Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Für Deutschlands Geschick war die Tatsache folgenreich, daß keiner seiner Landschaften durch Lage und Natur ein Übergewicht gegeben war, welches die Einheit des ganzen, seine Beherrschung von einem Punkte aus sicherstellte. Nicht ein Machtspruch der Natur, sondern der durch schwere Kämpfe bestimmte Gang der Geschichte hat dem neuen Reiche das gegeben, was dem alten fehlte, eine Hauptstadt. Es war die Hauptstadt des die Nation zur Einigung führenden Staates. Ihre Lage war durch die Entwicklung dieses Staates bedingt, durch den Anschluß neuer Erwerbungen um einen zentralen, ursprünglich schwachen Kern. Sein Zentrum war lange ein unbedeutender Punkt; erst die Erweiterung der Peripherie des Kreises, das Fortschreiten der Wellenringe seines Wirkungsbereiches hat dies Zentrum zur weltgeschichtlichen Größe erhoben.
Dennoch entbehrt die Lage Berlins nicht des geographischen Interesses. Die Mark war ein allmählich ostwärts sich erweiterndes Grenzland des alten Reiches. Mit ihrer Ostgrenze verschob sich ihr Herrschersitz. Von Salzwedel rückte er 1150 über die Elbe ostwärts nach Brandenburg; dessen Namen führt mit Recht das Kernland der Monarchie. Rasch dehnte es sich bis über die Oder ostwärts aus. Aber innere Wirren entschieden im 14. Jahrhundert noch einmal ein Zurückweichen der Residenz auf das linke Elbufer nach Tangermünde. Und doch bestand damals bereits als bescheiden blühender Handelsplatz die Doppelstadt Berlin-Kölln am rechten Ufer der Spree und auf einer den Übergang erleichternden Insel. Diese Übergangsstelle ward nicht nur dadurch empfohlen, daß hier die sonst weit getrennten Ränder des von der Spree erborgten Tales enger aneinander treten, sondern es leiteten geradezu schwer überschreitbare Wasserläufe, im Nordwesten die Havel, im Südosten die Seenkette längs der Dahme den von Magdeburg nordostwärts strebenden Verkehr, mochte er Stettin oder Frankfurt zum Ziele nehmen, auf diesen Abschnitt des Spreelaufs gebieterisch hin. Im Besitz verbriefter Vorrechte entwickelte sich die Stadt, dank ihrer zentralen Lage, zum Vorort eines kleinen märkischen Städtebundes. Diese Periode schloß sehr überraschend und unfreundlich ab, als 1442 der zweite der Hohenzollernschen Kurfürsten die alten Freiheiten von Berlin und Kölln vernichtete und zwischen beide Gemeinden sich ein Schloß hineinbaute (1451). Dies ward seit 1491 die ständige Residenz der Herrscher der Mark, mit deren Schicksal nun die Entwicklung Berlins eng verknüpft blieb.
In der Mitte zwischen den beiden parallelen Strömen Elbe und Oder, in der Mitte des alten, nur teilweise von der Spree gefüllten Tallaufes, der jene diagonal in nordwestlicher Richtung verband, war Berlin recht geeignet zum Sammelpunkt der inneren Verkehrslinien der Mark. Aber seine Lage gewann eine weitergreifende Bedeutung, als der große Kurfürst 1668 den Kanal zwischen Oder und Spree eröffnete. Damit ward Berlin der Mittelpunkt des Schiffahrtswegs Breslau-Hamburg, der längsten Wasserstraße, die damals in Norddeutschland bestand. In ihrer heutigen Vollendung von Kosel bis Hamburg 700 km lang, ist sie die große Verkehrsdiagonale des Norddeutschen Tieflandes, die Mittellinie seines ganzen schiffbaren Wassernetzes. Dessen Ausbau vollendete Friedrich der Große durch die drei märkischen Kanäle, welche unter Ausnutzung aller drei in der westlichen Mark konvergierenden Talzüge der Vorzeit die Verbindung Berlins mit Magdeburg, Hamburg, Stettin verkürzten, und durch den Bromberger Kanal zwischen Netze und Weichsel. Der Wirkungsbereich dieser Wasserstraßen griff an mehreren Stellen über die Grenzen des Staates hinaus. In viel gewaltigerem Maße aber taten dies, seit 1838 rasch sich mehrend und erweiternd, die eisernen Arme der 15 Schienenwege, welche das frei im Tiefland liegende Berlin zum Hauptzentrum des europäischen Binnenverkehrs erhoben. Hier kreuzen sich jetzt die Weltwege Paris-Petersburg, London-Odessa, Stockholm-Rom, und auch die größte kontinentale Bahn der Welt, welche die ganze alte Erdfeste von Lissabon über Moskau bis Wladiwostok durchzieht, hat in Berlin eine Hauptstation. Insbesondere aber ist darauf Bedacht genommen, Berlin mit allen, auch den fernsten Lebenszentren des Reiches, sonderlich mit jedem wichtigen Seeplatz der deutschen Küsten in schnelle Verbindung zu bringen. Den vollen Wert erlangte dies Strahlenbündel nach Berlin zusammenschießender Linien erst, als nicht mehr jede in einem besonderen Bahnhof im Häusermeer Berlins ihr Ziel fand, sondern die 1877 vollendete Ringbahn in 36 km Länge die Stadt umspannte und durch ihr Inneres die Stadtbahn (12 km), eine Hochbahn auf langem Viadukt, den Lauf der Spree begleitete.
Durch diese gewaltigen Verkehrsanlagen, im Verein mit den neuerdings entsprechend den hoch gesteigerten Anforderungen verbesserten Wasserwegen, hat Berlin eine Entwicklung genommen, die niemand vorausahnen konnte. Intelligenz und Arbeitskraft haben die von Natur keineswegs glänzenden, aber entwicklungsfähigen Anlagen der Örtlichkeit ausgebildet, ihre Mängel soweit überwunden, daß der Fremde mit Überraschung hier nicht nur eine große imponierende, sondern auch eine schöne Stadt vorfindet.
Aus J. Partsch, Mitteleuropa. Gotha 1904 (Justus Perthes).
Dieser und die folgenden Aufsätze von H. Albrecht in Berlin.
Keine Großstadt Europas hat jemals in so kurzer Zeit einen so großartigen Aufschwung genommen wie Berlin in den letzten Jahrzehnten. Von 500 000 Einwohnern, die es 1860 zählte, stieg es bis 1880 auf 1 Million, und gegenwärtig hat es deren 2 110 000. Diese Entwickelung verdankt es derjenigen Preußens und Deutschlands sowie der glorreichen Regierung Kaiser Wilhelms I. und seiner Nachfolger. Seitdem es Mittelpunkt und Herz des neuen Reiches geworden war, strömten ihm aus allen Gauen des engeren und weiteren Vaterlandes immer neue Lebenskräfte zu, die im Vereine mit der dem Berliner Bürgertum seit Jahrhunderten innewohnenden rastlosen Energie jenes schnelle Emporblühen möglich machten. Darum ist Berlin in seinem heutigen Aussehen eine moderne Stadt, und nur die letzten Jahrhunderte haben wesentliche Merkmale ihrer Tätigkeit zurücklassen können.
Beginnen wir deshalb unsere Wanderung durch Berlin mit der Straße, die seit langer Zeit der Brennpunkt des reichen politischen Lebens Berlins war und noch heute ist. Die Straße »Unter den Linden« ist von alters her der Stolz Berlins. Und doch, betritt sie ein Fremder das erstemal in den Vormittagsstunden, so wird er sich anfangs enttäuscht fühlen. Zwar ist die Straße 60 m breit und hat eine vierfache Reihe von Linden und Kastanien, die eine breite Promenade, Reit- und Fahrwege einschließen, aber es scheinen ihr Prachtbauten zu fehlen, und auch der Verkehr zu dieser Tageszeit läßt nicht die Weltstadt ahnen. Anders aber wird das Bild um die Mittagszeit und in den Nachmittagsstunden, namentlich an Sonn- und Feiertagen, oder wenn kaiserliche Wagen eine Auffahrt bei Hofe melden und Fürsten und Gesandte in ihren Prunkwagen dem Schlosse zueilen. Von allen Seiten strömt dann das Volk aus den Nebenstraßen zusammen, in einem Nu sind die Bürgersteige, die Promenaden gefüllt, sodaß man sich voller Verwunderung, woher plötzlich so viele Menschen kommen können, mitten im dichtesten Gedränge befindet. Ein großartiges Bild entfaltet aber die Straße, wenn sie sich an nationalen Ehrentagen im Festesglanze zeigt, wenn Tor und Häuser mit Fahnen und Kränzen geschmückt sind, wenn Ehrenpforten sich erheben und eine wogende Volksmenge jubelnd dem Einzug haltenden Herrscherpaare oder dem siegreich zurückkehrenden Heere ihre Glückwünsche entgegenbringt. So hielten 1864 hier ihren Einzug die Düppel- und Alsenstürmer und zwei Jahre später die aus Böhmen und vom Main heimkehrenden siegreichen Scharen. Die Krone solcher Einzüge war aber jener Ehrentag, als 1871 derselbe König, dessen Heere bei Düppel und Königgrätz gesiegt, umgeben von seinem Sohne, von Bismarck und Moltke, seine Hauptstadt als deutscher Kaiser wiedersah. Ein anderes Bild zeigte der 16. März des Jahres 1888. Statt mit bunten Fahnen war alles in Schwarz gehüllt, und ein Trauerzug bewegte sich vom Kaiserlichen Schlosse nach Westen hin zum Brandenburger Tore. Von diesem leuchtete weithin die Inschrift: Vale senex imperator! Damit sagte die trauernde Hauptstadt dem greisen Heldenkaiser das letzte Lebewohl auf seinem Heimgange zur stillen Gruft im Mausoleum zu Charlottenburg.
Das Brandenburger Tor schließt die Straße »Unter den Linden« nach Westen. Dies Wahrzeichen Berlins ist bis zur Spitze seiner Krönung 26 m hoch. Erbaut ist es gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach dem Vorbilde der Propyläen in Athen. Späterhin wurde es nach beiden Seiten durch dem Fußgängerverkehr dienende offene Säulenhallen erweitert. Es hat fünf Durchfahrten, die durch mächtige dorische Säulen voneinander geschieden sind. Das Ganze krönt ein in Kupfer getriebenes 6 m hohes Viergespann der Viktoria. Auch dieses hat schon seine Geschichte. Im Jahre 1807 schickte es Napoleon als Siegesbeute nach Paris, um dort einen Triumphbogen zu zieren. Mit Schmerz und Ingrimm im Herzen blickten damals alle Patrioten auf das seines Schmuckes beraubte Tor, namentlich der Turnvater Jahn, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Jugend durch Turnen zum Befreiungskampfe wehrhaft zu machen. Als er einst mit einem Knaben durch das Tor ging, da gab er ihm, wie man erzählt, eine sogenannte Jahnsche Dachtel, damit er sich beim Anblick des Tores stets der Schmach des Vaterlandes erinnere. Seit 1814 prangt nun die Viktoria wieder auf dem Tore. Zur Erinnerung an jene Kriegszeit führt sie jetzt in der Spitze ihres adlergekrönten Stabes das Eiserne Kreuz. Durch das Brandenburger Tor fanden seitdem alle feierlichen Einzüge statt, und es ist somit eine wahrhafte Porta triumphalis geworden.
Treten wir durch eines der Portale, so empfängt uns der Tiergarten mit seinen prächtigen Laubbäumen. Den Eingang zu diesem größten und schönsten Parke Berlins, der eine Fläche von 255 ha bedeckt, ziert eine umfangreiche prächtige Anlage von Balustraden, Bänken und Springbrunnen aus weißem Marmor, die einen stolzen Rahmen für die Standbilder Kaiser Friedrichs III. und der Kaiserin Viktoria bildet. Geradeaus fällt der Blick in die breite, stets von Spaziergängern und Gefährten allerlei Art belebte Charlottenburger Chaussee, die, von uralten Eichen und anderen Baumriesen wirkungsvoll eingerahmt, den Tiergarten in ostwestlicher Richtung geradlinig durchschneidet. Zur Rechten erhebt sich ein mächtiges Bauwerk, das mit seinen vier Ecktürmen und der vergoldeten Kuppel weit über die Kronen der Bäume hinausragt; es ist das Reichstagsgebäude. Je näher wir herantreten, desto gewaltiger erscheinen seine Formen, desto riesenhafter die Säulen und Steinfiguren, die es ringsum schmücken. Wir stehen vor dem größten modernen deutschen Bauwerk, der vornehmsten Zierde der deutschen Kaiserstadt. Hervorgegangen aus der Einigung Deutschlands – die französische Kriegsentschädigung lieferte die Baugelder in Höhe von 30 Millionen Mark – ist es die verkörperte Erfüllung der deutschen Einheitsbestrebungen. Kaisertum und Reichstag sind an demselben Tage geboren, und so grüßt uns denn von der Spitze der durchsichtig schlanken Laterne, die auf der majestätischen Kuppel des Reichstagsgebäudes thront, die weithin leuchtende, goldene Kaiserkrone.
Die Hauptfront des gewaltigen Bauwerks, dessen Grundfläche ein Rechteck von 132 m Länge und 88 m Breite bildet, ist nach Westen gelegen, dem Königsplatz zugewendet. Eine vor dieser Hauptfront sich hinziehende Rampe und eine 46stufige Freitreppe führen zu der von sechs Säulen getragenen Vorhalle. Treten wir näher, so grüßt uns über dem Mitteleingang als Symbol der Reichseinheit die Reitergestalt des heiligen Georg mit Reichsfahne und Schwert, der den Drachen der Zwietracht niedergeritten hat. Sein markiges Antlitz hat eine bleibende Bedeutung erhalten: es trägt die Züge des Alt-Reichskanzlers. Die mächtigen Säulen, womit alle Seiten des Hauses geschmückt sind, verleihen ihm durch ihre schlichte Schönheit ein ehrfurchtgebietendes Äußere. Erhöht wird dieses noch durch die vier gewaltigen Ecktürme, die den weiten Bau fest zusammenschließen. Sie gleichen den vier Königreichen Deutschlands, den Eckpfeilern des Kaisertums und umgeben wie Trabanten die goldstrahlende Kuppel, die Trägerin der Kaiserkrone. Zahlreiche Monumentalstandbilder, die das Leben des Volkes in seiner Kultur darstellen, Genien, Adler, Wappen und allerlei Steinschmuck verzieren Hauptgesimse und Attika D. i. Aufsatz über dem Hauptgesimse., Säulen und Türme. Sie beleben die Steinmassen und weisen auf den Zweck und die Bedeutung des Hauses hin. So zeigt das Giebelfeld des Hauptportales das Reichswappen, bewacht von zwei Reckengestalten, die als Sinnbild des wehrhaften Deutschen Reiches die friedlichen Gruppen der Kunst und Wissenschaft, des Handels und Gewerbes beschützen. Und mitten auf der Plattform erhebt sich die in den Sattel gehobene Germania, geführt von den Genien des Krieges und des Friedens.
Dem Äußeren entspricht das Innere. Betreten wir dieses durch das Südportal, so gelangen wir zunächst in eine langgestreckte Vorhalle, in der sich Architektur, Bildhauerei und Malerei zu einem Kunstwerk hoher Art vereinigt haben. Um anzudeuten, daß die Herrlichkeit des neuen Reiches aus ruhmvoller Vergangenheit emporsteigt, haben hier die Bronzestandbilder der acht wichtigsten Kaiser des Mittelalters, von Karl dem Großen bis Maximilian I., Aufstellung gefunden. Die Fenster zeigen Glasmalereien mit Motiven des neuen Reiches. Germania thront auf einem Festhügel, in fröhlicher Eintracht schließen ihre Kinder einen Reigen um sie, und alle umschlingt ein Band in den Reichsfarben. Das Fenster vor uns in der Nordwand, zu der eine breite Treppe emporführt, zeigt einen gewaltigen Reichsadler mit den Wappen der Bundesstaaten. Hier teilt sich die Treppe in zwei Arme, die zu den beiden Portalen Preußen und Bayern führen. Ersteres ist die Eingangstür zu den Räumen des Bundesrats und des Reichskanzlers, durch letzteres gelangen wir in die Wandelhalle. Dieser 96 m lange Monumentalraum durchzieht als Hauptverkehrsader das Haus in seiner ganzen Länge und erhebt sich in der imposanten Flachkuppel des Rundbaus zu einer Höhe von 24 m. Die Wandelhalle ist einzig in ihrer Art und hat in ihrer ganzen Anlage, sowie in ihrem reichen Skulpturen- und Reliefschmuck etwas Erhabenes und Erhebendes. Ihr Zweck ist ein doppelter; sie soll den Abgeordneten als Erholungsstätte und bei vaterländischen Festlichkeiten als würdiger Festraum dienen. So fand hier am 5. Dezember 1894 nach zehnjähriger, angestrengtester Bautätigkeit die Schlußsteinlegung statt, wobei Kaiser Wilhelm II. mit den Worten »Pro gloria et patria« den ersten Hammerschlag führte. Über dem Schlußstein hat das Standbild des Begründers des Reiches und des Reichstagsgebäudes seine Aufstellung gefunden. An der Westseite der Wandelhalle, dem Königsplatze zu, liegen die Erfrischungsräume für die Abgeordneten, sowie der Lese- und Schreibsaal. Ihre Ausstattung ist eine höchst würdevolle. Die Täfelungen der Wände und Decken, die Holzskulpturen, die Malereien und die mit reichem Schnitzwerk verzierten Möbel sind Musterleistungen deutscher Kunst. Trotz ihrer großen Ausdehnung und ihrer vornehmen Pracht machen die Säle doch einen wohnlichen Eindruck, und in den Malereien der Erfrischungsräume verkörpert sich der feuchtfröhliche Zug des germanischen Gemüts in humorvollster Weise.
Auf der anderen Seite der Wandelhalle gelangen wir zum großen Sitzungssaale, dem Mittelpunkt des ganzen Hauses. Seine Ausdehnungen sind möglichst knapp gehalten, um sie der Tragfähigkeit der menschlichen Stimme anzupassen, bieten aber doch für die 448 Plätze der Abgeordneten und des Bundesrates und für die hochragende Präsidententribüne hinreichenden Raum. Seine Akustik ist eine vortreffliche. Da Holz die beste Resonanz für den Ton ist, so sind alle Wände mit Eichenholz bekleidet, desgleichen sind Tribünen und Skulpturen aus deutschem Kernholz gefertigt. Die Zuhörertribünen bieten für 360 Personen Platz, an die Hofloge schließen sich zwei kaiserliche Salons an, die mit höfischer Pracht ausgestattet sind. Die Möbel in ihnen sind aus kostbarem Neu-Guineaholz aus den deutschen Kolonien gefertigt. Das Licht fällt von oben durch die matte Glasdecke in den Saal, über den sich die 75 m hohe lichtspendende Kuppel erhebt und so schon äußerlich andeutet, daß hier der vornehmste Raum des Hauses, ja der wichtigste im ganzen Deutschen Reiche zu finden ist. Auch die übrigen Räume für den gesamten Geschäftsgang des Reichstages und seine vielverzweigte Verwaltung zeigen überall bei zweckentsprechender Ausstattung würdevolle Schönheit in Anlage und Ausführung. So verkörpert das Haus die höchste Leistungsfähigkeit der Kunst unserer Zeit, und sein Baumeister Wallot hat darin zugleich sich ein dauerndes Denkmal seines genialen Geistes gesetzt.
Vor der Hauptfront des Reichstagsgebäudes auf der Ostseite des etwa 10 ha großen Königsplatzes steht das kraftvolle Denkmal Bismarcks. Auf einem umfangreichen, niedrigen, mit Wasserbecken, Springbrunnen und allegorischen Figuren geschmückten Felde von Sandstein erhebt sich das auf einen mächtigen Unterbau von rotem Granit gestellte nahezu 7 m hohe eherne Standbild Bismarcks. Im Kürassierüberrock, die Linke auf den Pallasch gestützt, die Rechte schützend auf die Urkunde der Reichsbegründung gelegt, steht er da in einer Haltung, wie er im Leben oft im Reichstage gesehen wurde. Unter den bedeutsamen Bronzefiguren, die den Sockel des Standbildes umgeben, ist die anziehendste die Gestalt Siegfrieds, der das Reichsschwert schmiedet. Mitten auf dem Königsplatze steht, umgeben von entzückenden gärtnerischen Anlagen, die weithin sichtbare, 61 m hohe Siegessäule mit der Borussia. »Das dankbare Vaterland dem siegreichen Heere,« so lautet die Inschrift dieses Bauwerks, das an Massigkeit alle ähnlichen Denkmäler übertrifft. Ihr Grundstein wurde 1865 nach dem dänischen Kriege zu dessen Gedächtnis gelegt. Die Ereignisse von 1866 machten eine Erweiterung des Planes notwendig, den die Siege von 1870-71 abermals änderten. Jetzt schmücken den quadratischen Unterbau aus Granit vier Bronzereliefs, die sich auf jene drei Kriege und auf den Einzug von 1871 beziehen; den Sockel der Säule, der mit einem die Siege des letzten Krieges und die Aufrichtung des neuen Deutschen Reiches verherrlichenden Mosaikgemälde geziert ist, umgibt eine kreisrunde offene Halle. Darauf folgt der 20 m hohe Säulenschaft, der von drei Reihen vergoldeter dänischer, österreichischer und französischer Geschützrohre umgürtet ist. Auf der Säule steht die 8 m hohe vergoldete Borussia vom Bildhauer Drake, mit der Rechten einen Lorbeerkranz, mit der Linken ein mit dem Eisernen Kreuze geschmücktes Feldzeichen haltend. Sie steht zu der Gesamthöhe des Monuments in einem solchen Verhältnis, daß sie als der Hauptteil des Ganzen erscheint.
Auf der Nordseite des Königsplatzes erhebt sich das mächtige Bronzestandbild Roons, und auf der Westseite als Gegenstück zum Bismarckdenkmal das auf einen umfangreichen Unterbau gestellte 5,5 m hohe Marmorstandbild Moltkes. Nach Süden hin fällt der Blick in die Siegesallee, eine Prachtstraße, die wohl kaum ihresgleichen hat. Zu beiden Seiten der von Doppelreihen von Laubbäumen eingefaßten breiten geradlinigen Straße von nahezu 700 m Länge sind – ein Geschenk Kaiser Wilhelms II. – 32 brandenburgisch-preußischen Herrschern, von Markgraf Albrecht dem Bären bis Kaiser Wilhelm I., Marmorstandbilder errichtet worden. Jedes dieser Standbilder ist nach der Rückseite hin von einer durch Ornamente reichgeschmückten halbkreisförmigen Marmorbank umgeben, und jede dieser Bänke trägt zwei Büsten von hervorragenden Zeitgenossen der dargestellten Fürsten. Blumenbeete und wohlgepflegtes dichtes Buschwerk bilden die Einrahmung dieser einzig dastehenden Galerie von Fürstenbildern.
Kehren wir nun durch das Brandenburger Tor zur Straße »Unter den Linden« zurück und durchschreiten wir sie nach Osten hin, so erblicken wir neben Privatgebäuden mit den herrlichsten Geschäftsläden stattliche Paläste, die teils von Vornehmen des Reiches und ausländischen Gesandten bewohnt, teils Dienstgebäude preußischer Ministerien sind. Der glänzendste Teil der Straße ist aber der östliche. Hier fesselt zunächst das 13 m hohe Standbild Friedrichs II. unsere Blicke, das größte und populärste Meisterwerk des berühmten Bildhauers Rauch. Ein stolz dahinschreitendes Roß trägt den großen König im Krönungsmantel mit Dreimaster und Krückstock. Der Sockel hat drei Abteilungen. In der obersten sind allegorische Reliefdarstellungen der hervorragendsten Tugenden dieses wahrhaft großen Mannes: Stärke, Gerechtigkeit, Weisheit und Mäßigung, sowie Darstellungen aus seinem tatenreichen Leben angebracht. Die mittlere Gruppe zeigt an den vier Ecken die Reitergestalten vom Prinzen Heinrich und Herzog Ferdinand von Braunschweig, von Zieten und Seydlitz, dazwischen lebensvolle Figuren anderer Generäle und berühmter Zeitgenossen wie Lessings und Kants. Die untere Abteilung enthält 74 Namen hervorragender Männer jener Zeit.
Neben dem Denkmal steht das in der Südflucht der Straße gelegene schlichte Palais, das einst Kaiser Wilhelm I. bewohnte. Sobald damals die auf dem Palais wehende Purpurstandarte seine Anwesenheit anzeigte, sah man täglich zur Mittagszeit um das Denkmal dichtgedrängte Menschenmassen stehen. Wilhelm I. unterließ es nämlich nie, von dem historischen Eckfenster aus der um diese Zeit hier vorüberziehenden Wache zuzusehen und sich dabei der erwartungsvollen Menge zu zeigen, die ihn mit lauten Hochrufen begrüßte. Mancher Fremde hat von dieser Stelle aus das Bild des greisen Helden, in dessen Zügen sich Ernst und Leutseligkeit vereinigten, mit in die Heimat genommen.
Hier enden die Linden, und die freie Straße erhält die Namen: Platz am Opernhause und Platz am Zeughause. Zu beiden Seiten stehen hier hervorragende Gebäude: an der Südseite außer dem genannten Palais Wilhelms I. mit der daran stoßenden ehemaligen königlichen Bibliothek das Opernhaus und das einst von Kaiser Friedrich bewohnte Palais, Kronprinzen-Palais genannt; an der Nordseite die neue königliche Bibliothek, die Universität, die Königswache und das Zeughaus. Alle diese Gebäude stehen nicht gedrängt nebeneinander, sondern sind durch Straßen, Plätze oder Baumanlagen, von denen die größte das Kastanienwäldchen heißt, voneinander getrennt. An der Straße selbst stehen die von Rauchs Meisterhand herrührenden Standbilder der Helden aus der Zeit der Freiheitskriege: Blüchers, Gneisenaus, Yorks, Bülows und Scharnhorsts, und den Opernplatz ziert das Marmordenkmal der Kaiserin Augusta, der Gemahlin Wilhelms I.
Das Zeughaus ist von dem prachtliebenden Könige Friedrich I. nach einem Plane des Baumeisters Nering erbaut worden. Es gehört nicht nur zu den berühmtesten Bauwerken Berlins, sondern Europas überhaupt. Zwar hat der Bau außer dem Erdgeschoß nur ein Stockwerk, aber seine ganze Anlage ist künstlerisch, und seine Ausschmückung ist reich und sinnig. Letztere rührt von dem genialen Bildhauer und Baumeister Schlüter her. So sind z. B. die Schlußsteine der Fensterbogen des Unterbaues an der Außenseite mit verschiedenartigen antiken Helmen, im Innern des Hofes mit Köpfen sterbender Krieger geschmückt; letztere, die sogenannten Schlüterschen Masken, bringen durch den Ausdruck des Todeskampfes die Kehrseite kriegerischen Ruhmes und Glanzes zum beredten Ausdruck. Heute ist das Zeughaus kein Arsenal mehr, sondern es ist durch Wilhelm I. in ein Waffenmuseum und in eine Ruhmeshalle für die Großtaten der brandenburgisch-preußischen Armee umgewandelt worden. Rechts vom Haupteingang enthält das Erdgeschoß eine Geschützsammlung, die ein lehrreiches Bild von der Entwickelung des Geschützwesens gibt; links sind Modelle von Festungen und plastische Darstellungen von Schlachtfeldern aufgestellt. Im Obergeschoß befindet sich außer einer reichhaltigen Waffensammlung die Ruhmeshalle, die mit Wandgemälden, Standbildern preußischer Herrscher und Büsten berühmter Heerführer in reichster Weise geschmückt ist.
Wir betreten jetzt die Schloßbrücke. Diese führt über einen Spreearm, der mit der Spree den ältesten Teil Köllns, der Schwesterstadt des alten Berlins, und den Lustgarten mit seinen ihn umgebenden Gebäuden einschließt. Die Brücke ist mit acht Marmorgruppen geschmückt, die das Leben des Kriegers darstellen. Pallas unterrichtet den Jüngling im Gebrauch der Waffen, Nike krönt den Sieger, und Iris führt den gefallenen Sieger zum Olymp. Vor uns liegt der Lustgarten mit dem mächtigen kaiserlichen Schloß zur Rechten, dem Alten Museum zur Linken und dem Dom uns gegenüber. Er war noch zur Zeit des Großen Kurfürsten ein wüster Buschfleck, bis ihn dieser Fürst in einen Lust- und Gemüsegarten umwandelte. Seine Gemahlin Dorothea war es auch, die die Straße »Unter den Linden« anlegte. Wohl konnte sie nicht ahnen, als sie selbst die erste Linde pflanzte, daß diese Straße einst die erste der Hauptstadt werden würde. Unter dem Soldatenkönige Friedrich Wilhelm I. wurde der Lustgarten ein Exerzierplatz, jetzt ist er ein mit Bäumen, Sträuchern, Rasenplätzen und Springbrunnen geschmückter öffentlicher Platz. In seiner Mitte erhebt sich das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms III., das Wilhelm I. seinem Vater setzen und bei der Siegesfeier am 16. Juni 1871 enthüllen ließ.
An der östlichen, der Spreeseite des Lustgartens zwischen dem kaiserlichen Schloß und dem alten Museum erhebt sich das größte und bedeutsamste Gotteshaus Berlins, der neue Dom. Dort stand bis 1893 der alte Dom, der, von Friedrich dem Großen erbaut, sich seit langem als zu dürftig erwies. Der jetzige Bau, im Stil der italienischen Hochrenaissance aufgeführt, bedeckt einen Flächenraum von 63 a und erhebt sich im Hauptgesims bis zu einer Höhe von 31 m, bis zur Kreuzesspitze auf der Mittelkuppel auf 114 m. Reicher Statuenschmuck aus Bronze oder getriebenem Kupfer und Bronzereliefs erhöhen den Glanz der äußeren baulichen Erscheinung. Der Haupteingang führt in den mittleren Teil, die Predigt- und Festkirche, die durch Mosaikbilder, Statuen, unter diesen die Luthers, und die Glasmalereien der großen Fenster besonders glanzvoll ausgestattet ist. Der südliche Teil des Bauwerkes enthält die Tauf- und Trauungskirche, der nördliche ist die 35 m lange Denkmalskirche, zahlreiche Prunksärge enthaltend. Unter der ganzen Anlage zieht sich die Hohenzollerngruft hin, die zurzeit ungefähr 90 Särge von Mitgliedern unseres Herrscherhauses birgt.
Auf dem Schlosse weht die stolze Kaiserflagge, sie zeigt uns an, daß Wilhelm II. darin Wohnung genommen. Das Schloß hat einen bedeutenden Umfang. Es bildet ein Rechteck von 192 m Länge und 117 m Breite, hat zwei Höfe und erhebt sich in vier Geschossen 30 m, in der Kuppel bis zu 70 m hoch. Vier Jahrhunderte haben daran gebaut. Der älteste Teil ist der an der Spree gelegene altersgraue Bau, darin Reste der von Friedrich II., dem Eisenzahn, 1442-51 erbauten Burg. Seinem Vater hatte die Stadt Berlin anfangs noch die Tore verschlossen; er aber öffnete sie mit Gewalt und erbaute sich trotz des heftigsten Widerstandes der Bürgerschaft auf der Nordseite des alten Kölln eine Burg. Seitdem wohnten die brandenburgischen Kurfürsten in Berlin und machten es zur Residenz- und Landeshauptstadt. Bald aber genügte ihnen die enge Burg nicht mehr als Wohnsitz, und so entstand durch Um- und Anbauten ein wirkliches Schloß. Seine heutige Gestalt ist im wesentlichen ein Werk des bereits genannten Schlüter, der unter Friedrich I. die bisherigen ungleichartigen Teile zu einem Ganzen verband und namentlich die herrliche, dem Schloßplatz zugewandte Südfront baute. Von den 700 Zimmern des weiten Schlosses ist das berühmteste der Weiße Saal, der bei allen im Schloß stattfindenden großen Staatsfeierlichkeiten benutzt wird. Er ist mit vielen Statuen und Gemälden geschmückt und steht durch ein Treppenhaus mit der ebenfalls reich geschmückten Schloßkapelle in Verbindung.
Eine besondere Zierde des Schlosses ist das Westportal, eine Nachbildung des herrlichen Triumphbogens des Septimius Severus in Rom, über dem sich eine majestätische Kuppel erhebt, die dem Königsbau erst den rechten harmonischen Abschluß gibt. Gegenüber diesem Portal hat auf dem Plan zwischen Schloß und dem westlichen Spreearm das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I., dem Großen, Aufstellung gefunden. Der Würde der zu ehrenden Person entsprechend, ist es das größte und am reichsten ausgestattete Denkmal Berlins. Auf einer weiten Plattform, zu der von der Straße her neun Stufen hinaufführen, steht der mit vielen allegorischen Skulpturen umgebene hohe Sockel, der die 9 m hohe Reitergestalt des Kaisers trägt. Der Kaiser, mit ernst-freundlichem und mildem Ausdrucke im Antlitz und mit beruhigender Geste der Rechten, angetan mit seiner gewohnten soldatischen schlichten Gewandung, sitzt auf einem kräftig ausschreitenden, von einem Friedensengel geleiteten Rosse. An den Langseiten des Sockels lagern zwei Kolossalfiguren, kräftige Jünglingsgestalten, links der Friede, rechts der Krieg. Vor den vier Sockelenden halten, auf Siegeszeichen aller Art ruhend, vier Löwen Wacht. Den Abschluß des Denkmals nach Westen bildet ein wirkungsvoller Hintergrund, eine von gekuppelten ionischen Säulen getragene Halle, deren beide Eckpavillons je ein Viergespann tragen. Der Schöpfer der Hauptteile dieses großartigen Denkmals ist der Bildhauer Begas, von dem auch der Schloßbrunnen herrührt, der, ein Geschenk der Stadt Berlin an Kaiser Wilhelm II., auf dem Schloßplatz Aufstellung gefunden hat. Inmitten der mächtigen Wasserstrahlen, die aus den Mäulern von Seetieren hervorspritzen, thront, umgeben von Zentauren und Tritonen, auf hohem Felsen der Meergott Neptun, seinen Dreizack auf den Schultern tragend, während zu seinen Füßen auf der Brüstung des Beckens vier jugendliche Frauengestalten sitzen, Verkörperungen von Rhein, Elbe, Oder und Weichsel.
Vom Schloßplatz führt die Lange oder Kurfürstenbrücke über die eigentliche Spree in das alte Berlin. Auf ihr hat das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, das unsterbliche Werk Schlüters, seinen Platz. Man hält es für das bedeutendste Werk aus der Zeit der Spätrenaissance. Es ist in seinen Größenverhältnissen vortrefflich auf die Umgebung berechnet und stellt den siegreichen Helden in ruhiger Majestät dar. In der Hand hält er den Feldherrnstab, und das kühne Auge wendet sich dem Schlosse zu. Früher führte die Lange Brücke ihren Namen mit Recht, denn damals floß die Spree in viel breiterem Bette dahin als heute. Erst nach und nach wurde sie auf ihre jetzigen Ufer beschränkt. Hier liegen die Anfänge Berlins, das aus einem Fischerdorfe sich zur Kaiserstadt entwickelte. Unwillkürlich steigen deshalb an dieser Stelle die Bilder der Vergangenheit in uns auf und veranlassen uns zu einem kurzen Rückblick in die Geschichte Berlins.
Vor etwa 700 Jahren lag auf der Insel, die wir soeben verlassen haben, das wendische Fischerdorf Kölln und auf dem vor uns liegenden rechten Spreeufer das wahrscheinlich von deutschen Ansiedlern gegründete Dorf Berlin. Hier war das dem heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Kaufleute, dort das Petrus, dem Schutzpatron der Fischer, geweihte Gotteshaus erbaut. Die älteste Überbrückung, die beide Dörfer verband, war der Mühlendamm, bestehend aus einem Pfahldamm und einer Pfahlbrücke mit einem Wasserdurchlaß zum Treiben von Kornmühlen. Auch dieser älteste Zeuge der wendischen Pfahlbauten ist in unseren Tagen dem Abbruche verfallen. Die uralten, mit Laubengängen versehenen Häuser, die über dem Wasser auf Pfahlrosten ruhten, sind verschwunden. Eine breite Brücke, mit den Standbildern Albrechts des Bären und Waldemars geschmückt, führt über den Strom, und eine großartige Schleuse vermittelt nunmehr wieder die Schiffahrt zwischen Ober- und Unterspree, die hier jahrhundertelang durch ein Wehr gehemmt war. Fleißig lagen die Bewohner von Kölln dem Fischfange ob, und Namen wie Köllnischer Fischmarkt und Fischerstraße stammen aus jener Zeit. In der Mitte des 13. Jahrhunderts erscheint Berlin als Stadt, seit 1307 werden beide Orte von einem gemeinsamen Rate verwaltet, und an der inzwischen angelegten Langen Brücke wird ein gemeinsames Rathaus erbaut. In den Unruhen dieses Jahrhunderts wächst die Bedeutung des Ortes. Berlin wird das Haupt des märkischen Städtebundes und vertritt diesen bei der Hansa. Im Kampfe mit dem zweiten Hohenzoller verliert sie freilich ihre fast reichsstädtische Selbständigkeit, wird aber dafür Residenz und später die Hauptstadt Preußens und Deutschlands.
Wie war es aber möglich, daß sich Berlin in dieser von den gesegneten Gefilden an Donau, Rhein und Elbe so abgelegenen, wenig fruchtbaren, sogar wegen ihres Sandes verschrieenen Gegend, an einem mäßigen Zuflusse der Havel zur drittgrößten Stadt Europas entwickeln konnte? Es hat dies seinen guten Grund, und Berlin hat nur scheinbar eine ungünstige Lage. Zunächst liegt es an einer wichtigen Flußübergangsstelle. Hier treten nämlich die Hügel des Teltow und Barnim nahe an den Fluß, während nach Osten hin sich weite, in früheren Zeiten sumpfige Niederungen an Spree und Dahme ausbreiten und im Westen die Havel mit ihren vielen Seen und Niederungen den Übergang erschwert. Zwischen Oder und Elbe war Berlin somit der Schlüssel zu den nördlich und südlich von Spree und Havel gelegenen Landschaften. Dazu begünstigt noch heute die in ihrem Wasserreichtum gleichmäßige und nie versagende Spree den Verkehr, und durch die leicht hergestellten Kanalverbindungen mit Oder und Elbe wird Berlin innig mit Stettin und Hamburg und dadurch mit Ost- und Nordsee verbunden. Jetzt, nachdem das Deutschtum im Laufe der Jahrhunderte weiter nach Osten vorgedrungen ist, liegt Berlin auch ziemlich in der Mitte von Deutschland, nämlich gleich weit entfernt von Memel und Metz, von der See und dem deutschen Gebirgslande; desgleichen ist es der Mittelpunkt des deutschen Eisenbahnnetzes geworden.
Von der Kurfürstenbrücke führt die Königstraße, eine Hauptpulsader des Verkehrs, durch das alte Berlin zum Alexanderplatz. Hier sind die Straßen teilweise noch eng und die Häuser schmal und niedrig. Von dem alten Berlin verschwindet indessen in unseren Tagen ein Stück nach dem andern. Ganze Häuserreihen wurden niedergerissen, damit man neue Straßen anlegen oder alte, die dem hoch gesteigerten Verkehr nicht mehr genügten, erweitern konnte. An Stelle der alten Häuser erheben sich moderne Prachtbauten. Licht und Luft dringt in die mittelalterlich engen Straßen, Häuser und Höfe. Den bedeutend erweiterten Neuen Markt schmückt jetzt ein figurenreiches Denkmal des Reformators Dr. M. Luther. Das bedeutendste Gebäude dieses Stadtteiles ist das an einer Erweiterung der Königstraße gelegene, die ganze Nachbarschaft weit überragende Rathaus der Hauptstadt. Dieses ist 1861-69 an Stelle des alten, aber in bedeutend vergrößertem Maßstabe mit einem Kostenaufwande von 10 Millionen Mark erbaut worden. Es ist ein stattlicher Bau mit reicher ornamentaler Durchbildung und wird von einem gewaltigen Turme überragt, der bis zur Brüstung 74 m und bis zur Spitze der Fahnenstange, die seinen stumpfen Aufsatz krönt, 97 m hoch ist. Nach einer Besichtung des reich geschmückten Festsaales mit dem bekannten Ölgemälde von Anton von Werner: der Europäische Friedenskongreß in Berlin 1878, steigen wir zur Plattform des Turmes hinauf, um von diesem Mittelpunkte aus einen Überblick über die Riesenstadt zu gewinnen.
Haben wir die 405 Stufen erstiegen und treten auf die Galerie hinaus, so entfaltet sich uns ein Panorama eigener Art. Wohin das Auge blickt, Häuser ohne Zahl und Ende, scheinbar ohne jegliche Ordnung durcheinander gestellt, von vielen Türmen, Kuppeln, Hallen und unzähligen Schornsteinen überragt. Letztere entsenden Wolken von Rauch, die ganze Stadtteile verhüllen, bis ein Windstoß sie auseinandertreibt und heller Sonnenschein uns neue Häusermassen zeigt. Über sie hinweg schweift der Blick nach Westen bis zu den an der Havel sich hinziehenden Bergen des Grunewaldes und nach Südosten zu den Müggelbergen bei Köpenick; nach Nordosten allein erblicken wir am Horizonte freie Felder. Zu unseren Füßen, direkt in der Tiefe, können wir deutlich Straßen und Plätze unterscheiden. Wir verfolgen die Königstraße, die wir gekommen sind, bis zum Schloßplatz und sehen dann die Linden in ihrer ganzen Breite vor uns liegen. Deutlich erkennen wir hier jedes größere Gebäude, sogar den »alten Fritz«. Hinter dem Brandenburger Tor dehnt sich der Tiergarten aus, aus dessen grünen Baumwipfeln der massige Bau des Reichstagsgebäudes mit seinem oberen Stockwerk, den Ecktürmen und der im Sonnenlicht goldig strahlenden Kuppel emporragt. Wie zierlich ist das Netz der Bahnschienen in den Straßen zu unseren Füßen, die Wagen rollen so geräuschlos dahin, nur die Klingel tönt zu uns herauf, dazu eilen die kleinen Menschengestalten auf den Straßen unablässig auf und ab. Dort kommt eine Abteilung Soldaten um die Straßenecke; von ihrem strammen Schritt hören wir nichts, jedoch die Regimentsmusik spielt auch für uns in unserer luftigen Höhe. Da huscht plötzlich ein langer Eisenbahnzug aus dem Häusergewirr dicht neben uns auf einem Viadukte hervor, um bald darauf wieder zwischen den Häusern zu verschwinden; es ist die Stadtbahn. Nach Südosten entfaltet sich das breite Strombett der Spree, nicht weniger belebt wie die Straßen. Wohin wir blicken, ringsum ein rastloses, geschäftiges Leben. Zum Träumen ist hier kein Ort, mit mächtigem Schlage verkündet die neben uns hängende Glocke der Turmuhr den unerbittlichen Lauf der Stunden und mahnt zum Aufbruch.
Eine andere schöne Aussicht auf Berlin gewährt der Kreuzberg, die höchste Erhebung der Hügelkette, welche das Spreetal im Süden begrenzt. Ihm wollen wir deshalb heute auch noch einen Besuch abstatten. Hier ließ Friedrich Wilhelm III. nach den Befreiungskämpfen »den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung« ein Nationaldenkmal in Form einer 20 m hohen gotischen Spitzsäule aus Eisen errichten. Als das Denkmal infolge von Neubauten allmählich verdeckt wurde, hob man es und setzte es auf einen 10 m hohen kastellartigen Unterbau. Nunmehr ist es wieder weithin sichtbar, und von seiner Plattform hat man namentlich über den Süden und Westen der Stadt eine umfassende Aussicht.
Den Nordabhang des Kreuzberges schmückt der neuangelegte Viktoriapark, der in kurzer Zeit mit Springbrunnen und Wasserfällen aus dem Sande hervorgezaubert wurde. Nach Süden hin dehnt sich eine weite, freie Hochebene aus: das Tempelhofer Feld, der große Übungs- und Paradeplatz der Berliner Garnison. Schon Friedrich der Große pflegte hier seine glänzenden Musterungen abzuhalten. Nicht weniger weltberühmt sind diese durch Kaiser Wilhelm I. geworden, der noch im höchsten Alter 3-4 Stunden im Sattel blieb und die langen Fronten des gesamten Gardekorps abritt. Auch in unseren Tagen ist die Kaiserparade ein großartiges militärisches Schauspiel, das Fremde und Einheimische in gleicher Weise anzieht. Gar bunt ist die Suite von Offizieren aus allen Ländern der Welt, die den Kaiser begleiten, und unabsehbar die Menge des Volkes, das zu Fuß, Pferd und Wagen herbeiströmt und von der Schutzmannschaft nur mit Mühe zurückgehalten werden kann; denn alles will nicht nur den strammen Paradeschritt der Soldaten, sondern auch den Kaiser und sein Gefolge sehen. Weder Staub, noch Sonnenbrand, noch Regenschauer können den echten Berliner abhalten, im dichtesten Gedränge stundenlang auszuhalten, bis sein Herzenswunsch erfüllt ist.
Der Kreuzberg hat auch einmal kriegerischen Zwecken gedient. Als Napoleon im Jahre 1813 zweimal den Versuch machte, Berlin wieder in seine Gewalt zu bekommen, hatte man hier in Eile Schanzen aufgeworfen, um die wehrlose Stadt so gut wie möglich verteidigen zu können. Glücklicherweise wurden sie überflüssig, denn die preußischen Generäle Bülow und Tauentzien wollten lieber »ihre Knochen vor Berlin bleichen lassen«, rückten den Franzosen entgegen und schlugen sie bei Großbeeren, zwei Meilen südlich von Berlin, und späterhin bei Dennewitz nochmals. Einmal war Berlin schon eine Festung, und zwar zur Zeit des Großen Kurfürsten. Bald aber wurden die Wälle der aufblühenden Stadt zu enge, und große Vorstädte wuchsen über sie hinaus. Da ließ schon der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. die Festungswerke wieder entfernen.
Berlin sollte wie Sparta eine offene Stadt sein, und die Preußen sollten an der Grenze des Landes Wacht halten und den Feind in dessen eigenem Lande aufsuchen. So dachten auch Friedrich der Große und Wilhelm I., und dieser Kriegführung verdankten sie ihre unvergleichlichen Erfolge.
Bei einer weiteren Wanderung durch die Stadt wird uns das verschiedenartige Aussehen der einzelnen Stadtteile auffallen. Wenden wir uns vom Kreuzberge nach der vor dem ehemaligen Potsdamer Tore gelegenen Friedrichvorstadt und dem Schöneberger Viertel, dem sogenannten Westen, so befinden wir uns in einem der schönsten und vornehmsten Stadtteile. Hier wohnt zwischen dem Gelände des Potsdamer Bahnhofes und dem Zoologischen und Tiergarten der reichere Teil der Bevölkerung, und namentlich am Rande des Tiergartens und in den auf diesen mündenden Straßen ist der Palast- und Villenbau vorherrschend. Viele Straßen sind hier mit Bäumen bepflanzt, und die Villen, von denen einzelne wahre Zierden der neueren Berliner Baukunst sind, haben vielfach Vor- und Zwischengärten. Anders gestaltet sich das Bild im Osten und Norden. Statt der Villen herrschen hier 5-6 Stock hohe Mietshäuser vor, die Ausschmückung der Fassaden wird durch Schilder und weithin leuchtende Reklameinschriften ersetzt. Während die verschlossenen Villen des Westens oft wenig oder gar nicht bewohnt zu sein scheinen, sehen wir hier überall Geschäftsläden, alles steht dem Verkehr offen, und in den Hinter- und Quergebäuden, die sich häufig zu großartigen Fabrikanlagen ausdehnen, da wird gehämmert, gehobelt, gefeilt, da rasseln und schnurren die Maschinen von früher Morgenstunde bis spät in die Nacht; denn hier ist der Sitz der Berliner Industrie.
Wie die Bauart der Häuser, so ist auch die Bevölkerung eine verschiedenartige. Schon eine Fahrt im Straßenbahnwagen vom äußersten Westen durch das Zentrum nach dem Osten zeigt uns durch den Wechsel der mitreisenden Fahrgäste deutlich diesen Unterschied. Dort, im sogenannten »Geheimratsviertel«, sehen wir uns von wohlgekleideten, gegen Bekannte und Unbekannte höflichen Menschen umgeben. Den wohlgepflegten Händen sieht man es an, daß sie nicht zu schwerer körperlicher Arbeit berufen sind, und so manches intelligente Gesicht verrät uns den Künstler, Gelehrten und hohen Beamten. Bald hat sich der Wagen gefüllt. Meistens herrschen Damen vor, nur bei Beginn und Schluß der Geschäfts- und Bureaustunden sind die Herren überwiegend. Im Zentrum der Stadt angelangt, ändert sich unsere Begleitung. Nur wenige fahren mit uns die ganze Strecke, und andere Fahrgäste steigen ein; jedoch ist hier nicht mehr so ein Gedränge wie im Westen, dort wird mehr gefahren als hier. Arbeiter in Kittel und Bluse werden zahlreicher, halberwachsene Knaben und Mädchen kommen mit Paketen und Bündeln, Arbeiterinnen, die sich als Verkäuferin und Nähterin in der inneren Stadt ihren Lebensunterhalt verdienen, kehren in die billigeren Viertel zurück. Stattliche Männer- und Frauengestalten sind hier weniger vertreten, Kleidung, Hände und Gesicht verkünden vielfach den Ernst und die Not des Lebens und die blasse Gesichtsfarbe das lange Verweilen in Fabrik und Verkaufsläden.
Die Stadt Berlin liegt inmitten eines Gebietes regster gewerblicher Tätigkeit, deren schnelles Aufblühen amerikanischen Vorbildern nahekommt. Ihre günstige Lage an einer ausgezeichneten Wasserstraße, die ihre großartige Erweiterung bis Stettin binnen kurzem erfährt, und im Kreuzungspunkt zahlreicher, nach allen Himmelsgegenden ausstrahlenden Eisenbahnlinien ermöglicht eine bequeme und schnelle Verfrachtung der Riesenmenge ihrer industriellen Erzeugnisse. Der Absatz Berliner Luxusmöbel und Maschinen reicht bis in die fernsten Weltteile; denn Hervorragendes leistet die von bedeutenden Künstlern beeinflußte Möbelindustrie und Außerordentliches der Maschinenbau. Weltfirmen, die die Herstellung der zahlreichen Gegenstände der vielseitigen elektrischen Betriebe in Händen haben, beschäftigen viele Tausende von Arbeitern und Ingenieuren. Anderen zahlreichen Tausenden gewährt die chemische Industrie, die Weberei und Bekleidungskonfektion, die Herstellung von Beleuchtungsgegenständen lohnende Beschäftigung, und Berlins zahlreiche Pianofabriken stehen auf dem Weltmarkt in der ersten Reihe: die Hälfte der Bewohnerschaft Berlins steht im gewerblichen Dienste.
Auf gleicher Höhe steht Berlins Bedeutung im Handelsverkehr. Berliner Großkaufleute setzen die aus Ostelbien, Rußland und Österreich-Ungarn einlaufenden Erzeugnisse des Ackerbaus und der Viehzucht nach den Industriegebieten im Westen und Süden unseres Vaterlandes ab, abgesehen davon, daß die mehr als drei Millionen Großberlins ungeheure Mengen dieser Artikel verbrauchen. Der Eierhandel Berlins versorgt Frankreich und England mit seinen Zufuhren aus Rußland, Ungarn und den Balkanländern. Die Nähe der Nordsee- und Ostseehäfen, besonders die vorzügliche Verbindung mit Hamburg hat der Berliner Großhandel zu benutzen verstanden, um den Osten und Süden Deutschlands mit Kolonialwaren aller Art aus seinen Lagern zu versehen. Großartige, von Staat und Gemeinde angelegte Bauten unterstützen den regen Geschäftsverkehr; wir nennen nur den im äußersten Osten Berlins gelegenen städtischen Zentralviehhof mit Schlachthäusern, der als die größte derartige Anlage des Kontinents gilt.
Der Mittelpunkt des Verkehrs und Handels von Berlin liegt natürlich im Innern der Stadt, wo sich auch die Börse befindet. Hier sind die Wohnhäuser schon vielfach in Geschäftshäuser umgewandelt worden, sodaß viele Bewohner gezwungen sind, in die Vorstädte zu ziehen. Wer es kann, zieht auch noch weiter in die Vororte und Villenkolonien, wo man Ruhe und frische Luft genießen kann. Ein Hauptsitz des Verkehrs, sowie Sammelpunkt der Fremden und der vornehmen Welt ist auch die südlich von den Linden gelegene Friedrichstadt. Es ist dies der von Friedrich I. vor 200 Jahren angelegte Stadtteil, dessen geradlinige Straßen sich meist rechtwinklig schneiden. Er enthält die drittlängste Straße Berlins, die Friedrichstraße. In ihr und namentlich in der sie quer durchschneidenden Leipziger Straße werden von Jahr zu Jahr mehr großartige Geschäftshäuser, Hotels, Bier- und Weinhäuser in künstlerischer Ausführung errichtet, sodaß sich hier oft Palast an Palast reiht.
Vor 30 Jahren noch bestand unmittelbar vor dem Oranienburger Tore im Norden der Stadt die weltbekannte Borsigsche Maschinenfabrik. Jetzt ist die Anstalt, die 4000 Arbeiter beschäftigt, seit Jahren nach Tegel verlegt, und Wohnhäuser sind an ihrer Stelle erbaut worden. Als in den rheinischen und oberschlesischen Kohlen- und Eisenerzgegenden ähnliche Fabriken entstanden, hatte die Großeisenindustrie Berlins wegen der durch die Entfernung verteuerten Rohmaterialien mit Schwierigkeiten zu kämpfen; sie verlegte daher ihre Arbeitsstätten in die entfernteren Vororte mit ihrem billigeren Grund und Boden. Berühmt ist auch die jetzt nach Charlottenburg verlegte königliche Porzellan-Manufaktur. Gegründet wurde diese Anstalt 1761 durch einen Privatmann, 1763 übernahm sie Friedrich der Große für den Staat. Es gelang ihm, zahlreiche sehr geschickte Arbeiter und Künstler zu gewinnen, sodaß die Fabrikate aus jener Glanzperiode der Fabrik wegen ihrer Formenschönheit und Malerei dem alten Meißner Porzellan gleichgestellt werden.
Auf dem ehemaligen Grundstück dieser Porzellan-Manufaktur erhebt sich jetzt nahe an der Königgrätzer Straße das Kunstgewerbe-Museum. Dieses Gebäude ist ein großartiger Monumentalbau, der auch äußerlich in allen seinen Teilen mit allem Schönen, was Plastik, Malerei und Architektur hervorbringen können, geschmückt ist. Es enthält eine reiche Sammlung der verschiedensten musterhaften Erzeugnisse des Kunstgewerbes und gibt ein umfassendes Bild von dessen Entwickelung bei allen Kulturvölkern älterer und neuerer Zeit. Verbunden ist mit dem Museum eine stark besuchte Unterrichtsanstalt für Künstler und Kunsthandwerker. Durch diese und ähnliche Unterrichtsanstalten sucht der Staat und die städtische Verwaltung Berlins das Kunsthandwerk immer mehr zu heben.
Berlin ist nicht nur eine Stadt der Kasernen und Fabriken, sondern auch eine Stadt der Schulen. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Volksschulunterrichte zugewendet. Die Reichshauptstadt hat zurzeit 300 Volksschulen, in denen an 6000 Lehrer und Lehrerinnen nahezu 250 000 Schulkinder unterrichten und erziehen. Die Schulgebäude hierfür sind geräumig und hell, mit reichlichen Lehrmitteln ausgestattet. Daneben sind zahlreiche Fortbildungsschulen für Jünglinge und Mädchen, desgleichen Fachschulen für alle Zweige des Handwerks zu nennen. Von höheren Schulen für Knaben besitzt Berlin 17 Gymnasien, 7 Realgymnasien, 3 Oberrealschulen und 14 Realschulen, für Mädchen 10 höhere Mädchenschulen.
Die Wissenschaft findet in der Universität ihren Mittelpunkt. Das erste größere wissenschaftliche Institut in Berlin war die Akademie der Wissenschaften, vom Könige Friedrich I. auf Anregung seiner schönen und geistreichen Gemahlin Sophie Charlotte gestiftet. Erster Präsident derselben war der berühmte Philosoph Leibniz. Für die Musensöhne aber hielt man die Residenz mit ihren Zerstreuungen für keinen geeigneten Platz. Erst in der Zeit der tiefsten Erniedrigung Preußens, im Jahre 1807, beschloß man, in Berlin eine Universität zu gründen, um durch Erweckung und Förderung geistigen Lebens und Strebens die Wiedergeburt des so schwer gedemütigten Vaterlandes anzubahnen. Die Seele dieser Bestrebungen war der damalige Unterrichtsminister Wilhelm v. Humboldt. Ihm und seinem unsterblichen Bruder Alexander v. Humboldt sind jetzt im Vorgarten der Universität Marmordenkmäler gesetzt worden. Im Todesjahr der Königin Luise, 1810, wurde sie eröffnet. Bald mußten freilich die Hörsäle wieder geschlossen werden, denn 1813 drängten sich die Studenten zuerst als Freiwillige zu den Waffen, und 43 von ihnen starben den Tod fürs Vaterland. Seitdem wuchs die Anzahl der Hörer und Lehrer zusehends, und zurzeit zählt man mehr als 8000 immatrikulierte Studenten, im ganzen etwa 10 000 Hörer, während die Zahl der Dozenten auf 500 gestiegen ist. Eine Reihe höchst bedeutender Männer hat seitdem in Berlin gelebt, teils an der Universität, teils in wissenschaftlichen Vereinen oder privatim tätig. Außer den bereits erwähnten Gebrüdern Humboldt seien noch erwähnt: Fichte, der unter den Bajonetten der Franzosen seine zündenden »Reden an die deutsche Nation« hielt, der Kanzelredner Schleiermacher, der große Geograph Karl Ritter, der Geschichtschreiber Leopold v. Ranke, die allbekannten Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm, die Philosophen Schelling und Hegel, der Physiker Helmholtz, der Jurist Rudolf Gneist, die Altertumsforscher Mommsen und Curtius, der Physiologe du Bois-Reymond und der Arzt und Anthropologe Virchow. Neben der Universität beherbergt Berlin an wissenschaftlichen Instituten die Tierärztliche Hochschule, die Landwirtschaftliche Hochschule und die Bergakademie; das Studium asiatischer und afrikanischer Sprachen und die Ausbildung von Dolmetschern für den Gesandtschafts- und Kolonialdienst pflegt das Orientalische Seminar. Der Wissenschaft, sowie allgemein bildenden Zwecken dient die Königliche Bibliothek mit ihren 1¼ Millionen Bänden und 30 000 Handschriften. Schriftsteller, Studenten, Gelehrte und Forscher aller Art gehen hier emsig aus und ein, um die lagernden Schätze ausgiebig zu verwerten.
Allgemeinen Bildungszwecken wie rein wissenschaftlichen Zwecken dienen die zahlreichen Museen. Das bekannteste derselben ist das Alte Museum am Lustgarten, bei seiner Eröffnung 1830 das Neue genannt. Sein Baumeister ist Schinkel. Trotzdem der durch die langen Kriege erschöpfte Staat damals nur geringe Mittel für Bildungszwecke aufbringen konnte, verstand es der geniale Schinkel doch, ein Bauwerk von dauerndem, klassischem Werte herzustellen. Es hat eine offene Vorhalle, die von achtzehn mächtigen ionischen Säulen getragen wird und mit Wandgemälden geschmückt ist. Eine Freitreppe von 21 Stufen führt zu ihr hinauf. In der Mitte des Gebäudes ist eine Rotunde, über der sich der erhöhte Mittelbau mit vier Kolossalgruppen aus Erz erhebt. Da das Museum, in dem jetzt wertvolle Werke der antiken Skulptur, Malkunst und Keramik untergebracht sind, sich für die zahlreichen Sammlungen schon bald nach seiner Erbauung als zu klein erwies, baute Friedrich Wilhelm IV. durch seinen Baumeister Stüler das hinter dem Alten gelegene Neue Museum. Auch für die im Alten Museum befindliche Gemäldegalerie, die sich durch Vollzähligkeit der Künstler der verschiedenen Schulen und Zeiten auszeichnete, wurde der Raum zu enge; deshalb wurde unter Wilhelms I. Regierung in unmittelbarer Nähe beider Museen die Nationalgalerie erbaut. Es ist ein vornehmer Bau aus rotem Sandstein, der in der Form eines korinthischen Tempels fast ausschließlich Skulpturen, Malereien und Handzeichnungen des 19. und 20. Jahrhunderts, meist von deutschen Künstlern geschaffen, aufgenommen hat. So enthält diese Galerie denn auch eine vortreffliche Auswahl von Gemälden Berliner Künstler, deren Zahl und Bedeutung nicht gering ist, wie die Namen Adolf Menzel, Steffeck, Meyerheim, Knaus, Begas, Richter, Bleibtreu, Anton v. Werner, Leistikow, Liebermann und viele andere beweisen. Das Neue Museum trägt ein schlichteres Gewand, doch birgt es Schätze von unersetzlichem Wert. Im hohen Treppenhause sehen wir die berühmten und wohl jedermann bekannten Kaulbachschen Wandgemälde, eine Weltgeschichte in sechs riesenhaft großen packenden Darstellungen; die im Erdgeschoß ausgebreitete kostbare Sammlung von Sarkophagen, Mumien und anderen Gräberfunden gibt dem Beschauer ein gutes Bild von der Kultur des alten Ägyptens. Auf der Nordostecke der Museumsinsel – so nennt man den nördlich vom Lustgarten gelegenen Teil der Spreeinsel – erhebt sich, mit seinen Hauptfronten unmittelbar aus der Spree aufsteigend, der im italienischen Barockstil gehaltene stolze Bau des Kaiser-Friedrich-Museums. Hier befinden sich wohlgeordnet in 45 Räumen die reichhaltige Gemäldesammlung, für die das Alte Museum keinen ausreichenden Platz bot, und das Münzkabinett. Hinzugekommen sind Kunstwerke aus dem deutschen Mittelalter sowie Sammlungen aus der altchristlichen, byzantinischen und persisch-islamitischen Kunst.
Von anderen Museen seien noch genannt: das Museum für Völkerkunde mit den Schliemannschen Sammlungen griechischer und trojanischer Altertümer, das Museum für Naturkunde, das Museum für Meereskunde, das Hohenzollernmuseum, eine Sammlung von persönlichen Erinnerungen an preußische Monarchen, das Märkische Provinzialmuseum mit Fundstücken aus der geschichtlichen und vorgeschichtlichen Zeit Berlins und der Mark Brandenburg und das Reichspostmuseum, das einen vortrefflichen Überblick über das Postwesen aller Zeiten und Völker bis auf die neueste Zeit gibt. Mit der Universität und den anderen Hochschulen sind außerdem eine große Zahl wissenschaftlicher Sammlungen verbunden.
Reich ist Berlin auch an Theatern. Außer den drei Königlichen, den beiden Opernhäusern und dem Schauspielhause, hat es fünfundzwanzig Stätten, in denen die dramatische Kunst gepflegt wird. Das Schauspielhaus steht auf dem Gendarmenmarkt und gewährt mit den beiden rechts und links von ihm stehenden Kirchen eines der schönsten Architekturbilder Berlins. Es ist ebenfalls eine Schöpfung Schinkels, bringt reine und edle Formen der Antike zur Geltung und ist doch dem Bedürfnis der Gegenwart angepaßt.
Bezüglich Kirchen fehlt es in Berlin zwar an Monumentalbauten aus alter Zeit, dafür hat man aber in unseren Tagen, besonders auf Anregung der Kaiserin Auguste Viktoria, eine große Anzahl neuer Kirchen in gotischem und romanischem Baustile, darunter solche von hervorragender Schönheit, unter großem Kostenaufwande fertiggestellt, sodaß die Reichshauptstadt weit über hundert schöner Gotteshäuser aufweisen kann. Neben dem oben schon beschriebenen »Neuen Dom« ist die größte der in letzter Zeit erbauten Kirchen die am 25jährigen Gedenktage der Schlacht von Sedan eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. An der Grenze des Berliner Westens, nahe am Zoologischen Garten gelegen, in spätromanischem Stile erbaut, zieht sie mit ihrer weißen Tuffsteinverblendung schon von weitem die Blicke auf sich, vornehmlich heben sich ihre fünf hellschimmernden Türme, von denen der Hauptturm eine Höhe von 113 m erreicht, bei blauem Himmel prachtvoll ab. Durch das weite Westportal gelangt man zunächst in eine Vorhalle, die Gedächtnishalle, deren Wandfläche allegorische Darstellungen aus dem Leben des Heldenkaisers von der schweren Prüfungszeit seiner Jugendjahre an bis zu der glorreichen Zeit seines Greisenalters tragen. Der Glanzpunkt der eigentlichen Kirche ist der von einem hohen Triumphbogen eingerahmte Altarraum, dessen bunte Glasfenster Kunstwerke ersten Ranges sind. Die erste der fünf Glocken, die aus französischen Geschützrohren gegossen sind, ist mit ihrem Gewicht von 276 Zentnern die zweitgrößte in Deutschland.
Infolge seines großartigen Aufschwunges übt Berlin jetzt mehr denn je eine gewaltige Anziehungskraft auf das In- und Ausland aus. Tausende von Fremden erscheinen hier alljährlich, um seine Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen oder um Handelsverbindungen anzuknüpfen, verbleiben auch wohl längere Zeit hier, um deutsche Kunst und Wissenschaft zu pflegen, und aber Tausende strömen aus dem Vaterlande herbei, um hier ihr Glück zu machen. Wer aber glaubt, mit leichter Mühe hier sein Brot verdienen oder gar Schätze erwerben zu können, wird in den meisten Fällen bitter enttäuscht werden. Das Leben der Großstadt ist teuer, und man muß schon ein reicher Mann sein, um hier ein behagliches Leben führen zu können. Wohl bietet Berlin Arbeit für jedes Geschlecht und Alter, für jeden Stand und Beruf, aber das Angebot von Kräften ist ebenfalls groß und meist größer als die Nachfrage. Nur wer Fleiß und Ausdauer mit Tatkraft und Unternehmungslust verbindet, wird sich in dem rastlosen Treiben eine sichere Stellung zu erringen wissen und kann es in solchem Falle, wie zahlreiche Beispiele zeigen, sogar zu etwas Großem bringen. Mancher aber, der mit frohen Hoffnungen gekommen, fühlt sich bald bitter enttäuscht, und nicht wenige gehen in dem Strudel der Großstadt unter, fristen kümmerlich, ja erbärmlich ihr Leben, und die Wohnungsnot zwingt solche Verarmte zu einem Nomaden- und Straßenleben. Im Sommer nächtigen sie wohl im Freien, in Neubauten und Schuppen, bei Kälte aber suchen sie gern die Asyle für Obdachlose auf. Diese Zufluchtstätten sind wie die durch die ganze Stadt verbreiteten Sanitätswachen, die bei plötzlichen Unglücks- und Erkrankungsfällen die erste ärztliche Hilfe leisten, durch bürgerlichen Gemeinsinn begründet worden. Der Berliner ist wohltätig. Das beweisen die Erträge der alljährlich stattfindenden Sammlungen für Ferienkolonien, durch die Tausende von kränklichen Schulkindern durch unentgeltlichen Aufenthalt in Sommerfrischen und an der See Erstarkung und Gesundung finden, das beweisen die sehr zahlreichen Stiftungen wohlhabender Bürger, die den unverschuldet in Armut und Not geratenen Mitbürgern in taktvoller Weise Hilfe gewähren. Der Verwaltungskörper Berlins läßt es an nichts fehlen, den Kranken und Notleidenden durch öffentliche Wohltätigkeit zu helfen. In Ehrenämtern arbeiten in der Armenpflege mehrere Tausende von Bürgern und Bürgerinnen selbstlos und unverdrossen. Wo die Not eingekehrt ist, werden Unterstützungen in Geld und Naturalien, in Kleidung und Speisungen, in freier ärztlicher Hilfe gegeben. Sieche finden Pflege in den freundlichen Siechenanstalten, und in den zahlreichen Krankenhäusern finden diejenigen Kranken Unterkunft, denen eine häusliche Krankenpflege mangelt. Das älteste Krankenhaus Berlins ist die 1710 gegründete königliche Charité. Mit einem Aufwande von 19 Millionen Mark hat Berlin sein Rudolf-Virchow-Krankenhaus, im Norden der Stadt gelegen, in jüngster Zeit vollendet.
Ständig wachsende Schwierigkeiten verursachten der Verwaltung die Versorgung der Riesenstadt mit gutem Trinkwasser. Das im Spreetal gelegene ältere Berlin hat in geringer Tiefe Wasser. Als aber die angrenzenden Hügel bebaut wurden, da fand man oft bei sechzig und mehr Meter Tiefe kein oder nur schlechtes Wasser. Dazu wurde mit der Zeit das Wasser der inneren Stadt durch die immer zahlreicher werdenden Senkgruben verdorben, ja geradezu vergiftet. Deshalb wurde 1856 an der oberen Spree vor dem Stralauer Tore eine Wasserleitung mit Pumpstationen und Hebewerken angelegt. Als diese späterhin nicht mehr ausreichte, wurde 1877 eine zweite am Tegler See, einer Ausbuchtung der Havel westlich von Berlin, gebaut, und jetzt schafft eine dritte an dem von der Spree durchflossenen Müggelsee, östlich von Berlin, angelegte reines klares Wasser in die Berliner Wohnungen.
Das größte Werk der städtischen Verwaltung in neuerer Zeit ist aber die Entwässerung der Stadt und die damit verbundene Anlage von Rieselfeldern. Früher bestand nur eine oberirdische Entwässerung durch Rinnsteine. Bei dem meist geringen Gefälle war sie aber eine ungenügende und wurde in der heißen Jahreszeit auch durch ihre Ausdünstungen unangenehm und gesundheitsgefährlich. In die Spree und damit weiter in die Havel die Abwässerung mit ihren Unratmassen zu leiten, war unmöglich, weil man sonst diese Flüsse in kurzer Zeit verpestet hätte. Da beschloß man denn, Berlin zu kanalisieren und nach außen hin zu entwässern. Begonnen wurde dies große Werk 1873, und 1888 hatte man dafür bereits 71 Millionen Mark verausgabt. Zunächst wurden die Straßen, die in ihrer Gesamtlänge viele Meilen betragen, mit gewölbten Kanälen durchzogen. Diese Kanäle sind stellenweise so hoch und breit, daß vier Menschen darin aufrecht nebeneinander gehen können.
In diese Kanäle leitet man nun alle schmutzigen Gewässer aus den Haushaltungen und sonstigen Stellen und treibt sie dann von den Pumpstationen der einzelnen Radialsysteme in Röhren weit von Berlin fort auf die sandigen Gebiete der Umgegend. Dort sind von der Stadt weite Strecken Landes erworben und durch Anlage von unzähligen Gräben in Rieselfelder umgewandelt worden. Die bisher wenig fruchtbaren Strecken entwickeln nach Zuführung der Abwässer eine außerordentliche Fruchtbarkeit. Außer Gemüse wird massenhaft Gras gewonnen. So helfen die Rieselfelder Berlin mit Gemüse und Milch zu versehen. Die zuerst angelegten Rieselfelder sind die von Osdorf und Großbeeren. Keine Stadt der Erde, selbst London nicht, besitzt eine so großartige Kanalisationsanlage, die zu den größten Ingenieurbauten gerechnet werden kann.
Die Straßen Berlins zeichnen sich durch Sauberkeit und ein gutes Pflaster aus. Zu Steinpflaster verwendet man fast ausschließlich Granit, und dies vorzügliche Material wird aus weiter Ferne, sogar aus dem Auslande herbeigeholt; in neuerer Zeit kommt mehr und mehr geräuschloses Pflaster aus Asphalt zur Anwendung. Die Beleuchtung der Straßen geschieht noch meistens durch Gas, jedoch haben einige Hauptstraßen und Plätze bereits elektrisches Licht, das in Theatern und großen Geschäftsläden ausschließlich verwendet wird. Letzteres ist nicht zu verwundern, zählte doch Berlin einen Mann zu seinen Mitbürgern, der auf dem Gebiete der Elektrizität von internationaler Bedeutung war, den auch durch seine Telegraphenbauanstalt weltbekannten Werner Siemens.
Eine angenehme Abwechselung bei dem Gange durch die geräuschvollen Straßen mit ihren hohen Häusern bieten die wohlgepflegten öffentlichen Plätze. Sie sind wie der bereits erwähnte Lustgarten mit Rasenplätzen, Springbrunnen, Sträuchern und Bäumen versehen und mit Standbildern geschmückt. So zieren z. B. den Wilhelmsplatz die Helden der drei Schlesischen Kriege, den Dönhoffplatz ein Standbild des Freiherrn vom Stein, den Belle-Allianceplatz eine 19 m hohe Friedenssäule nebst verschiedenen Marmorgruppen. Um der zahlreichen Bevölkerung des Ostens einen geschützten Erholungsplatz und den Kindern Spielplätze zu verschaffen, ist daselbst ein bedeutender Park, der Friedrichshain, angelegt worden, im Norden zu gleichem Zwecke der Humboldthain und der Schillerpark. Auch am linken Spreeufer, bei Treptow, sind weite Parkanlagen mit Baumschulen und Spielplätzen. Die Krone der Berliner Parkanlagen ist aber der vom Brandenburger Tor bis nach Charlottenburg sich ausdehnende 255 ha große Tiergarten. Er ist Eigentum des Herrscherhauses und diente früher als Jagdpark. Der erste König eröffnete ihn dem Publikum, spätere Könige schmückten ihn durch Anlagen und gaben ihm einen parkartigen Charakter, und seine heutige Gestalt erhielt er durch Kaiser Wilhelm II.
Der Tiergarten ist für Berlin von unschätzbarer Bedeutung. Ein großer Teil der Stadt verdankt ihm gesunde und reine Luft; seine schattigen Alleen und Fußpfade sind früh und spät von Spaziergängern jeglicher Art belebt; zur Winterszeit herrscht auf den Eisflächen seiner Wasserläufe ein reges Leben, und seine Spielplätze sind das Entzücken der Jugend. Kaiser Wilhelm I. war auch so sehr auf die Erhaltung dieses Parkes bedacht, daß ohne seine Erlaubnis kein großer Baum entfernt werden durfte. Die Bürgerschaft hat dem Herrscherhause ihren Dank durch zwei schöne Denkmäler ausgedrückt, die es in dem Tiergarten aufstellen ließ. Es sind die Standbilder Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise, die in Verbindung mit der in höchster Kunst ausgeführten gärtnerischen Ausschmückung der Umgebung eine Hauptzierde des Tiergartens und dadurch ein wahres Wallfahrtsziel für Einheimische und Fremde geworden sind. Von anderen Standbildern seien noch die Goethes und Lessings erwähnt, die in lauschigem Waldesgrün aufgestellt sind. Des einzigartig dastehenden Schmuckes durch die Marmordenkmäler der Siegesallee ist schon an anderer Stelle gebührende Erwähnung getan. – An den Tiergarten stößt der Zoologische Garten, der, abgesehen von seiner wissenschaftlichen und belehrenden Bestimmung, auch durch seine sorgfältig gepflegten Gartenanlagen und herrlichen Bauten einer der besuchtesten Vergnügungsorte Berlins geworden ist.
In dem alten Berlin war eine Feuersbrunst oft gefährlicher als Feindesnot, im neuen Berlin hat man eine solche nach Einrichtung der durch ihre musterhafte Organisation und Ausrüstung weitbekannten Feuerwehr nicht mehr zu fürchten. Eine desto größere Gefahr droht aber nach der gewöhnlichen Meinung der Provinzialen dem Bürger durch Diebe und Mörder. Ängstlichen Gemütern gilt Berlin als Sodom und Gomorrha, wo täglich Mord und Totschlag vorkommen. Das machen aber nur die vielen Zeitungen, die in Berlin erscheinen, die jeden einzelnen Fall zur allgemeinen Kenntnis bringen und ihn nicht selten in Aufsehen erregender Weise ausmalen. Selbstverständlich fehlt es unter den von allen Seiten hereinströmenden Menschen nicht an verdächtigem und gefährlichem Gesindel, und gar mancher wird durch Versuchung und die Not des Lebens auf die Bahn des Lasters getrieben. Die Statistik lehrt aber, daß hier Leben und Eigentum so sicher sind wie nur irgendwo in der Provinz.
Was der Erwerbstätigkeit in einer Großstadt oft hemmend in den Weg tritt, das sind die weiten Entfernungen, die im täglichen Verkehr zurückzulegen sind, denn Berlin ist groß, seine Weichbildgrenze umfaßte eine Fläche von 63,4 qkm. Zwar ist ein dichtes Netz von Verkehrslinien über die ganze Stadt ausgebreitet, aber doch wird noch vielfach und zum Teil mit Recht über Verkehrsnot geklagt. Droschken, Omnibusse, Straßenbahnen und Eisenbahnen bewältigen den ungeheuren Verkehr. Die Stadtbahn geht mitten durch Berlin und quer über die belebtesten Straßen hinweg. Auf einem 12 km langen gemauerten Viadukte durchschneidet sie die Stadt von Osten nach Westen und hat außer zwei massiven Brücken nicht weniger als vierundsechzig eiserne Überbrückungen von Straßen und Wasserläufen. Die Ringbahn, die als Nordring und Südring nahe der Grenze des Berliner Geländes verläuft, vermittelt den Verkehr nach und in den äußeren Stadtteilen. Die Hoch- und Untergrundbahn, die den äußersten Westen mit dem Osten verbindet und mit seinen Verzweigungen weit in das Herz Berlins dringt, ist angelegt, um die Stadtbahn, die die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hat, zu entlasten.
Stadtbahn und Hochbahn haben eine große Veränderung des alten Berlins hervorgebracht. Viele Häuser mußten abgerissen werden, andere wurden durchschnitten, Höfe und Werkstätten, Gärten und Lagerplätze, die sonst von den Straßen nicht gesehen werden konnten, wurden bloßgelegt. Von den vier Geleisen der Stadtbahn dienen zwei dem Stadt- und zwei dem Vorort- und Fernverkehr. Im Lokalverkehr folgen die Züge von früh bis spät einer dem andern in Abständen von 2-5 Minuten. Der Reisende hat seine Karte beim Betreten des Bahnsteigs vorzuzeigen und beim Verlassen abzugeben. Es wird weder vor Abgang der Züge geläutet, noch werden die Stationen abgerufen, ein jeder hat sich seinen Platz selbst zu suchen, und er muß wissen, wo und wann er ein- oder auszusteigen hat. Die fünf Hauptstationen dienen zugleich dem Fernverkehr. So kann man, von Petersburg mit der Ostbahn kommend, bis mitten in die Stadt hineinfahren oder auch unmittelbar seine Reise nach Metz und Paris fortsetzen. Ebenso kann man mitten in der Stadt für alle Bahnen, die mit der Stadtbahn in Verbindung stehen, Fahrkarten für ganz Deutschland bis ins Ausland erhalten.
Wie schon die Benutzung der Straßenbahn und der Stadtbahn den einzelnen zum Aufmerken und selbständigen Handeln zwingt, so auch das ganze öffentliche Leben und Treiben der Großstadt. Schon die Kinder werden durch weite Schul- oder Botengänge oft zur selbständigen Benutzung von Fahrgelegenheit veranlaßt und müssen von früh an sich selbst vor Schaden und Unfall zu hüten suchen. Wer es eilig hat, bedarf in den belebten Straßen nicht geringer Geschicklichkeit und Gewandtheit, die auch dem Kutscher nicht fehlen darf, wenn er in dem Gewirr von Personen und Wagen jeglicher Art schnell vorwärts kommen will; denn schnell soll alles gehen, der Großstädter hat keine Zeit zu verlieren.
Dieses rastlose Treiben hat dem Charakter der Berliner eine große Lebendigkeit, eine gewisse Unruhe und Hast verliehen, die sich auch im gesellschaftlichen Leben zeigt. Man sagt dem Berliner manche besondere Eigenheit nach, in gutem und üblem Sinne, behauptet, daß er seine Herkunft nie verleugnen könne, sein Berlin über alles lobe, das Fremde unterschätze, rechthaberisch, ja anmaßend sei. Solche Urteile stammen aber oft von Kleinstädtern her, die sich von dem großstädtischen Leben abgestoßen fühlen. Hier genießt eben der einzelne nicht die Beachtung und Bewertung wie daheim in dem engen kleinen Kreise, wo sich alle kennen. Eine Eigenheit freilich hat der Berliner, die er nie verleugnet: er ist spottsüchtig, mit seiner Kritik schnell zur Hand und besitzt eine gewisse Unverfrorenheit, die mitunter unangenehm werden kann. Mit dieser Neigung, sich über alles lustig zu machen, und einem vorzüglichen Redeflusse verbindet er einen angeborenen Witz, den man bei jung und alt, bei arm und reich, beim Eckensteher und im Palaste findet, und der selbst im Königshause glänzende Vertreter, wie Friedrich Wilhelm IV., hat. Nie wird der echte Berliner um eine Antwort verlegen sein, er ist eben schlagfertig.
Woher stammt nun ein solch witziges, schlagfertiges Wesen bei einem Norddeutschen, den man sonst für ernst und bedächtig, ja schwerfällig zu halten gewohnt ist? Es ist diese Eigenheit aus der Entwickelung der Berliner Bevölkerung zu erklären. Unter dem Großen Kurfürsten fanden nach Aufhebung des Edikts von Nantes und nach der grausamen Verwüstung der Pfalz viele aus Frankreich vertriebene Hugenotten und Pfälzer eine neue Heimat. Französische Refugiés bildeten in Berlin sogar eine eigene, sehr ansehnliche Kolonie, und noch heute findet man hier zahlreiche Nachkommen derselben. Sie sind mit der Zeit gute Preußen und echte Deutsche geworden. Damals brachten sie als Dank für die Gastlichkeit der Hohenzollern den wohltätigen Einfluß ihrer feineren Bildung, Kunstfleiß und Tüchtigkeit in gewissen Zweigen der Industrie in ihr neues Vaterland, und auch das gesellschaftliche Leben, sowie Sitte und Denkweise wurden durch sie in veredelnder Weise beeinflußt. Das schwerfällige norddeutsche Wesen wurde abgeschliffen und verfeinert. Sodann förderte die philosophische Königin Sophie Charlotte ästhetische und humanistische Bildung und den schöngeistigen Ton der Gesellschaft. Aus jener Zeit stammt das kritische Wesen und der freigeistige Ton der Bevölkerung, eine Eigenheit, die unter Friedrich dem Großen weitere Nahrung und Ausbildung erhielt.
Ist nun auch der Berliner schnell bereit, seinen kritischen Maßstab an alles, selbst an die höchsten Staatseinrichtungen zu legen, so ist er doch ein guter Patriot und seinem Königshause treu ergeben; sagt man ihm auch nach, er sei nicht kirchlich genug, so übt er doch fleißig christliche Werke der Liebe und Barmherzigkeit, und seine Spottlust, die auch die eigene Person nicht verschont, wird durch die stete Bereitwilligkeit zu helfen, gut gemacht. Dabei ist er ein Freund der Geselligkeit und harmlosen Heiterkeit. Letztere Seiten seines Wesens zeigt er am reinsten bei Familienfesten und den so sehr beliebten Ausflügen aufs Land. –
Zum Schluß sei noch in Kürze von den Umgebungen Berlins die Rede. Wer einmal Gelegenheit gehabt hat, zu Anfang der Sommerferien auf einem Berliner Bahnhofe zu sein, der wird geglaubt haben, sich inmitten einer Völkerwanderung zu befinden, so groß ist zu dieser Zeit die Menge der Reiselustigen. Lange genug hat man auch schon von dem köstlichen Augenblicke gesprochen, wo man »aus der Straßen quetschender Enge« hinauseilen will in das Freie, auf die Berge, an die See. Es gibt dann wohl in ganz Deutschland keinen Kurort, keine Sommerfrische, wo nicht Berliner anzutreffen wären. Tausende sind verreist; aber noch mehr sind daheim geblieben. Sie müssen sich mit Spaziergängen in die Vororte begnügen. Ausflüge zu Fuß, zu Rad oder in wohlbepackten Kremsern ins Freie und in den grünen Wald oder mit der Bahn und dem Dampfschiffe in die weitere Umgebung Berlins gelten ihnen als Freudentage, die für Monate, ja für das ganze Jahr entschädigen müssen.
Die Vororte sind meist schon ganz mit der Hauptstadt verwachsen und haben an deren riesigem Aufschwunge selbst schon teilgenommen. So zählt die Stadt Charlottenburg, die ihre Entstehung der bereits erwähnten Königin Sophie Charlotte verdankt, bereits über 275 000 Einwohner, Rixdorf 197 000 und Schöneberg über 173 000 Bewohner. Im Charlottenburger Schloßgarten ist ein berühmtes Mausoleum. Eine dunkle Tannenallee führt uns zu dem tempelartigen Gebäude, der Grabstätte der Königin Luise und ihres Gemahls Friedrich Wilhelms III. Auf den Sarkophagen ruhen die Marmorfiguren des Königspaares, Kunstwerke von ergreifender Wirkung. Auch Kaiser Wilhelm I. hat auf seinen Wunsch hier mit seiner Gemahlin Augusta die letzte Ruhe gefunden. Eine andere berühmte Grabstätte ist der Begräbnisplatz der Familie Humboldt mitten im Waldesgrün im Parke am Tegeler See. Ein Haupttummelplatz für jung und alt ist die Hasenheide bei Rixdorf mit Volksgärten und allen nur erdenklichen Volksbelustigungen. Hier gründete Jahn 1811 den ersten Turnplatz Deutschlands, und hier ist ihm auch ein Denkmal eigner Art gesetzt worden. Seine lebenstreue Erzfigur steht auf einem Hügel von Felsblöcken, die, mit Inschriften versehen, von deutschen Turnvereinen aus der ganzen Welt zu diesem Zwecke gestiftet und hierher gesandt wurden.
Landschaftliche Schönheiten bieten in reicher Fülle die Ufer der Spree und Havel. Beide Flüsse sind hier von ansehnlicher Breite, sodaß sich ein reger Dampfschiffahrtsverkehr auf ihnen entwickelt und auch der Wassersport zahlreiche Jünger findet. Auf dem 4,5 km langen und bis 2,5 km breiten Müggelsee und dem von der Dahme, einem Nebenflusse der Spree, durchflossenen Langen See bei Grünau finden großartige Ruder- und Segelregatten statt. Meilenweit sind die Ufer der Spree von parkartigen Anlagen, Villen, Vergnügungslokalen und Ortschaften besetzt. Dasselbe gilt von der Havel. Hier erstreckt sich auf dem östlichen Ufer zwischen Charlottenburg und Potsdam der Grunewald, der beliebteste Zufluchtsort für das erholungsbedürftige Berlin. Er ist ein großer Nadelholzforst mit zahlreichen Buchen und Eichen. Seine Hauptzierde sind seine neun Waldseen, die durch Schluchten und Täler miteinander in Verbindung stehen. Die westliche Hälfte ist bergig und gewährt auf die hier durchschnittlich 1500 m breite Havel reizende Fernsichten. Durch den nördlichen Teil des Grunewaldes führt in westlicher Richtung als Verlängerung der prunkvollen Bismarckstraße in Charlottenburg die breite, drei Fahrbahnen, Reitwege und Fußgängersteige enthaltende Döberitzer Heerstraße zu dem aus gewaltigen Dämmen und Brücken hergestellten Übergang über die Havel.
An den Grunewald schließen sich im Süden und Osten großartige Villenkolonien an. Bei Wannsee beginnt das Gebiet von Potsdam, in landschaftlicher Beziehung der Perle der Mark Brandenburg. Dort finden wir alle Schönheiten einer märkischen Wald- und Wasserlandschaft, gehoben noch durch die Kunst der Menschen und reich an geschichtlichen Erinnerungen. Von allen Gipfeln der bewaldeten Anhöhen und allen hervorragenden Punkten der Havelufer schauen Schlösser, Türme und Kuppeln aus dem Grün hervor. In Potsdam hegte und drillte Friedrich Wilhelm I. seine langen Grenadiere, dort lebte der Große König und Philosoph von Sanssouci, Schloß Babelsberg war der Lieblingssitz Kaiser Wilhelms I., im Neuen Palais, wo zugleich seine Wiege stand, endete der stille Dulder Kaiser Friedrich III. sein edles Leben, und auch Kaiser Wilhelm II. weilt im Sommer mit seiner Familie dort. So ist Potsdam unlöslich mit dem Herrscherhause und der Reichshauptstadt verbunden.