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Zweiter Abschnitt.
Aus Heide und Moor.

Das norddeutsche Tiefland.


1. Oldenburger Land und Leute. – 2. Das Moor. – 3. Die Lüneburger Heide. – 4. Die Mark Brandenburg als Kulturland. – 5. Berlin. – 6. Die Elbe. – 7. Der Spreewald. – 8. Leipzig. – 9. Das Oderbruch.

1. Oldenburger Land und Leute.

a) Geest und Marsch.

Wir haben es hier natürlich nur mit den Bewohnern des Großherzogtums im engeren Sinne zu tun, also mit dem von der Provinz Hannover und der Nordsee eingeschlossenen Hauptlande, ohne die Fürstentümer Eutin und Birkenfeld. Die Bevölkerung dieses Landstriches ist eine sehr dünne, denn es wohnen nur 66 Menschen auf dem Quadratkilometer; dazu ist sie ungleich verteilt, denn während man in der besten Marschgegend, z. B. in den Ämtern Butjadingen und Brake 73, bzw. 83 Köpfe auf dem Quadratkilometer zählt, hat die Bevölkerung der Oldenburgischen Geest in manchen Gegenden, in denen Moor- und Heidestrecken noch den größten Teil des Landes bedecken, eine überaus geringe Dichte, so z. B. in den Ämtern Friesoythe und Wildeshausen eine solche von 23 und 25.

Wir begegnen hier dem Gegensatze zwischen Geest und Marsch, der für das ganze Oldenburger Land charakteristisch und auch für unseren Zweck von Wichtigkeit ist, indem die Art und Lebensweise der Bevölkerung wesentlich auseinandergeht, je nachdem sie dem mageren oder fetten Boden angehört, wie denn auch die Volksstämme verschieden sind; denn während in der Marsch sich überall Friesen niedergelassen haben, werden die Geestdistrikte von dem alten Stamme der Sachsen bewohnt.

Berg und Ebene, Heide und Sumpfland bedingen nicht allein die Natur der Pflanzen und Tiere, die ihnen entstammen, sondern auch der Menschen. Der Tiroler und Schweizer ist das, was er ist, nicht allein durch gewisse Abstammung und Rassenkreuzung, sondern wesentlich auch durch die Alpennatur, die sein Lebenselement ist. Will man ihn verstehen, so muß man die Landschaft verstehen, in die ihn der Künstler »überm Sternenzelt« als Staffage gesetzt hat. Ebenso wird sich uns der Oldenburger aus seinem Lande und dessen Gegensätzen, der Geest und der Marsch, entwickeln.

Unter Geest versteht man in dem ganzen nordwestlichen Deutschland, das von ähnlicher Beschaffenheit wie Oldenburg ist, das höher gelegene, meist sandige, mehr oder weniger magere und trockene Land, wie denn geest oder güst in der plattdeutschen Sprache trocken bedeutet. Es tritt dieser Ausdruck nur im Gegensatze zu den von der Geest überall scharf abgegrenzten Niederungen jener Länder, zu Marsch und Moor, auf. Die Oldenburger Geest hat im Süden des Großherzogtums ihre größte Breite, von da zieht sie, durch große Moore zur Rechten und besonders zur Linken eingeengt, in Gestalt einer niedrigen Hügelkette nordwärts an der Stadt Oldenburg vorbei, und läuft, den Jadebusen zur Rechten lassend, auf die Stadt Jever zu, welche auf einer schmalen Geesthalbinsel gelegen, wie von einer Zinne in die üppige Marschfläche von Jeverland hinabschaut. Die Ähnlichkeit dieser Hügelkette mit Dünen ist ganz augenscheinlich; ja die Dünengestalt ist an vielen Orten, wie z. B. in den Osenbergen, noch vollkommen erhalten, und es kann keinem Zweifel unterworfen sein, daß die Geest das ältere, die Marsch das jüngere Land ist, dem die Fische eine gute Zeit später Lebewohl gesagt haben als jenem. Die großen Heideflächen, die einen beträchtlichen Teil des Oldenburger Landes ausmachen, wiederholen im kleinen den Charakter der Lüneburger Heide, der wir im folgenden eine besondere Betrachtung widmen.

Man könnte den Großherzog von Oldenburg den Pharao mit den sieben fetten und den sieben mageren Kühen nennen; die sieben mageren sind die Geest, die sieben fetten die Marsch. Marsch, ein Wort, das sprachlich und sachlich an das lateinische mare und das französische marais erinnert, heißen die fetten Niederungen an den Flußmündungen und Meeresküsten, die jenen Mündungen benachbart sind. Ein eigentümlicher, durch Anschwemmung gebildeter, schwerer Tonboden, Klei genannt, der neben Ton, Lehm und Sand auch Torf und andere Pflanzenteile, Muscheln, Infusorien und überhaupt verschiedene tierische Überreste enthält, verleiht der Marsch die außerordentliche Fruchtbarkeit, wovon Weiden und Fruchtfelder ein glänzendes Zeugnis ablegen.

Ist der Süden des Großherzogtums das Gebiet der Geest, so ist der Norden das der Marsch. Der großen, im Nordwesten und Nordosten gelegenen Marschen Jeverland und Butjadingen ist schon oben gedacht. Ein dritter Marschbezirk ist das Stedinger Land an der Weser und untern Hunte, das im Gegensatze zu jenem bloße Flußmarsch ist. In alten Zeiten erstreckte sich die Wesermündung über dieses dem Wasser abgetrotzte Gebiet.

Alles Marschland muß durch hohe, sehr kostbare Dämme, Deiche genannt, gegen das andringende Meer geschützt werden. Besondere Gefahr bringt das Zusammentreffen von Spring- und Sturmflut, wenn nämlich der höchste Standpunkt der Flut, der beim Voll- und beim Neumond ungewöhnlich schnell eintritt, durch einen auf das Land wehenden Sturm noch gesteigert wird. Zu verschiedenen Zeiten sind Sturmfluten für das Oldenburger Tiefland verderblich gewesen, ja der ganze Jadebusen ist ein ungeheures Grab, worin eine Menge Ortschaften, deren Namen noch bekannt sind, seit drei, vier und sechs Jahrhunderten versunken liegen.

Um die Marsch zu entwässern, sind eine Menge Kanäle, sogenannte Sieltiefen, die sich in immer kleinere Gräben verzweigen, ins Land geschnitten und mit Sielen, d. h. Schleusen versehen, die sich dem abfließenden Binnenwasser öffnen, dem von der Flut aufwärts getriebenen Meer- oder Flußwasser, das die Entwässerung vergeblich machen würde, aber verschließen. Diese Deich- und Sielanlagen müssen natürlich von ganzen Bezirken, Deichverbänden, gemeinschaftlich unternommen und unterhalten werden; ein von der Regierung gesetzter Deichgräfe und zahlreiche Unterbeamte überwachen und leiten die Deicharbeiten. Dennoch bieten die Schutzmittel, obgleich sie immer weiter vervollkommnet werden, keine vollständige Sicherheit, und das Meer, die Marsch als altes Eigentum betrachtend, pocht mahnend jeden Winter an und scheidet selten, ohne nicht wenigstens kleine Opfer mit sich zu führen. Fast jeden Winter hört man von Deichbrüchen. Da die Häuser nicht selten landeinwärts dicht hinter dem Deiche, wo sie Schutz vor dem Winde suchen, erbaut sind, hat ein solcher Deichbruch den unmittelbaren Untergang jener Wohnungen zur Folge. Da gilt es verzweifelte Gegenwehr, wenn der Sturm heranbraust, um sich zu den Opfern auf der See auch Opfer auf dem Lande zu holen. Ist es doch bei einer Sturmflut vorgekommen, daß eine Oldenburger Gemeinde einen gefährdeten Deich an einer schwachen Stelle stundenlang mit den eigenen Leibern bedeckt hat, damit nicht die Kappe, das ist der Rücken des Dammes, hinweggespült werde und ein Deichbruch Verderben über Felder, Vieh und Menschen bringe. Eine der furchtbarsten Sturmfluten der neueren Zeit war die von Weihnachten 1717. Der Wind hatte 24 Stunden lang aus Südwest geweht und das Wasser aus dem Atlantischen Ozean durch den Kanal in die Nordsee gepeitscht; darauf war der Südwest plötzlich in Nordwest umgeschlagen und hatte das Wasser, das so schnell nicht durch den Kanal ablaufen konnte, mit furchtbarer Gewalt gegen die Küste geschleudert. Halem, ein oldenburgischer Schriftsteller, der uns eine Schilderung jener Weihnachtsflut hinterlassen hat, sagt, die See sei mit der Geschwindigkeit des Wassers in einem Topf, das zu sieden beginnt, aufgelaufen. Schon um 3 Uhr in der Nacht zerrissen die Deiche von Butjadingen, und das Wasser stieg innerhalb einer Viertelstunde 3-5 m im niedrigen Lande. Das Vieh ertrank in den Häusern; viele Menschen fanden in den Betten, oder auf Tischen und Schränken, wohin sie geflüchtet waren, den Tod; viele, die halbnackt auf Böden und Dächer geklettert waren, kamen durch Zusammensturz der Gebäude um oder starben vor Frost und Hunger. In den damaligen Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst, einem kleinen Teile des Großherzogtums, wurden allein 150 Häuser zerstört; 2471 Menschen und fast doppelt soviel Pferde und Hornvieh kamen ums Leben; wie groß mag erst die Zahl der Opfer in der Butjadinger Marsch gewesen sein! Ist die Deichlast in gewöhnlichen Zeiten schon beträchtlich, so steigt sie in solchen Unglücksjahren ins Unerschwingliche. Darum pflegt auch der Marschbewohner zu sagen, ohne die Deichlast könne er mit einem silbernen Pfluge pflügen. Den Deich selber aber nennt er seinen goldenen Ring, um den Wert, den er auf ihn legt, zu bezeichnen.

Während die Geest einige Waldungen besitzt und reich an schönen Baumpartien ist, die dem wellenförmigen Lande zu einiger Zierde gereichen, zeigt sich die Marsch fast baumlos und flach wie eine Tafel; dennoch geben ihr die weit zahlreicheren, sehr stattlichen Häusergruppen, die üppigen Fruchtfelder und vor allem das reinliche Vieh, das Tag und Nacht bis zum Winter auf der Weide geht, ein lachendes, wenn auch einförmiges Ansehen. Es ist eine holländische Landschaft, ungemein reizend, wenn die Weiden mit frischem Grün bedeckt sind, aber ermüdend durch die beständige Wiederholung. Man denke sich den saftig grünen Rasenteppich bis zum fernsten Horizont aufgeschlagen, gestickt mit bunten Blumen und durch blinkende Wassergräben in Hunderte von Feldern geteilt; man denke sich auf diesen Feldern die stattlichsten Rosse in wilder Freiheit, schwarz und weiß geflecktes Hornvieh, gegen das Helios seine Rinder tauschen würde; riesige Schafe, deren Vlies an Weiße dem Schnee nicht nachsteht, und um die Wohnungen noch anderes Vieh in gleicher Größe und Schönheit; man denke sich diese Tiere, wie sie einzeln oder gruppenweise verteilt, die schöne Trift als Weide-, Tummel- oder Ruheplatz benutzen, die Rinder behaglich gelagert oder, wie es die Örtlichkeit erlaubt, bis ans Knie im Wasser stehend; die Pferde, von munteren Füllen umschwärmt, umhergaloppierend und den Rossen deines Wagens mit lautem Gewieher einen guten Tag zurufend, und an den Deichen hinauf und hinab die schimmernden Schafe mit ihren Lämmern, die aus dem Euter der Mutter gierig saugend, die leckere Kost sich holen:

Ist irgendwo ein Paradies
Bestellt für Tiere, ist es dies.

Die Studenten gebrauchen das Wort ochsen im tadelnden Sinne; von dem Oldenburger kann man aber nicht verlangen, daß er ein Tier, dem er so manchen schönen Taler verdankt, in Redensarten mißhandle. Ochsig groß heißt bei ihm nur gewaltig groß, und wer von starkem Körperbau ist, muß es sich schon gefallen lassen, ein ochsiger Kerl genannt zu werden. Vergleichen sich doch die Bauersleute selbst untereinander sehr oft mit Tieren. In Goldschmidts »Kleinen Lebensbildern aus der Mappe eines deutschen Arztes«, welche reich an Oldenburger Skizzen sind, äußert eine Bauersfrau gegen ihn: » As ick jung weer, sä min Mann to mi: Deern, Deern, wat bist du minn um 'n Kneeb! Man kunn di wol uffpusten. Ick heww di as Faselswin krägen; un nu bist doch rein so fett as 'n Masswin.« (Dirne, Dirne, was bist du so schmal um die Taille! Man kann dich wohl aufblasen. Ich habe dich als ein ungemästetes Schwein bekommen; – und nun bist du völlig so fett wie ein Mastschwein.«)

Neben Geest und Marsch stellt sich ein dritter Gegensatz: das Moor, das wir dem Leser in besonderem Bilde vorführen.

b) Der Oldenburger Bauer.

Ich wende mich jetzt von dem Lande zu den Menschen. Wer als Neuling das Oldenburger Land betritt, dem muß es notwendig auffallen, daß dort das Wort Bauer von schwerem Gewicht ist In den bayerischen und deutsch-österreichischen Alpenländern hat das Wort »Bauer« wiederum den vollsten Klang und die größte Ehre; nicht minder die »Bäuerin« als gebietende Frau des Hofbesitzers.. Dies hat seinen Grund darin, daß der Bauernstand der herrschende Stand ist. Außer der Residenzstadt Oldenburg, die 30 000, mit Vororten 50 000 Einwohner zählt, und dem neuerdings zum Industrieplatz gewordenen Delmenhorst, das die Rinde der spanischen Korkeiche in einer lebhaften Kork- und Linoleumfabrikation verarbeitet, gibt es nur Landstädtchen, die im allgemeinen eine sehr geringe gewerbliche Tätigkeit entwickeln; und wenn auch in den Gegenden an der Küste und an der Weser Handel, Schiffahrt und Fischerei eine gewisse Rolle spielen, so bleiben doch Ackerbau und Viehzucht die Hauptnahrungszweige der Bewohner Oldenburgs. »Ich will Bauer werden,« sagt der Sohn des Beamten oder Offiziers, der nicht Lust hat, den Stand des Vaters zu ergreifen. In Süddeutschland würde man in demselben Falle die Ausdrücke: Landwirt, Gutsbesitzer gebrauchen. Der Oldenburger Bauer oder Hausmann (im Münsterland auch Wehrfester, Zeller und Kolonus genannt) ist aber auch wirklich Gutsbesitzer, indem seine ansehnliche Stelle – so heißt sein Gut – nach uraltem, heiligem Gebrauche gewöhnlich ungeteilt auf eins der Kinder, den sogenannten Grunderben, übergeht. Er bildet im Gegensatz zu den Köthern und Brinksitzern, die nur kleinere Stellen besitzen, zu den Heuerleuten, die in den Nebengebäuden des Hofes zur Miete (Heuer) wohnen, zu den Handwerkern, Tagelöhnern und Dienstboten, die Aristokratie des Dorfes. » Ick bin 'n Buer«, sagt er mit Stolz; » de annern sünd all lütje Lü« (die andern sind alle kleine Leute).

Bis zum Jahre 1873 war jedes größere Bauerngut eine Grunderbstelle, d. h. es ging ungeteilt auf einen Sohn und, im Fall keiner vorhanden war, auf eine Tochter über, und die übrigen Kinder erhielten zusammen nur einen geringen Prozentsatz vom Werte der Stelle. Eine solche Erbteilung war zweifelsohne ungerecht, und der gerechte Sinn des Volkes fühlte das auch recht wohl, wie denn das Sprichwort: »De Buer het man een echt Kind; de annern sünd alltomal Hoorkinner«, sich derb genug darüber aussprach. Diese Ungerechtigkeit ist nunmehr durch gesetzliche Bestimmungen beseitigt worden. Bis zum 1. Januar 1874 konnte jeder Grundeigentümer über die Bildung, Veränderung oder Auflösung einer Grunderbstelle durch eine entsprechende Willenserklärung bei dem betreffenden Verwaltungsamte verfügen. Dadurch wurden die Grundbesitzer von den Banden eines alten, mit gewissen Härten verbundenen Herkommens befreit, indem es in ihren freien Willen gestellt war, ob sie aus ihrem Grundbesitz eine Grunderbstelle bilden wollten oder nicht. Die meisten Grunderbstellen sind nun wohl aufgehoben, sodaß der Grundbesitz in gleiche Teile geht. Aber selbst da, wo es nicht geschehen ist, wurde doch durch das Gesetz die überkommene Härte des mittelalterlichen Gebrauchs abgeschliffen. Denn das Grunderbrecht besteht fortan nur darin, daß der Grunderbe zwar das Alleineigentum der Stelle erwirbt, jedoch gegen die Verpflichtung, ihren vollen Wert zur Erbteilungsmasse einzuschießen. Nur gewisse Prozente des schuldenfreien Wertes der Stelle erhält er im voraus, und zwar in der Marsch 15, auf der Geest 40 Prozent. Alles übrige wird gleichmäßig unter die nachgebliebenen Kinder oder Erben verteilt. Auf diese Weise ist es möglich gemacht worden, die Stelle unzerstückelt im Besitz der Familie zu erhalten, ohne eine schreiende Ungerechtigkeit gegen die übrigen Kinder zu begehen.

Wo noch Grunderbstellen geblieben sind, da wird der Grunderbe bestimmt durch den Vorzug des männlichen Geschlechts vor dem weiblichen. Auf der Geest haben die älteren Kinder oder Anverwandten den Vorzug, in der Marsch die jüngeren. Dort kann der Grunderbe einer zur Landwirtschaft benutzten Stelle auch den sogenannten Beschlag derselben, d. h. das Vieh, Geschirr, Acker- und Hausgerät usw. beanspruchen.

Das Haus des Oldenburger Bauern liegt nach altsächsischem Brauche in der Regel einsam mit seinen Nebengebäuden inmitten des Grundstücks, oder es bildet mit Häusern ähnlicher Art eine lose Gruppe. Solche fleckenartig geschlossene Dörfer wie in Mitteldeutschland, wo der Unterschied zwischen Stadt und Dorf fast aufgehört hat, findet man nicht häufig. Nicht allein die Felder, Kampe, sind zum Schutz gegen die heftigen Winde mit Hecken auf Erdwällen umgeben, auch der Bauernhof erscheint manchmal in dieser Verschanzung; auch zu ihm führt wie zu jenen ein niedriges Gittertor, das Heck, dessen Hauptbestandteil ein schwerer, auf zwei Pfosten horizontal ruhender Balken ist, der auf der einen Seite ausgehoben wird. Hat man diese Schranke hinter sich, so betritt man einen weiten Rasenplatz, auf dem sich ein Eichenhain erhebt. Beides, der frischgrüne Rasen und die gewaltigen Eichen, gehören zu den Vorzügen des Oldenburger Landes. Der Rasen verdankt seine Schönheit der Feuchtigkeit des Klimas, die Eiche der Eigentümlichkeit des Bodens und den Stürmen, welche die Faser durch spiralförmige Drehungen kräftigen. Während schwächere Bäume, wie die Ulmen, mitten in ihrem kräftigsten Wachstum plötzlich gehemmt werden und absterben, weil sie eine sehr häufig vorkommende unfruchtbare und eisenhaltige Tonschicht, Dwo genannt, nicht mit ihren Wurzeln zu durchbrechen vermögen, so überwinden die Eichen dieses Hindernis. Nirgends habe ich so gewaltige Bäume gesehen, als auf der Oldenburger Geest, und mancher Bauernhof bewahrt neben jungen schlanken Stämmen noch manchen Prachtstamm aus alter Zeit, der den patriarchalischen Eindruck des Ganzen nicht wenig erhöht. Ihre knorrigen Äste tragen häufig das Nest der Elster, während Gevatter Storch auf dem Dach des Bauernhauses sich eingerichtet hat. Ein kleiner, von den Eichen umstandener Teich auf dem grünen Hofe dient dem Kleinvieh, das hier weidet, als Tränke und den Enten als Schwimmplatz, solange es nicht einem der riesigen Schweine gefällt, sie daraus zu vertreiben. Auf der Hochebene des Düngerhaufens ergeht sich Sultan Hahn mit seinen Weibern; er weiß, daß er des Hausmanns und Wehrfesters Hahn ist, und kräht stolzer als die Hähne der umwohnenden Heuerleute.

Jedem Fremden wird die Größe und das ungemein stattliche Aussehen der Oldenburger Bauernhäuser auffallen. Inmitten des Eichenkamps, zu beiden Seiten umgeben von sehr stattlichen Schaf- und Schweineställen, die sich oft in langer Reihe fortsetzen, mit den geringeren Heuerwohnungen, die halb im Grünen versteckt sind, im Hintergrunde, machen sie entschieden den Eindruck behaglichen Wohlstandes. Die Seitenwände des Hauses, zu dessen Erbauung nicht selten der eigene Grund und Boden das Holz liefert, sind ganz niedrig und aus Ziegelsteinen, im Münsterlande aus Fachwerk mit Lehm, aufgeführt. Das aus Ried oder Stroh, bei neueren Häusern aus Ziegeln bestehende Dach steigt tief herab. Die dicke Lage von Ried gibt dem Hause das Aussehen eines Bären, der sich tief in seinen Pelz steckt. Die große Tür oder Einfahrt, über welcher besonders im Münsterland, unter bunten Holzverzierungen, die Namen des Erbauers und seiner Frau mit einem frommen Spruche zu lesen stehen, liegt auf der Giebelseite. Von da gelangt man auf eine breite Tenne, die, ganz wie die Tenne unserer Scheunen, zum Dreschen dient. Rechts und links ist diese von hölzernen Verschlägen eingeschlossen, in welchen Winters die Pferde und das Rindvieh, letzteres mit dem Kopfe nach innen, stehen. So ist das Haus des Oldenburger Bauern Wohnung, Stallung und Scheune zugleich. Es ist auch Hühnerstall, um nichts zu vergessen; denn über den Verschlägen für das große Vieh haben Hahn und Hennen ihr Unterkommen.

Gehen wir auf der Tenne weiter, so folgen die Milch- und Speisekammern und die offenen oder auch geschlossenen, oft kojenartigen Räume, in denen die Dienstboten und einzelne Familienglieder des Nachts ein hochgetürmtes Bett empfängt. In der Mitte des Hauses, wo die Tenne in ihrer ganzen Breite frei ist, brennt auf ganz niedriger, runder Herdmauer das Feuer, dem Vorübergehenden durch die meist offenstehende Einfahrt sichtbar. Auf der einen Seite des Feuers ist der Spül- und Waschort, auf der andern ein großer Eichentisch, der Mannsiedel, an dem der Bauer mit seiner Familie und dem »Volk« Mahlzeit hält. Sowohl in der Richtung des Spülorts als des Mannsiedels führen Seitentüren aus dem Hause.

Hinter dem Feuer stehen die Kisten mit den Kleidungsstücken der Hausbewohner und die künstlich geschnitzten Schränke. Hier, auf der Ostseite, finden sich auch, zumal in neueren Häusern, wirkliche Stuben; von dieser Seite beginnt überhaupt die moderne Kultur die alten Sachsenwohnungen umzugestalten. Neben einer schmutzigen Wohnstube, Döns genannt, findet man da nicht selten Prunkzimmer mit Mahagonihausrat und feinem Geschirr, die freilich dumpfig genug sind, da man sich ihrer nur bei außerordentlicher Gelegenheit bedient.

Das ungeheuere Dach, unter dem der Segen des Feldes aufgespeichert wird, gewährt im Sommer Kühle, im Winter Wärme, die noch durch das zu dieser Jahreszeit anwesende Vieh vermehrt wird, daher die Bewohner des Hauses, selbst bei scharfem Frost, sich nur selten in den Stuben aufhalten. In den älteren Gebäuden ist kein Schornstein vorhanden, und der Rauch zieht unter dem Dache her durch die Einfahrt, indem er die schweren Speckstücke, Schinken und Würste bestreicht, die in unendlicher Menge umherhängen – ein lachender Anblick für jeden, der ihre Güte erprobt hat.

Diese Häuser haben eine länglich viereckige Form. Denkt man sich ein Kreuz durch sie gelegt, so geht der Stamm desselben in der Richtung von Westen nach Osten, von dem Eingangstore nach den Stuben im Hinterhause; der Querbalken aber, der den Stamm auf der Feuerstelle schneidet, endet rechts und links mit den Seitenausgängen und Seitentüren.

An dem Herde sitzt, ihr Kind auf dem Schoße oder die Arbeit in der Hand, die Hausfrau, während die Feldarbeit den Mann und das Gesinde nach außen ruft. Hier kann ihr wachsames Auge alles erreichen, ohne daß sie sich vom Stuhl erhebt. Vor sich hat sie das Tor, rechts und links die Seitentüren, sodaß niemand, von ihr unbemerkt, aus- und eingeht. Die Kinder, die vor ihr auf der Tenne spielen, die Pferde und Kühe zu beiden Seiten der Flur, der große mit Heu und Getreide gefüllte Dachboden, alles steht unter ihrer Hut, indes sie ruhig das Spinnrad tritt oder den weiten, schwarzbauchigen Kessel beschickt, der über dem Feuer hängt.

Der Sitz am Herde in diesen altertümlichen Häusern ist mit Recht der Lieblingsplatz aller; hier sammeln sich die arbeitsmüden Hausbewohner am Abend um das glimmende Feuer; hier wird dem Gastfreunde und einkehrenden Wanderer ein Stuhl gestellt. Abends, wenn draußen der Sturm die Heide fegt, ist es doppelt schön in der weiten, behaglich warmen Halle, inmitten eines Kreises seltsam beleuchteter Menschen, die um das Feuer gruppiert sind. Vielleicht berichtet einer von den Gefahren und Heldentaten des letzten großen Krieges gegen Frankreich, den er in den Oldenburger Regimentern mitgemacht, oder von den Abenteuern, die er als Matrose auf der See und in fremden Landen erlebte, indes die anderen, ihr Pfeifchen schmauchend, um ihn sitzend und stehend lauschen, indes das Vieh, teils aufrecht, teils auf den Knien ruhend, die Köpfe nach den Menschen wendet, als ob es auch an der Erzählung teilnähme.

Die wichtige Rolle, die das Feuer in diesen Häusern spielt, drückt sich auch im Sprichwort aus. »Es geht mir vors Feuer«, sagt der Vater von einem Freier, der gerade um die Tochter wirbt. Oft bedingt sich der abtretende Kolonus von dem neuen Hausbesitzer »einen Platz beim Feuer«. Dies ist nicht wie der coin du feu der Franzosen zu verstehen, sondern bedeutet den freien Aufenthalt im ganzen Hause.

Das Herdfeuer brennt oder glimmt wenigstens Tag und Nacht; ist doch der Torf ein sehr billiger Brennstoff. Überdies haben sehr viele Bauern ein Stück Land auf ihrer Stelle, von dem sie den nötigen Torf gewinnen; selbst in der Marsch sind, wo dies irgend angeht, die Stellen so angelegt, daß sie bis ins Moor reichen, damit der Bauer seinen Brennbedarf nicht zu kaufen nötig habe, wie denn überhaupt die Verbindung der Marsch-, Moor- und Geestkultur der Landwirtschaft den meisten Vorteil bringt. Nur bei des Hausherrn Tode wird nach altem Brauche das Feuer gelöscht; selbst die Heuerleute tun dies und fordern den Erben auf, die Glut auf ihrem Herde wieder zu wecken. Der Wehrfester selbst führt dann im Münsterlande seinen Heuermann dreimal ums Feuer, um ihn einzufesten.

Vor der Ostseite des Hauses, also vor den Stuben, wenn solche vorhanden sind, liegt der Gemüsegarten, worin auch einigen Blumen eine Stelle vergönnt ist. Weiterhin umschließen den Hof die Ackerfelder, Wiesen, Weiden und Holzungen der Stelle. Die Gemeindeflur führt den Namen Esch; unter Mark versteht man dagegen das ungeteilte, meist unangebaute Land der Gemeinde, das durch Wall und Graben abgegrenzt zu sein pflegt.

Die oben gegebene Beschreibung der Oldenburger Bauernwohnungen paßt übrigens auch auf viele Pfarreien und andere Häuser auf dem Lande, die eben nicht Bauern angehören, wenigstens dem Grundcharakter nach, insofern Wohnhaus, Stall und Scheune unter einem Dache vereinigt sind. Ich habe indessen bei dieser Beschreibung mehr die Geest als die Marsch und besonders das Münsterland im Auge gehabt. Mancherlei Abweichungen und Neuerungen kommen natürlich hier, wie an anderen Dingen, vor; besonders weicht die Marsch, die überhaupt vornehmer und hoffärtiger als die Geest ist, von dem aufgestellten Vorbilde ab, und natürlich wird die Neuerung, besonders insoweit sie Verbesserung ist, noch weiter greifen. In der Marsch erheben sich die Mauern, die das dicke Rieddach tragen, schon höher und sind immer fest aus Ziegelsteinen erbaut, die niemals verputzt, sondern nur in den Fugen mit weißen, sorgfältig gezogenen Mörtelstreifen ausgefüllt sind, was sich recht gut ausnimmt. Die anstoßenden Schweine- und Schafställe möchten manchen armen Teufel, der, aus Schwaben durch Hunger vertrieben, an diesen Marschen vorüber auf dem Dampfschiffe die Weser hinabschwimmt, um sich in Bremerhaven nach Amerika einzuschiffen, eine sehr schöne, einladende Wohnung dünken. Das Holzwerk des Giebels ist meist mit grüner Ölfarbe bemalt, die, wie auch aller Anstrich und Verputz in der Stadt, sehr oft erneuert wird. Die Fenster sind größer, und ihre Scheiben glänzen rein und neu. Oft läuft eine Bretterwand quer durchs Haus, um den Wind von der Feuerstelle abzuhalten. Sind Stallung und Scheune gar neben das Wohnhaus gestellt, wie das der größere Vorrat, der hier aufzuspeichern ist, oft gebietet, und nur etwa durch ein gebrochenes Dach mit ihm vereinigt, so ist der uralte Charakter dieser Wohnungen zerstört. – Mehrere Häuser in den Marschen sind, wie Burgen, ganz mit Wassergräben umgeben, worüber niedliche Brücken führen.

In dem Gange des Menschen spricht sich vorzugsweise die Lebendigkeit seines Wesens aus. Franzosen, Italiener, Spanier, Ungarn, Griechen zeichnen sich vor dem Deutschen und überhaupt vor den Völkern germanischer Abstammung – man denke nur an den Grenadierschritt der Engländerinnen – durch leichteren Gang und gefälligere Haltung aus. Unter den Deutschen weiß der Tiroler seinen Körper gut zu tragen; er ist ebenso frei von dem steifen Nacken des Soldaten, wie von der hohlen Brust der meisten Landleute. Der Oldenburger ist sein volles Gegenteil. Nicht bloß der Marschbewohner, auch der Geestländer, schreitet wie mit bleiernen Füßen. Es mag dies zum Teil von den Holzschuhen herrühren, die von der ärmeren Klasse von klein auf die ganze Woche hindurch häufig getragen werden. Aber auch in Frankreich gibt es viele Gegenden, wo beide Geschlechter von klein auf Holzschuhe tragen, wo sogar, was man im Oldenburgischen niemals sieht, in Holzschuhen getanzt wird, und zwar der Tanz der Grazie, die Quadrille; aber dort hat es nicht dieselbe Wirkung, weil quecksilberne Glieder in den sabots stecken.

Rasch zu gehen, erlaubt dem Oldenburger seine Naturanlage nicht, wie man ihn denn auch höchst selten laufen sieht. »Jetzt wollen wir einmal auskratzen«, hörte ich neulich zwei Pfälzer Landmädchen sagen, die abends von Mannheim aus nach ihrem Dorfe zurückkehrten; und nun fegten sie, ohne ihr Geplauder zu unterbrechen, auf dem Fußwege die Straße dahin, als ob sie Flügel an den Sohlen hätten. Zwei Oldenburgerinnen an ihrer Stelle, zu derselben Eile gezwungen, wären in der ersten Viertelstunde außer Atem gewesen und in Butter zerronnen. In dem köstlichen plattdeutschen Märchen: »Dat Wettlopen twüschen den Hasen und Swinegel« besiegt der Schweinigel den Hasen dadurch im Wettlauf, daß er sich am oberen und seine ihm ganz ähnliche Frau am unteren Ende des Ackers aufstellt und so den Hasen, der durch die Furche des Ackers auf- und niederjagt, jedesmal glauben macht, daß er vor ihm an das Ziel gelangt sei. Dieser Triumph der schlauen Ruhe über die rastlose Eile ist so recht aus der Seele des Oldenburgers genommen.

Das Temperament der Menschen, welche feuchte Niederungen bewohnen, ist das phlegmatische. Dieses Phlegma zeigt sich zunächst in einer großen Mundfaulheit. Stundenlang sitzen die Bauern ums Feuer, starren, ihre Pfeife rauchend, stumm vor sich hin und spucken hin und wieder in die Glut, wobei sie sich nach ihrer Meinung gut unterhalten. Das viele Sprechen ist ihnen sogar an andern lästig; denn, sagen sie, väl Spraken giwwt väl totohören, und ein Mensch, der häufige Fragen an sie stellt und ihnen so die Pflicht der Antwort auferlegt, ist ihnen ganz zuwider. He fragt noch de Koh dat Kalf ab, heißt es. Selbst bei Stadtkindern braucht der Lehrer die doppelte oder dreifache Anzahl von Fragen, um zu erfahren, was er wissen will. Die Jungen sind wie Pumpen mit wenig Wasser, bei denen man den Schwengel immer bewegen muß. Läßt es sich der Lehrer gar einfallen, eine Frage zu stellen, die ein Entweder – Oder in sich schließt, so wird der Schüler ihm regelmäßig nur das Entweder bringen.

Wenn der Südländer redet, so spricht jeder Muskel des Gesichts, so sprechen der Kopf, die Schultern und die Hände mit; der Lazzarone nennt kaum eine Zahl, ohne daß seine Finger nicht wenigstens die Einer in die Luft schreiben. Kein Sterblicher ist weiter von solchem Telegraphieren entfernt als der Oldenburger Landmann. Sein ganzer Körper, ja selbst sein Auge, bleibt teilnahmslos bei seiner Rede. Wie redselige, so machen ihm überhaupt bewegliche Naturen Mißbehagen; er nennt sie Quicksteerte (Bachstelzen, von quick, lebendig, und Steert, Schwanz), und wer gar seiner Lust durch Jauchzen Luft macht, gilt ihm für einen ahnwäten (d. h. tollen, eigentlich unwissenden) Keerl; denn er mag es nicht, daß sich Fröhlichkeit oder Schmerz laut äußere, und prophezeit den Jubelnden einen schlimmen Ausgang: De Vägels, de froh morgens singt, holt abends de Katte (Die Vögel, die früh morgens singen, holt abends die Katze). Nirgends geht es stiller zu, als auf einem Oldenburger Bauernhofe; indessen wenn man dort wenig Gesang und Gelächter vernimmt, so ist dafür auch der Zank selten.

c) Lustbarkeiten.

Das Oldenburger Volk kennt trotz seines ruhigen Temperamentes ein frohes Zechen wie die Bewohner der Weinländer. Andere öffentliche Lustbarkeiten, wie Kirchweihen, Jahrmärkte, Tanz (oder Ball, wie der Oldenburger vornehm sagt), bieten sich den einsam hausenden, der Geselligkeit ungewohnten Menschen seltener dar. Das Phlegma des Oldenburgers zeigt sich auch im Wirtshause darin, daß er, wenn er einmal sitzt, nicht leicht wieder zum Aufstehen kommen kann, namentlich gilt dies, auch in höheren Ständen, von den Jeverländern. Wie Fische auf dem Trocknen, werden sie erst lebendig und zutraulich, wenn sie gründlich angefeuchtet sind. Die Aristokratie des Landes, die reichen Bauern, schlagen bei solcher Gelegenheit furchtbare Schlachten, und die Zahl der leeren Weinflaschen, die den Morgen nach der Festlichkeit aufgeschichtet liegen, ist ungeheuer.

Eine durch alle Stände sehr beliebte Unterhaltung ist das Kegeln, das auf wohlgepflegten Bahnen, deren Brett die ganze Tenne hinabläuft, mit außerordentlich großen und schweren Kugeln in allen Jahreszeiten betrieben wird. Es bestehen, besonders in den Städten, zahlreiche Kegelgesellschaften, deren Mitglieder auf ihrer Bahn so wohl eingekegelt sind, daß ein Fremder, Wilder genannt, unmöglich mithalten kann. Sie haben eine Menge Kunstausdrücke und entwickeln in ihrem Holz-auf-Holz-Spiel eine Feinheit und, was wirklich merkwürdig ist, eine Begeisterung, daß ich oft darüber erstaunt gewesen bin.

Im Butjadinger- und Jeverlande ist die Bevölkerung zur Winterszeit sehr der Belustigung des Klotschießens ergeben. Dies besteht im Werfen von schweren hölzernen mit Blei ausgegossenen Kugeln. Nur im Winter, wenn ein tüchtiger »Kahlfrost«, d. h. ein nicht mit Schneefall verbundener Frost, die weite Marschebene zu einer felsenharten Tafel umgeschaffen, kann dieses eigentümliche Spiel stattfinden. Zwei Parteien, meist die Bewohner zweier Dörfer, fordern sich dabei zum Wettkampfe heraus und bringen eine Preissumme, manchmal 300 Mark und darüber betragend, zusammen, ihren höchsten Stolz darin suchend, wer von ihnen den besten »Klotschießer« zu stellen vermag. An einem anberaumten Tage kommen in großer Zahl die Mitglieder der beiden Parteien unter Zuströmen vieler Zuschauer an einem bestimmten Orte zusammen. Ein oft stundenweit vom Platze des Auslaufs entferntes Ziel wird festgesetzt, und jede Partei stellt ihren Kämpfer; oft auch hat jede deren zwei, die sich ablösen, denn das Werfen ist ungemein anstrengend. Die Kugel, »Klot« (hochdeutsch Kloß) genannt, wiegt meistens 1-1½ Pfund.

Der erste Klotschießer holt jetzt weit aus, nimmt einen kräftigen Anlauf und wirft dann mit aller Leibesmacht die Kugel von sich, die mit ungeheurer Heftigkeit erst eine Strecke durch die Luft saust, dann den harten Boden trifft, nun heftig wieder aufschnellt, eine Weile aufprallend vorwärts hüpft und endlich noch eine tüchtige Strecke rollt. Kaum liegt die Kugel, so tritt der zweite Klotschießer auf und sucht die seine möglichst noch weiter zu werfen. Dann geht's vorwärts, um von neuem anzufangen, wo das Ende des ersten Wurfs war, und so abwechselnd Wurf auf Wurf weiter, bis die Bahn durchmessen ist.

Die Gewalt, mit welcher die Klotschießer werfen, ist so mächtig, daß sie häufig durch den Schwung heftig zu Boden stürzen und mancher sich schon einen Bruch geworfen hat. Daher sind immer Leute bestimmt, die den Klotschießer vor gefährlichem Niederstürzen zu bewahren und aufzufangen suchen. Auch werden, wo der Boden es fordert, wohl Decken und Matten ausgebreitet. Die Klotschießer sind im Augenblick des Wurfes oft nur mit Hemd und Beinkleid bekleidet. Meistens sind es junge Knechte oder Handwerker, seltener Söhne der Bauern. Die Partei, deren Kämpfer das Ziel zuerst mit seiner Kugel und den wenigsten Würfen erreicht, ist Sieger. Alles begleitet die Werfenden. Von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof schwillt der Zug lawinengleich an. Unaufhörlich werden die Kämpfer durch ihre Partei angefeuert, gebeten, geliebkost und geschmeichelt, doch die Ehre des Dorfes zu retten. Jeder herrliche Wurf wird mit lautem Jubel und Hurra begrüßt, ja der Schleuderer mit den freudigsten Umarmungen und Händedrücken belohnt, jeder matte und verfehlte aber mit Unwillen und Schelten von der einen, mit Hohn und Gelächter von der anderen Partei begleitet.

Abends krönt dann ein großes Siegesgelag in irgendeinem Gasthofe die Freude des Tages. Der Sieger ist der Held und Abgott aller; wehe aber dem armen Burschen, dessen Kugel nicht mit konnte. Verhöhnt von der Siegespartei, gescholten und verlassen von seiner eigenen, hält er es meistens für das Geratenste, sich heimlich davonzumachen, ehe die Geister des Grogs und Weins loskommen.

Von den Schützengesellschaften und Schützenfesten – letztere werden besonders im Münsterlande festlich begangen – rede ich nicht, weil sie nichts Eigentümliches darbieten, und sage schließlich noch ein Wort über das Schlittschuhlaufen, das beinahe wie in Holland zu den Volksvergnügungen gehört, weil hier wie dort das schöne Eis, das die überschwemmten Niederungen oft in unübersehbarer Weite bedeckt, eine Gelegenheit bietet, die nicht günstiger gedacht werden kann. Auf den Weiden, welche die Stadt Oldenburg, die Nordseite ausgenommen, umgeben, kommen dann die Knaben, die morgens die Milch bringen, auf Schlittschuhen angefahren, und mancher Landmann, der ein Geschäft in der Stadt hat, kehrt abends stundenweit auf dem Stahlschuh nach Hause zurück. Unter den schlittschuhfahrenden Herren gibt es natürlich viele Virtuosen; mitunter tut sich auch eine kleine Gesellschaft zusammen und macht, wenn das Eis von guter Beschaffenheit und der Wind günstig ist, mit Eisenbahnschnelle weitere Touren. Schlittenpartien nach den benachbarten Dörfern werden jeden Winter ausgeführt.

Grenzboten II. Jahrg.


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