht mehr die gerade Linie einhalten kann, sondern den zunehmenden Versandungen des Rheins ausweichen muß.
Die Temperatur des Wassers steigt bei Lindau bis 25º C. im Sommer und ist auch bei Bregenz noch sehr hoch. Bei 100 m Tiefe hat der See – nach den Angaben von C. Vogt – nur noch 5,6° C.
Wegen der großen Tiefe und stärkeren Wellenbewegung des Obersees wird natürlich, wenn dieser zufrieren soll, ein bedeutender Kältegrad erfordert. Während der Untersee fast alljährlich zufriert, ist dieser Fall bei dem Obersee seit vier Jahrhunderten nur sechsmal eingetreten, nämlich 1477, 1572, 1596, 1695, 1830 – und 1880. »Der See will sein fünfzigjähriges Eisjubiläum feiern!« sagten die Anwohner schon zu Anfang des strengen Winters. Große, meilenlange Strecken am Ufer und zwischen Bregenz und Lindau waren schon 1879 fest geworden; in der zweiten Januar- und ersten Februarwoche des Jahres 1880 war fast der ganze See mit Schnee und Eis belegt, und zur Freude von jung und alt wimmelten die blinkenden Eisgefilde hüben und drüben von Spaziergängern, Schlittschuhläufern und Schlittenfahrenden. Der Fasching (am 2. Februar) wurde, namentlich zwischen Bregenz und Lindau, als ein großartiges Volksfest auf der festen Seefläche gefeiert; die Festzeitung ward auf dem Eise gesetzt und gedruckt. Die Dampfschiffahrt mußte wochenlang eingestellt werden. Auch wenn die Kälte nicht sehr streng ist, macht doch der niedrige Wasserstand, verbunden mit den dichten, oft wochenlang andauernden Nebeln, die Dampfschifffahrt im Winter beschwerlich; desto lustiger ist sie im Sommer.
Da der Bodensee eine sehr vorteilhafte Verbindung für die angrenzenden Staaten darbietet und dazu noch zehn Eisenbahnlinien, die Stuttgarter und Ulmer bei Friedrichshafen, die bayerische von Augsburg und München bei Lindau, die Züricher bei Romanshorn, die Rheintal- (Chur-) und Nordostbahn (Zürich–St. Gallen) bei Rorschach, die badische und Schwarzwaldbahn (von Basel und Singen) bei Konstanz münden, und ferner die Gürtelbahn von Lindau über Bregenz nach St. Margarethen und von Rorschach nach Konstanz, Stein und Radolfzell vollendet ist: so ist sowohl der Handels- wie der Personenverkehr an seinen Ufern sehr lebhaft. Aber auch der Depeschenwechsel ist sehr beschleunigt, seitdem von Lindau nach Rorschach und von Friedrichshafen nach Romanshorn der Telegraphendraht in den See gesenkt und so eine direkte Linie zwischen Deutschland, der Schweiz und Italien hergestellt wurde.
Von der Oberfläche des Obersees gehören nach der Uferausdehnung der angrenzenden Staaten etwa ein Viertel zu Thurgau, ein Zwölftel zu St. Gallen, ein Siebentel zu Österreich, ein Sechstel zu Württemberg, ein Zwölftel zu Bayern, fast ein Drittel zu Baden. Teils sind es Landeserzeugnisse, die von einem Orte der Küste zum andern verfahren werden (Getreide, Wein, Obst, Gemüse, Holz, Vieh), teils Fabrikwaren und Handelsprodukte, die von Süden nach Norden, von Norden, nach Süden geschafft werden. Rorschach und Lindau sind für den Getreideaustausch sehr bedeutende Handelsorte und Kornmärkte; jenes empfängt das südrussische Getreide über Marseille, dieses den ungarischen Kornsegen über Wien und München. Friedrichshafen steht mit der Nordsee in Verbindung und erhält von dort Zigarren, Tabakblätter und -rollen, Kaffee, rohe Baumwolle, englische Baumwolltücher, Wollwaren, Maschinenteile, Speck und Fett, Soda, Petroleum usw. In der Lebhaftigkeit der Schiffahrt hat es der Bodensee dem Genfer See von jeher zuvorgetan. Gegenwärtig wird der Bodensee von einer stattlichen Flottille von Personen-, Güter- und Schleppdampfern befahren. Für den Reisenden bieten diese Dampfschiffe eine sehr bequeme Schnellpost, nur sollten die Fahrpreise etwas niedriger gestellt sein. Seit 1880 vermitteln große, mit stockwerkhohen Verdecken versehene Trajekt- oder Überfuhrschiffe, die den Warenzug gleich von der Eisenbahn in Empfang nehmen, einen großen Teil des Güterverkehrs.
Es gewährt dem Beobachter menschlichen Verkehrslebens ein anziehendes Schauspiel, wenn er sich in Romanshorn oder Rorschach oder in Friedrichshafen und Lindau auf den Hafendamm stellt, um dem Ein- und Auslaufen der Dampfer mit ihren Schleppschiffen, dem Ein- und Ausladen der Waren zuzuschauen und die Geschicklichkeit und Schnelligkeit zu bewundern, mit welcher die schweren Getreidesäcke gefaßt und auf die für sie bestimmten Wagen gehoben werden, die sie auf Eisenschienen schnell in das Lagerhaus bringen; und ferner zu sehen, wie die Güterwagen von der Eisenbahn auf die schiefe Ebene geführt werden, die sie auf das Verdeck des Trajektschiffes gleiten läßt. Um das zu schnelle Herabrollen zu verhindern, werden die Wagen von einem Drahtseile gehalten; die Trajektschiffe haben ein doppeltes Schienengeleise auf dem Verdeck und können acht große Eisenbahnwagen aufnehmen.
Der Dampf und die Eisenschiene haben zu Lande die Frachtfuhrleute, zu Wasser die Segelschiffer aus dem Felde geschlagen; doch ist der Bodensee noch keineswegs ganz des malerischen Anblicks der Segler beraubt, und man kann in den frühen Morgenstunden heiterer Sommertage auf der blauen Wasserfläche noch manches Schifflein mit aufgeblähten Segeln vom deutschen zum Schweizer Ufer und umgekehrt dahinziehen sehen, langsam und sicher – solange die Luft nicht von einem plötzlich hereinbrechenden Föhn oder einem schnell sich entwickelnden Gewitter in Aufruhr gerät.
Den Fischen scheint übrigens die neue Erfindung der Dampfschiffe nicht sehr zu behagen; die Fischer behaupten, daß, seitdem die brausenden Räder die Wasserfläche durchwühlen, die Brut nicht mehr so ergiebig sei. Ein großer Übelstand besteht aber auch darin, daß der Obersee nicht wie der Untersee eine geregelte Fischordnung hat; die Wildfischerei ist unbedingt einer Steigerung der Fischbrut höchst nachteilig. Es gibt sehr schmackhafte Fische im Bodensee, besonders zeichnen sich aus die beiden Maränen, die Blaufelchen, die Grundforelle und die Seeforelle. Letztere heißt auch Lachsforelle (Salmo trutta), hat schwarze Augen, silberfarbene Augenringe, grünlichgrauen Rücken, silberweißen Bauch und schwarzgefleckte Seiten. Im Sommer ist das Fleisch rötlich, im Winter weiß, wird aber durchs Kochen goldgelb. Die Lachsforelle wird zuweilen 30-40 Pfund schwer, ist jedoch im Bodensee selten, häufiger dagegen in den schweizerischen Seen. Für die Lachsforelle bietet aber der Bodensee reichlichen Ersatz in der Grundforelle (Salmo lacustris), die von 5 Pfund bis zu 48 Pfund schwer wird, im April und Mai in den Rhein (Rheinlanke) und die Ill (Illanke) hinaufsteigt, ihren Laich da absetzt, wo der Strom am schnellsten ist und einen kiesigen Grund hat, und dann im Herbste sich wieder in den Bodensee zurückzieht. Bei Rheineck und im Rheintale wird sie häufig gefangen; ihr Fleisch steht mit dem des Lachses in gleichem Preise. Die Maräne (Salmo maraena) ist ein sehr wohlschmeckender, beliebter Fisch mit silberfarbenem Leibe und schwärzlichem Rücken; sie erreicht eine Länge von über ½ m und eine Schwere von 6 Pfund. Die Maränen laichen im Herbste, und man fängt sie um diese Zeit, wo sie am fettesten sind, und im Anfange des Winters unter dem Eise. Sie werden geräuchert und mariniert, früher wurden sie sogar als große Delikatesse weit und breit verschickt. Frisch schmecken sie wie Forellen. Die kleine Maräne (Salmo maraenula) wird nur 15-20 cm lang, hat aber ein noch zarteres Fleisch als ihre größere Verwandte, beide werden auch Gangfische (Poissons de passage) genannt. Der Gangfisch par excellence ist aber das Blaufelchen (Salmo caeruleus oder Coregonus Wartmanni), unstreitig der beste Fisch des Bodensees, der 30-36 cm lang wird, doch erst im siebenten Jahre ausgewachsen ist. Im ersten Jahre heißt er »Heuerling«, im zweiten »Stuben«, im dritten »Gangfisch«, im vierten »Renken«, im fünften »Halbfelch«, im sechsten »Dreier«, und erst vom siebenten Jahre an »Blaufelchen«; der Oberleib ist nämlich bläulich, der Unterleib aber weiß. Was der Hering für die nordischen Völker ist, das ist dieser Fisch für die Umwohner des Bodensees. Besonders im Obersee ist das Blaufelchen häufig und wurde lange für eine diesem eigentümliche Art angesehen. Frisch geröstet wird es von vielen noch den Forellen vorgezogen. Es überwintert in den Tiefen des Sees und zeigt sich im Frühjahre, wenn nach dem Ausdrucke der Fischer das »Wasser es hebt«, zuerst an den östlichen Buchten, wandert dann dem schwäbischen Ufer entlang hinunter gen Überlingen und Konstanz, um im Herbste längs den schweizerischen Gestaden in der Höhe von Arbon zu laichen und endlich in sein ständiges Winterquartier zurückzukehren.
Auch die Trüsche (Quappe) – Lota fluviatilis, der einzige Vertreter der Schellfische – die in den tiefen, klaren Buchten des Bodensees am liebsten in der Tiefe haust, hat ein außerordentlich zartes und wohlschmeckendes Fleisch; ihre Leber wird für das wohlschmeckendste Gericht aus der ganzen Fischwelt gehalten, und es ist Tatsache, daß Elisabeth von Metzingen, Äbtissin des Frauenmünsterstiftes in Zürich, einst für Trüschenlebern ein Lehngut am Zollikerberg verschwendete. Die Trüsche ist grünlichgrau, schwarz und gelblichgrün marmoriert und durch kleine Bartfäden am Kinn ausgezeichnet; sie wird selten über 30 cm lang und über 2-3 Pfund schwer gefunden und vorzüglich bei Steckborn gefangen. Die Hechte stellen ihr eifrig nach.
Im Dezember 1853 wurde bei Konstanz ein Riesenhecht gefangen; er hatte ein Gewicht von fast 30 Pfund, eine Länge von 1½ m und über dem Rücken eine Breite von 15 cm. Er mochte auf dem Raube nach Gangfischen begriffen gewesen sein, denn er ward von den Fischern im gleichen Netze mit den Gangfischen heraufgezogen. Wieviel solcher Fische der Räuber in seinem Leben (man schätzte sein Alter auf 60 Jahre) verzehrt haben mag, kann man sich denken, wenn man erwägt, daß er in einer Nacht 30-40 Fische, die man seiner Botmäßigkeit überlassen hatte, verzehrte. Am 7. Mai 1874 fing man im Überlinger See zwei gewaltige Hechte, von denen der eine 1½ m lang und 28 Pfund schwer, der andere beinahe 1 m lang und 24 Pfund schwer war.
Auch die Karpfen sind nicht selten, und von Bleien (Brachsen) gelingt es zuweilen den Fischern, reiche Vorräte zu bekommen. Bei Ermatingen wurden im Jahre 1854 auf einen Zug 120 Zentner Brachsen gefangen und am 27. März 1858 ebendaselbst von vier Fischern in einem Netze 230 Zentner. Desgleichen fing man zwischen Rorschach und Horn im Jahre 1866 in zwei Zügen nahezu 1000 Zentner dieser fruchtbaren Fische.
Der Wels (Weller), dieses riesige Fischungeheuer, das ausgewachsen 4½ m lang und 3 Zentner schwer wird, ist in einigen Arten vorhanden, die alle ein sehr süßes, weißes, fettes Fleisch haben und jung verspeist werden müssen. Man fängt hin und wieder Exemplare, die bis 1 Zentner schwer sind.
Im ganzen zählte man bisher 26 verschiedene Fischarten Nach Prof. v. Siebold hatte früher der Wallenstädter See 21, der Züricher See 22, der Vierwaldstätter See 24 und der Bodensee 26 Arten – die Blaufelchen und Gangfische nur als eine Art (Coregonus Wartmanni) angenommen, was aber die meisten Fischer nicht gelten lassen wollen, indem sie behaupten, der Gangfisch sei eine besondere Art mit besonderer Laichzeit.; seit einigen Jahren hat sich jedoch der Fischbestand des Sees um einige neue Arten vermehrt: nämlich um einen Lachs, dessen Eier der nordamerikanische Fischzuchtverein spendete, und um den Orfen oder Goldnorfling (Cyprinus Orfus), der von der Domänenverwaltung in Konstanz in ihren Streuweihern gezüchtet wird. Bei dem Ablaß dieses Weihers ließ man einige Orfen in den nahen Bodensee hinausschwimmen, und dort scheint es ihnen gut zu gefallen. Sie haben sich rasch vermehrt, und Fischer am Untersee haben schon 3 Pfund schwere gefangen. Im März 1883 trafen 10 große Fässer mit jungen Fischen in Friedrichshafen ein, um in den See entleert zu werden. Der neue Ankömmling war ein Verwandter des in Norddeutschland wohlbekannten und sehr schmackhaften Sander (auch Zander geschrieben), Lucioperca Sandra, Cuv., zu den Barschen gehörig. Die aus Galizien stammende Art ist bei uns noch unbekannt.
Unter den Vögeln sind begreiflicherweise die Wat- und Schwimmvögel besonders häufig. Der weiße Storch läßt sich nur selten sehen als flüchtiger Gast, und auch der schwarze Storch ist eine Seltenheit; aber Riedschnepfe, Strandläufer, Kiebitz, Wasserralle, Rohrhuhn, Wasserhuhn, Fischreiher ziehen ab und zu vom See zu den Teichen und Flüssen und umgekehrt. Von Schnepfen sind fast alle Arten zu treffen: die Wald-, Heer-, Strand-, Teich-, Geißkopfschnepfe, die Regenschnepfe und der Gelbfüßler, auch die Lerchenschnepfe; desgleichen mancherlei Enten, als die Schnatterente, die Quakente, Spatel-, Tafel-, Kriekente, Sommerhalbente, Kragente, Zwergente, wilde Ente (mit vier Abarten), Kolbenente, Myraka, europäische Haubenente. Auch mehrere Möwen (die große aschgraue und die rotfüßige Lachmöwe), sowie Taucher (der graukehlige Haubentaucher, der kleine, der Ohrentaucher) sind gemein; seltener schon der stumme Schwan, die Schneegans, die Löffelente. Im Sommer 1768 und 1806 schoß man eine Kropfgans, und 1836 ließen sich bei Romanshorn ein paar Struntjäger (Larus parasiticus) sehen, auch eine Möwenart (Lestris pomarinus), die aber nicht imstande ist, selber zu fischen, sondern andere Möwen so lange in der Luft herumjagt, bis diese die verschluckten, verdauten und unverdauten Fische wieder von sich geben. Der Ornitholog findet reiche Ausbeute und wird es ganz begreiflich finden, daß ehemals der Bischof von Konstanz kein Bedenken trug, in der besten Jahreszeit die Jäger sogar von der Feier der Heiligentage zu entbinden.
Eine schöne Sammlung einheimischer Vögel findet man im Vorarlberger Landesmuseum zu Bregenz. Dort ist auch ein gut ausgestopfter Fischotter zu sehen, der bei Hard in der fischreichen Lauterach (1871) geschossen wurde.
Unter den Lurchen spielen die Frösche eine Hauptrolle. Da die Schenkel dieser musikalischen Reptilien ein sehr beliebtes Gericht am Bodensee sind, stellt man den armen Sumpfsängern sehr nach. Doch geben sie, namentlich wenn der See große Überschwemmungen anrichtet, noch manches Konzert zum besten – zur nicht großen Freude der menschlichen Uferbewohner, die in ihrem Schlafe gestört werden. Von den Schlangen ist am oberen See die Ringelnatter (Coluber natrix) nicht selten.
Von Vierfüßlern sei nur eines kleinen, zierlichen Tierchens aus dem Mardergeschlechte Erwähnung getan, das am Obersee bei Bregenz, Hard, Lochau usw. sehr gemein ist; es ist das Hermelin (Mustela erminea), das im Winter ganz weiß mit schwarzer Schwanzspitze, im Sommer braun erscheint mit weißem Unterleibe.
Von der Bodensee-Flora ist mir auf meinen Wanderungen zwischen Bregenz und Rheineck, also am obersten Rande des Sees, als bemerkenswert aufgefallen: Erucastrum obtusangulum (Rempe), Barkhausia tenuifolia, Acorus calamus (Kalmus), Helleborus viridis odorus (Nießwurz, auf den Wiesen bei Rieden), Hydrocotile vulgaris (Wassernabel), bei Fußach nur auf Torfgrund, aber sehr wuchernd, die beiden Drosera (Sonnentau) am Logsee auf der in den Bodensee ragenden Landzunge bei Fußach. Eine sehr merkwürdige Drosera ist ferner die Aldrovanda vesiculosa (L.), die in Indien zu Hause, aber auch in Süddeutschland nicht selten ist; sie wurde im Logsee 1846 von Dr. Custer aufgefunden, schwimmt auf dem Wasser und blüht im August, ist jedoch wegen der Bodenseeüberschwemmungen schwer zu bekommen. Centunculus minimus (Kleinling), die kleinste Pflanze hiesiger Flora, bei Rheineck; Polygonum amphibium (Wassersumpfknöterich), wurzelt stellenweise in einer Tiefe von 3-3½ m und überdeckt den Wasserspiegel wie Seetang. Utricularia vulgaris (Wasserschlauch), besonders in Torflöchern; merkwürdig deshalb, weil seine zarten Wurzelfasern mit zerstreuten Luftblasen versehen sind, mittelst deren sich die Pflanze kurz vor der Blütezeit über die Wasserfläche emporhebt; wenn der Same anfängt, reif zu werden, vertrocknen die Blasen, und die Pflanze senkt sich wieder auf den Schlammgrund hinab.
An manchen Uferstellen wächst in reicher Fülle das durchblätterte Samkraut, Potamogeton perfoliatum, das seine Hauptnahrung aus dem Seewasser zieht. Die stengelumfassenden, herzförmigen Blätter halten die Pflanze, die nur Haarwurzeln hat, in der Schwebe. Im warmen Juni kommen dann gar bald die sogenannten Kerzen, bis 15 cm lange Ährenkolben, hervor, deren Same, wenn er sich stellenweise auf dem Spiegel des Sees anhäuft, vielleicht jene Erscheinung hervorruft, die man »Seeblust« (Seeblüte) nennt und die auch auf dem Züricher, Zuger und anderen Seen vorkommt. Sie besteht aus einer bräunlichgelben, leichten und porösen Masse, die sich den durchfahrenden Schiffen gern anheftet, da sie schleimig ist. Auch andere der oben genannten Blütenpflanzen mögen dazu ihren Beitrag liefern.
Rings um den Bodensee sind die sonnigen Hügel mit Weinreben bepflanzt. Kann sich der »Seewein« auch nicht mit dem eigentlichen »Rheinwein« messen, so ist er doch in guten Jahrgängen ein schätzbarer Wein, etwas herb, aber sehr gesund. Auf den steil abfallenden Felshängen des Städtchens Meersburg wachsen aber so süße und edle Trauben, daß der daraus gewonnene Wein an Feuer und Lieblichkeit den Rheinwein übertrifft und als feiner Dessertwein gegeben werden kann. Aus dem reichen Obstertrag wird ein guter Teil zu Most verwendet. Die deutschen Ufer sind besonders reich an Kirsch- und Pflaumenbäumen, die schweizerischen an Apfel- und Birnenbäumen, und im Frühjahre bieten namentlich die thurgauischen Landschaften einen reizenden Anblick dar. Der Wald von Obstbäumen, in welchen das Land wie eingehüllt ist, glänzt in einem weißrötlichen Schmucke von Birnen- und Apfelblüten, den kein Maler durch seine Kunst wiederzugeben vermag, und den man unmittelbar im warmen Frühlingssonnenschein genießen muß.
Was den Bodensee vor allen übrigen Seen der Schweiz auszeichnet, ist der Umstand, daß er weniger ein Berg- und Alpensee ist als jene (den Genfer See eingeschlossen), daß er etwas entschieden Meerartiges hat, daß er die freie, offene Aussicht des Landsees vereinigt mit einer prachtvollen Bergszenerie, die am oberen Teile des Sees in großartiger Weise herankommt, aber doch noch fern genug bleibt, um den Blick auf die mannigfaltigsten, in Terrassen sich abstufenden Berggruppen nicht zu beschränken. Man überschaut an günstigen Punkten einen Horizont von fast 300 km; von den Allgäuer Alpen bis zu den Graubündener Spitzen, von den Bregenzer Waldbergen bis zum Basaltkegel von Hohentwiel und ins Hegau sind ganz beträchtliche Entfernungen. Von Bregenz nach Konstanz zu verliert sich der Blick in der blauen Ferne, wo Himmel und Wasser ineinander überzufließen scheinen. Wenn dann die Sonne in die Fluten taucht und der See wie ein Becken geschmolzenen Goldes sich darstellt, dann mit immer dunkleren Tinten sich schmückt, purpurrot und gelbgestreift und braun in seltsamer Mischung, bis endlich die ruhige, heitere Bläue des Himmels im Wasserspiegel wieder ihr Gegenbild findet: so ist das ein wahrhaft prachtvoller Anblick! Wer auf dem Hafendamm von Konstanz spazieren geht und hinauf nach dem Pfändergebirge bei Bregenz schaut, sieht dann den schönen Widerschein der untergehenden Sonne auf den Bergen im Osten, und in Violett und Rot das ganze Vorarlberg gekleidet. Die Umgegend von Konstanz ist reich an entzückenden Fernsichten. Auf dem hochgelegenen Kirchhofe von Allmannsdorf hat man den ersten Blick auf den Ober- und Unter- und Überlinger See; vom Meßmer ist der Blick auf das Hegau und Schwaben überraschend. Von Friedrichshafen hat man wiederum den besten Eindruck der gewaltigen Breite des Sees und seiner großen Länge von Ost und West; die Türme von Konstanz auf einer Seite, den malerischen Gebhardsberg auf der anderen und gerade in der Front die ganze Wunderwelt der Schweiz. Noch schöner stellt sich die alte ehrwürdige Stadt Konstanz dar, aus den Fenstern des Schlosses von Meersburg gesehen. Die kleine badische Uferstadt Meersburg gewährt selber einen sehr malerischen Anblick und ist bemerkenswert durch ihr uraltes Schloß, das vom Freiherrn J. v. Laßberg, dem Kenner deutschen Altertums und Freunde Uhlands, bewohnt ward. Dem alten Schlosse liegt das neue gegenüber, vom Bischof Kasimir Anton v. Sickingen 1750 im Rokokostil erbaut. Jetzt befindet sich die Taubstummenanstalt darin, und daneben, im ehemaligen bischöflichen Seminar, das katholische Schullehrer-Seminar. Auf dem Meersburger Friedhof sind die Gräber des seinerzeit berühmten Magnetiseurs Mesmer, des edlen Laßberg und seiner Schwägerin, der Dichterin Freiin Annette von Droste-Hülshoff.
Bregenz, obwohl sein Hafen in den besten Stand gesetzt und mit vielen Kosten ausgebaut worden, ist, wie Lindau und Konstanz, ein ziemlich stilles Landstädtchen geblieben, trotz seiner günstigen Lage. Dagegen hat sich, wie auf Schweizer Seite Romanshorn, so auf deutscher Seite Friedrichshafen in kurzer Zeit sehr gehoben. Früher Buchhorn genannt, wie der ältere Teil der Stadt noch heißt, war Friedrichshafen, obschon »Reichsstadt«, das Krähwinkelchen des Bodensees; jetzt, seit Umwandlung des nahegelegenen Klosters Hofen in einen Sommerpalast des Königs von Württemberg und seit dem Ausbau des Hafens und dem Betrieb der Eisenbahn, ist es ein wahres Juwel in der württembergischen Krone geworden und ein bedeutender Handelsplatz. Nichts aber konnte den Namen des kleinen Städtchens schneller in aller Welt berühmt machen, als die Großtat des genialen Grafen Zeppelin, der hier nach jahrzehntelangem Bemühen das erste lenkbare Luftschiff konstruierte. Aus den Fluten des Bodensees erhob es sich in das Reich der Lüfte und gehorchte dort dem Befehle des Steuers nicht minder willig als die Schiffe unten im See. Noch lebhafter ist das am entgegengesetzten Schweizer Ufer liegende Rorschach, in dem die Dampfschiffahrt eigentlich ihren Brennpunkt findet und wo jeden Donnerstag der belebteste Getreidemarkt stattfindet.
Indessen haben Dampfschiffahrt und Eisenbahn auch Bregenz mit jedem Jahr mehr belebt, und seitdem die Durchbohrung des Arlberges vollendet und von Bregenz direkt eine Trajektschiffahrt nach Konstanz zustande gekommen ist, nimmt auch dieses Städtlein am großen Weltverkehr den regsten Anteil. Welcher Wechsel der Zeiten hat doch diese drei alten Städte heimgesucht!
Was aber Konstanz, Lindau und Bregenz keine Ungunst der Zeit rauben kann, das ist die herrliche Natur ringsumher. Die fruchtbaren Auen bei Konstanz erinnern schon ganz an italienische Landschaften; die Fernsichten auf die Schweizer und Tiroler Alpen wie ins Schwabenland sind reizend, und die liebliche Insel Mainau ist das schönste Idyll, das in den Rahmen des Bodensees gefaßt ist. Gegen die Herrlichkeit des Bodensees muß freilich der ganze Unter- und Überlinger See und gegen Lindau und Bregenz das im Sommer sehr heiße und schattenlose Konstanz sehr zurücktreten. Von Lindau aus betrachtet, ist die Berggruppierung um den Obersee am großartigsten. Man stelle sich auf die 290 Schritt lange Brücke, welche die Inselstadt mit dem Festlande verbindet, oder noch besser, vor die reizende Grubersche Villa, etwas weiter westwärts vom See, und man wird von einem Naturbilde überrascht, das mit dem schönsten des Genfer Sees wetteifern kann. Nach Nordwest der herrliche Wasserspiegel, in unbegrenzte Ferne sich dehnend, im Süden die lieblichen Höhen des Thurgaues und Appenzells, immer höher sich türmend bis zum 2504 m hohen Sentis, der auf der einen Seite in schroffen Wänden abfällt, auf der anderen minder steil sich böschend, ein Schneekleid um die Schultern legt, zur Seite den »Alten Mann«, den Kamor und Hohen Kasten und wie seine Vasallen alle heißen, von welchen dieser König des Bodensees, der sie stolz überragt, sich huldigen läßt, – im Osten die Pyramiden und massigen Felsen der Dornbirner und Hohenemser Alpen, hinter denen die höheren Spitzen des Bregenzer Waldes hervorschauen, ganz nahe zu linker Hand das Pfändergebirge, das in den malerischen Vorsprung, auf welchem die St. Gebhardskapelle thront, ausläuft. Der See scheint den Fuß der gegenüberliegenden Schweizer Berge zu bespülen, ja hinauf bis ins Rheintal zu dringen, das den großartigsten Hintergrund dem überraschten Blicke darstellt; denn es wird von den grauen Hörnern (hinter Ragaz), über welche noch der 3249 m hohe Ringelkopf hervorschaut, geschlossen. Eine Abstufung von den sanftesten zu den kühnsten, schroffsten Formen, ein Wechsel des Erhabenen und Lieblichen, wie er kaum auf einem anderen Punkte im lieben deutschen Vaterlande in solcher Fülle zu finden sein mag.
Die Fahrt auf dem Dampfboote von Lindau nach Bregenz zeigt wohl die schönste Partie des ganzen Sees, gegen welche die Eisenbahnlinie von dem Inselstädtchen nach dem Vorort von Vorarlberg zurücktreten muß, obwohl diese von Lochau an, wo sie hart am See sich hält, in den man sie zum Teil hineingebaut hat, auch interessant genug ist. Man fährt nämlich nahe an dem in steilen Wänden aus roter Nagelfluh sich erhebenden Pfändergebirge hin; zur Rechten blinkt der See, der, wenn er vom Sturm gepeitscht wird, seine Wogen stellenweise bis auf den Bahndamm hinaufspritzt; gerade vor sich aber hat man den herrlichen Golf. Die Häuser von Bregenz und kleine Villen steigen amphitheatralisch auf, dem Hafen gegenüber glänzt hinter einer Pappelallee das Kloster in der Mehrerau, dessen Gründung dem heiligen Kolumban zugeschrieben wird Kolumban erschien, wie die Chronisten erzählen, mit Gallus und seinen übrigen Schülern Magnus, Theodor, Kilian und Siegewart um das Jahr 611 zu Arbon am Bodensee, nachdem er schon im Elsaß einige Klöster gestiftet und am Zürichsee das Evangelium verkündet hatte. Von Arbon schifften die Missionare auf den Rat des dortigen Pfarrers Wilimar, der sie gastfreundlich aufnahm, nach der Gegend von Bregenz hinüber. Unweit der Stelle, wo sie landeten, fanden sie eine kleine verlassene Kapelle; sie ward einst auf den Namen der heiligen Jungfrau Aurelia geweiht, die unter dem Hunnenkönige Attila 453 den Märtyrertod litt. Kolumban und Gallus gaben nun die Kapelle dem christlichen Gottesdienst wieder und erbauten sich an ihr kleine Wohnungen, welche ihre Schüler erweiterten und nach Bedürfnis des klösterlichen Lebens gestalteten. Durch mehr als drei Jahre hatten diese frommen Männer das Land bebaut und den Segen der christlichen Religion unter die verwilderten Bewohner jener Gegend mit dem besten Erfolge verbreitet, als auf einmal Kolumban und seine Schüler auf Beschwerde mißgünstiger Heiden, vorzüglich aber auf Befehl des eben zur Regierung gelangten austrasischen Königs Theoderich, vom Alemannenherzoge Gunzo die Mahnung erhielten, ihre Wohnungen zu verlassen, damit – wie der herzogliche Befehl sich ausdrückte – durch die Anwesenheit so vieler Menschen und das Aushauen der Wälder das Wild nicht verscheucht werde! Kolumban zog nach Italien, baute dort das Kloster Bobbio (bei Mailand) und beschloß sein Leben in einem Alter von 90 Jahren. Gallus ging in die Schweiz, gründete das Kloster St. Gallen, und Magnus, der ostwärts wanderte, stiftete das Kloster Füssen an der tirolischen Grenze. Ungeachtet dieser Verweisung wagten es doch andere Schüler des heiligen Kolumban, das von ihm eingeführte Klosterleben fortzusetzen. Es wurde sogar ein zweites Kloster, und zwar von Nonnen errichtet. Allein man vermied alles Aufsehen, um sich der politischen Obrigkeit nicht verdächtig zu machen. Kolumbans Gründung erhielt sich durch Jahrhunderte. Um das Jahr 1097 beschloß Graf Ulrich VIII. von Bregenz, für das ärmliche und ungenügende Gebäude ein neues aufzubauen. Der Bau ward in kurzer Zeit ausgeführt und dem Kloster der Name Mehrerau gegeben, zum Unterschied von dem Prämonstratenserstift Minderau (oder Weißenau) bei Ravensburg. Die Ordensregel folgte jener des heiligen Benedikt. – Nach mancherlei Wechselfällen wurde die Kirche 1748 und das Kloster 1782 neu erbaut; als aber Vorarlberg an Bayern kam, ward (1806) das Kloster aufgehoben, zwei Jahre darauf Kirche und Turm abgebrochen. – Im März 1854 wurden die Klostergebäude von dem Kaiser von Österreich den Benediktinern wieder zurückgegeben, und das 1200 Jahre alte Kloster feierte abermals seine Auferstehung!, hoch schaut vom steilen Felsen das St. Gebhardskirchlein nieder, und dann hebt sich wie ein Konzert für das Auge die Alpenwelt Tirols und der Schweiz zum Himmel empor. Es muß freilich ein recht heiterer Sonnen- und Sommertag sein, wenn man dies Gemälde in seiner vollen Schönheit genießen will.
Man unterlasse nicht, den St. Gebhardsberg zu besteigen, zu dem ein etwas steiler, aber nicht unbequemer Pfad hinaufführt. Der schön geformte, auf der Mittagsseite ganz schroff abfallende Felsenvorsprung, der nach Bregenz zu mit frischen Lärchenbäumen umkränzt, nach der Aach zu mit dunklen Tannen besetzt ist, dann aber in freundliche Weingelände und Gärten übergeht, hieß früher Pfannenberg, Schloßberg, und wird jetzt der Gebhardsberg genannt. Hier stand das denkwürdige Schloß Pfannenburg, im 10. Jahrhundert vom Grafen Ulrich VI. (Utzo) und Gräfin Dietburga, den Eltern des heiligen Gebhard, bewohnt, 1647 aber von den Schweden zerstört; aus den Trümmern erhob sich 1723 das gegenwärtige freundliche Kirchlein, das nunmehr ein berühmter Wallfahrtsort geworden ist. Am 27. August, als am Tage des heiligen Gebhard, wimmelt es oben von Wallfahrern, denen ein Kapuziner die Predigt im Freien hält. Neben der Kirche steht das Wirtshaus, das Erfrischungen darbietet. Von seinem Altan schaut man über die ganze Fläche des Sees mit seinen österreichischen, bayerischen, württembergischen, badischen und schweizerischen Grenzgebieten bis nach Konstanz hinab. Wie eine Landkarte liegt der See ausgebreitet. Zu den Füßen hat man das steinige, breite Bett der Aach, die bei Kennelbach aus dem Bregenzer Walde tritt und zwischen Hard und Rieden mündet. Nach Süden gegen Feldkirch und Altstetten dehnt sich die breite, fruchtbare Aue des Rheintals mit den zahlreichen Dörfern; die ganze Fläche, in der der Rhein nun als silberglänzendes Band sich schlängelt, war in Urzeiten Seeboden. Die Vorarlberger, St. Galler und Appenzeller Alpen türmen sich in den schärfsten Umrissen, daß man sie zeichnen möchte. Was die Natur Erhabenes und Schönes hervorgebracht hat, reiht sich hier in großartigem Wechsel aneinander.
Steigt man nieder und wandert nun über die lange, hölzerne Aachbrücke nach Hard, so kommt man freilich an das allerflachste und sumpfigste Ufer des Sees, aber gewinnt doch wieder ein ganz neues, charakteristisches Bild. Mich gemahnt dieses sandige Ufer immer an die Insel Norderney und an die Nordsee, namentlich wenn die Berge ringsum durch Nebel verhüllt sind und die Möwen schreiend am Strande fischen. Die Harder sind geschickte Schiffbauer, und zwischen den vielen Haufen von Flößholz sieht man eine völlige Schiffswerft, wo Kähne und Lastschiffe gebaut und schadhaft gewordene Fahrzeuge kalfatert werden. Die Ebbe läßt den See hier vom Monat Oktober bis zum Mai wohl 200 Schritt zurückweichen und bietet wie in einem Seebade den trefflichsten Strand zum Spazierengehen. Kleine und große Muscheln, freilich keine seltenen, liegen auch in Menge da. Die großen Wiesen- und Riedstrecken, die sich nach Fußach hinziehen und auf denen im Frühling und Herbst in malerischen Gruppen das Rindvieh weidet, geben ganz das Bild einer holländischen Gegend. Die Appenzeller, wenn sie von ihren Bergen nach Hard kommen, sagen, sie gingen »ins Niederland«.
Ist der See stürmisch, dann kann man auch meerartige Wogen, weiß gekräuselt übereinander stürzend und mit mächtigem Geräusch an der Küste sich brechend, heranrollen sehen. Überhaupt haben die Winde auf dieser Ebene einen vollkommenen Tummelplatz; sie treiben in den nach der Seeseite zu gelegenen Wohnungen den Regen sogar durch die Doppelfenster.
Ein besonders hitziger Gast ist der Föhn (Favonius), der als heftiger Südwind aus den Alpen ins Rheintal und auf die Fläche des Bodensees sich stürzt, mit einer Gewalt, von der die Bewohner des mittleren Deutschland kaum einen Begriff haben. Die Wogen des »Deutschen Meeres« türmen sich in der Tat meerartig auf, kein Segelschiff wagt sich hinaus, und wehe dem Nachen, der allzuweit von der Küste sich entfernt hatte! Selbst die Dampfschiffe müssen zuweilen ihre Fahrt einstellen. Es ist etwas Sonderbares um diesen Föhn. Schon ein bis zwei Tage vor seinem Ausbruch hüllen sich die Berge in einen hauchartigen Nebel; es tritt Windstille ein, eine ängstliche Spannung der Atmosphäre. Dann erhebt sich wohl ein Kampf mit einem kälteren Nordost, und man fühlt sich in der einen Minute von einem ganz warmen, gleich darauf von einem kalten Lufthauch angeweht, besonders an der Küste des Sees, bis endlich der hitzige Alpenschirokko den Sieg gewinnt und die Wasserfläche des Sees tief aufwühlt. Die Farbe des Wasserspiegels wird vor dem Ausbruch des Windes hellgrün, wie denn überhaupt bei Gewittern, Hagelschauern oder anderen elektrischen Erscheinungen in der Atmosphäre die blaue Farbe des Sees erst ins Hellgrüne, dann ins Meergrüne und Dunkelblaue übergeht. In Hard, das frei am Seeufer liegt und keinen Berg in der Nähe hat, ist der Föhn viel stärker als in Bregenz; in Lindau schon bedeutend schwächer. Auf die Nerven wirkt dieser warme Wind ganz ähnlich, wie der italienische Schirokko, nämlich betäubend und abspannend, besonders die Kopfnerven angreifend. Nach einigen Tagen schlägt der Föhn um; es erfolgt zuerst Regen, dann Kälte, auf den höheren Bergen fast immer Schnee. Übrigens kennt man auch einen »kalten Föhn«, der mehr aus Südost weht, in seinen Stößen minder heftig ist und, wie man zu sagen pflegt, »sich öfters ausgeht«, ohne Regen zu bringen; die Witterung bleibt dann noch zwei bis drei Wochen gut. Übrigens ist der Föhn, trotzdem, daß er schon manche Feuersbrunst entzündet hat, unschätzbar im Frühling, wo er den Schnee aus allen Winkeln der Berge holt, und im Herbst, wo er die Reife des Maiskorns beschleunigt, das an den Bodenseeufern gebaut wird.
So bietet sich dem Naturfreund eine Fülle des Anziehenden und Merkwürdigen, und wer Herz und Sinn erfrischen und sich befreien will aus dem Staub der Ebene und des Geschäfts, der wallfahrte an die grünen Ufer des Deutschen Meeres. Besonders freudig wird man überrascht, wenn man auf der München-Augsburger Eisenbahn nach Lindau fährt. Die große, einförmig trübe, bayerische Hochebene ist ganz dazu geschaffen, um den Gegensatz zu der Mannigfaltigkeit und Liebenswürdigkeit der Bodenseewelt recht innig empfinden zu lassen. Das heitere und doch schon sehr großartige Allgäuer Bergland bildet gleichsam die Ehrenpforte zum Eintritt in die Bilderhalle des Bodensees. Die Gegenden von Immenstadt mit dem klaren Alpensee zeigen das friedlichste, anmutigste Bild der Vorgebirgsnatur; bei Staufen entfalten sich ödere, in kühneren Umrissen gezeichnete Gebirgslandschaften, deren Hintergrund durch die Bergspitzen der Vorarlberger Kette und die Berggruppen des Hohen Sentis abgeschlossen wird. Die Bahn senkt sich merklich, wie im Triumphzuge geht es vorwärts in höchst überraschendem Übergange aus dem rauhen Gebirgslande zum milden, sonnigen Obst-, Wein- und Maislande. Einigemal schon ist die blinkende Fläche des Sees vor dem spähenden Auge wie ein Blitz vorübergeflogen; nun, während der Blick noch an den blauen Alpen hängt, ist plötzlich Lindau erreicht, der Spiegel des Sees liegt offen da, und die kleine Inselstadt bildet den idyllischen Vordergrund eines Gemäldes, mit dem sich kein anderes rheinisches Landschaftsbild messen kann. Auch an Burgruinen und geschichtlich merkwürdigen Punkten sind die Ufer des Bodensees reich, wie es nur irgendeine Strecke des Rheinlaufs sein mag.