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Blick über München vom Maximilianeum.
Nach einer Photographie von G. Stuffler, München.

11. München.

Die Hauptstadt Bayerns, München, liegt inmitten der südbayerischen Hochebene, zwischen der Donau und den Alpen. Etwas näher an diesen; denn bis zur Donau bei Ingolstadt sind 85 km, bis nach Kochel an den Rand des Alpengebirges nur 60. Das weist schon darauf hin, daß die Berge diese Stadt stärker beeinflußt haben als der größte bayerische Strom. Mit diesem steht München in Verbindung durch die Isar. Die Stadt hat sich an eine Stelle gelagert, wo der Bergstrom, aus dem tiefen felsigen Graben bei Großhessellohe hervorbrechend, ein breiteres Bett fand, in welchem, neben den Flußläufen und ihren Inseln, auch noch menschliche Ansiedelungen Platz fanden. Weiter stromab wäre noch mehr Raum, aber keine so hübsche Landschaftslage mehr zu finden gewesen.

Bei der hohen Lage der Stadt, die, 511 m über dem Meere, den West- und Ostwinden schutzlos preisgegeben ist, muß das Klima ein rauhes sein, mit starkem Wechsel von Wärme und Kälte. Starke Stürme fegen durch die Straßen Münchens, und nach Sonnenuntergang wickelt sich der Mensch selbst im Hochsommer gern in wärmeres Gewand, um im Freien aushalten zu können. Dafür liebt es das Blau des Himmels, hier tiefer und leuchtender zu werden, als in dem mittleren und nördlichen Deutschland, sodaß man an Sommertagen meint, unter italienischem Azur zu atmen.

Durch den Isarstrom, der eiligen Laufes aus den Alpen herabgerauscht kommt, wird die Stadt München in zwei Hälften geteilt, in eine kleinere, die an und auf dem höheren Ostufer liegt, und eine größere am westlichen Ufer, wo der Boden vom Strome an unmerklich emporsteigt. Die Isar verleugnet während ihres ganzen Laufes, auch in München, ihren wilden Ursprung in den Steinwüsten der Karwendelkette nicht. Sie ist ein rasch fließendes Wasser, bei dauernd gutem Wetter von licht blaugrüner durchsichtiger Farbe, um die weißen Kiesel ihres Bettes schäumend. Im Frühjahr aber, wenn der Schnee in den Bergen schmilzt, und im Sommer, nach starken Regengüssen, füllt sich dieses Bett mit einer unheimlichen tosenden gelbbraunen Flut, die trotz aller Eindämmungen im Jahre 1899 noch zwei schöne Brücken und lange Uferstrecken einriß und entwurzelte Bergfichten hinuntertrug in die Donau. Innerhalb des Münchener Weichbildes wirft sich der Strom, in zwei Hauptarme geteilt, über mehrere Wehre herab; ein Teil seines Wassers fließt auch, meist unterirdisch, durch die Stadt selber – die sogenannten Stadtbäche.

Das am westlichen Isarufer gelegene eigentliche München zerfällt in eine innere Stadt, die noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts rings mit getürmten Mauern umgeben war, und in die Vorstädte, die von jener durch einen Gürtel breiter Straßen und Plätze geschieden sind.

Das Herz der eigentlichen Stadt ist der Marienplatz, heute noch, trotz aller großstädtischen Neuerungen, einer derjenigen städtischen Plätze Deutschlands, die den größten malerischen Reiz besitzen. Es ist durchaus mittelalterliche Stimmung, die auf diesem Platze weht. Sie spinnt ihre Romantik um den mit feinen Erkerchen aufzackenden Rathausturm, unter welchem durch einen düsteren Torbogen Volksgewimmel strömt; sie spricht aus dem edlen Giebelbau des alten Rathauses, aus der majestätischen Front des neuen Rathauses und aus den Privathäusern, die sich mit ihren Giebeln und Erkern pietätvoll dem Ganzen angepaßt haben, wie aus den gewaltigen Domtürmen, die dunkel und alt auf den Platz herunterschauen. Mitten auf ihm steht die ein vergoldetes Muttergottesbild tragende Mariensäule, vor dem Hauptportal des Rathauses rauscht ein zierlicher Brunnen. An dem ganzen Platze ist kein Fleckchen, das nicht von dem Streben gesitteter wohlhabender Menschen nach Schmuck und Zierat Zeugnis gebe. Seinen vollsten Zauber entfaltet er freilich in den späteren Nachtstunden, wenn das Geschwirr des modernen Tageslebens, der Lärm der elektrischen Bahnen und das hastige Treiben des Volkes einigermaßen zur Ruhe gelangt ist.

Vier große Hauptverkehrsadern ziehen von diesem Platze aus nach vier Weltgegenden und teilen das ganze westlich der Isar gelegene München wieder in vier Teile. Die stärkste dieser Verkehrsadern ist die nach Westen, zum Zentralbahnhof verlaufende.

Innerhalb der Altstadt führt sie den Namen Kaufinger- und Neuhauserstraße. Es sind Straßen voll von Firmenschildern und Kaufläden, das moderne Geschäftsleben drängt hier jeden anderen Eindruck zurück. Eine kurze breite Seitenstraße aber erschließt von der Kaufingerstraße aus den Anblick der Frauenkirche, die sich groß und ehrwürdig im Hintergrunde erhebt mit ihren zwei massigen Kuppeltürmen und ihrem riesigen Dache. Es ist ein ziemlich schmuckloser Bau, aus rohen vor Alter fast schwarz gewordenen Ziegeln, gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts vollendet. Trotz seiner Einfachheit imponiert er im Innern durch sein großartiges, 30 m hohes Gewölbe, von außen durch die wuchtigen, mit kupfernen Helmen gedeckten, 97 m hohen Türme. Diese sind zum charakteristischen Wahrzeichen der Stadt geworden; wenn die Abendsonne sie beglänzt, leuchten sie wie rotglühendes Erz weit über die Hochebene hin. Die an die Kaufingerstraße anschließende Neuhauserstraße enthält den stattlichen Renaissancebau der St. Michaeliskirche, berühmt durch sein großartiges Tonnengewölbe. In der Fürstengruft unter dem Schiffe wurden die Reste des unglücklichen Königs Ludwig II. beigesetzt. An die Kirche schließt sich das Akademiegebäude, vormals Jesuitenkollegium.

Die Neuhauserstraße findet ihr Ende beim Karlstor, einem turmartigen Torbau, außerhalb dessen man auf den Karlsplatz gelangt. Hier ist durchaus modernes Großstadtleben. Wie ein paar grüne Inseln liegen einzelne Gesträuchbeete, dem Fußgänger Schutz bietend, zwischen verkehrdurchwogten Straßen; leuchtend überragt den Platz die stolze Prachtfront des Justizpalastes mit ihrer hochaufstrebenden Kuppel. Zwischen Häusermassen hindurch aber fällt der Blick immer wieder auf erfrischendes Grün. Ist es doch einer der liebenswürdigsten Züge der Münchener Stadtbilder, daß die Steinmauern so viel sprossendem Pflanzenleben Raum lassen.

Vor dem Karlstore wird durch drei Straßen der Verkehr nach dem nahegelegenen Bahnhofe geleitet. Der ist einer der größten Deutschlands; aus seinem ausgedehnten Hallenbau schwingen sich in ganzen Bündeln die Gleise zuerst mehrere Kilometer nach Westen, um dann, vielfach untereinander und übereinander weggeleitet, sich zu zerteilen und allen Weltgegenden zuzustreben. Eine dieser Strecken muß sogar vollständig kehrtmachen und in großem Bogen die Südhälfte der Stadt umkreisen, um deren Ostrand zu gewinnen. Und ein ähnliches Leben, wie es der Bahnhof von seiner Westfront auf seinem Schienenlabyrinth ausstrahlen läßt, entwickelt sich auf dem großen Bahnhofplatze nach der Stadt zu, wo nach allen Richtungen volkreiche Straßen auseinandergehen und die elektrische Straßenbahn, die Pferdebahnen, Droschken, Hotelomnibusse und Fußgänger sich kreuzen. Weit dehnen sich zur Linken und zur Rechten des stundenlangen Bahnhofes noch industriereiche Stadtteile entlang, namentlich die malzduftenden Anlagen der großen Brauereien, sodaß man schon drei Brücken und mehrere Unterführungen anlegen mußte, um durch den Bahnhof nicht den Verkehr ganzer Stadtteile abzuschneiden.

Wenden wir uns aber zum Marienplatze zurück, um eine zweite Hauptader städtischen Lebens zu verfolgen. Es ist die eleganteste, die durch die Wein- und Theatinerstraße nach Norden führt. Auch hier häufen sich üppige Kaufläden. Bei dem in reichem italienischen Barockstil sich darbietenden Kuppelbau der Theatinerkirche erreicht man den Odeonsplatz. Hier tritt das Geschäftsleben gegen vornehmere Interessen zurück. Denn gegenüber der Theatinerkirche erhebt sich der Nordflügel des Königsschlosses; die Südseite des Platzes wird durch die, nur von einigen ehernen Bildwerken bewohnte mächtige Feldherrnhalle gebildet, während die Nordseite offen ist und einen Ausblick in die lange Flucht der Ludwigstraße gestattet.

Die königliche Residenz stammt, wie schon ihr erster Anblick zeigt, aus verschiedenen Bauperioden und umschließt mit ihren stattlichen Fronten sieben Höfe. Der Mittelbau entstand zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Von außen nicht sehr ansehnlich, enthält er im Hauptgeschoß eine Reihe von reichen und zugleich sehr wohnlichen Zimmern, welche zurzeit Prinzregent Luitpold von Bayern bewohnt. An diesen älteren Bau schließt sich südlich der neue, von König Ludwig I. errichtete Königsbau, im Stil der italienischen Renaissance. Überaus vornehm blickt seine Front auf den Max-Joseph-Platz herab. Im Norden fügt sich an die alte Residenz der säulengetragene Festsaalbau, ebenfalls auf Veranlassung König Ludwigs I. von Baumeister Klenze florentinischen Mustern nachgeahmt. Reiche Schätze enthält das Königsschloß an Freskobildern, kostbaren Gobelins und an jenen wunderbaren Kleinodien, die in der Schatzkammer und in der »Reichen Kapelle« aufbewahrt sind. In die Residenz ist die zwar kleine, aber prachtvoll ausgestattete Allerheiligen-Hofkirche eingebaut, in zierlichem byzantinisch-romanischen Stile, mit üppiger Vergoldung im Innern ihrer mystisch dämmerigen Halle.

An die Nordflucht der Residenz schließt sich der Hofgarten, eine schöne, mit hohen Bäumen, mit Blumenbeeten und Springbrunnen geschmückte Anlage. Ganz einzig in ihrer Art sind die Arkaden, die an zwei Seiten den Hofgarten umgeben und mit den Freskobildern C. Rottmanns, dem Edelsten, was die Landschaftsmalerei aller Zeiten geschaffen hat, geschmückt sind. In den Kaffeehäusern aber, welche ihre Tische während der schönen Jahreszeit im Hofgarten aufstellen, drängt sich in dieser Zeit die Münchener Gesellschaft wie die schaulustige Fremdenflut zusammen.

Vom Odeonsplatze aus streckt sich gerade nach Norden, fast 1200 m lang, die vornehme Ludwigsstraße. Ihren Anfang bezeichnet das Reiterstandbild König Ludwigs I. Sie ist zu beiden Seiten mit palastartigen Bauwerken geschmückt, unter denen namentlich das Herzog-Max-Palais, das Kriegsministerium und die großartige Front der Staatsbibliothek hervorragen. Letztere, in edler florentinischer Renaissance vom Architekten Gärtner erbaut, wird an ihrer Freitreppe durch die Steinbilder des Aristoteles, Hippokrates, Homer und Thukydides bewacht. Durch ein prachtvolles marmornes Treppenhaus gelangt man in ihre weitläufigen Räume, in denen über eine Million Bände und wertvolle Handschriften aufgespeichert sind. Außerhalb der Bibliothek folgen noch das Blindeninstitut, das Salinengebäude und ihnen gegenüber die zweitürmige romanische Ludwigskirche, von Bogengängen und einem stillen Garten umgeben. Über ihrem Hochaltare prangt des Meisters Cornelius gewaltiges Altarbild »das jüngste Gericht«. In ihrem Verlauf erweitert sich die Straße zu einem geräumigen, mit Gartenanlagen und anmutig plätschernden Springbrunnen geschmückten Platze, auf welchen die stolze, elegante Stirnseite der Universität herabschaut. Ihr Ende findet die Ludwigsstraße bei dem, dem römischen Konstantinsbogen nachgebildeten Siegestore, auf dessen Höhe eine eherne Bavaria ein Viergespann von Löwen lenkt. Westlich dem Siegestore erschließt sich dem Blick ein grün umbuschter Platz, der den Prachtbau der Akademie der Künste trägt, ein Meisterwerk des Architekten Neureuther. An die Ludwigsstraße schließt sich, in gleicher Richtung verlaufend, die Leopoldstraße, die in jüngster Zeit mit ihren Seitenstraßen zu einem durchaus vornehmen Stadtteil geworden ist, der palastähnliche Bauten zwischen duftenden Gärten zeigt. Hier gruppiert sich einer der neuesten Stadtteile um die edle Basilika der heiligen Ursula. Weiter auswärts gabelt die Leopoldstraße in zwei Landstraßen, die in die Heidelandschaft nordwärts von München auslaufen.

Das Stadtviertel, welches zwischen der früher erwähnten westlichen Hauptader und der Linie der Ludwigsstraße gelegen ist, ist das ausgedehnteste. Es erscheint auf dem Plan von München, wenn man von der Altstadt absieht, als ein Netz meist rechtwinklig sich kreuzender, breiter Straßen, in dem einige Plätze und zahlreiche öffentliche Bauwerke als Hauptpunkte erscheinen. Innerhalb der Altstadt gruppiert sich das Viertel um den langgestreckten Promenadenplatz, der in unmittelbarer Verbindung mit dem Maximilianplatze steht. Dieser ist der größte unter den Plätzen Münchens, aber mit seinen reizvollen Parkanlagen und dem großartigen Wittelsbacher-Brunnen auch einer der schönsten Stadtplätze Deutschlands. Überaus mannigfaltig ist das Stadtbild, das an seinem westlichen Ende sich bietet, da, wo vor dem Prachtbau der Deutschen Bank die Erzstatue des jugendlichen Goethe steht. Hier sieht man im Westen die grünen Wipfel des botanischen Gartens; dahinter den vor wenigen Jahren erst von Fr. von Thiersch aus dem Boden gezauberten Prachtbau des Justizpalastes. Gegen Südwesten schweift der Blick über den benachbarten Karlsplatz mit seinen Buschbeeten hin, sieht im Südosten den kastellartigen Aufbau des neuen Künstlerhauses; dahinter das massive Mauerwerk der Synagoge und über ihr die Frauentürme. All das baut sich in malerischen Formen über- und nebeneinander empor, während im Osten über den rauschenden Wassern des Brunnens die Baumwipfel der Anlagen sich wiegen.

Nordwestlich vom Maximilianplatze liegt der kreisrunde Karolinenplatz. Auf ihm erhebt sich ein eherner Obelisk, ein wehmütiges Erinnerungszeichen, den dreißigtausend Bayern gewidmet, die im russischen Feldzuge 1812 den Tod fanden. Hier kreuzen sich schöne, stille Straßen; die schönste derselben führt nach wenigen Schritten auf den Königsplatz. Der ist kein Platz wie die Plätze in anderen Städten, sondern ein stilles, weihevolles Tempelheiligtum. Zwischen grünen Bäumen und feiertäglich ruhigen Rasenplätzen liegen säulengetragene Marmorbauten; auf einer Seite die Glyptothek mit ihrem Schatz antiker Bildhauerwerke; auf der anderen das Kunstausstellungsgebäude; während die dritte von dem in den edelsten Formen hellenischer Kunst sich zeigenden großartigen Torbau der Propyläen beherrscht wird. Über dem Ganzen liegt ein unbeschreiblicher stolzer Friede, der Traum einer Schönheit, die vor Jahrtausenden lebendig war und nun hier eine ergreifende edle Ruhestätte fand.

Unter den Hauptstraßen, die dieses Stadtviertel durchziehen, sind die Karlsstraße und Briennerstraße besonders hervorzuheben. An ersterer steht eine der edelsten Münchener Kirchenbauten: die dem heiligen Bonifacius gewidmete Basilika; deren Inneres mit seiner großartigen Säulenhalle einen überaus vornehmen und ergreifenden Eindruck macht. Die Briennerstraße, die am Odeonsplatze beginnt, ist an ihrem inneren Anfange von Palästen umgeben. Über schattenden Bäumen erhebt sich hier der rote gotische Bau des Wittelsbacher Palastes. Über den schon genannten Karolinenplatz und Königsplatz zieht sich die Briennerstraße bis zum Stiegelmayerplatze, den große Bierpaläste zieren. Hier beginnen neue Stadtteile, überragt von dem wuchtigen Bau der neuen St. Bennokirche. Als Fortsetzung der Briennerstraße erstreckt sich die Nymphenburgerstraße weiter nach Westen. Vor wenigen Jahrzehnten noch Landstraße, hat sie heute schon lebensvolle Stadtteile an beiden Seiten; Orte, die früher stundenweit von der Stadt entfernt waren, wie Gern und Neu-Wittelsbach, schließen sich mit ihren Villenkolonien unmittelbar an München; ebenso wie das Lustschloß Nymphenburg, dessen weitläufiger Garten erst das Ende der Stadt bezeichnet.

Noch ein anderer, sehr ausgedehnter Platz ist in diesem Stadtviertel nennenswert; es ist derjenige, auf welchem die beiden Pinakotheken stehen, Münchens berühmte Gemäldesammlungen. Der edlere Bau ist die alte Pinakothek; denn an der neuen sind die Freskobilder, die ihre nackten Wände einst schmückten, längst unter dem Hauch der Münchener Stürme erblichen. Unschätzbar aber sind die Meisterwerke der Malerei, die in beiden Häusern untergebracht sind. Die Westfront des weiten sonnigen Platzes wird von dem ausgedehnten, in reicher Renaissance gehaltenen Heim der technischen Hochschule gebildet. Geradlinig laufen die breiten Straßen von diesem Platze bis an das Ende der Stadt. Wer eine dieser Straßen in nordwestlicher Richtung verfolgt, gelangt am Rande Münchens in das militärische Viertel, wo, selber eine kleine Stadt, Armeebauten aller Art errichtet sind: Kasernen, Artilleriewerkstätten, das Militärhospital, die militärischen Bildungsanstalten und anderes; alles neu, wehrhaft und wohldiszipliniert. Als entsprechende Landmarke schwebt über diesem Stadtteil häufig ein luftiges, leuchtendes Ding: der Übungsballon der Luftschifferabteilung.

Eine dritte, München durchschneidende Hauptader führt vom Marienplatze aus unter dem düsteren Rathausbogen hindurch in eine alte, breite und unregelmäßige Straße, »das Tal« genannt. Hier waren vor der Eisenbahnzeit die großen Einkehrhäuser für die Getreidebauern, Viehhändler und Holzlieferanten. Jetzt weiß das Tal nicht recht, ob es noch fernerhin Altmünchen bleiben oder sich auch modernisieren soll. Ein getürmter Bau, das Isartor, bildet am Ende des Tals den Ausgang aus der ehemaligen Altstadt; hier gelangt man über den geräumigen, von vorstädtischem Leben gefüllten Isartorplatz an die volkreiche Ludwigsbrücke. Jenseits liegen dann die Vorstädte Haidhausen, Au und Giesing.

Das nordöstliche Viertel Münchens, welches zwischen der Ludwigsstraße und dem Tale gelegen ist, hat als den wichtigsten Platz den Max-Josephs-Platz, den die Prachtbauten der Residenz, des Hoftheaters und des Hauptpostgebäudes umgeben. In seiner Mitte erhebt sich das von Rauch modellierte Erzdenkmal des ersten bayerischen Königs Max Joseph, das die Liebe seines Volkes immer mit Kränzen schmückt. Eine der neueren Straßen, die in ihren Bauwerken nicht ganz glückliche, aber dafür landschaftlich reizvolle Maximilianstraße läuft vom Residenzplatze aus nach Südost zur Isar. Gartengrün und das Denkmal König Maximilians II. verschönen ihre Flucht, die an ihrem Ende in die Maximiliansbrücke ausgeht. Die Brücke überspannt zwei Isararme und läuft über sie und über die grüne Praterinsel hinweg, dem hochragenden Bau des Maximilianeums zu. An diesen Brücken und auf ihnen hat man überall anmutige landschaftliche Blicke; man meint in einer Stadt nicht von Häusern, sondern von lauter Gärten zu stehen, in welche von fernher der blaue Felsenabsturz der Zugspitze hereindräut. Und unter sich hat man dabei den lebendigen klargrünen Strom, dessen rauschende Wellen Grüße aus der Hochgebirgswelt herabtragen.

Von der Maximiliansbrücke stromabwärts erstreckt sich ein stiller, breiter Kai an der Isar hin. Hier rollen keine Wagen mehr; keine Schauläden und lärmenden Wirtshäuser stören den landschaftlichen Eindruck, den die Gartenanlagen des gegenüberliegenden höheren Stromufers machen mit ihren wogenden Baumkronen und der über diese emporstrebenden Siegessäule. Die Stadt verläuft endlich hier in ein schmales Vorstadtband zwischen dem Englischen Garten und der Isar. Auch stromaufwärts ist das Isarufer mehr landschaftlich schön als städtisch belebt, wo die schöne Kaistraße und der vom zierlichen Bau der neuen protestantischen Kirche geschmückte Marianenplatz hinaufziehen zu den wieder lebhafteren Ufern, welche die alte Ludwigsbrücke überspannt.

Das innere Ende der Maximilianstraße, am Max-Joseph-Platz, bezeichnen die mächtigen Bauwerke des Hauptpostamts mit seiner nach dem Platze zu offenen Säulenhalle und des Hof- und Nationaltheaters. Dieses ist eins der ältesten und größten Theater Deutschlands, ein wuchtiger griechischer Giebelbau mit imponierender Säulenflucht. Nördlich daran schließt sich, in einem Winkel zwischen der Residenz und dem Hoftheater steckend, das Residenztheater, äußerlich unscheinbar, innen mit entzückender und prachtreicher Rokokoausstattung.

Zwischen der Maximilianstraße und dem Tale liegen krumme, zum Teil enge Straßen. Hier findet sich aber noch ein Gebiet, das Erwähnung verdient: »das Platzl«, wo das vielberühmte königliche Hofbräuhaus steht. Dasselbe ist jetzt, nachdem es Generationen hindurch eine düstere Hölle war, ein stattlicher Bau geworden, um welchen wichtige Interessen sich bewegen. Hier regt sich der Herzschlag der Bierindustrie des europäischen Kontinents. Der Fremde befindet sich allerdings in einem schweren Irrtum, wenn er meint, das Hofbräuhaus sei auch das Herz Münchens. Das war es niemals und ist es heute weniger als je. Aber darüber nachher.

Eine andere schöne und neue Straße des nordöstlichen Stadtteils ist die Prinzregentenstraße, die breit und still vom Hofgarten her zur Isar führt und an der sich eines der merkwürdigsten und reichsten Institute der Welt befindet: das bayerische Nationalmuseum. Ein weitläufiger Bau, aus Stilelementen aller Jahrhunderte sinnvoll von Meister Gabriel Seidl zusammengefügt, birgt hier Schätze der Kunst und des Gewerbes vergangener Geschlechter, von den Tagen der Römerherrschaft bis zur Gegenwart. Die wundervolle Sammlung wird von wenigen gleichartigen Werken der Welt erreicht, von keinem übertroffen.

In das nordöstliche Stadtviertel Münchens streckt sich, bis hart an den Hofgarten, also bis ins Herz der Stadt hinein, eine herrliche grüne Zunge von Wald und Wiesen: der Englische Garten. Die ganze Stromniederung in der Breite eines halben Kilometers ist hier zu einem mit prächtigen Bäumen bestandenen Park geworden, den mehrere Arme der Isar durchrauschen. Man kann hier aus der Stadtmitte, ohne mehr als drei oder vier Häusern unterwegs zu begegnen, durch lauter Grün in die tiefste Wildnis gelangen, wo stiller Waldzauber um einsame Wege spinnt.

Die südwestliche Hauptader Münchens, die Sendlingerstraße, zieht auch durch alte Stadtteile, bis sie den Bogen des altersbraunen Sendlingertors erreicht. Dort trifft sie einen freien Platz, wo wieder ein breiter Brunnen springt, dann erstreckt sie sich als Lindwurmstraße weit hinaus bis zu den ländlichen Gefilden von Sendling. Zwischen ihr, dem Tale und dem Isarstrom lagert sich der südwestliche Teil Münchens, ein Arbeits- und Geschäftsviertel. Zwei von Altersrost überzogene Kirchen, die Peterskirche und die Heilige-Geist-Kirche beherrschen den Zugang zu diesem Viertel, das sich um zwei Plätze gruppiert. Einer dieser Plätze ist der Viktualienmarkt, wo in sauberen, wohlgeordneten Buden der Tagesbedarf Münchens an Gemüsen, Eiern, Geflügeln und anderen eßbaren Dingen zur Verteilung gelangt und zwischen korbtragenden Köchinnen und Hausfrauen einerseits, scheltenden Marktweibern andererseits die vormittägliche Preisschlacht ausgekämpft wird. An ihn schließt sich weiter nach Westen hin der Trödelmarkt, münchnerisch Tandelmarkt genannt, wo alles Gebrauchte und Getragene, Rostige und Verschimmelte noch einmal verkauft wird. Weiter nach Süden liegt der kreisrunde Gärtnerplatz mit dem Gärtnertheater, von einfachen Vorstadtstraßen gekreuzt. Das Ende dieses Stadtteiles bildeten vordem die südlichen Friedhöfe. Jetzt sind sie, der ältere wie der neuere, von Toten übervölkert und rings von Lebendigen umwohnt, sodaß über ihre Mauern der Straßenlärm hereindringt und die Stadtverwaltung längst genötigt war, im Norden, Osten und Westen der Stadt neue, weiter entfernte Friedhöfe zu errichten, um den dahingegangenen Münchnern noch stille Heimstätte bieten zu können. Zur Rechten und zur Linken dieser Friedhöfe erstrecken sich unelegante Straßenfluchten; weiter nach auswärts schließen sich an sie die mustergültigen Anlagen des Münchner Schlachthauses und der fast nur dem Güterverkehr dienende Südbahnhof. Arbeitsreiche Fabrikviertel und der Isartalbahnhof reihen sich daran. Anmutig ist dieser Stadtteil nur da, wo ihn die Isar bespült und, am unvollendeten Bau der Maximilianskirche vorbei, baumüberschattete Spazierwege aus der Stadt herauf in die prächtigen oberen Isarauen führen. Hier verstummt der Stadtlärm; nur fernher hört man noch das Rollen der Bahnzüge; in den Wipfeln hoher Bäume spielt der Bergwind, und zu Füßen einsamer Spaziergänger rauscht der Strom. Und wenn man nach viertelstündigem Wandern diese Anlage nach Süden zu verläßt, schaut man schon in die stille Waldeinsamkeit des oberen Isartales, über dessen Steilhängen ferne blaue Bergspitzen schimmern.

Noch einen letzten Teil der Stadt müssen wir kennen lernen, es ist der westliche, der im Norden von der Neuhauserstraße und dem Zentralbahnhofe, im Südwesten von Sendlinger- und Lindwurmstraße begrenzt wird. In der Altstadt finden wir nach dieser Seite hin alte düstere Straßen mit geschäftlichem Leben; dann folgt der breite, baumbewachsene Gürtel der Sonnenstraße. Außerhalb desselben hat sich das medizinische Viertel Münchens angesiedelt; da ist die Frauenklinik, das große allgemeine Krankenhaus zwischen seinen grünen Anlagen, das Elisabethhospital, die chirurgische Klinik, die Anatomie mit ihren Hörsälen und Sammlungen, das pathologische und hygienische Institut. Noch weiter auswärts folgt ein anmutiges, um den Kaiser-Ludwigs-Platz gelagertes Villenquartier mit hübschen Privathäusern, welche die neuesten Probleme der Münchner Baukunst darbieten. Westlicher, wo die neue St.-Pauls-Kirche mit ihrem schönen gotischen Bau emporstrebt, dehnt sich die Theresienwiese etwa 1000 m lang und 500 m breit aus. Früher doppelt so groß, bietet sie immer noch Raum für das alljährlich im Oktober hier abgehaltene landwirtschaftliche Fest, das mit seinen Ausstellungen, Wettrennen, Schießständen, Schaubuden und Wirtshallen den Angelpunkt der Münchner volkstümlichen Herbstfreuden bildet.

Die Theresienwiese wird im Westen von einem steil abfallenden alten Isarufer begrenzt. Auf der Höhe dieses Uferhanges erhebt sich die 19 m hohe Erzgestalt der Bavaria, von Schwanthaler modelliert und von Miller gegossen, eines der berühmtesten Erzbildwerke der Welt, das König Ludwig I. hier aufstellen ließ. Eine Wendeltreppe führt im Innern der Figur bis in das gigantische Haupt hinauf, dessen metallene Augen weit über die Türme der Stadt hin zu den fernen Wäldern der Moränenlandschaft und ins Hochgebirge schauen. Hinter der Bavaria ragt aus einem stillen Hain hochstämmiger Bäume ein dorischer Säulentempel, die Ruhmeshalle, in der die Büsten berühmter Bayern aufgestellt sind. Es gibt wohl in ganz München keinen stilleren, mehr von der Welt abgeschiedenen Platz, als die Laubgänge dieses Wäldchens. Auch hier war vor wenigen Jahrzehnten die Stadt zu Ende; heutzutage dehnen sich schon die Anlagen weiter Straßenzeilen hinter der Bavaria entlang.

Um die ganze südliche Hälfte der Stadt schlingt sich in einem großen, 10 km langen Halbkreis die Bahn, die vom Zentralbahnhofe aus über den Südbahnhof und die Isar zum Ostbahnhof führt, um sich dort wieder nach Osten, Südosten und Süden zu verzweigen.

Die östliche, kleinere Hälfte der Stadt besteht aus drei Vorstädten, welche auf dem rechten höheren Isarufer liegen und durch sieben Brücken mit der eigentlichen Stadt verbunden sind. Es sind die Vorstädte Giesing, Au und Haidhausen. Giesing ist die südlichste, am höchsten gelegene, mit hübscher gotischer Kirche. Die Vorstadt Au, mit der schönen gotischen Mariahilfkirche, liegt zum Teil auf einer Niederung am Flusse; wo sie hinaufsteigt zur Höhe des Ufers, finden sich große Bierkellereien mit berühmten Namen, wie der Zacherlkeller, der Franziskanerkeller, Münchner Kindlkeller und Hofbräuhauskeller. Hier suchen viele Münchner an warmen Sommerabenden die nötige Erfrischung. Weite Straßenfluchten im Osten dieser Vorstädte harren noch der Bebauung. Das schönste an diesen Vorstädten sind die »Gasteig-Anlagen«, ein Meisterwerk der Gartenkunst. Sie ziehen sich am Flußufer und längs des Abhanges, von der Vorstadt Au nordwärts nach Haidhausen und von hier weiter bis zum Nachbardorfe Bogenhausen. Von der Höhe dieses 2 km langen Parkes genießt man reizvolle Anblicke über die Straßen der Stadt München, ihre Türme und Prachtbauten, wie über den Strom und seine begrünten Inseln, nach Norden zu über das Wipfelmeer des Englischen Gartens.

In den Vorstädten rechts der Isar kann man heute noch Überreste eines längst vergangenen Münchens finden, sogenannte Herbergen. Es sind winzige Häuschen, meist von Holz, mit nur einem oder zwei Stockwerken. Und wenn sie zwei haben, ist der Oberstock Eigentum einer anderen Familie als das Erdgeschoß, oft auch anders angestrichen. Ein altes Schindeldach deckt dann Glück und Leid, Liebe und Haß zweier Familien, die sich doch vertragen müssen, weil sie wie in zwei Schubläden eines Schrankes beieinander wohnen. Die letzten Jahrzehnte haben schon stark unter diesen Hüttchen aufgeräumt; und es wird wohl nicht lange währen, bis das letzte von ihnen verschwunden ist. Denn sie vertragen weder den Glanz der elektrischen Lichter noch den Zwang der Feuerpolizei und den Stolz der großen Steinpaläste, die verächtlich auf sie herunterschauen.

Aus: M. Haushofer, Oberbayern. Bielefeld und Leipzig 1900, Velhagen & Klasing.


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