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Es liegt nahe, daß in einer Gegend, in der die Viehzucht auf einer solchen Höhe steht wie im Allgäu, auch die Bereitung von Milcherzeugnissen zu großer Bedeutung gelangen konnte. Obwohl Milchspeisen und Butter die Hauptnahrung des Allgäuers bilden, so bleibt doch bei einer so reichlichen Milchlieferung des Allgäuer Viehschlages ein bedeutendes Milchquantum für die Käsebereitung übrig. Ein ansehnlicher Allgäuer Landwirt besitzt 20-50, oft noch mehr Stück Vieh und ist auch im Besitz der entsprechenden Weidenkomplexe. Hat der Viehbesitzer keine eigenen Weiden, so verpachtet er seine Kühe an einen anderen, der für die Milchnutzung einer Kuh – von etwa 1000 Liter – 25-40 Mark zahlt. Einige Stücke behält der Besitzer für sich im Tal, um seinen häuslichen Bedarf von ihnen zu decken. Auf einzelnen Almen, wie auf der Zipfelalpe bei Hinterstein wurden 1898 100 Stück geweidet. Wie der dortige Senne dem Verfasser versicherte, werden auf genannter Alpe jährlich 130-140 Laib Käse zu 1½ Zentner bereitet. Gewöhnlich im Frühjahr, aber oft erst im Juni, werden die Kühe auf die unteren, schneefreien Almen getrieben; im Sommer rücken sie allmählich in die höheren Lagen hinauf. Sind diese abgeweidet, so werden die Tiere wieder zu den unteren Alpenweiden zurückgetrieben, wo nach und nach wieder frisches, duftendes Gras nachgewachsen ist. Das Geschäft des Melkens wird ausschließlich von männlichen Kräften, manchmal bis zu 10 in einer Hütte, besorgt; von der Sennerinnenpoesie ist im Allgäu nichts zu finden. Da die Kuh täglich 10-18 Liter gibt, so macht die Besorgung des Melkens auf einer Sennalpe bei 50-100 Stück kein geringes Stück Arbeit, und Ober- und Untermelker, Ober- und Untersenn dürfen vom frühen Morgen bis zum späten Abend die Hände fleißig regen. Oft muß noch die abgekühlte Milch auf steinigen, steilen und beschwerlichen Wegen von der oberen Melke im Milchfaß zur eigentlichen Sennhütte heruntergeschafft werden.
Stellen sich die kalten Nachtfröste ein, fällt kalter Regen oder gar Schnee, so hört das Leben auf der Alm allmählich auf, und es naht die Zeit des Abzugs von derselben. Etwa Mitte September werden Blumen und Kränze auf die Alm zum Schmucke der schönsten Kühe beim Abzuge gebracht. Auch die Sennen zieren ihre Hüte mit großsternigem Edelweiß, frischen Alpenrosen, blauem Enzian und aromatisch duftendem »Brändle« (Braunellen, Nigritella angustifolia). Unter Gesang und Jauchzen steigt manchmal schon im September, häufig aber erst im Oktober, die ganze Alpenbevölkerung zu Tal. Hat der Alpenbesitzer fremdes Vieh zur Sommerung oben gehabt, so erfolgt im Tale die »Viehscheide«; der Eigentümer erhält sein Eigentum zurück; doch wird das Vieh nicht schon eingestallt, sondern bleibt noch auf den »Eggarten«. Erst um St. Gallen (16. Oktober) beginnt die eigentliche Stall- und Winterfütterung.
Die Butterbereitung auf den Höhen und im Tale ist an keine bestimmte Zeit gebunden. Sie ist ein ziemlich hartes Stück Arbeit; denn ein Butterfaß, das 20-25 Pfund Butter faßt und mit zwei Triebeln versehen ist, erfordert zwei Männer zum Drehen, denen die Arbeit den Schweiß von der Stirne treibt, besonders wenn, wie es häufig der Fall ist, das Butterfaß sich in der Nähe des Herdfeuers befindet. Nachdem eine größere Masse Butter in der Sennhütte aufgespeichert worden, wird sie auf dem »Kopfreef« ins Tal getragen, um von dort versendet zu werden; häufig wird indessen die Butter auch schon oben zu Schmalz ausgelassen. Das Käsen wird aber in der Regel morgens, nur hier und da auch den zweiten Tag abends besorgt.
Die eigentliche Kellerbehandlung des Käses erfolgt nicht ausschließlich in der Sennhütte, sondern meist erst im Dorfe, und hier bildet Sonthofen, »die Schmalzgrube des Bayernlandes«, das Hauptzentrum. In der Frühe bringen singende und jodelnde Mädchen in sauberen, blank geputzten Gefäßen die Milch, die zunächst in den »Milchstotzen« kommt. In diesem bleibt sie je nach der Art des zu bereitenden Käses längere oder kürzere Zeit stehen, bei Schweizerkäse etwa 12, bei Backstein- und Schachtelkäse etwa 24 Stunden. In solche »Sammelmolkereien« bringen fast sämtliche Bauern der betreffenden Ortschaft das von ihren Kühen gewonnene Milchquantum, und zwar in das zu dem Zwecke der Käsefabrikation eingerichtete Gebäude, die Käserei. Der Fabrikant kauft die Milch auf Grund eines bestimmten Vertrags zu dem festen Preise von 9-10 Pfennig das Liter. Das so zusammenkommende Quantum schwankt zwischen 300 und 2000 Liter und wird von einem oder mehreren fachkundigen Sennen zu Butter und Käse verarbeitet. In Sonthofen beschäftigen sich mit dieser Fabrikation drei Großbetriebe und einige kleinere Unternehmungen; ferner wird die Käsebereitung in Immenstadt, in Hindelang, in Freidorf und Fischen im großen betrieben. Bei Herstellung geringerer Sorten wird die Milch zuvor abgerahmt und der Rahm gebuttert. Die Milch kommt sodann, auch bei den besseren und besten Sorten, in einen Kessel, in dem sie bis auf 30° R erwärmt wird, worauf sie durch Zusatz des »Käselabes«, aus Kälbermagen bestehend, zum Gerinnen gebracht und »molkendicht« wird. Durch den quirl- oder gitterschaufelförmigen »Käsetreiber« oder die »Harfe« wird die Flüssigkeit ½ bis 1½ Stunden fleißig umgerührt, »getrieben«, und der Schotten noch aufgewärmt, bei fettem Käse bis zu 43°, einer Temperatur, die magerer Käse nicht verträgt, ohne körnig zu werden. Ein in unmittelbarer Nähe des Kessels brennendes offenes Feuer muß diese Temperatur fortwährend gleichmäßig erhalten. Die Schachtelkäse kommen in hölzerne Binden mit durchlöchertem Boden und ebensolchen Seitenwänden. Ist der Käse gesunken, so wird er gesalzen und bleibt ungefähr eine Woche in dieser Beize. Die Laibchen werden in hölzernen Käsegestellen aufgeschichtet und noch öfters gesalzen. Nach 1½-2 Monaten ist der Käse fertig und kann in den Handel gebracht werden. Der Schweizerkäse wird nach dem Aufwärmen in den siebartigen »Worb« geschöpft und bleibt dann stark gesalzen in dem Holzreife liegen, wobei durch eine auf ihn wirkende Presse das noch in der Käsemasse enthaltene Wasser ausgepreßt wird, welches bei der Schweinemast Verwertung findet. Etliche Monate lang wird er noch öfters gesalzen. Um seine Reife zu prüfen, wird der Laib hier und da angebohrt und die Bohrstelle wieder ausgefüllt. Daher rühren die zapfenartigen Ausfüllungen der Löcher in den Laiben. Die Käslaibe schwanken im Gewichte zwischen 80 und 140 Pfund und kommen meist erst nach 1-1½ Jahren in den Handel. Der auf die bezeichnete Weise hergestellte Käse heißt »Emmenthaler« und steht, besonders wenn er in den höheren Lagen produziert wird, dem Schweizerkäse, selbst dem echten Emmenthaler, in keiner Weise nach.
Einen äußerst wohltuenden Eindruck macht beim Besuch einer solchen Alpenhütte die in derselben herrschende Reinlichkeit, die allerdings eine notwendige Betriebsbedingung ist; denn ohne die peinlichste Reinlichkeit in den Geschirren würde die Erzeugung besonders des feineren Käses vollständig mißlingen. Da jedoch die äußere Umgebung einer Sennhütte meistens nicht sehr einladend wirkt, so ist man beim Betreten des Inneren um so mehr überrascht. Die Holzkübel sind tadellos blank geputzt und gescheuert; die Blechgefäße glänzen wie Silber und bilden einen auffallenden Gegensatz zu der primitiven Bekleidung der Inwohner der Alpenhütte.
Im Erdgeschoß der Hütten, in denen Käse bereitet wird, befindet sich der Keller, in welchem auf Gestellen die fertigen Laibe übereinander aufgeschichtet werden, die der baldigen Talfahrt harren. Diese Reinlichkeit und Ordnung findet sich auch in den Ställen, sodaß im ersten Augenblick manchmal das Lager der Kühe zum Ausruhen einladender erscheint als die Lagerstatt ihrer Wärter. Die Ställe bilden entweder einen Teil der eigentlichen Sennhütten, oder sie sind isoliert erbaut; wie denn auch oberhalb der eigentlichen Hütte auf einer höheren Terrasse bei manchen Sennereien sich ein sogenanntes Melkehaus befindet, von welchem die Milch in die erstere herabgetragen wird.
Für den möglichst nutzbringenden Betrieb der Käserei im Allgäu sorgt der vor etwa fünfzehn Jahren ins Leben gerufene »Milchwirtschaftliche Verein im Allgäu«, der sich alle Mühe gibt, das Molkereigewerbe zu heben. Helle, zweckentsprechende Käsereilokalitäten treten an die Stelle der alten, rauchigen, unzulänglichen Räume; ein tüchtiges Sennerpersonal wird herangebildet; den Bauern werden Vorträge über richtige Ernährung der Kühe gehalten, und so kann man jetzt schon das Allgäu an die erste Stelle in der Reihe der Molkerei und Käsefabrikation treibenden Gegenden stellen, nachdem erst vor etwa 100 Jahren der Anfang in diesem Erwerbszweige gemacht wurde. Aus äußerst bescheidenen Versuchen heraus entwickelte sich dieser Industriezweig anfänglich langsam, und erst in den letzten Jahrzehnten erreichte die Käseproduktion eine so ansehnliche Höhe. Gegenwärtig bringt das Allgäu nach statistischen Zusammenstellungen mit seinen 147 000 Kühen jährlich drei Millionen Hektoliter Milch hervor und gewinnt daraus 162 000 Zentner Schweizer- und Emmenthaler-Käse, 280 000 Zentner Limburger- und Romadour-Käse, sowie 104 000 Zentner Butter, im Gesamtwerte von 30 Millionen Mark.
Aus: Deutsches Land und Leben in Einzelschilderungen: J. M. Hübler, Bayrisch-Schwaben und Neuburg. Stuttgart 1901, Hobbing & Büchle.